Leitsatz (redaktionell)
1. Eine besondere kriegseigentümliche Gefahr iS des BVG § 3 Abs 2 liegt im allgemeinen nur bei Gefahren vor, die mit dem Einsatz militärischer Kampfmittel verbunden waren oder aus anderen Gründen außergewöhnliche Gefahren mit sich brachten, die in einem engen ursächlichen Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen und der Verwendung im zivilen Dienst standen.
2. Von den möglichen Auslegungen eines Schreibens muß die Versorgungsverwaltung diejenige gegen sich gelten lassen, die sich der Empfänger vernünftigerweise zu eigen machen darf, ohne die Unbestimmtheit oder Unvollständigkeit willkürlich zu seinen Gunsten auszunutzen.
3. Die Entscheidung über die Frage, wie ein Schreiben auszulegen ist, hängt neben dem Wortlaut von den gesamten Umständen ab, unter denen die Mitteilung erging.
4. Zur Rechtswirksamkeit einer Umanerkennung mittels formloser Benachrichtigung.
Normenkette
BVG § 3 Abs. 2 Fassung: 1950-12-20
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 12. Februar 1957 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben; die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Schleswig zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger leidet an einer multiplen Sklerose, die er auf Überanstrengungen während seines Dienstes bei der Kriegsmarine zurückführt. Er war dort als Hilfswerkmeister, Werkmeister und technischer Angestellter auf Grund eines vom Arbeitsamt vermittelten Vertrages tätig und wurde nach der TO. A besoldet. Schon im Juni 1943 suchte er wegen übermäßiger Ermüdungserscheinungen einen Zivilarzt auf, der einen Hexenschuß annahm. Einige Zeit darauf begab er sich auf Grund einer inzwischen ergangenen Anordnung seiner Dienststelle in die Behandlung des Arsenalarztes Dr. V... Dieser stellte nach kürzerer Behandlung ein "Rückenmarksleiden" fest und überwies den Kläger an einen Facharzt für Nervenkrankheiten. Im Sommer 1944 wurde die Arbeitsunfähigkeit des Klägers vertrauensärztlich bestätigt.
Mit Bescheid vom 26. April 1947 erkannte die für die Gewährung von Versorgung zuständige Behörde "multiple Sklerose" - diese Diagnose war inzwischen gestellt worden - als Dienstbeschädigung an. Wegen dieses Leidens wurde auf Grund der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 durch Bescheid vom 30. September 1947 Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 80 v.H. und durch Bescheid vom 10. Mai 1948 nach einer MdE. um 100 v.H. und Pflegezulage in Höhe von 40,-- RM bewilligt; diese wurde mit Bescheid vom 10. November 1950 auf 60,-- DM erhöht. Der Bescheid vom 10. Mai 1948 enthielt die ausdrückliche Anerkennung, daß die Gesundheitsschädigung "multiple Sklerose" durch Kriegseinwirkung entstanden sei.
Mit Schreiben vom 14. Juli 1951 teilte das Versorgungsamt Flensburg dem Kläger folgendes mit:
"Für die Zeit vom 1.10.1950 ab werden Ihre Versorgungsbezüge nach den Bestimmungen des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) gezahlt. Sie betragen monatlich zusammen 215,-- DM. Dazu tritt ebenfalls vom 1.10.1950 ab die Zahlung Ihres bisher ruhenden Ruhegeldes aus der Angestelltenversicherung in Höhe von monatlich 85,50 DM. Die Nachzahlung an Versorgungsbezügen und an Ruhegeld aus der Angestelltenversicherung für die Zeit vom 1.10.1950 bis 31.8.1951 beträgt 1.325,50 DM. Diesen Betrag werden Sie im Postscheckwege erhalten. Der laufende Rentenbetrag von monatlich 215,-- DM wird vom 1.9.1951 ab monatlich auf Ihr Konto bei der Creditbank Flensburg überwiesen. Die bisher gezahlten Bezüge fallen mit Ende August 1951 weg.
Die laufende Zahlung des Ruhegeldes aus der Angestelltenversicherung wird durch die Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein in Lübeck veranlaßt werden.
Einen förmlichen Umanerkennungsbescheid erhalten Sie gegebenenfalls später.
Auf Ihren Antrag auf Gewährung einer Kapitalabfindung erhalten Sie zu gegebener. Zeit weitere Nachricht."
