Leitsatz (amtlich)
Bezieher von Altersruhegeld können innerhalb der Frist des AVG § 140 Abs 1 (= RVO § 1418 Abs 1) Beiträge zur Weiterversicherung für Zeiten vor Beginn der Rente auch dann noch wirksam entrichten, wenn der das Altersruhegeld bewilligende Bescheid bindend geworden ist (Fortführung von BSG 1963-01-24 4 RJ 323/61 = BSGE 18, 212 - SozR Nr 1 zu §1419 RVO).
Normenkette
RVO § 1233 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 10 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1418 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 140 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1419 Fassung: 1957-02-23; AVG § 141 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Anschlußrevision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 14. März 1969 wird zurückgewiesen.
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 14. März 1970 aufgehoben, soweit es seine Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 17. Oktober 1967 zurückgewiesen hat.
Die Feststellungsklage wird als unzulässig abgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe
I.
Der im Jahre 1901 geborene Kläger bezog aufgrund des bindend gewordenen Bescheides vom 4. September 1964 vorzeitiges Altersruhegeld nach § 25 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) vom 1. August 1964 an.
Im Juni 1966 beantragte er die Umwandlung seines vorzeitigen Altersruhegeldes in das allgemeine Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres mit Wirkung vom 1. August 1966 an. Zugleich fragte er an, ob er noch für die Jahre 1964 bis 1966 Beiträge nachentrichten könne.
In einem Schreiben vom 29. Juni 1966 erwiderte ihm die Beklagte, daß für Bezieher eines Altersruhegeldes die Weiterversicherung nicht mehr zulässig sei und auch das vorzeitige Altersruhegeld bei Vollendung des 65. Lebensjahres nicht umzuwandeln sei.
Mit Schreiben vom 16. August 1966 bot der Kläger für die noch nicht mit Beiträgen belegte Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1964 die Nachentrichtung von fünf freiwilligen Monatsbeiträgen der Klasse P an. Er war der Ansicht, er könne noch für die Zeit bis zum Beginn seines vorgezogenen Altersruhegeldes Beiträge nachentrichten, die alsdann auf das mit dem Beginn des Monats August 1966 einsetzende Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres anzurechnen seien.
Mit Bescheid vom 31. Oktober 1966 lehnte die Beklagte den Antrag auf Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen für das Jahr 1964 ebenso wie in ihrem Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 1967 mit der Begründung ab, daß für Altersruhegeldempfänger, deren Rentenbescheid bindend geworden sei, nach wie vor der Grundsatz gelte, daß sie während des Rentenbezuges auch für Zeiten vor Beginn des Altersruhegeldes keine freiwilligen Beiträge mehr entrichten dürften, weil die der Rentenbewilligung zugrunde liegenden Beiträge "verbraucht" und daher Vorbeiträge für eine Weiterversicherung nicht mehr vorhanden seien.
Hiergegen erhob der Kläger Klage auf Gestattung der Nachentrichtung und Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines höheren Altersruhegeldes vom 1. August 1966 an. Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat sich jedoch der Auffassung der Beklagten angeschlossen und die Klage abgewiesen. Darauf hat der Kläger Berufung eingelegt und beantragt,
a) das Urteil des SG Hamburg vom 17. Oktober 1967 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31. Oktober 1966 und den Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 1967 aufzuheben,
b) die Beklagte zu verurteilen,
1. für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1964 fünf freiwillige Beiträge in der Beitragsklasse P entgegenzunehmen,
2. das Altersruhegeld nach Entrichtung dieser Beiträge ab 1. August 1966 entsprechend höher festzustellen.
Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat mit Urteil vom 14. März 1969 den Anträgen zu a) und b 1) stattgegeben, den Antrag zu b 2) dagegen als unbegründet abgewiesen, indem es insoweit die Berufung zurückgewiesen hat. Es ist der Auffassung gewesen, der Kläger könne zwar nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) noch für Zeiten vor Beginn seines Altersruhegeldes Beiträge nachentrichten; da der Bescheid vom 4. September 1964 jedoch bindend geworden sei, könnten sich die Beiträge im Falle ihrer Nachentrichtung nur auf eine etwaige Hinterbliebenenrente auswirken.
Das LSG hat in seinem Urteil die Revision zugelassen. Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Er wendet sich gegen die Auffassung des LSG, daß die nachzuentrichtenden Beiträge sich nicht mehr auf sein Altersruhegeld auswirken könnten, und beantragt,
1. das Berufungsurteil insoweit abzuändern, als es die Berufung zurückgewiesen hat,
2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, das Altersruhegeld nach Entrichtung von fünf freiwilligen Beiträgen in der Beitragsklasse P für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1964 ab 1. August 1966 entsprechend höher festzustellen.
Die Beklagte hat Anschlußrevision eingelegt. Sie ist der Auffassung, der ganze Rechtsstreit erledige sich dadurch, daß der Kläger zur Nachentrichtung der angebotenen Beiträge ohnehin nicht mehr befugt sei, und beantragt
1. die Revision des Klägers zurückzuweisen,
2. das Urteil des LSG Hamburg vom 14. März 1969 insoweit aufzuheben, als sie verurteilt worden ist, für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1964 fünf freiwillige Beiträge entgegenzunehmen, und die Berufung des Klägers in vollem Umfang zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Anschlußrevision zurückzuweisen.
II
Die Klage ist im wesentlichen begründet.
Der Ausgang des Rechtsstreits hängt vor allem davon ab, ob der Kläger noch, wie von ihm gewünscht, Beiträge nachentrichten kann. Deshalb ist über die Anschlußrevision zuerst zu entscheiden.
Die Beklagte führt zur Begründung ihres Rechtsmittels aus, das angefochtene Urteil habe zu Unrecht die Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen für eine Zeit vor Beginn des bindend zugesprochenen vorzeitigen Altersruhegeldes zugelassen. Damit verstoße das Urteil gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 AVG, weil das Recht zur Entrichtung freiwilliger Beiträge mit der bindenden Bewilligung des Altersruhegeldes untergegangen sei. Hierbei sei es unbeachtlich, daß es sich nicht um ein Altersruhegeld nach § 25 Abs. 1 AVG, sondern um ein solches nach § 25 Abs. 2 AVG gehandelt habe. Zur freiwilligen Weiterversicherung sei nur derjenige berechtigt, der eine Mindestversicherungszeit von 60 Pflichtbeiträgen innerhalb von zehn Jahren aufweisen könne. Selbst wenn man zunächst dahingestellt sein lasse, ob § 10 Abs. 1 Satz 2 AVG nicht ein absolutes Versicherungsverbot für solche Fälle enthalte, in denen der das Altersruhegeld bewilligende Bescheid bereits bindend geworden sei, entfalle das Recht zur Weiterversicherung hier jedenfalls bereits deshalb, weil die bindend gewordene Festsetzung des Altersruhegeldes das Versicherungsleben abgeschlossen und das Vorkonto endgültig verbraucht habe. Nach der Rechtsprechung des früheren Reichsversicherungsamts (vgl. die Grundsätzlichen Entscheidungen Nr. 2952, 2967, 3349 und 3811, AN 1926, 257 und 278; 1929, 62; 1930, 345; ferner EuM 27, 541) seien Beiträge, aus denen eine Rentenleistung, gleich welcher Art, bewilligt wurde, verbraucht worden, d.h. nicht mehr als Vormonate für die freiwillige Weiterversicherung zu berücksichtigen. Der Auffassung des LSG, daß dieser Grundsatz durch die Rentenreform durchbrochen worden sei und deshalb nicht mehr gelten könne, sei nicht zu folgen. Daß jetzt die Bezieher von Renten wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit noch freiwillige Beiträge zur Anrechnung auf das Altersruhegeld und die Hinterbliebenenrenten entrichten könnten, rechtfertige es nicht, ohne weiteres anzunehmen, daß der Gesetzgeber in der Gewährung des Altersruhegeldes nicht mehr den endgültigen Abschluß des Versicherungsverhältnisses, verbunden mit einem Verbrauch des Vorkontos, sehen wolle. Das Gesetz biete hierfür keine Anhaltspunkte. Für Altersruhegeldbezieher, deren Rentenbescheid bindend geworden sei, gelte daher nach wie vor der Grundsatz, daß sie während des Rentenbezuges auch für Zeiten vor Beginn des Altersruhegeldes keine freiwilligen Beiträge mehr entrichten dürften. Von dem Recht zur Weiterversicherung könne nur im Rahmen eines bestehenden Versicherungsverhältnisses Gebrauch gemacht werden. Dieses finde jedoch mit dem Eintritt des Wagnisses, gegen das die Versicherung Schutz gewähren solle, seinen Abschluß.
