Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufsichtsklage. Genehmigung der Dienstordnung. Besoldung des Geschäftsführers. Überleitungszulage

 

Orientierungssatz

1. Mit der Aufsichtsklage nach § 54 Abs 3 SGG kann die der Aufsicht unterliegende Körperschaft nicht nur die Aufhebung einer das Aufsichtsrecht überschreitenden Anordnung der Aufsichtsbehörde verlangen, sondern auch deren Verpflichtung zur Vornahme einer für sie günstigen Anordnung, insbesondere der Genehmigung einer autonomen Rechtsnorm, wenn sie geltend macht, daß darauf ein Rechtsanspruch besteht (vgl BSG vom 1968-11-22 3 RK 3/66 = BSGE 29, 21, 23).

2. Die Genehmigung einer Dienstordnung nach § 355 Abs 2 S 2 RVO darf nur versagt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, insbesondere wenn die Dienstordnung gegen höherrangiges Recht verstößt.

3. Der bereits vor dem 1.7.1975 durch die Wahl zum Geschäftsführer bestehende Anspruch auf eine Übertragung eines Amtes nach der Besoldungsgruppe B 2 gibt dem Gewählten eine so starke Rechtsstellung, daß sie ebenso wie das Innehaben eines solchen Amtes des Besitzstandsschutzes bedarf. Die ähnliche Interessenlage gebietet daher eine entsprechende Anwendung des Art 8 § 4 BesVNG 2 und damit die Gewährung einer Überleitungszulage nach Art 9 § 11 dieses Gesetzes.

 

Normenkette

SGG § 54 Abs 3 Fassung: 1953-09-03; RVO § 355 Abs 2 S 2 Fassung: 1924-12-15; BesVNG 2 Art 8 § 4 Fassung: 1975-05-23; BesVNG 2 Art 9 § 11 Fassung: 1975-05-23; GG Art 14 Abs 1 Fassung: 1949-05-23

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 31.03.1982; Aktenzeichen L 8 Kr 314/80)

SG Kassel (Entscheidung vom 30.01.1980; Aktenzeichen S 12 Kr 47/78)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Aufsichtsbehörde der Dienstordnung (DO) der Klägerin mit Stellenplan die Genehmigung versagen durfte, soweit darin für den Beigeladenen eine Überleitungszulage zum Gehalt der Besoldungsgruppe A 16 vorgesehen ist.

Der Beigeladene gehörte ursprünglich als Geschäftsführer der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Z. der Besoldungsgruppe A 15 an. Mit Wirkung vom 1. Oktober 1974 schlossen sich die Ortskrankenkassen F.-H., M. und Z. zur AOK für den S.-E.-K. - der Klägerin - zusammen. Der Vorstand der Klägerin bestellte - entsprechend dem Vereinigungsvertrag vom 9. August 1973 - zum Geschäftsführer nach der Besoldungsgruppe B 2 den bisherigen Geschäftsführer der AOK F.-H., dessen Ausscheiden aus Altersgründen zum 30. September 1975 zu erwarten war. Mit Beschluß vom 24. Oktober 1974 wählte der Vorstand der Klägerin den Beigeladenen mit Wirkung vom 1. Oktober 1974 zum stellvertretenden Geschäftsführer nach der Besoldungsgruppe A 16 und wählte den Beigeladenen gleichzeitig für die Zeit vom Tage nach dem Ausscheiden des derzeitigen Geschäftsführers zum Geschäftsführer der Klägerin nach der Besoldungsgruppe B 2. In Ausführung dieses Beschlusses wurde der Beigeladene nach Ausscheiden des bisherigen Stelleninhabers mit Wirkung vom 1. Oktober 1975 zum Geschäftsführer bestellt und in die Besoldungsgruppe B 2 eingewiesen.

Der Vorstand der Klägerin sah in der am 24. November 1977 beschlossenen neuen DO mit Stellenplan, der die Vertreterversammlung am 12. Dezember 1977 zustimmte, mit Rücksicht auf das Zweite Gesetz zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern (2. BesVNG) vom 23. Mai 1975 (BGBl I, 1173) für den Geschäftsführer eine Stelle nach der Besoldungsgruppe A 16 vor. Für den derzeitigen Stelleninhaber - den Beigeladenen - wurde zur Besoldung nach der Grupe A 16 eine Überleitungszulage nach Art IX des 2. BesVNG aus der Besoldungsgruppe B 2 ausgewiesen. Obwohl der Zusatz über die Überleitungszulage von der Aufsichtsbehörde am 10. Februar 1978 beanstandet worden war, stellte die Klägerin mit Zustimmung der Vertreterversammlung am 6. Juni 1978 eine insoweit gleichlautende neue DO auf. Die Aufsichtsbehörde genehmigte die Neufassung der DO, versagte aber dem Vermerk über die Überleitungszulage die Genehmigung, weil der Beigeladene erst nach dem 1. Juli 1975 in die Besoldungsgruppe B 2 eingewiesen worden sei.

Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung seines Urteils vom 31. März 1982 im wesentlichen ausgeführt, die Aufsichtsbehörde habe der DO hinsichtlich des Vermerks über die Überleitungszulage die Genehmigung versagen dürfen, weil dem Beigeladenen eine solche Zulage nach Art 3 § 2 Abs 2 des Hessischen Anpassungsgesetzes zum 2. BesVNG nicht zustehe. Dem Beigeladenen sei nicht - wie das für die Gewährung einer Überleitungszulage erforderlich sei - bereits bis zum 1. Juli 1975 eine Planstelle nach der Besoldungsgruppe B 2 übertragen worden. Individuelle private Rechte seien nur zu berücksichtigen, wenn sie eine öffentlich-rechtliche Rechtsgrundlage im Gesetz oder in der DO hätten. Privatrechtliche Zusicherungen seien in diesem Rechtsstreit unerheblich. Da spätestens mit Inkrafttreten des 2. BesVNG der Zuordnungsrahmen der Besoldung festgestanden habe, sei es der Klägerin gesetzlich verboten gewesen, eine zeitlich unbegrenzte Höhergruppierung nach B 2 noch am 30. September 1975 zu vereinbaren. Diese Vertragsänderung könne demnach nur bis zum 31. Dezember 1977, dem Ablauf der früheren DO, gelten.

Die Klägerin rügt mit der zugelassenen Revision die Verletzung der §§ 351 ff der Reichsversicherungsordnung (RVO), des Art IX des 2. BesVNG sowie des Art 14 des Grundgesetzes (GG). Der Anspruch der Klägerin auf Genehmigung ergebe sich daraus, daß der Beigeladene zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des 2. BesVNG bereits eine Rechtsposition innegehabt habe, die ihm einen aufschiebend bedingten Rechtsanspruch auf Besoldung aus der Besoldungsgruppe B 2 vom 1. September 1975 an gegeben habe. Dieser Anspruch ergebe sich aus der Empfehlung der Vorstände der vereinigten Krankenkassen vom 9. August 1973 und der Wahl durch den Vorstand der Klägerin vom 24. Oktober 1974. Nach Sinn und Zweck des Art IX § 11 des 2. BesVNG werde auch diese Rechtsposition erfaßt. Mindestens aber sei der Klägerin für den besonderen Einzelfall eine Sonderregelung zuzugestehen. Dabei habe das LSG eine Auslegung iS des Art 14 GG versäumt.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Hessischen LSG vom 31. März 1982 und des Urteils des Sozialgerichts Kassel vom 30. Januar 1980 den Beklagten unter Abänderung seines Bescheides vom 1. August 1978 zu verpflichten, den unter der laufenden Nummer 1 des Stellenplanes angebrachten Vermerk "derzeitiger Stellenplaninhaber erhält eine Überleitungszulage gemäß Art IX des 2. BesVNG aus Gruppe B 2 Bundesbesoldungsgesetz" zu genehmigen.

Das beklagte Land beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Es hält das angefochtene Urteil für richtig. Aus dem klaren Wortlaut des Gesetzes gehe hervor, daß nur der Besitzstand gewahrt werden solle, der "dienstordnungsmäßig", nicht aber "rechtspositionsmäßig" erworben sei.

Der Beigeladene ist nicht vertreten und hat keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet, denn das LSG hat mit der Zurückweisung der Berufung zu Unrecht das die Klage abweisende Urteil des Sozialgerichts bestätigt.

