Leitsatz (amtlich)
Für einen Hauer ist die Verrichtung anderer bergmännischer Tätigkeiten, insbesondere der Untertagetätigkeiten grundsätzlich nicht unzumutbar iS des RKG § 46 (Anschluß an BSG 1962-01-18 5 RKn 43/61 = BSGE 16, 134).
Jedoch gilt dies nicht hinsichtlich derjenigen Tätigkeiten der Lohngruppen IV und V unter Tage, die keine bergmännischen Kenntnisse und Fertigkeiten voraussetzen, sondern auch von jedem bergfremden Arbeiter ohne Anlernung und Einarbeitung verrichtet werden können, wie zB die eines Bahnreinigers, Bandreinigers, Schmierers, Maschinenputzers, Abnehmers, Rangierers und Bremsers unter Tage.
Normenkette
RKG § 46 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. Juli 1961 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Der am 15. Januar 1903 geborene Kläger hat das Schlosserhandwerk erlernt. Er war wie folgt beschäftigt:
Vom 7. März 1917 bis zum 30. April 1920 als Schlosserlehrling außerhalb des Bergbaus,
vom 11. Mai 1920 bis zum 30. April 1922 als Schlepper im Schichtlohn,
vom 17. Mai 1922 bis zum 22. Februar 1924 mit geringen Unterbrechungen als Schlosser außerhalb des Bergbaus,
vom 3. Januar 1925 bis zum 15. April 1926 als Schlepper im Schichtlohn und als Grubenschlosser,
vom 20. April 1926 bis zum 1. April 1927 als Landarbeiter,
vom 6. Mai 1927 bis zum 20. April 1928 mit geringen Unterbrechungen als Schlosser außerhalb des Bergbaus,
vom 2. August 1928 bis zum 30. September 1928 als Grubenschlosser,
vom 3. Oktober 1928 bis zum 31. Oktober 1932 als Rohrschlosser im Bergbau,
vom 1. November 1932 bis zum 31. März 1937 als Hauer,
vom 1. April 1937 bis zum 31. März 1938 als Grubenschlosser,
vom 1. April 1938 bis zum 30. September 1940 als Hauer,
vom 1. Oktober 1940 bis zum 31. Dezember 1940 als Grubenschlosser,
vom 1. Januar 1941 bis zum 25. Juli 1957 als Hauer,
vom 13. September 1957 bis zum 30. September 1957 als Ausbauhelfer und
vom 1. Oktober 1957 bis zum 30. Oktober 1959 als Bahnreiniger.
Seitdem arbeitet der Kläger nicht mehr.
Der Kläger bezog von der Beklagten seit dem 1. Februar 1953 den Knappschaftssold und erhält seit dem 1. Januar 1957 die Bergmannsrente. Am 12. September 1957 beantragte er die Gesamtleistung wegen Berufsunfähigkeit. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 20. Mai 1959 ab. Der Kläger könne noch weniger anstrengende Arbeiten ohne Preßluftwerkzeuge der Lohngruppen IV und V unter und über Tage zB als Bahnreiniger, Bandreiniger, Schmierer, Maschinenputzer, Abnehmer, Rangierer, Bremser usw. verrichten. Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers am 14. Dezember 1959 zurück.
Das Sozialgericht (SG) hat am 11. April 1960 den angefochtenen Bescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides aufgehoben und die Beklagte verurteilt, Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Das SG nahm an, einem so langjährigen Hauer wie dem Kläger seien die ungelernten Arbeiten der Lohngruppen IV und V unter Tage ebensowenig zumutbar wie die Tätigkeiten der Lohngruppen IV und V über Tage.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten durch Urteil vom 27. Juli 1961 zurückgewiesen und hat die Revision zugelassen. Es führt im wesentlichen aus:
Der Kläger sei spätestens seit der Antragstellung nur noch in der Lage gewesen, die Tätigkeiten der Lohngruppen IV und V über Tage und von den Tätigkeiten der Lohngruppen IV und V unter Tage die eines Bahnreinigers, Bandreinigers, Schmierers, Maschinenputzers, Abnehmers, Rangierers und Bremsers zu verrichten. Die Verrichtung dieser Tätigkeiten sei ihm aber nach den §§ 46 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) nF, 1246 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht zuzumuten. Sein Hauptberuf sei der des Hauers gewesen, denn dieser Beruf habe seinem Berufsleben das Gepräge gegeben. Für einen Hauer mit langjähriger Berufstätigkeit sei aber die Verrichtung dieser Tätigkeiten unzumutbar. Wenn es auch zum Berufsschicksal des Bergmanns gehöre, früher als andere Facharbeiter seine Tätigkeit aufzugeben und zu einer leichteren Arbeit überzugehen, wofür ihm die Bergmannsrente einen materiellen Ausgleich biete, so sei die Zumutbarkeit des Abstiegs im Rahmen der §§ 46 RKG nF, 1246 RVO doch nicht unbegrenzt.
