Leitsatz (amtlich)

1. "Wohlfahrtspflege" im Sinne der Nr 26 der Anlage zur 4. VO über Ausdehnung der UV auf Berufskrankheiten vom 1943-01-29 (=Nr 39 der Anlage zur 5 VO über Ausdehnung der UV auf Berufskrankheiten vom 1952-07-26) ist die planmäßige, zum Wohle der Allgemeinheit und nicht des Erwerbs wegen ausgeübte vorbeugende oder abhelfende unmittelbare Betreuung von gesundheitlich, sittlich oder wirtschaftlich gefährdeten Menschen. Eine Einrichtung der Wohlfahrtspflege muß diesen Zwecken hauptsächlich dienen.

2. Ein Kreiswohnungsamt, das in der Hauptsache die ihm durch das Kontrollratsgesetz Nr 18 (Wohnungsgesetz - Amtsblatt der Militärregierung Deutschland Nr 8 162) zugewiesenen Aufgaben wahrnimmt, erfüllt diese Voraussetzungen selbst dann nicht, wenn sich unter den Wohnungsuchenden zahlreiche Tbc-Kranke befinden und die zur gerechten Verteilung des verfügbaren Wohnraums erforderlichen Feststellungen erst nach Besichtigung der Wohnung des Wohnungsuchenden getroffen werden können.

Ein Angestellter, der unter diesen Umständen die allgemeinen Aufgaben des Wohnungsamts wahrnimmt, übt keine Tätigkeit in der Wohlfahrtspflege aus.

 

Normenkette

RVO § 545 Fassung: 1942-03-09; BKVO 5 Anl 1 Nr. 39 Fassung: 1952-07-06

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 8 September 1954 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der Kläger ist seit Mai 1946 bei der Kreisverwaltung Norderdithmarschen als Angestellter beschäftigt. Im Oktober 1950 wurde er als einer der beiden Sachbearbeiter des Kreiswohnungsamts in Heide eingesetzt. Während dieser Tätigkeit, zu Beginn des Jahres 1952, trat bei ihm eine Lungentuberkulose in Erscheinung, deretwegen er seinen Dienst vom 9. März 1952 an mehrere Monate nicht versehen konnte. Der Kläger erhob deshalb Rentenansprüche gegen den Beklagten auf Grund der Nr. 39 der Anlage zur Fünften Verordnung über Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten vom 26. Juli 1952 (5. BKVO, BGBl. I S. 395). Er vertrat die Auffassung, seine dienstliche Tätigkeit sei einer solchen in der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege und im Gesundheitsdienst gleichzuerachten. Die Beklagte lehnte die Ansprüche des Klägers durch Bescheid vom 25. Februar 1953 mit der Begründung ab, daß die Dienststelle des Klägers nicht zu den in Nr. 39 a. a. O. aufgeführten Unternehmen gehöre. In dem Bescheid ist weiter ausgeführt, der Kläger sei als Sachbearbeiter des Kreiswohnungsamts keiner das verkehrsübliche Maß übersteigenden Infektionsgefahr ausgesetzt gewesen.

Hiergegen hat der Kläger Berufung zum Oberversicherungsamt (OVA.) Schleswig eingelegt. Zu ihrer Begründung hat er vorgebracht: Das Aufgabengebiet des Kreiswohnungsamts in Heide habe sich durch das Flüchtlingselend der Nachkriegszeit erheblich erweitert. Durchweg hätten umfangreiche Feststellungen über die Wohnverhältnisse, den Arbeitseinsatz, die Größe der Familien, den Schulbesuch der Kinder und den Gesundheitszustand der Wohnungsuchenden getroffen werden müssen. Deshalb habe er in vielen Fällen deren Wohnungen besichtigt und mit den Betroffenen gesprochen. Darüber hinaus seien die Interessenten immer wieder ins Büro und in die Wohnung des Klägers gekommen, um auf Erledigung ihrer Anliegen zu drängen. Namentlich in den zahlreichen Baracken seien Herde für ansteckende Krankheiten gewesen. Den sozial besser gestellten und gesunden Wohnungsuchenden habe das örtliche Wohnungsamt meist helfen können. Dagegen seien die schwierigen Fälle fast immer an das Kreiswohnungsamt gelangt. Gerade in diesen Fällen seien Besichtigungen unumgänglich gewesen.

Einer Anregung des Klägers, eine Auskunft des zuständigen Ministeriums über die Art seiner Tätigkeit einzuholen, hat das OVA. nicht entsprochen. Es hat durch Urteil vom 25. August 1953 den angefochtenen Bescheid bestätigt.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger weitere Berufung beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg eingelegt. Mit dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist das Verfahren auf das Landessozialgericht (LSG.) Schleswig übergegangen (§ 215 Abs. 8 SGG). Hier hat der Kläger ausgeführt: Wenn das OVA. eine Auskunft des Ministeriums eingeholt hätte, so hätte sich ergeben, daß die Tätigkeit des Klägers beim Wohnungsamt in Heide wesentlich in der Betreuung des in Betracht kommenden Personenkreises bestanden habe. Der Kläger hat die Namen von 25 nach seiner Behauptung tuberkulosekranken Wohnungsuchenden angeführt, die er vor und nach seiner Erkrankung betreut haben will. In fünf Fällen will er besonders häufig mit den Wohnungsuchenden verhandelt und sich auch um Finanzierungsmöglichkeiten für sie bemüht haben. Er meint, diese Tätigkeit gehe über die öffentliche Fürsorge und den Gesundheitsdienst noch hinaus; deshalb sei es ungerecht, ihm den Schutz der BKVO vorzuenthalten.

Das LSG. hat das Rechtsmittel des Klägers durch Urteil vom 8. September 1954 zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt: Als Wohlfahrtspflege im Sinne der BKVO sei nur die planmäßige, zum Wohle der Allgemeinheit und nicht des Erwerbs wegen ausgeübte vorbeugende oder abhelfende unmittelbare Hilfeleistung für gesundheitlich, sittlich oder wirtschaftlich gefährdete Menschen zu verstehen. Eine bloße Verwaltungsarbeit - auch in einer Fürsorgebehörde - erfülle diese Voraussetzungen nicht. Das Kreiswohnungsamt in Heide sei - auch unter Berücksichtigung der vom Kläger über seine tatsächlichen Verrichtungen gemachten Angaben - eine Verwaltungsstelle der Wohnraumbewirtschaftung; denn es habe nach dem im Zeitpunkt der Erkrankung des Klägers geltenden Kontrollratsgesetz Nr. 18 (Wohnungsgesetz - Amtsbl. der Mil. Reg. Nr. 8 S. 162) - ebenso wie jetzt nach § 6 des Wohnraumbewirtschaftungsgesetzes vom 31. März 1953 (BGBl. I S. 97) - die Aufgabe gehabt, Wohnraum zu erhalten, zu vermehren, zu sichten, zu verteilen und auszunutzen. Schließlich reichten Art und Umfang der von dem Kläger selbst verrichteten Tätigkeit ohnehin nicht aus für den nach der BKVO gegen Infektionskrankheiten bestehenden Schutz.

Das LSG. hat die Revision zugelassen. Das Urteil ist dem Kläger am 29. Oktober 1954 zugestellt worden. Er hat hiergegen am 24. November 1954 Revision eingelegt und das Rechtsmittel - nach Verlängerung der Begründungsfrist um einen Monat-am 28. Januar 1955 begründet.

Die Revision rügt: Der Vorderrichter habe den Sachverhalt ungenügend aufgeklärt und Nr. 39 der Anlage zur 5. BKVO zu eng ausgelegt. Das LSG. hätte die Aufgaben des Kreiswohnungsamts nicht dem Kontrollratsgesetz Nr. 18 entnehmen dürfen, sondern die vom Kläger angebotenen Beweise erheben müssen. Wäre dies geschehen, so hätte sich ergeben, daß die Wohnraumzuteilung an unzulänglich untergebrachte Personen seit Jahren den wesentlichen Teil der Aufgaben des Kreiswohnungsamts ausmache. Dabei habe der Kläger überwiegend Außendienst verrichtet. Das Kreiswohnungsamt sei vom Landeswohnungsamt angewiesen, wenn irgend möglich, an Ort und Stelle zu helfen. Kennzeichnend für die besonderen Verhältnisse sei, daß noch im Jahre 1954 auf 22 962 Einheimische der Landgemeinden des Kreises Norderdithmarschen 10 908 Flüchtlinge entfallen seien und daß von diesen mehr als 1200 Familien (mehr als 3500 Personen) in einem Raum gewohnt hätten. Unter diesen Umständen sei ein Kreiswohnungsamt vornehmlich dazu da, den gesundheitlich, sittlich und wirtschaftlich gefährdeten Personen zu menschenwürdigem Wohnraum zu verhelfen.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils nach seinem in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG. Schleswig gestellten Antrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.

Der von dem Kläger erhobene Entschädigungsanspruch ist - was im Urteil des LSG. nicht klar zum Ausdruck kommt - nach Nr. 26 der Anlage zur 4. BKVO vom 29. Januar 1943 (RGBl. I S. 85) zu beurteilen. Die 5. BKVO vom 26. Juli 1952 (BGBl. I S. 395) ist erst nach der Erkrankung des Klägers, nämlich am 1. August 1952, in Kraft getreten. Ihre Anwendung auf vorher aufgetretene Krankheiten setzt unter anderem voraus, daß diese erst auf Grund der 5. BKVO als Berufskrankheiten anerkannt worden sind (§ 2 Abs. 3 der 5. BKVO). Für den hier geltend gemachten Entschädigungsanspruch trifft dies nicht zu; denn Nr. 39 der Anlage in der Fassung der 5. BKVO entspricht Nr. 26 der Anlage in der Fassung der 4. BKVO.

Nach dieser Regelung sind Infektionskrankheiten Berufskrankheiten im Sinne der Unfallversicherung, wenn sie durch eine berufliche Beschäftigung in einem der in Spalte III der Anlage aufgeführten Tätigkeitsbereiche (Betriebe, Einrichtungen, Tätigkeiten - §§ 1 und 2 der 3. BKVO) verursacht worden sind. Als solche Bereiche, die den nach der BKVO geschützten Personenkreis abgrenzen, kommen im vorliegenden Streitfalle - auch nach der Meinung der Revision - nur in Betracht: "Einrichtungen und Tätigkeiten in der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege und im Gesundheitsdienst". Der Senat ist der Auffassung, daß die Merkmale "Einrichtungen" und "Tätigkeiten" wahlweise angeführt sind. Dies ergibt sich aus der Art der Aufzählung in Spalte III und entspricht zugleich dem Sinn der BKVO; auch die Fassung des § 2 BKVO deutet hierauf hin. Von derselben Auffassung ist bereits das Reichsversicherungsamt (RVA.) ausgegangen, ohne daß gegen diese Auslegung des Gesetzes, soweit ersichtlich, Zweifel laut geworden wären (vgl. z. B. EuM. 25 S. 31 und 27 S. 44). Der Senat hatte infolgedessen sowohl zu prüfen, ob die Dienststelle des Klägers - das Kreiswohnungsamt in Heide - als eine Einrichtung der Wohlfahrtspflege oder des Gesundheitsdienstes anzusehen ist, als auch - falls diese Frage mit dem Vorderrichter zu verneinen ist - ob die von dem Kläger verrichteten Tätigkeiten einem dieser beiden Bereiche zuzurechnen sind.

Der Kreis der unter der Bezeichnung "Wohlfahrtspflege" zusammengefaßten Tätigkeiten ist durch den Sprachgebrauch nicht eindeutig abgegrenzt. Nach der Übersicht von Klumker im Handwörterbuch der Staatswissenschaften (Bd. IV, 4. Aufl., 1927, S. 534) liegt der neuere Ursprung des Begriffs in den Einrichtungen der Arbeiterwohlfahrt des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Bald faßte man jedoch unter ihm die mannigfaltigsten Tätigkeiten zur Schaffung gesunder Lebensbedingungen, zur Herbeiführung einer den jeweiligen Kulturideen entsprechenden Volkslebenshaltung, zur Beseitigung sozialer Mißstände, zur Verhütung von Armut oder dergleichen zusammen, wobei zuweilen allein die soziale Gesinnung der Handelnden das gemeinsame Kennzeichen blieb.