Am 30. Oktober 1953 erteilte das Versorgungsamt Flensburg dem Kläger einen Bescheid des Inhalts, daß er nicht zu dem nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) anspruchsberechtigten Personenkreis gehöre und daher eine Rente nach dem BVG nicht gezahlt werden könne. Die bisher nach den Bestimmungen der SVD Nr. 27 gezahlten Bezüge müßten mit Wirkung vom 1. Januar 1954 entzogen werden.
Der Einspruch des Klägers gegen diesen Bescheid wurde vom Landesversorgungsamt Schleswig-Holstein mit Bescheid vom 21. April 1954 zurückgewiesen; die Klage hiergegen hatte keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 19. Juli 1955). Die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil wurde vom Landessozialgericht (LSG.) Schleswig durch Urteil vom 12. Februar 1957 zurückgewiesen. Der Kläger gehöre nicht zu dem nach dem BVG berechtigten Personenkreis im Sinne des § 3 Abs. 2 BVG und § 5 Abs. 1 BVG; auch kenne § 85 BVG keine Anwendung finden. Schließlich sei auch nicht schon - wie der Kläger meine - durch die Mitteilung vom 14. Juli 1951 über den Versorgungsanspruch nach dem BVG entschieden worden, da diese Mitteilung ausdrücklich nicht als "Bescheid", sondern als "Berechnung" bezeichnet sei. Die Weiterzahlung der Rente sei auf Grund der SVD Nr. 27 erfolgt, wenn auch der Höhe nach als Abschlagszahlung auf die später festzustellenden Bezüge nach dem BVG. Der angefochtene Bescheid sei daher der erste Bescheid nach dem BVG. Das LSG. hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 12. Februar 1957 und das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 19. Juli 1955 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 30. Oktober 1953 und des Widerspruchsbescheides vom 21. April 1954 zu verurteilen, dem Kläger über den 31. Dezember 1953 hinaus die entzogenen Versorgungsbezüge weiterzugewähren.
Er rügt die Verletzung formellen (§ 103 SGG) und materiellen Rechts (§§ 5 Abs. 2, 62, 86 BVG): Durch einen Erlaß des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) vom 2. März 1942 seien - u.a. - alle reichsdeutschen Gefolgschaftsmitglieder der Wehrmacht, die im Heimatgebiet im Marinefestungsküstengebiet eingesetzt gewesen seien, bei Körperschäden den Vorschriften des Wehrmachtfürsorge- und Versorgungsgesetzes (WFVG) und des Einsatzwehrmachtfürsorge- und Versorgungsgesetzes (EWFVG) unterworfen worden. Darunter falle auch der Kläger, da das Marinearsenal Gotenhafen im Marinefestungsküstengebiet gelegen habe. Man habe bei diesen Personen unterstellt, daß ihr Einsatz mit kriegseigentümlichen Gefahren verbunden sei. Hieraus sei zu folgern, daß der Kläger auch unter den durch § 3 Abs. 2 BVG geschützten Personenkreis falle. Das LSG. hätte hinsichtlich der Lage des Marinearsenals im Marinefestungsküstengebiet und der dort getroffenen Absperrmaßnahmen weitere Ermittlungen anstellen müssen. Es habe dies nicht getan und deshalb den Sachverhalt nicht genügend aufgeklärt. Schließlich sei schon das Schreiben der Versorgungsverwaltung vom 14. Juli 1951 als eine Feststellung der Bezüge nach dem BVG im Sinne des § 86 BVG zu werten. Der angefochtene Bescheid habe daher nur noch unter den Voraussetzungen des § 62 BVG ergehen können; diese seien aber nicht gegeben.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Er schließt sich im wesentlichen den Ausführungen des angefochtenen Urteils an. Hinsichtlich der Berechnung der Versorgungsbezüge nach dem BVG weist er darauf hin, daß die Versorgungsverwaltung sie auf Grund einer Anregung des Bundesministers für Arbeit vorgenommen habe, um auch in Fällen, in denen die förmliche Umanerkennung nach dem BVG noch nicht möglich gewesen sei, die Versorgungsberechtigten baldmöglichst in den Genuß der Bezüge nach dem BVG kommen zu lassen.
Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG). Sie ist daher zulässig.
Die Revision ist auch begründet.