Der Kläger sei somit spätestens seit September 1957 berufsunfähig im Sinne der §§ 46 RKG, 1246 RVO und habe, da auch die Wartezeit erfüllt sei, Anspruch auf die Gesamtleistung wegen Berufsunfähigkeit.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 18. August 1961 Revision eingelegt und begründet. Sie rügt die Verletzung des § 46 Abs. 2 RKG. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Arbeiten der Lohngruppen IV und V über und unter Tage der Lohnordnung für den Steinkohlenbergbau der Ruhr seien dem Kläger nicht zumutbar im Sinne des § 46 Abs. 2 BKG, stünden im Gegensatz zu der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Unter den Arbeiten der Lohngruppen IV und V über und insbesondere unter Tage fänden sich Tätigkeiten, die kein geringes Ansehen genießen und die oft und gern von früheren Hauern ausgeführt würden. Die genannten leichteren Tätigkeiten gehörten auch praktisch mit zum Berufsleben des Hauers, da es in der Natur der Hauerarbeit und ihrer Schwere begründet liege, daß der Hauer seine Arbeit praktisch nicht bis zum Ende des normalen beruflichen Lebens verrichten könne, sondern durchweg im früheren Alter zu anderen leichteren Tätigkeiten übergehen müsse. Das Berufsbild des Hauers setze sich somit sowohl aus den vor Eintritt des Leistungsknicks ausgeübten Hauertätigkeiten als auch aus den danach ausgeübten leichteren und geringer entlohnten Tätigkeiten zusammen. Wenn ein Hauer noch in der Lage sei, die im Bergbau sonst vorkommenden Arbeiten zu verrichten, dürfe es daher bei der Auslegung des Begriffs der Zumutbarkeit nicht nur auf die früher der Hauerarbeit im wesentlichen gleichartigen Arbeiten, sondern auch darauf ankommen, daß die Arbeiten einerseits in bergbaulichen Betrieben vorkommen, andererseits Zusammenhänge mit der typisch bergbaulichen Tätigkeit haben, also entweder in die Ausbildungslaufbahn des Hauers fielen oder von einem ehemaligen Hauer verrichtet zu werden pflegten. Die Arbeiten der Lohngruppen IV und V unter Tage gehörten aber zu den eigentlich bergmännischen Arbeiten und fielen in die Ausbildungslaufbahn des Hauers, so daß sie als für den Hauer zumutbar angesehen werden müßten.
Sie beantragt,
das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 11. April 1960 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Es sei nicht erkennbar, wieso die in den Lohngruppen IV und V genannten Tätigkeiten ein gesteigertes Verantwortungsbewußtsein voraussetzten und wieso sie in die Ausbildungslaufbahn eines Hauers fielen. Platzarbeiter, Fuhrleute, Kohlenlader, Bahnreiniger, Schlepper, Wächter, Pförtner, Boten usw. rangierten hinsichtlich ihres Ansehens in den Augen der Umwelt an unterster Stelle. Sie genössen ein wesentlich geringeres Ansehen als Hauer. In der Lohnskala rangierten sie unmittelbar vor Putz- und Waschfrauen. Der soziale Abstieg vom Facharbeiter zu den genannten Tätigkeiten sei offenbar. Zudem habe der Kläger eine abgeschlossene Berufsausbildung und mehrjährige Berufserfahrung als Schlosser, sei also als mehrfach qualifizierter Facharbeiter zu beurteilen. Es sei bedenklich, ihn auf völlig ungelernte Hilfsarbeitertätigkeiten der Lohngruppen IV und V unter Tage zu verweisen.
II
Die zulässige Revision hatte keinen Erfolg. Zu Recht hat das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten gegen das die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit zusprechende Urteil des SG zurückgewiesen. Denn der Kläger hat die Wartezeit erfüllt und ist berufsunfähig nach § 46 Abs. 2 RKG, § 1246 Abs. 2 RVO.
Der Kläger ist Wanderversicherter, da er sowohl in der knappschaftlichen Rentenversicherung wie in der Rentenversicherung der Arbeiter versichert war. In Fällen der Wanderversicherung macht die Bestimmung des Hauptberufes vielfach besondere Schwierigkeiten. Im vorliegenden Fall ist es aber gleichgültig, ob man von dem Hauptberuf des Hauers oder des Schlossers ausgeht; denn der Kläger ist in jedem Fall berufsunfähig.