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Der Gedankengang des Verbrauchs der bisherigen Beiträge durch eine Rentengewährung mit der Folge, daß sie nicht mehr die Grundlage für eine Weiterversicherung abgeben können, beruhte auf den Besonderheiten des früheren Rechts. Dieses kannte insbesondere nur eine einheitliche Rentenart, nämlich die Invalidenrente (in der Arbeiterrentenversicherung - ArV -) und das Ruhegeld (in der Angestelltenversicherung - AnV -), auch wenn diese Leistungen aufgrund unterschiedlicher Versicherungsfälle unter verschiedenen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gewährt wurden. Deswegen war die wegen Invalidität oder wegen Berufsunfähigkeit alten Rechts gewährte Rente von der wegen Erreichens der Altersgrenze nicht rechtlich verschieden, sondern mit ihr wesenseins (BSG 4, 36, 39). Deshalb konnte weiter z.B., wenn der früher eingetretene Versicherungsfall der Invalidität in der ArV oder der Berufsunfähigkeit in der AnV zu einer Rentengewährung geführt hatte, der Eintritt eines späteren Versicherungsfalles seine wesentlichste Wirkung, nämlich eine Leistungsgewährung, grundsätzlich nicht mehr herbeiführen, weil die Leistung ohnehin bereits gewährt wurde, er konnte vielmehr nur noch ausnahmsweise gewisse Wirkungen zeigen (BSG aaO S. 40).
Die Rentenreform des Jahres 1957 hat nicht nur eine Aufspaltung des alten Begriffs der Invalidität und der Berufsunfähigkeit alten Rechts in die beiden neuen Versicherungsfälle der Berufs- und der Erwerbsunfähigkeit gebracht, sondern außerdem noch die Anordnung einer Stufen- und Wertfolge. Dabei sind der Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit der geringstwertige und die Vollendung des 65. Lebensjahres (oder ein danach liegender späterer, vom Versicherten zu bestimmender Zeitpunkt) sowie der Tod die höchstwertigen Versicherungsfälle geworden. Die Einführung dieser Stufen- und Wertfolge hat außerdem dazu geführt, daß grundsätzlich nach Eintritt eines geringerwertigen Versicherungsfalles noch Beiträge entrichtet werden können, die auf den nächsthöheren Versicherungsfall anzurechnen sind. Hiervon hat der Gesetzgeber nur insofern Ausnahmen angeordnet, als nach Eintritt der Berufsunfähigkeit keine freiwilligen Beiträge mehr entrichtet werden können, die auf den Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit anrechenbar sind, und daß der Empfänger eines Altersruhegeldes keine Beiträge mehr entrichten kann, die im Falle seines Todes die Höhe der Hinterbliebenenrenten beeinflussen. Diesen Regelungen lag jedoch ersichtlich einmal der Gedankengang zugrunde, daß sich hier anderenfalls Möglichkeiten ergeben hätten, das Versicherungsrisiko allzu sehr und einseitig zum Nachteil des Versicherungsträgers zu verschieben. Sodann leiten sich die Hinterbliebenenrenten von der Versichertenrente ab (vgl. §§ 45 und 46 AVG = §§ 1268 und 1269 der Reichsversicherungsordnung - RVO -), so daß es nicht sinnvoll sein konnte, Beiträge zuzulassen, die sich zwar nicht auf das Altersruhegeld, wohl aber auf die Hinterbliebenenrenten auswirken. Denn wenn auch dem Versicherungsfall des Alters noch der Versicherungsfall des Todes nachfolgen kann, so muß doch davon ausgegangen werden, daß - im Einklang mit der historischen Entwicklung (vergl. RVO = Entwurf 1910, Begründung S. 369a) - die Versicherung für den Fall der "Invalidität" und des Alters den Hauptzweck der Rentenversicherung darstellt und die Hinterbliebenenrente nur ein aus der Altersversorgung des Versicherten abgeleiteter Anspruch und kein selbständiges Ziel der Versicherung ist (vgl. Elsholz/Theile, Die gesetzliche Rentenversicherung Nr. 10 Note 2).
Hinzu kommt, daß sich jetzt die verschiedenen Renten unterschiedlich berechnen, je nachdem, welcher Versicherungsfall eingetreten ist, wie insbesondere die unterschiedlichen Steigerungssätze der §§ 1253 Abs. 1 und 2, 1254 Abs. 1 RVO (= §§ 30 Abs. 1 und 2, 31 Abs. 1 AVG) ergeben. Schließlich ist bei Eintritt eines höherwertigen Versicherungsfalles die wegen eines vorangegangenen geringerwertigen Versicherungsfalles gewährte Rente in der Regel umzuwandeln (vgl. ua die §§ 1253 Abs. 2 und 1254 Abs. 2 RVO (= §§ 30 Abs. 2 und 31 Abs. 2 AVG). Wenn danach aber der Eintritt der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit nicht zu einem Verbrauch der bisherigen Beiträge führt, ist nicht einzusehen, warum dies beim Versicherungsfall des § 25 Abs. 1 AVG der Fall sein sollte, zumal z.B. der Eintritt einer der Versicherungsfälle des vorgezogenen Altersruhegeldes nach § 25 Abs. 2 oder 3 AVG ohnehin nicht zu einem "Abschluß des Versicherungslebens" führt. Denn dies ergibt sich schon daraus, daß das vorgezogene Altersruhegeld wieder wegfällt, wenn der Versicherte erneut in eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit eintritt, und daß sein Versicherungsverhältnis alsdann fortgesetzt wird.
Im übrigen können nach der Rechtsprechung des BSG Bezieher von Altersruhegeld innerhalb der Frist des § 1418 Abs. 1 RVO (= § 140 Abs. 1 AVG) Beiträge zur Weiterversicherung in der Rentenversicherung für eine Zeit vor Beginn der Rente jedenfalls dann noch wirksam entrichten, wenn der das Altersruhegeld bewilligende Bescheid noch nicht bindend geworden ist (vgl. ua SozR Nr. 3 zu § 1233 RVO sowie BSG 18, 212). Diese Rechtsprechung wird zwar zum Teil bekämpft, ua von Scheerer in SozVers 1964, 270 und in SGb 1967, 599. Seine Ausführungen geben jedoch keine Veranlassung, von den früheren Entscheidungen abzugehen. Der Wortlaut der maßgebenden Gesetzesvorschriften ist nicht eindeutig. § 10 Abs. 1 Satz 2 AVG ist nach Meinung des Senats dahin zu verstehen, daß diese Vorschrift - entsprechend der Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 AVG hinsichtlich der Versicherungspflicht (BSG, SozR § 1229 RVO Nr. 11) - die Versicherungsberechtigung dem Grunde nach für einzelne Beitragszeiträume regelt, so daß allein § 141 AVG vorschreibt, wann eine dem Grunde nach vorhandene Versicherungsberechtigung nicht mehr ausgeübt werden darf (so auch Hanow/Lehmann/Bogs, Kommentar zum 4. Buch der RVO, 5. Auflage, § 1233 RVO Note 7). Diese Auffassung des BSG dürfte auch in vielen Fällen für den Versicherten die günstigere und zugleich die gerechtere sein. Erst durch den Rentenbescheid erfährt er, wie seine Rente im einzelnen berechnet worden ist und was er etwa noch tun kann, um seinen Rentenanspruch zu erhöhen. Ihm eine solche Möglichkeit abzuschneiden, würde bedeuten, den ungewandten Versicherten gegenüber demjenigen zu benachteiligen, der sich rechtzeitig eines Rentenberaters bedient. Zudem dürfte auch dieser ohne die Rechenanlagen des Versicherungsträgers meist nicht in der Lage sein, seinen Auftraggeber richtig zu beraten. Schließlich können auch sonst noch Zweifelspunkte bestehen, bei denen der Versicherte zunächst abwarten muß, wie der Versicherungsträger sie entscheiden wird.