Auch die Gesetzessprache verwendet den Begriff "Wohlfahrtspflege" nicht in einheitlicher Bedeutung. Auf dem Gebiet des Verfassungsrechts erscheint er in Art. 9 Ziff. 1 der Reichsverfassung vom 11. August 1919; dort wurde er als weitgreifend und dehnbar angesehen (vgl. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, 14. Aufl., Anm. 2 zu Art. 9). In Art. 74 Nr. 7 des Grundgesetzes wird die öffentliche Wohlfahrtspflege von dem in weitem Sinne verstandenen Begriff der öffentlichen Fürsorge mitumfaßt (vgl. Herrfahrdt im Bonner Kommentar zu Art. 74 GG, Anm. I, 2 Ziff. 7 und II, 2 Ziff. 7). In § 2 Abs. 1 der Dritten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Ablösung öffentlicher Anleihen vom 4. Dezember 1926 (RGBl. I S. 494) wird "Wohlfahrtspflege" als "die planmäßige zum Wohle der Allgemeinheit und nicht des Erwerbes wegen ausgeübte Sorge für notleidende oder gefährdete Mitmenschen" bezeichnet, wobei sich "die Sorge auf das gesundheitliche, sittliche oder wirtschaftliche Wohl erstrecken und Vorbeugung oder Abhilfe bezwecken" kann (ähnlich § 8 Abs. 2 der Gemeinnützigkeitsverordnung vom 24. Dezember 1953 - BGBl. I S. 1592). Im Sozialversicherungsrecht wird der Begriff "Wohlfahrtspflege" zuerst in § 537 Nr. 4 b der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung des Dritten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 20. Dezember 1928 (RGBl. I S. 405) verwendet (jetzt § 537 Nr. 2 RVO in der Fassung des Sechsten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9. März 1942 - RGBl. I S. 107). Von dort wurde er in die 2. BKVO vom 11. Februar 1929 (RGBl. I S. 27) unter Nr. 22 der Anlage übernommen. Daß ihm hier nicht die weitgehende Bedeutung zukommt wie z. B. auf dem Gebiet der Gesetzgebungsbefugnis nach der Weimarer Reichsverfassung oder dem Grundgesetz, läßt sich schon aus der Gleichstellung mit dem Gesundheitsdienst und den Laboratorien folgern. Beim Gesundheitsdienst ist es augenscheinlich, daß der Versicherungsschutz gegen Infektionskrankheiten der Ausgleich für die mit der Tätigkeit unvermeidbar verbundene Ansteckungsgefahr bildet. Dasselbe gilt für naturwissenschaftliche und medizinische Laboratorien. Dementsprechend wird auch in der Wohlfahrtspflege Versicherungsschutz gewährt, weil auch hier für den Handelnden weitgehend eine akute Ansteckungsgefahr besteht. Allerdings gibt es auch Bereiche von Tätigkeiten, die dem Wohl der Mitmenschen dienen, aber keine überdurchschnittlichen Ansteckungsgefahren in sich bergen. Deshalb bestand und besteht das Bedürfnis, den Begriff Wohlfahrtspflege im Sozialversicherungsrecht so abzugrenzen, daß er keine mit dem Grundgedanken der BKVO unvereinbare Ausdehnung erfährt.

Nach der Auffassung von Schulte-Holthausen (RVO, Drittes Buch, Unfallversicherung, 4. Aufl. 1929, § 537 Anm. 34 d) ist öffentliche Wohlfahrtspflege gleichbedeutend mit Fürsorge im Sinne der Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13. Februar 1924 (FürsPflVO). Er beschränkt dementsprechend bei der öffentlichen Wohlfahrtspflege den Versicherungsschutz auf die Einrichtungen im Rahmen der Landes- und Bezirksfürsorgeverbände und auf die im Zusammenhang damit stehenden Tätigkeiten. Diese Auffassung wird weder durch den Wortlaut der Vorschrift gedeckt noch wird sie deren Sinn gerecht. Sie übersieht den Wandel, dem der Aufgabenkreis der Fürsorgebehörden durch die Entwicklung zum Sozialstaat unterworfen war und ist. Die Aufzählung der Fürsorgeaufgaben in § 1 Abs. 1 FürsPflVO hat an praktischer Bedeutung erheblich verloren; diese Aufgaben sind im Zuge der neueren Gesetzgebung namentlich auf den Gebieten der Kriegsopferversorgung, der Schwerbeschädigtenversorgung und des Lastenausgleichs von den Fürsorgebehörden auf andere Behörden oder Körperschaften übergegangen. Es besteht kein Grund zu der Annahme, daß solche Änderungen sich auf den Versicherungsschutz gegen Berufskrankheiten auswirken sollten. Maßgebend für den Versicherungsschutz ist daher nicht die organisatorische Gestaltung, sondern die Zweckbestimmung einer Einrichtung oder Tätigkeit.

