Leitsatz (amtlich)
Bei der "Umwandlung" einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in das Altersruhegeld nach AVG § 31 Abs 2 bleibt eine bisher zu Unrecht angerechnete Ersatzzeit nicht erhalten; bei der Berechnung des Altersruhegeldes ist nur die wirklich zurückgelegte Ersatzzeit anzurechnen (vergleiche BSG 1967-04-25 11 RA 106/66 = BSGE 26, 206).
Orientierungssatz
Die Bindungswirkung eines Bescheides über die Bewilligung einer Rente erstreckt sich nicht auf die Berechnungsfaktoren einer Rente, so daß bei der Neufeststellung einer Leistung und bei der Feststellung einer neuen Leistung früher unrichtig festgestellte Berechnungsfaktoren durch die richtigen zu ersetzen sind (vergleiche BSG 1961-04-20 4 RJ 217/59 = BSGE 14, 154 und BSG 1966-02-15 11 RA 289/65 = BSGE 24, 236 und BSG 1966-09-21 11 RA 189/64 und BSG 1967-02-01 1 RA 43/64). Von diesem Grundsatz abzugehen ist nur geboten, wenn das Gesetz die Berechtigung hierzu deutlich erkennen läßt.
Normenkette
RVO § 1254 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; AVG § 31 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 12. Juni 1965 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die Klägerin ist die Witwe des im März 1897 geborenen und während des Revisionsverfahrens im Februar 1966 verstorbenen R H. Sie setzt als dessen Rechtsnachfolgerin das Verfahren fort.
Die Beklagte hatte dem Ehemann der Klägerin ab Juli 1957 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU-Rente) gewährt und dabei eine Ersatzzeit (Kriegsdienstzeit) von 44 Monaten zugrunde gelegt. Durch den angefochtenen Bescheid vom 29. Januar 1963 wandelte die Beklagte die Rente ab März 1962 in das Altersruhegeld um, sie berücksichtigte hierbei jedoch nur eine Ersatzzeit von 43 Monaten, weil bei der früheren Berechnung § 1250 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) unrichtig angewandt worden sei.
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Frankfurt die Beklagte "unter Abänderung des Bescheides vom 29. Januar 1963 verurteilt, die Kriegsdienstzeit des Klägers im ersten Weltkrieg mit 44 Monaten anzurechnen". Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Nach Ansicht des LSG bedeutet die - hier nach § 31 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) vollzogene - Rentenumwandlung keine Gewährung einer selbständigen, aus Anlaß eines neuen Versicherungsfalles neu festzustellenden Rente. Das ergebe sich schon aus dem Sinn des Wortes "umzuwandeln". Hiernach trete keine andere, völlig neue Rente an die Stelle der alten, diese bleibe vielmehr in ihren "Bestandteilen" erhalten und werde nur durch die zusätzliche Berücksichtigung der inzwischen zurückgelegten Versicherungszeiten gewissermaßen aufgestockt. Es dürfe deshalb die bisherige Berechnung der Rente nicht erneut auf ihre Richtigkeit überprüft werden, ihre Berechnungselemente blieben selbst bei unrichtiger Feststellung erhalten. Durch die Sondervorschrift des § 30 Abs. 2 AVG werde der Schutz der alten Rentenbestandteile gewährleistet.
Mit der zugelassenen Revision beantragte die Beklagte,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sie rügte eine Verletzung des § 31 Abs. 2 AVG.
Die Klägerin beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1, 165 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II
Die Klägerin ist nach § 65 Abs. 2 AVG berechtigt, das durch den Tod ihres Ehemannes unterbrochene Verfahren fortzusetzen.
Die Revision der Beklagten ist zulässig. Auf das Rechtsmittel muß das Urteil des LSG aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden.
Die Beklagte muß der Berechnung des Altersruhegeldes eine Ersatzzeit von 44 Monaten nur zugrunde legen, wenn die Ersatzzeit nach den für ihre Berechnung maßgebenden Vorschriften tatsächlich 44 Monate beträgt. Erreicht sie in Wahrheit nur 43 Monate, dann stehen der entsprechenden Feststellung beim Altersruhegeld die Bestimmungen der §§ 31 Abs. 2, 30 Abs. 2 AVG über die Umwandlung der EU-Rente in das Altersruhegeld nicht entgegen. Der gegenteiligen Ansicht des LSG kann der Senat nicht folgen.
Auf die Umwandlung ist im vorliegenden Falle, weil ihre Voraussetzungen vor dem 1. Januar 1966 eingetreten sind, § 31 Abs. 2 AVG i. d. F. vor dem Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 anzuwenden (Art. 5 §§ 3, 10 Abs. 1 d RVÄndG). Bei der rechtlichen Beurteilung ist davon auszugehen, daß beim Eintritt eines neuen Versicherungsfalles der hierauf beruhende Leistungsanspruch nach Grund und Höhe grundsätzlich neu festzustellen ist. Weiter ist zu beachten, daß sich die Bindungswirkung (§ 77 SGG) eines Bescheides über die Bewilligung einer Rente nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht auf die Berechnungsfaktoren einer Rente erstreckt, so daß bei der Neufeststellung einer Leistung und bei der Feststellung einer neuen Leistung früher unrichtig festgestellte Berechnungsfaktoren durch die richtigen zu ersetzen sind (BSG 14, 154; 24, 236; Urteile des BSG vom 21. September 1966 - 11 RA 189/64 - und vom 1. Februar 1967 - 1 RA 43/64 -). Von diesem Grundsatz abzugehen ist nur geboten, wenn das Gesetz die Berechtigung hierzu deutlich erkennen läßt; das ist bei der Umwandlung einer EU-Rente in das Altersruhegeld nicht der Fall.