Ist danach jedoch eine Nachentrichtung zulässig, wenn der das Altersruhegeld bewilligende Bescheid noch nicht bindend geworden ist, so muß das gleiche gelten, wenn er bereits bindend geworden ist (§ 77 SGG). Da der Gesichtspunkt eines Verbrauchs der bisherigen Beiträge nicht überzeugt, besteht kein Grund, für diesen Fall eine Nachentrichtung zu verbieten (ebenso Gesamtkomm. § 1419 Note 2; a.A. Koch/Hartmann/von Altrock/Fürst, Das AVG, 2. und 3. Aufl., Anm. B II zu § 10 AVG S. V 132 oben; Hanow/Lehmann/Bogs aaO § 1233 RVO Note 11). Aus dem Wortlaut der maßgebenden gesetzlichen Vorschriften läßt sich ein solches Verbot nicht herleiten. Die Gefahr, daß der Versicherungsträger genötigt sein könnte, eine Rente zu wiederholten Malen zu berechnen, wenn nämlich der Versicherte immer wieder einige Beiträge nachentrichtet, besteht praktisch nicht, da jede Rentenberechnung eine gewisse Zeit erfordert und die Fristen für eine Nachentrichtung recht kurz bemessen sind. Schließlich dürften sich auch hier Fälle ergeben, in denen nur die vorgeschlagene Lösung billige und gerechte Entscheidungen ermöglicht. Das dürfte gerade im Zusammenhang mit der Einfügung des Satzes 3 in § 10 Abs. 1 AVG durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 9. Juni 1965 zutreffend (vgl. hierzu Scheerer in SGb 1967 S. 601 und 602).
Der Kläger ist auch jetzt noch zur Nachentrichtung der im August 1966 angebotenen Beiträge befugt. Er war zu der begehrten freiwilligen Weiterversicherung nach § 10 Abs. 1 AVG berechtigt. Zur Zeit seines dahingehenden Angebots war die Zweijahresfrist des § 140 Abs. 1 AVG noch nicht verstrichen. Ihr Ablauf ist in der Folgezeit durch das anhängige Verfahren nach § 142 Abs. 2 AVG gehemmt gewesen. Das LSG hat somit die Beklagte zu Recht zur Entgegennahme der angebotenen Beiträge verurteilt.
Dagegen kann dem Berufungsgericht nicht darin gefolgt werden, daß sich die streitigen Beiträge im Fall ihrer Nachbringung nur auf etwaige Hinterbliebenenrenten auswirken könnten. Allerdings geht das LSG zu Recht davon aus, daß beim Kläger die Vollendung des 65. Lebensjahres nicht zur Umwandlung seines vorzeitigen Altersruhegeldes in dasjenige nach § 25 Abs. 1 AVG führen kann (vgl. BSG 27, 167 sowie SozR § 1233 RVO Nr. 8). Damit ist der Streitfall jedoch noch nicht entschieden. Wie schon erwähnt, werden die Hinterbliebenenrenten von den Versichertenrenten abgeleitet; für sie gelten, soweit nicht ausdrücklich etwas anders gesagt wird, alle Vorschriften über die Berechnung der Versichertenrenten. Es muß deshalb immer zunächst die Versichertenrente errechnet werden, wenn auch nur als fiktive (vgl. dazu auch das Urteil des Senats 1 RA 95/70 vom 17.11.1970, SozR § 1268 RVO Nr. 17). Dann aber erscheint es ausgeschlossen, daß sich Beiträge grundsätzlich nicht mehr auf das Altersruhegeld, sondern nur auf eine Hinterbliebenenrente sollen auswirken können, die in das System der Stufenfolge der Versicherungsfälle nur sehr bedingt eingeordnet ist (Elsholz/Theile aaO Nr. 27 Anm. 1). Vielmehr müssen, wenn freiwillige Beiträge überhaupt noch für Zeiten vor Beginn des Bezuges eines Altersruhegeldes entrichtet werden dürfen, diese auch dessen Höhe beeinflussen. Davon gehen überdies Vorschriften wie z.B. die des Abs. 3 des Art. 2 § 52 ArVNG (= Art. 2 § 50 Abs. 3 AnVNG) aus. Die