Das Berufungsgericht ist im Ergebnis zutreffend von der Zulässigkeit der erhobenen Klage ausgegangen. Es kann dahingestellt bleiben, ob gegen die versagte Genehmigung einer DO mit Stellenplan die verbundene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erhoben werden kann, denn nach § 54 Abs 3 SGG kann die der Aufsicht unterliegende Körperschaft nicht nur die Aufhebung einer das Aufsichtsrecht überschreitenden Anordnung der Aufsichtsbehörde verlangen, sondern auch deren Verpflichtung zur Vornahme einer für sie günstigen Anordnung, insbesondere der Genehmigung einer autonomen Rechtsnorm, wenn sie geltend macht, daß darauf ein Rechtsanspruch besteht (vgl BSGE 29, 21, 23 f = SozR Nr 122 zu § 54 SGG).

Die Aufsichtsbehörde hätte der DO der Klägerin mit Stellenplan auch insoweit die Genehmigung erteilen müssen, als darin für den Beigeladenen eine Überleitungszulage aus der Differenz des Gehalts der Besoldungsgruppe B 2 zum Gehalt der Besoldungsgruppe A 16 vorgesehen ist. Nach § 355 Abs 2 Satz 2 RVO hätte die Genehmigung nur versagt werden dürfen, wenn ein wichtiger Grund vorläge, insbesondere wenn die DO gegen höherrangiges Recht verstieße. Das ist jedoch nicht der Fall.

Nach Art VIII § 4 des 2. BesVNG iVm Art IX § 11 dieses Gesetzes steht den am 1. Juli 1975 vorhandenen DO-Angestellten, deren Dienstbezüge sich aufgrund der vorgeschriebenen Herabstufung verringern, eine Überleitungszulage zu. Dem beklagten Land ist zuzugeben, daß der Beigeladene am 1. Juli 1975 iS dieser Vorschrift noch nicht als DO-Angestellter der Besoldungsgruppe B 2 vorhanden war, denn er war zu dieser Zeit nicht Inhaber eines nach der Besoldungsgruppe B 2 eingestuften Amtes, sondern gehörte noch der Besoldungsgruppe A 16 an. Wenn danach auch die unmittelbare Anwendung der genannten Vorschriften die Gewährung einer Überleitungszulage nicht rechtfertigt, so ist doch zu berücksichtigen, daß der Beigeladene aufgrund der bereits vor dem 1. Juli 1975 erfolgten Wahl zum Geschäftsführer unter gleichzeitiger Einweisung in die Besoldungsgruppe B 2 für die Zeit nach Ausscheiden des zu dieser Zeit amtierenden Geschäftsführers eine so starke Rechtsstellung hatte, daß sie dem gesetzlich geregelten Tatbestand gleichgestellt werden muß. Auch wenn die Wahl des Beigeladenen zum Geschäftsführer nach der Besoldungsgruppe B 2 erst in einem nach dem 1. Juli 1975 liegenden Zeitpunkt wirksam werden sollte, gab sie dem Beigeladenen doch schon vor diesem Zeitpunkt einen Rechtsanspruch auf demnächstige Übertragung des Amtes mit Eintritt der Bedingung (Ausscheiden des bisherigen Geschäftsführers). Bei dem am 24. Oktober 1974 gefaßten Beschluß des Vorstandes der Klägerin handelte es sich nicht nur um eine unverbindliche Zusage, sondern um eine rechtsverbindliche Wahl, die die Klägerin verpflichtete, dem Beigeladenen bei Eintritt der Bedingung das Amt des Geschäftsführers nach der Besoldungsgruppe B 2 zu übertragen. Diese Situation bei den Selbstverwaltungskörperschaften der Sozialversicherungen ist mit der entsprechenden Situation bei den kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften vergleichbar. Bei diesen wird im Bereich der gemeindlichen Wahlbeamten die Möglichkeit eines Anspruchs auf Anstellung nach erfolgter Wahl aufgrund der Einordnung als Selbstgestaltungsakt des gemeindlichen Verfassungslebens überwiegend anerkannt (vgl Pappermann, ZBR 1968, 297, 302; Steinbach, DVBl 1966, 817; OVG Lüneburg, OVGE 6, 358; OVG Münster, OVGE 13, 239; VGH Kassel, DÖV 1955, 253). Das beruht darauf, daß der Schwerpunkt innerhalb des Berufungsverfahrens bei der Wahl liegt und die Ernennung bzw Anstellung zwangsläufig nach sich zieht. Das muß auch für die Wahl des Geschäftsführers von Sozialversicherungsträgern gelten, wie sie in dem hier noch anwendbaren § 15 des Selbstverwaltungsgesetzes (SVWG) geregelt war. So sind nach § 15 Abs 6 SVWG die dienstrechtlichen Voraussetzungen für eine Anstellung schon bei der Wahl zu prüfen, so daß die Anstellung letztlich nur als formaler Akt übrigbleibt (vgl dazu Schallen, "Die Stellung des Geschäftsführers von Sozialversicherungsträgern", 1971, 67 ff). Demnach muß die Wahl des Geschäftsführers als besonderer Akt der Selbstgestaltung der Versicherungsträger von der bloß internen Willensbildung, wie sie bei der Anstellung der nachgeordneten Bediensteten vorliegt, unterschieden werden (aA Siebeck, DOK 1964, 569; Immand, DOK 1964, 117). Bereits mit der Feststellung des Wahlergebnisses ist der Akt der verfassungsrechtlichen Selbstgestaltung des Versicherungsträgers abgeschlossen und der Träger verpflichtet, die für die Aufnahme der Tätigkeit notwendigen Handlungen - ua auch die Begründung des Dienstverhältnisses - durchzuführen. Dementsprechend hat der gewählte Bewerber das Recht auf Anstellung bereits mit dem Zeitpunkt der Feststellung des Wahlergebnisses, dh er hat mit der Wahl einen Anspruch auf Anstellung (vgl Schallen aaO S 69; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S 158 d; ebenso wohl auch Krauskopf/ Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, § 36 SGB 4 Anm 2.4.). Die Wahl des Geschäftsführers muß nicht immer erst dann durchgeführt werden, wenn der bisherige Geschäftsführer endgültig ausgeschieden ist. Zwar setzt die Wahl das Vorhandensein einer besetzbaren Stelle voraus. Steht jedoch der Zeitpunkt des Ausscheidens des bisherigen Geschäftsführers fest, so kann die Wahl im voraus vorgenommen werden (vgl Brackmann aaO S 158 a; Schallen aaO S 54).

