Entscheidungsstichwort (Thema)
Lösung von Hauertätigkeit
Orientierungssatz
Von der Hauertätigkeit löst sich ein Versicherter nicht, solange er sich bei seiner Schachtanlage bemüht, wieder als Hauer eingesetzt zu werden, und er deshalb die Tätigkeit als Grubenlokomotivführer als vorübergehend ansehen kann. Während dieser Zeit braucht er nicht zu versuchen, bei einer anderen Schachtanlage als Hauer eingestellt zu werden, um dadurch eine Lösung von diesem Beruf zu verhindern. Diesen Versuch braucht er auch nicht bei Bekanntwerden der bevorstehenden Stillegung der Grube und des nachfolgenden Einsatzes als Transportarbeiter 2 unternehmen.
Normenkette
RKG § 45 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 20.05.1976; Aktenzeichen L 2 Kn 29/76) |
SG Duisburg (Entscheidung vom 26.01.1976; Aktenzeichen S 5 Kn 132/74) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. Mai 1976 aufgehoben; der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Streitig ist, ob dem im Jahre 1929 geborenen Kläger die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit zusteht, weil er wegen eines Ohrenleidens unter Tage nicht mehr arbeiten kann.
Der Kläger war ab 28. November 1948 als Gedingeschlepper bzw als Lehrhauer und ab 1. Juni 1962 als Hauer tätig. Vom 1. Januar 1968 bis zum 28. Februar 1969 wurde er als Grubenlokomotivführer eingesetzt, danach aber vom 1. März 1969 bis zum 31. Mai 1971 wieder als Hauer. Ab 1. Juni 1971 bis zum 30. Juni 1973 wurde er erneut als Grubenlokomotivführer und vom 1. Juli 1973 bis 21. Oktober 1973 als Transportarbeiter 2 beschäftigt. Ab 22. Oktober 1973 war er arbeitsunfähig und am 31. Dezember 1973 wurde er wegen Stillegung seiner Schachtanlage entlassen. Vom 7. Januar 1975 bis zum 4. Juni 1975 war er außerhalb des Bergbaues als Pförtner und Fahrer tätig und nach erneuter kurzfristiger Arbeitslosigkeit ist er seit Oktober 1975 außerhalb des Bergbaues als Bürobote beschäftigt. Nach einer Auskunft der Bergbau-AG G erfolgte am 1. Juni 1971 der Wechsel vom Hauer zum Grubenlokomotivführer aus betrieblichen Gründen, weil ein Fehlbedarf an Grubenlokomotivführern vorgelegen habe. Der Kläger habe sich laufend bemüht, wieder als Hauer eingesetzt zu werden. Das sei aber bis zum 30. Juni 1973 nicht möglich gewesen. Vom 1. Juli 1973 bis zum 20. Oktober 1973 habe er als Transportarbeiter 2 beschäftigt werden müssen, weil durch die bevorstehende Stillegung der Schachtanlage zusätzliche Transportarbeiten (Rauben von Abbau-, Richtstrecken und Querschlägen sowie Transport von Wasser- und Luftleitungen) angefallen seien.
Den am 23. November 1973 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 2. Mai 1974 ab, weil der Kläger, ausgehend vom Transportarbeiter 2 als versicherten Hauptberuf, noch nicht vermindert bergmännisch berufsfähig sei. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 1974 zurückgewiesen. Unter Abänderung dieser Bescheide verurteilte das Sozialgericht (SG) Duisburg mit Urteil vom 26. Januar 1976 die Beklagte, dem Kläger aufgrund des Antrags vom 23. November 1973 Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 20. Mai 1976 zurückgewiesen. Nach den Feststellungen des LSG kann der Kläger wegen eines Ohrenleidens nicht mehr unter Tage tätig sein. Von der Hauertätigkeit habe er sich nicht gelöst gehabt, so daß von dieser Tätigkeit als Hauptberuf bei Prüfung der bergmännischen Berufsfähigkeit ausgegangen werden müsse. Er habe sich zwar ab 1. Juni 1971 aus betrieblichen Gründen als Grubenlokomotivführer einsetzen lassen müssen, jedoch sei diese Tätigkeit nur als vorübergehend gedacht gewesen, der Betrieb habe ihn wieder als Hauer einsetzen wollen. Da er sich auch selbst laufend darum bemüht habe, wieder als Hauer eingesetzt zu werden, habe er sich mit dem neuen Arbeitsplatz nicht abgefunden und daher auch von der Hauertätigkeit nicht gelöst. Dafür sei unerheblich, daß er sich nicht bemüht habe, auf anderen Schachtanlagen als Hauer unterzukommen. Es könne ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß er darauf Wert gelegt habe, bis zur Stillegung auf seiner alten Schachtanlage zu verbleiben, um nach Durchführung aller mit der Stillegung verbundenen Arbeiten im Zuge der vorgesehenen Maßnahmen (Versetzung, Umsetzung, Sozialplan) zur Hauertätigkeit auf einer benachbarten Schachtanlage seiner Gesellschaft überzuwechseln, was allerdings dann wegen seines Ohrenleidens nicht mehr möglich gewesen sei. Wie der Senat aber bereits früher entschieden habe, könne ein Hauer auf Tätigkeiten über Tage bei der Beurteilung der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit nur verwiesen werden, wenn dafür besondere Voraussetzungen gegeben seien. In der Urteilsbegründung werden dann die in der früheren Entscheidung gemachten Ausführungen wörtlich wiedergegeben.
Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen. Mit der Begründung der von ihr eingelegten Revision wendet sich die Beklagte in erster Linie dagegen, daß das LSG die Hauertätigkeit als Hauptberuf des Klägers angesehen hat, denn von dieser Tätigkeit habe er sich bereits vor Eintritt des Versicherungsfalles aus anderen als gesundheitlichen Gründen endgültig gelöst gehabt. Zwar habe er sich bemüht, wieder als Hauer eingesetzt zu werden, jedoch nur in seinem Beschäftigungsbetrieb und dies allein reiche nicht aus, um eine rechtserhebliche Lösung von der Hauertätigkeit zu verneinen. Er hätte nach den erfolglos gebliebenen Bemühungen im Beschäftigungsbetrieb auch versuchen müssen, auf einer anderen Schachtanlage wieder als Hauer eingesetzt zu werden. Es könne nicht davon ausgegangen werden, daß ein solcher Versuch für den damals 41jährigen Kläger von vornherein als erfolglos hätte angesehen werden müssen. Aus dem Unterbleiben solcher Bemühungen sei zu schließen, daß er sich mit seiner neuen Beschäftigung abgefunden gehabt habe. Als Hauptberuf des Klägers könne daher nur der Transportarbeiter 2 (Lohngruppe 08 unter Tage) angesehen werden und von dieser Tätigkeit ausgehend seien die Arbeiten des Maschinenwärters, Lampenwärters oder Magazinarbeiters, die der Kläger noch ausüben könne, der bisher verrichteten knappschaftlichen Arbeit im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig. Diese Arbeiten würden auch von Personen mit einer dem Transportarbeiter 2 ähnlichen Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgeübt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. Mai 1976 und das Urteil des SG Duisburg vom 26. Januar 1976 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten gegen das Urteil des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. Mai 1976 zurückzuweisen.
Nach seiner Ansicht ist das LSG mit Recht von der Hauertätigkeit als Hauptberuf ausgegangen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist insoweit begründet, als eine Zurückverweisung der Sache an das LSG erfolgt ist.
Nach § 45 Abs 1 Nr 1 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) iVm Abs 2 dieser Vorschrift ist dem Kläger eine Bergmannsrente zu gewähren, wenn er infolge seines Gesundheitszustandes weder imstande ist, die von ihm bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit auszuüben, noch imstande ist, andere im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Arbeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben zu verrichten. Da der Kläger nach den Feststellungen des LSG wegen eines Ohrenleidens nicht mehr unter Tage arbeiten kann, kann er die bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit nicht mehr ausüben, wobei es gleichgültig ist, ob die Hauertätigkeit oder die Tätigkeit als Grubenlokomotivführer oder Transportarbeiter 2 als bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit anzusehen ist. Dies ist jedoch bedeutsam dafür, ob er noch imstande ist, andere im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Arbeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben zu verrichten. Unter den Beteiligten ist streitig, welches die bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit im Sinne dieser Bestimmung ist. Während der Kläger die Ansicht vertritt, er habe sich erst später aus gesundheitlichen Gründen vom Hauerberuf gelöst, meint die Beklagte, die Lösung sei schon vorher erfolgt, so daß nur die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Transportarbeiter 2 als Hauptberuf angesehen werden könne.
Der erkennende Senat hat bereits mehrfach entschieden (vgl BSGE 2, 183; Urteil vom 27. Juni 1973 - 5 RKn 28/71 und Urteil vom 21. Juli 1976 - 5 RKn 19/75 -), daß unter der "bisher" verrichteten Tätigkeit nicht die "zuletzt" ausgeübte Arbeit zu verstehen ist. Hauptberuf im Sinne des § 45 Abs 2 RKG kann vielmehr auch eine früher ausgeübte Tätigkeit, also im vorliegenden Falle die Hauertätigkeit sein, wenn sich der Kläger von ihr noch nicht endgültig gelöst hatte, dh sie noch nicht mit dem Willen aufgegeben hatte, sie nicht mehr auszuüben. Hierbei kommt es allerdings nicht allein auf den Willen des Versicherten im Zeitpunkt des Arbeitsplatzwechsels, sondern auch auf dessen Willen zu einem späteren Zeitpunkt an. Ist ein Versicherter aus betrieblichen Gründen gegen seinen Willen auf einem anderen Arbeitsplatz eingesetzt worden, so liegt gleichwohl eine Lösung vom bisherigen Hauptberuf vor, wenn er sich später mit dem neuen Arbeitsplatz abgefunden hat (vgl BSGE 15, 213, 214 = SozR Nr 16 zu § 35 RKG aF und Urteil vom 27. Oktober 1966 - 5 RKn 74/64 -). In dem Urteil vom 21. Juli 1976 hat der erkennende Senat dargelegt, daß die Frage, ob sich ein Versicherter mit einem zunächst unfreiwilligen Berufswechsel abgefunden hat, in der Regel zu bejahen sein wird, wenn er die neue Tätigkeit längere Zeit ausgeübt hat, ohne versucht zu haben, zur früheren Arbeit zurückzukehren, obwohl ein solcher Versuch nicht als von vornherein erfolglos hätte angesehen werden müssen. Der Senat hat mit Urteil vom heutigen Tage in der Sache 5 RKn 9/77 bereits entschieden, daß eine rechtserhebliche Lösung von der bisherigen Hauertätigkeit nicht gegeben ist, wenn der Versicherte auf betriebliche Anordnung eine andere Tätigkeit aufnimmt, sich damit aber nicht abfindet und der Arbeitgeber ihm deshalb die Rückkehr zur früheren Tätigkeit in Aussicht stellt. Gleiches muß gelten, wenn der Versicherte - wie hier vom LSG festgestellt - aufgrund eigener Bemühungen und des tatsächlichen Verhaltens des Arbeitgebers bis zum 30. Juni 1973 damit rechnen konnte, wieder in seiner Grube als Hauer eingesetzt zu werden.