Das Berufungsgericht geht zunächst im Ergebnis zutreffend davon aus, daß die Versorgungsverwaltung bei einer Umanerkennung nach dem BVG hinsichtlich der Frage, ob der Kläger zu dem nach dem BVG vorsorgungsberechtigten Personenkreis gehört, nicht gemäß § 85 BVG dadurch gebunden war, daß der ursächliche Zusammenhang der multiplen Sklerose mit einer Schädigung bereits durch den früheren Bescheid nach der SVD Nr. 27 anerkannt worden ist. Denn die Bindung nach § 85 BVG erfaßt nur die Frage, ob eine Gesundheitsstörung mit einer Schädigung ursächlich zusammenhängt, also nur die Entscheidung über den medizinischen Zusammenhang (BSG. 4 S. 21; Urteil des erkennenden Senats vom 19.12.1957 - 8 RV 317/55 - sowie BSG. in SozR. BVG § 85 Bl. Ca 6 Nr. 8).
Soweit die Revision eine Verletzung des § 3 Abs. 2 BVG rügt, kann der Kläger damit keinen Erfolg haben. Nach dieser Vorschrift gilt - u.a. - der auf Grund eines Arbeitsvertrages bei der Wehrmacht geleistete Zivildienst nur dann als militärähnlicher Dienst, wenn der Einsatz mit besonderen kriegseigentümlichen Gefahren für die Gesundheit verbunden war. Eine besondere kriegseigentümliche Gefahr liegt im allgemeinen aber nur vor, wenn es sich um Gefahren, die mit dem Einsatz militärischer Kampfmittel verbunden waren, oder um sonstige außergewöhnliche Gefahren für leib und Leben handelt, die in einem engen ursächlichen Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen und der Verwendung des Zivilbediensteten standen (vgl. Thannheiser-Wende-Zech, Handbuch des Versorgungsrechts, Bd. 1, Erläuterung zu § 3 Abs. 2 BVG). Die Feststellungen des LSG. über die Art der Tätigkeit und über die Umstände, unter denen sie ausgeübt wurde, lassen derartige Gefahren nicht erkennen. Auch die Tatsache, daß der Kläger durch eine dienstliche Anordnung gehalten war, zunächst den Arsenalarzt aufzusuchen, kann nicht als besondere kriegseigentümliche Gefahr angesehen werden. Darüber hinaus ergibt sich aus den Feststellungen des LSG., daß der Kläger vorher von einem Zivilarzt behandelt worden ist und gerade der Arsenalarzt die Schwere der Krankheit - wenn auch erst nach einer gewissen Zeit - erkannt und den Kläger deshalb einem Facharzt überwiesen hat. Das LSG. war auch nicht an den von der Revision angeführten Erlaß des OKW vom 2. März 1942 (Wehrmachtsfürsorge- und Versorgungsbestimmungen 1942 S. 136 Nr. 185) gebunden, da bei der Prüfung der Frage, ob ein Beschädigter zu dem nach dem BVG versorgungsberechtigten Personenkreis gehört, ausschließlich die Vorschriften des BVG zugrunde zu legen sind. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob der Dienst des Klägers bei dem Kriegsmarinearsenal in Gotenhafen überhaupt unter die Bestimmungen des Erlasses fiel.
Die in diesem Zusammenhang erhobene Rüge einer mangelnden Sachaufklärung (§ 103 SGG), welche die Revision darin sehen will, daß das LSG. im Hinblick auf den o.a. Erlaß nicht aufgeklärt hat, ob der Kläger im Marinefestungsküstengebiet eingesetzt war, ist unbegründet, da es auf diese Sachaufklärung bei der vorstehend dargelegten Rechtslage nicht ankommt.
Schließlich ist dem Berufungsgericht auch darin beizupflichten, daß der Kläger während seines Dienstes keiner unmittelbaren Kriegseinwirkung in Sinne des § 1 Abs. 2 Buchst. a in Verbindung mit § 5 Abs. 1 BVG ausgesetzt war.