Das RVA. hat zunächst aus den "Einrichtungen der Wohlfahrtspflege und des Gesundheitsdienstes" alle diejenigen Stellen ausgeschieden, die eine ihnen zugewiesene Verwaltungstätigkeit ausüben und bei denen die Sorge für die menschliche Gesundheit oder die Besserung einer Notlage nicht den Hauptzweck, sondern eine Begleiterscheinung bildet, so z. B. die Hauptverwaltung der Landesversicherungsanstalt (EuM. 25 S. 31), die Hauptversorgungs- und Versorgungsämter (EuM. 27 S. 44), die Krankenkassen (EuM. 30 S. 28) und Arbeitsämter (EuM. 31 S. 437). Später hat es die Definition des Begriffs "Wohlfahrtspflege" aus der oben angeführter Verordnung vom 4. Dezember 1926 im wesentlichen übernommen, jedoch die Unmittelbarkeit der Hilfeleistung gefordert, um die nach dem Grundgedanken der BKVO erforderliche Einschränkung des Begriffes zu erreichen (RVA. in EuM. 36 S. 145 unter Anlehnung an die Entscheidung der Schiedsstelle beim Verband der Deutschen Berufsgenossenschaften vom 21.12.1931 - EuM. 32 S. 7 -. Vgl. auch RVA. in EuM. 37 S. 3 und in "Arbeiterversorgung" 1936 S. 295). Diese Begriffsbestimmung liegt auch der neueren Rechtsprechung zugrunde (vgl. LSG. Schleswig in SGb. 1955 S. 152; LSG. Hamburg in BG. 1956 S. 344 mit zustimmender Anmerkung von Schieckel; LSG. Baden-Württemberg in DOK. 1957 S. 13; vgl. auch Koelsch , Die meldepflichtigen Berufskrankheiten, 3. Auflage 1952, S. 59).

Der erkennende Senat hat sich dieser auch vom Vorderrichter gebilligten und von der Revision im Grunde nicht beanstandeten Rechtsprechung angeschlossen; er versteht demgemäß unter "Wohlfahrtspflege" im Sinne der BKVO die planmäßige, zum Wohl der Allgemeinheit und nicht des Erwerbes wegen ausgeübte, vorbeugende oder abhelfende unmittelbare Betreuung von gesundheitlich, sittlich oder wirtschaftlich gefährdeten Menschen.

Das Kreiswohnungsamt in Heide erfüllt diese Voraussetzungen nach der Auffassung des Senats nicht. Nach den vom Vorderrichter getroffenen Feststellungen ergab sich der Aufgabenbereich dieses Amtes - wie dies für alle Ämter der Wohnraumbewirtschaftung zutraf - aus dem Kontrollratsgesetz Nr. 18. Danach hatte ein Wohnungsamt Wohnraum zu erhalten, zu vermehren, zu sichten, zu verteilen und auszunutzen. Ein solches Amt hat der Vorderrichter mit Recht nicht als eine Einrichtung der Wohlfahrtspflege angesehen. Es ist eine Verwaltungsdienststelle, deren Tätigkeit ihr Gepräge in der gerechten Verteilung des verfügbaren Wohnraumes findet, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die Wohnungsuchenden einer gesundheitlichen, sittlichen oder wirtschaftlichen Gefahr ausgesetzt sind. Im Verhältnis zu diesem Hauptzweck ist es rechtlich gesehen eine Begleiterscheinung, wenn durch die Zuteilung von Wohnraum eine echte Gefahr in dem oben angeführten Sinne behoben wird. Damit wird ebensowenig Wohlfahrtspflege ausgeübt, wie dies beispielsweise für ein Versorgungsamt gilt, das einem notleidenden Kriegsbeschädigten eine Rente gewährt. Die Tätigkeit der Wohnungsämter gehört somit nicht dem Bereich der Wohlfahrtspflege im Sinne der BKVO an. Diese Auffassung findet eine weitere Stütze darin, daß sowohl in der Weimarer Verfassung als auch im Grundgesetz neben Vorschriften über die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Wohlfahrtspflege bzw. der öffentlichen Fürsorge besondere Vorschriften für das Wohnungswesen, also auch die Wohnraumbewirtschaftung, enthalten sind (Art. 10 Ziff. 4 WeimRV, Art. 74 Nr. 18 GG).

Die Revision weist allerdings mit Recht darauf hin, daß es für die Entscheidung, ob das Kreiswohnungsamt in Heide eine Einrichtung der Wohlfahrtspflege ist, nicht allein darauf ankommt, wie das Gesetz den Aufgabenbereich eines Wohnungsamts im allgemeinen abgrenzt, sondern welche Aufgaben die Dienststelle des Klägers tatsächlich, d. h. nach den für sie verbindlichen Dienstvorschriften des zuständigen Ministeriums, des Landeswohnungsamtes und des Landrats des Kreises Norderdithmarschen zu erfüllen hatte. Die Revision meint, bei erschöpfender Erforschung des Sachverhalts hätte sich vor allem ergeben, daß das Kreiswohnungsamt seit Jahren in der Hauptsache damit befaßt gewesen sei, unzulänglich untergebrachten Personen Wohnraum zu beschaffen, und daß der Kläger auf Anweisung des Landeswohnungsamtes überwiegend Außendienst verrichtet habe und dabei in erheblichem Maße Infektionsgefahren - besonders in den zahlreiche Barackenwohnungen - ausgesetzt gewesen sei. Selbst wenn man unterstellt, daß die vom Kläger in der Berufungsinstanz angeregte Beweiserhebung durch Anhörung des Ministeriums, des Landeswohnungsamtes, der Landkreisverwaltung und der von ihm benannten Wohnungsinteressenten sein Vorbringen in tatsächlicher Hinsicht bestätigt hätte, würde sich daraus keine andere als die vom Vorderrichter gezogene rechtliche Folgerung ergeben. Der Umstand, daß der Kläger als Sachbearbeiter des Kreiswohnungsamtes in höherem Maße, als der Vorderrichter angenommen hat, die für eine gerechte Verteilung des Wohnraumes erforderlichen Feststellungen nicht auf schriftlichem Wege, sondern durch persönliche Fühlungnahme mit den Wohnungsuchenden zu treffen hatte und infolgedessen einer höheren Infektionsgefahr ausgesetzt war, verändert die Aufgaben des Kreiswohnungsamts nicht in ihrem Wesen; charakteristisch für sie bleibt trotz der vom Kläger geschilderten besonderen Verhältnisse die Wohnraumbewirtschaftung. Diese aber gehört nicht zum Bereich der Wohlfahrtspflege.

Der Kläger hat auch keine "Tätigkeit in der Wohlfahrtspflege" ausgeübt, vielmehr nach seinem eigenen Vorbringen nur die allgemeinen Aufgaben des Wohnungsamts wahrgenommen. Da sich seine Tätigkeit in jeder Hinsicht mit dem Aufgabenbereich des Kreiswohnungsamtes deckte, muß sie auch hinsichtlich ihrer rechtlichen Einordnung unter den Begriff der Wohlfahrtspflege im Sinne der BKVO dieselbe - negative - Beurteilung erfahren wie der Aufgabenbereich des Amtes. Dies gilt auch, wenn der Kläger sich - wie er behauptet - nicht auf die im Kontrollratsgesetz Nr. 18 angeführten Aufgaben zu beschränken, vielmehr auf Anweisung oder mit Billigung vorgesetzter Dienststellen Finanzierungsmöglichkeiten mit den Wohnungsuchenden zu erörtern, Kreditgesuche für sie zu schreiben oder sonstige mit der Zuteilung von Wohnraum zusammenhängende Verrichtungen zu erledigen hatte. Auch in diesem Falle wäre der Hauptzweck der von seinem Dienst für das Kreiswohnungsamt nicht trennbaren Tätigkeit des Klägers nicht auf eine unmittelbare Betreuung notleidender Mitmenschen, sondern auf eine nicht der Wohlfahrtspflege zuzurechnende Verwaltungstätigkeit gerichtet gewesen.

Schließlich ist, wie der Vorderrichter mit Recht u. a. unter Hinweis auf die Entscheidung des RVA. in AN. 1930 S. 506 angenommen hat, das Kreiswohnungsamt auch nicht als Einrichtung des Gesundheitsdienstes und die Tätigkeit des Klägers nicht als eine Tätigkeit im Gesundheitsdienst anzusehen. Durch die Zuteilung hinreichend geräumiger sowie baulich und gesundheitlich einwandfreier Wohnungen wird zwar die menschliche Gesundheit gefördert, diese Förderung bildet aber nicht den Hauptzweck der Wohnraumbewirtschaftung.

Die Entschädigungsansprüche des Klägers scheitern - sofern die Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Erkrankung und der beruflichen Tätigkeit des Klägers zu bejahen sein sollte - letzten Endes daran, daß eine Tätigkeit in einem Bereich, der nicht in der Spalte III der BKVO aufgeführt ist, nach dem geltenden Recht nicht schon deshalb Entschädigungsansprüche zur Folge hat, weil sie - wie dies bei mancherlei Verrichtungen des täglichen Lebens der Fall sein kann - unter erheblicher Ansteckungsgefahr ausgeübt wird.

Da die angefochtene Entscheidung somit im Ergebnis nicht zu beanstanden ist, war die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2324723

BSGE, 74

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