Eine solche Ausnahmesituation, die dem DO-Angestellten bereits vor dem 1. Juli 1975 einen Rechtsanspruch auf Übertragung eines höherwertigen Amtes für einen späteren Zeitpunkt gab, hatte der Gesetzgeber bei der Regelung der besitzstandswahrenden Überleitungszulage nicht in seinem Blickfeld. Er hat sie daher weder negativ noch positiv geregelt, so daß insoweit eine Gesetzeslücke besteht. Diese Lücke ist durch entsprechende Anwendung der gesetzlichen Vorschriften über die Überleitungszulage zu schließen, weil dies wegen der ähnlichen Interessenlage dem hypothetischen Willen des Gesetzgebers entspricht, der nach dem der Regelung innewohnenden Sinngehalt die gesetzliche Regelung auf Fälle der vorliegenden Art ausgedehnt hätte, wenn er ihre Regelungsbedürftigkeit erkannt hätte. Der bereits vor dem 1. Juli 1975 bestehende Anspruch des Beigeladenen auf eine Übertragung eines Amtes nach der Besoldungsgruppe B 2 gab dem Beigeladenen eine so starke Rechtsstellung, daß sie ebenso wie das Innehaben eines solchen Amtes des Besitzstandsschutzes bedurfte. Es kann nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber eine derartige Rechtsposition, wie sie der Beigeladene vor dem Stichtag hatte, ohne jede Übergangslösung beseitigt hätte, wenn er den Fall hätte regeln wollen. Die ähnliche Interessenlage gebietet daher eine entsprechende Anwendung des Art VIII § 4 des 2. BesVNG und damit die Gewährung einer Übergangsleistungszulage nach Art IX § 11 dieses Gesetzes.

Auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften des 2. BesVNG über die Übergangszulage, die vom erkennenden Senat im übrigen bejaht wird (vgl hierzu das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil vom heutigen Tage - 8 RK 39/82 -), kommt es im vorliegenden Fall nicht an, weil die Revision der Klägerin auf dieses Gesetz und damit auch auf seine Verfassungsmäßigkeit gestützt wird. Bei der Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit dieses Gesetzes wäre die Revision ebenfalls begründet, weil dem Beigeladenen dann nicht nur eine Überleitungszulage zum Gehalt der Besoldungsgruppe A 16, sondern darüber hinaus ein Anspruch auf Einweisung in die Besoldungsgruppe B 2 zustände.

Der Senat hat auf die danach begründete Revision der Klägerin die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und das beklagte Land dem Antrag der Klägerin entsprechend verurteilt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659005

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