Die Feststellung eines Altersruhegeldes setzt auch für die Bezieher einer EU-Rente ebenso wie für "Erstrentner" voraus, daß die Anspruchsvoraussetzungen nach § 25 Abs. 1 und 4 AVG erfüllt sind (§ 31 Abs. 2 Satz 1 AVG). Die Berechnung des Altersruhegeldes erfolgt nach § 31 Abs. 1 AVG; für die Bezieher einer EU-Rente gelten lediglich die "Berechnungsbesonderheiten", die sich aus § 31 Abs. 2 Satz 2 und 3 AVG ergeben. Diese Regelung läßt nicht erkennen, daß es sich bei dem Übergang von der EU-Rente auf das Altersruhegeld lediglich um eine Erhöhung der bisherigen Rente mit den früher festgestellten Berechnungsfaktoren handelt.
Aus dem im Gesetz gebrauchten Wort "umzuwandeln", d. h. aus der Bezeichnung des Rentenübergangs als "Umwandlung" läßt sich das nicht herleiten. Das geltende Recht kennt Umwandlungen z. B. bei Gesellschaften, Grundpfandrechten, Aktien, Lebensversicherungen, Richterverhältnissen und bei Strafen. In den einschlägigen Vorschriften (vgl. z. B. §§ 24, 362 ff Aktiengesetz, §§ 1186, 1198 BGB, § 174 Vers. Vertragsgesetz, § 17 Deutsches Richtergesetz, § 29 Strafgesetzbuch) finden sich keine einheitlichen Grundsätze darüber, welche Elemente des bisherigen Rechtsverhältnisses bei der Umwandlung unverändert erhalten bleiben. Auch das Recht der Rentenversicherung enthält für die Umwandlungen von Renten keine solchen Grundsätze. Das Gesetz kennt eine Umwandlung der Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU-Rente) in die EU-Rente (§ 30 Abs. 2 AVG), der BU-Rente und EU-Rente in das Altersruhegeld (§ 31 Abs. 2 AVG), der EU-Rente in die BU-Rente (§§ 63 Abs. 1, 64 Abs. 2 AVG) und schließlich die Umwandlung der Rente eines Hinterbliebenen nach § 45 Abs. 2 Nr. 2 AVG in die Rente nach § 45 Abs. 1 AVG. Bei zusammenfassender Betrachtung dieser Fälle kann eine "Aufstockung" der Rente nicht als der Umwandlung wesenseigen bezeichnet werden, weil in den letzten beiden Fällen eine Aufstockung mit Sicherheit entfällt. Ebensowenig kann danach aber gesagt werden, daß die alte Rente bei der Umwandlung in ihren Bestandteilen erhalten bleibt. Mit den "Bestandteilen" (vgl. dazu BSG 10, 131 zum Kinderzuschuß als Bestandteil der Rente) sollen hier offenbar die Berechnungsfaktoren der Rente gemeint sein. Es ist aber beispielsweise keine Frage, daß bei allen Umwandlungen von und in BU-Renten der Prozentsatz der persönlichen Bemessungsgrundlage (1 oder 1,5 %), der ein Berechnungsfaktor ist und den Rentenjahresbetrag für jedes anrechnungsfähige Versicherungsjahr ergibt, sich stets ändert (steigt oder sinkt); ebensowenig wird bezweifelt, daß sich bei den Umwandlungen nach den §§ 30 Abs. 2 und 31 Abs. 2 AVG, die allgemeine Bemessungsgrundlage, die auch einen Berechnungsfaktor darstellt, sich nunmehr nach dem Zeitpunkt des neuen Versicherungsfalles richtet. Demnach ließe sich allenfalls annehmen, daß einzelne Berechnungsfaktoren erhalten blieben. Das könnte sich nur aus der Ausgestaltung der Umwandlung im Gesetz ergeben, die Bezeichnung als "Umwandlung" ist dafür nicht eindeutig genug. Sie besagt nichts anderes, als daß nunmehr ein neuer Leistungsanspruch besteht und der Anspruch auf die alte Rente nicht mehr besteht (vgl. Jantz-Zweng, Rentenversicherung 2. Auflage 1966, Einführung S. 14, 15); sie läßt offen, ob und inwieweit beim Übergang ein bisheriger "Besitzstand" gewahrt bleibt.
Eine Übernahme bisheriger Berechnungsfaktoren ist im Gesetz nur in einem Fall für die Zurechnungszeit vorgeschrieben. Das Gesetz gibt allein in den §§ 30 Abs. 2 und 31 Abs. 2 Vorschriften über die Berechnung einer umgewandelten Rente. In der früheren Fassung bestimmte § 30 Abs. 2 für die Umwandlung der BU-Rente in die EU-Rente in Satz 2, daß eine bisher angerechnete Zurechnungszeit in gleichem Umfange anzurechnen ist, und in Satz 3, daß die nach Eintritt der BU zurückgelegten Versicherungs- und Ausfallzeiten (mit einer Ausnahme, vgl. den letzten Halbsatz) zusätzlich zu berücksichtigen sind - was u. U. zu einer Senkung der persönlichen Bemessungsgrundlage führen konnte. § 31 Abs. 2 AVG aF gebot für die Umwandlung von BU-Renten und EU-Renten in das Altersruhegeld in Satz 2 ebenfalls die zusätzliche Berücksichtigung inzwischen entrichteter Beiträge, was sinngemäß die inzwischen zurückgelegten Ersatz- und Ausfallzeiten einschloß; in Satz 3 war bestimmt, daß als Altersruhegeld mindestens "die unter Anwendung des § 30 Abs. 2 und des § 37 berechnete Rente" gewährt wird. Aus diesen Vorschriften ergibt sich nicht, daß bei Rentenumwandlungen allgemein oder wenigstens bei der Umwandlung nach § 31 Abs. 2 AVG aF (abgesehen von der Zurechnungszeit) irgendwelche bisher maßgebenden Berechnungsfaktoren, insbesondere die bisher angerechneten Ersatzzeiten, auch dann, wenn sie zu Unrecht angerechnet waren, ohne weitere Prüfung zu übernehmen und nur allenfalls aufzustocken sind. § 31 Abs. 2 Satz 3 AVG aF verlangt eine Vergleichsberechnung des Altersruhegeldes unter Beibehaltung einer bisher angerechneten Zurechnungszeit (vgl. BSG 22, 142). Die übrigen Vorschriften sichern beim Übergang der BU-Rente in die EU-Rente die unveränderte Beibehaltung einer Zurechnungszeit und sonst die Berücksichtigung inzwischen zurückgelegter Versicherungs- und Ausfallzeiten. Wollte man aus dem letzteren folgern, das setze voraus, daß die schon berücksichtigten Zeiten "erhalten" blieben, dann fragt es sich, weshalb der Gesetzgeber ausdrücklich bei der Umwandlung nach § 30 Abs. 2 AVG die Beibehaltung der Zurechnungszeit vorgeschrieben hat. Die hierfür getroffene besondere Regelung spricht eher dafür, daß bei den Berechnungsfaktoren der alten Rente grundsätzlich keine Bindung eintritt.
Die gleiche Auffassung hat der Senat in dem Rechtsstreit 11 RA 106/66 vertreten, der am gleichen Tage wie der vorliegende Rechtsstreit entschieden worden ist. Der Senat hat dort dargelegt, daß er nicht von Ausführungen des 12. und 4. Senats (BSG 19, 188; 4 RJ 301/65 vom 3. August 1966) abweicht, weil deren Ausführungen zur Umwandlung nicht zu den tragenden Gründen ihrer Entscheidungen gehören (so auch Urteil des 5. Senats vom 9. September 1966, 5 RKn 109/64). Dort hat der Senat auch auf die Neufassung der Umwandlungsvorschriften durch das RVÄndG verwiesen. Diese bestätigt die hier vertretene Auffassung, weil § 30 Abs. 2 Satz 5 AVG nF bestimmt, daß bei der Umwandlung der BU-Rente in die EU-Rente mindestens der bisherige monatliche Rentenzahlbetrag gewährt wird; das gilt nach § 31 Abs. 2 Satz 2 nF auch bei der Umwandlung von BU-Renten und EU-Renten in das (normale und vorzeitige) Altersruhegeld. Die Neufassung, die bei der Auslegung der früheren Vorschriften noch herangezogen werden darf, läßt klar erkennen, in welcher Weise der Gesetzgeber bei Rentenumwandlungen gegebenenfalls den "Besitzstand" wahren will, nämlich als "Rentenzahlbetragsgarantie", soweit es sich um Umwandlungen in Renten nach einem höherwertigen Versicherungsfall handelt. Daß daneben noch als weitere Besitzstandswahrung unrichtige Berechnungsfaktoren der alten Rente erhalten werden mit der möglichen Folge, daß sich die zu gewährende Rente noch weiter von der richtigen Rente entfernt, entspricht demnach nicht dem Sinn und Zweck des Gesetzes.
Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden. Nach den Erklärungen der Beteiligten ist das Altersruhegeld höher festgesetzt worden, als die EU-Rente zuletzt vor der Umwandlung betragen hat. Es bedarf also der Klärung, ob die Ersatzzeit mit 44 oder nur mit 43 Monaten zu berechnen ist. Dazu fehlen im angefochtenen Urteil tatsächliche Feststellungen, so daß dem Senat ein Urteil über das Ausmaß der Ersatzzeit nicht möglich ist. Deshalb ist der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen, das bei seiner neuen Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens mit zu befinden hat.
Fundstellen