Im vorliegenden Fall ist der Kläger am 1. Juni 1962 bis zum 31. Dezember 1967 als Hauer tätig gewesen. Danach ist er nach einer 14monatigen Tätigkeit als Grubenlokomotivführer wieder vom 1. März 1969 bis zum 31. Mai 1971 als Hauer eingesetzt worden. Anschließend wurde er wieder vom 1. Juni 1971 bis zum 30. Juni 1973 (25 Monate) als Grubenlokomotivführer beschäftigt. Nach den Feststellungen des LSG war die Abstellung des Klägers zur Tätigkeit eines Grubenlokomotivführers im Juli 1971 von der Betriebsleitung der Grube nur als vorübergehende Abstellung gedacht, der Kläger sollte später wieder als Hauer eingesetzt werden. Er selbst hat sich darum auch laufend bemüht. Da er schon in früheren Jahren einmal für 14 Monate zur Tätigkeit als Grubenlokomotivführer abgestellt war, konnte er damit rechnen, daß er auch dieses Mal nach einer gewissen Zeit wieder in seiner Grube als Hauer eingesetzt würde. Deshalb kann aus der Tatsache, daß er sich vom 1. Juni 1971 bis zum 30. Juni 1973 nicht um die Einstellung als Hauer bei einer anderen Grube bemüht hat, nicht der Schluß gezogen werden, der Kläger habe sich mit der neuen Tätigkeit abgefunden und damit von dem Hauerberuf gelöst gehabt. Dieser Schluß könnte auch dann nicht gezogen werden, wenn festgestellt werden könnte, daß ein solcher Versuch in der genannten Zeit nicht als von vornherein erfolglos hätte angesehen werden müssen. Deshalb brauchten hierüber auch keine Ermittlungen angestellt zu werden.
Vom 1. Juli 1973 bis zum 21. Oktober 1973 ist dann der Kläger noch etwa vier Monate als Transportarbeiter 2 unter Tage beschäftigt worden. Während dieses Zeitraumes konnte er wegen der bevorstehenden Stillegung seiner Grube nicht mehr damit rechnen, als Hauer eingesetzt zu werden. Dennoch kann die Tatsache, daß er sich auch dann nicht um eine Einstellung als Hauer in einer anderen Grube bemüht hat, nicht eine Lösung von diesem Beruf rechtfertigen. Zutreffend hat das LSG insoweit darauf hingewiesen, daß der Kläger bei den mit der Stillegung seiner Zeche verbundenen Maßnahmen im Rahmen eines Sozialplanes oder dergleichen eher als ohne diese Hilfe mit einer Wiederverwendung als Hauer durch Versetzung oder Umsetzung in eine andere Schachtanlage der Bergwerksgesellschaft rechnen konnte.
Wenn aber beim Kläger eine Lösung vom Hauerberuf nicht anzunehmen ist, solange er noch nicht durch sein Ohrenleiden an einer Tätigkeit unter Tage gehindert war, muß bei der Anwendung des § 45 Abs 2 RKG vom Hauptberuf des Hauers ausgegangen werden, weil dann eine Aufgabe des Hauptberufs erst mit dem Auftreten des Ohrenleidens und damit aus gesundheitlichen Gründen erfolgt ist.
Das LSG hat aber nicht ordnungsgemäß geprüft, ob es in knappschaftlichen Betrieben Arbeiten über Tage gibt, die der Kläger nach seinem Gesundheitszustand noch verrichten kann und die der Hauertätigkeit im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sind und von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgeübt werden. Es gibt zur Begründung seiner Ansicht, daß ein Versicherter, der im Hauptberuf Hauer ist, bei der Beurteilung der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit nicht auf Tätigkeiten über Tage verwiesen werden könne, sofern nicht besondere Voraussetzungen gegeben seien, lediglich Ausführungen aus einem früheren Urteil wieder. Es ist aber nicht erkennbar, daß die persönlichen Verhältnisse des Versicherten in dem früher entschiedenen Fall die gleichen wie beim Kläger waren. Das gilt in gesundheitlicher Hinsicht, aber auch hinsichtlich Ausbildung, Kenntnisse, Fähigkeiten und Berufserfahrungen. So lagen zB im früher entschiedenen Fall keine durch eine Tätigkeit im Schachtförderbetrieb erworbene Erfahrungen vor, die beim Kläger vorhanden sein dürften.
Die Sache mußte daher an das LSG zurückverwiesen werden, damit die noch erforderlichen Feststellungen erfolgen können.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.
Fundstellen