Die Revision ist aber insofern begründet, als sie sich gegen die Auffassung des Berufungsgerichts wendet, daß die Versorgungsbezüge nach dem BVG vor der Erteilung des Bescheids vom 30. Oktober 1953 nicht festgestellt worden seien und daß dies insbesondere nicht durch das Schreiben vom 14. Juli 1951 geschehen sei. Grundsätzlich muß zwar eine formgültige Feststellung - schon um dem Erfordernis der Bestimmtheit zu genügen - neben der Berechnung der Bezüge die als Schädigungsfolge anerkannte Gesundheitsstörung, ihre Entstehungsursache sowie den Grad der MdE. klarstellen. Von diesen notwendigen Bestandteilen einer förmlichen Feststellung enthielt das Schreiben vom 14. Juli 1951 lediglich eine Berechnung der Bezüge und die Mitteilung, daß sie vom 1. Oktober 1950 an nach dem BVG gewährt werden. Die "infolge Kriegseinwirkung" anerkannten Gesundheitsstörungen, ihre Entstehung und der Grad der MdE. waren aber in den früheren Bescheiden vom 26. April und 30. September 1947 sowie 10. Mai 1948 aufgeführt, so daß diese Bescheide mangels anderer Ausführungen zur Ergänzung des Schreibens vom 14. Juli 1951 herangezogen werden konnten. Dies gilt um so mehr, als ein förmlicher Umanerkennungsbescheid nur "gegebenenfalls" in Aussicht gestellt war - also nur für den Fall, daß es bei diesem Schreiben nicht sein Bewenden haben sollte -. Das Berufungsgericht hätte bei dieser Sachlage prüfen müssen, ob die Leistungen nach dem BVG nicht schon durch das Schreiben vom 14. Juli 1951 festgesetzt waren, so daß für einen Umanerkennungsbescheid im Jahre 1953 kein Raum mehr war. Hierbei hätte das LSG. berücksichtigen müssen, daß die Versorgungsverwaltung von den möglichen Auslegungen eines Schreibens diejenige gegen sich gelten lassen muß, die der Empfänger sich vernünftigerweise zu eigen machen darf, ohne die Unbestimmtheit oder Unvollständigkeit willkürlich zu seinen Gunsten auszunutzen (vgl. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 6. Aufl. S. 220). Die Entscheidung über die Frage, wie das o.a. Schreiben auszulegen ist, hängt - neben dem Wortlaut - von den gesamten Umständen ab, unter denen diese Mitteilung erging, wobei etwa stattgefunden mündliche Besprechungen, ein anschließender Schriftwechsel, ferner auch das sonstige Verhalten der Versorgungsbehörde zu berücksichtigen sein werden. Auch der Inhalt früherer Bescheide kann für die Frage, wie der Empfänger eine Mitteilung auslegen durfte, von Bedeutung sein (vgl. Bayer. LSG. in Amtsbl. des Bayer. Arbeits- und Sozialministers 1955, Teil B S. 15 [16]). Die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils lassen eine Entscheidung unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte nicht zu und bedürfen einer Ergänzung. Infolgedessen war die angefochtene Entscheidung mit den ihr zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Das LSG. wird nunmehr bei der Auslegung des Schreibens vom 14. Juli 1951 die Umstände, die zu ihm geführt haben, zu prüfen haben. Dabei können Verhandlungen zwischen dem Kläger und dem Versorgungsamt belangvoll sein. Ferner wird es darauf ankommen können, ob dem Kläger eindringlich klar gemacht worden ist, daß er nach dem BVG keine Ansprüche auf Rente hat, oder ob etwa durch Nichtbeantwortung von Eingaben der Anschein erweckt werden konnte, daß seiner Auffassung, ihm stehe Rente zu, nicht widersprochen, sondern diese durch das Schreiben vom 14. Juli 1951 vielmehr bestätigt werden sollte. Falls das Berufungsgericht aus den Umständen, die diesem Schreiben vorangegangen sind, noch nicht zu einer abschließenden Beurteilung kommen sollte, wird es ferner zu prüfen haben, ob das weitere Verhalten des Versorgungsamts nach der Absendung dieses Schreibens bis zu dem Bescheid vom 23. Oktober 1953 den Kläger in der Auffassung bestärken konnte, daß das Schreiben vom 14. Juli 1951 als Umanerkennungsbescheid anzusehen war und ihm daher ein Anspruch auf Versorgung zustand. Dabei wird der Schriftwechsel zwischen dem Kläger und dem Versorgungsamt - insbesondere Anträge auf die Gewährung von Heilmitteln, Kuren, Kinderzuschlägen und die darauf getroffenen Entscheidungen - zu berücksichtigen sein.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Fundstellen