gleiche Auffassung liegt auch den Vorschriften der §§ 8 und 10 des Gesetzes über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung idF des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Vorschriften über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung vom 22. Dezember 1970 (BGBl I 1846) zugrunde. In allen diesen Fällen ist der Versicherungsträger nach der Vorstellung des Gesetzgebers, wenn die Beiträge in zulässiger Weise nachentrichtet sind, zur Neufeststellung der Rente verpflichtet, ohne daß ein Fall des § 79 AVG gegeben wäre. Es liegt ein neuer Sachverhalt vor, für den die Bindungswirkung der früheren Bescheide nach § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bedeutungslos ist (BSG 13, 275, 279). Das LSG hätte deshalb durch die ausgesprochene Zurückweisung der Berufung im übrigen die vor ihm erhobene Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Feststellung eines höheren Altersruhegeldes nicht, wie geschehen, mit der Begründung als unbegründet abweisen dürfen, daß die nachzubringenden Beiträge sich nur auf Hinterbliebenenrenten auswirken könnten. Insoweit muß sein Urteil aufgehoben werden.
Gleichwohl kann die im Revisionsverfahren erhobene Feststellungsklage, mit der der Kläger die bisher erhobene Klage auf zukünftige Leistung in zulässiger Weise (§§ 168, 153 Abs. 1, § 99 Abs. 3 SGG) ersetzt hat, ebenso wie diese (§ 123 SGG) nicht schon zu einem Erfolg führen. Der Kläger hat die angebotenen Beiträge bisher nicht entrichtet, obwohl sie unabdingbare Voraussetzung für eine Neufestsetzung der Rente sind. Hieran ändert auch sein Schreiben an die Beklagte vom 16. August 1966 nichts. Diese Bereiterklärung stünde nach § 142 Abs. 1 AVG nur dann der Entrichtung der Beiträge gleich, wenn sie binnen angemessener Frist entrichtet werden. Solange dies nicht geschehen ist, kann überdies nicht entschieden werden, ob der Kläger alsdann auch in angemessener Frist die Beiträge nachgebracht hat. Außerdem wird die Beklagte zunächst in einem Verwaltungsakt zu der neu geschaffenen Sach- und Rechtslage Stellung nehmen müssen. Damit fehlt zur Zeit selbst für eine Feststellungsklage das Feststellungsinteresse; erst recht fehlt damit das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage auf zukünftige Leistung. Erst wenn die bisher unterbliebene Nachentrichtung erfolgt ist, und die Beklagte die erforderliche Neufeststellung getroffen hat, wird darüber entschieden werden können, ob die erhöhte Rente alsdann vom Zeitpunkt der Nachentrichtung (so z.B. Art. 4 § 2 Abs. 2 des bereits erwähnten Gesetzes vom 22. Dezember 1970) oder schon, wie beantragt, vom Zeitpunkt der Bereiterklärung an zu zahlen ist (vgl. hierzu BSG 21, 193, 198 und SozR Art. 2 § 52 ArVNG Nr. 13 sowie Knöbler/Schöning in DAngVers 1971, 116, 117).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei hat der Senat berücksichtigt, daß die Beklagte im Rechtsstreit in der Hauptsache unterlegen ist. Sie muß die angebotenen Beiträge annehmen. Deshalb erscheint es angebracht, ihr die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens vor dem SG, dem LSG und dem BSG aufzuerlegen, und zwar ohne Rücksicht darauf, wie der materiell-rechtliche noch nicht entschiedene Teil des Rechtsstreits endgültig ausgehen wird.
Fundstellen
Haufe-Index 1669619 |
BSGE, 41 |