Da der Kläger nach seinem Gesundheitszustand nur noch einfache ungelernte Tätigkeiten innerhalb und außerhalb des Bergbaus verrichten kann, wie das Berufungsgericht unangefochten festgestellt hat, ist er sowohl als gelernter Schlosser (innerhalb und außerhalb des Bergbaus) insbesondere auch als Grubenschlosser berufsunfähig, weil ein gelernter Facharbeiter grundsätzlich nicht auf Tätigkeiten eines ungelernten Arbeiters verwiesen werden kann. Ausnahmsweise kann er zwar auf Tätigkeiten eines ungelernten Arbeiters verwiesen werden, wenn es sich um eine besondere Vertrauensstellung oder um besonders verantwortungsvolle Tätigkeiten handelt, die sich deutlich aus dem Kreis der sonstigen ungelernten Arbeiten hervorheben (BSG 19, 57, SozR RVO 26 zu § 1246). Dies ist bei den Tätigkeiten der Lohngruppen IV und V über Tage und von den Untertagetätigkeiten bei den Tätigkeiten des Bahnreinigers, Bandreinigers, Schmierers, Maschinenputzers, Abnehmers, Rangierers und Bremsers, die der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nur noch verrichten kann, jedoch nicht der Fall.
Auch von der Hauertätigkeit als Hauptberuf ausgehend, kann der Kläger auf solche Tätigkeiten nicht verwiesen werden. Es ist zwar, wie der Senat bereits entschieden hat, bei der Verweisung eines Hauers zu berücksichtigen, daß es sich bei der Hauertätigkeit um eine Einzeltätigkeit innerhalb des einheitlichen Bergmannsberufes handelt, so daß selbst ein Hauer jedenfalls auf alle Tätigkeiten, die der Gewinnung und Förderung der Kohle oder der Mineralien dienen, also vor allem auf die Untertagetätigkeiten verwiesen werden kann, weil es grundsätzlich jedenfalls keinen wesentlichen sozialen Abstieg bedeuten kann, wenn ein Versicherter innerhalb seines Berufsstandes arbeitet (BSG 16, 134, SozR RKG Nr. 4 zu § 46). Hieran hält der erkennende Senat fest. Allerdings ist dem Berufungsgericht zuzustimmen, daß ein Hauer nicht auf solche einfachen bergmännischen Tätigkeiten unter und über Tage verwiesen werden kann, die auch jeder bergfremde Arbeiter, der keine bergmännischen Kenntnisse und Fertigkeiten besitzt, ohne weiteres verrichten kann. Diese Tätigkeiten werden, auch wenn sie, weil sie der Gewinnung und Förderung der Mineralien oder der Kohle dienen, zum Kreis der bergmännischen Tätigkeiten zählen, von den beteiligten Bevölkerungskreisen doch dem Hauerberuf, einem Lehrberuf, gegenüber sozial erheblich niedriger bewertet, so daß es für einen Hauer einen wesentlichen sozialen Abstieg bedeutet, wenn er solche Tätigkeiten verrichtet. Es geht daher nicht an, einen Hauer auf Tätigkeiten zu verweisen, die keine bergmännischen Kenntnisse und Fertigkeiten erfordern, auch wenn sie noch zum Bergmannsberuf gehören. Diese Verweisung ist auch nicht etwa mit der Begründung möglich, daß ein Hauer von alters her nach dem sog. Leistungsknick notfalls auch solche Tätigkeiten zu verrichten pflege. Das berechtigt nicht dazu, aus diesem Grunde ihm die Berufsunfähigkeitsrente aus der knappschaftlichen Rentenversicherung zu versagen. Denn diese Rente dient ja gerade dazu, einen auf gesundheitlichen Gründen beruhenden wesentlichen sozialen Abstieg auszugleichen. Die Üblichkeit eines beruflichen Abstiegs ändert nichts daran, daß es sich eben doch um einen sozialen Abstieg handelt.
Da der Kläger nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts gesundheitlich nur noch in der Lage ist, einfache Tätigkeiten unter und über Tage, die keine Anlernung und Einarbeitung voraussetzen, wie die der Lohngruppen IV und V über Tage und von den Untertagetätigkeiten die eines Bahnreinigers, Bandreinigers, Schmierers, Maschinenputzers, Abnehmers, Rangierers und Bremsers zu verrichten und auch außerhalb des Bergbaus nur noch solche Tätigkeiten verrichten kann, ist er auch als Hauer berufsunfähig im Sinne des § 46 RKG.
Da das Urteil des Landessozialgerichts somit zutreffend ist, ist die Revision der Beklagten unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen