Orientierungssatz
Der Versorgungsanspruch entsteht nicht schon allein mit der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes, soweit er vom Willen des Berechtigten unabhängig ist, sondern der Antrag des Berechtigten muß als weiterer rechtsbegründender Faktor hinzukommen.
Normenkette
BVG § 1 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20; KOVVfG § 6 Fassung: 1955-05-02
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 8. Januar 1964 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Ehemann und Vater der Kläger (B.), der Regierungsrat war, ist im März 1945 gefallen. Die Klägerin zu 1) teilte den Tod dem Finanzamt in H, der früheren Beschäftigungsbehörde des B., fernmündlich mit. Durch Bescheid des Oberfinanz-Präsidenten H vom 28. Juni 1945 wurden die Hinterbliebenenbezüge festgesetzt. Hierbei wurde nach § 27 a des Einsatzfürsorge- und versorgungsgesetzes (EWFVG) vom 6. Juli 1939 Reichsgesetzblatt - RGBl - I, 1217 in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 20. August 1940 - RGBl I 1166 - vorübergehend bis 1946 erhöhte Fürsorge nach §§ 107 ff des Deutschen Beamtengesetzes (DBG) vom 26. Januar 1937 - RGBl I, 39 mit Änderungen vgl. RGBl I, 1939, 577; 1940, I, 1645; 1941, I 646 - gewährt. Ab 1. September 1960 wurde wieder erhöhte Beamtenversorgung zugebilligt. Im Juni/Juli 1961 beantragten die Klägerinnen zu 1) und 2) beim Versorgungsamt (VersorgA) Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), worauf mit Bescheid vom 21. Juli 1961 Hinterbliebenenrente ab 1. Juni 1961 zugebilligt wurde. Im Januar 1962 beantragten die Kläger, im Wege eines Zugunstenbescheides Hinterbliebenenversorgung nach dem BVG schon ab 1. Oktober 1950 zu gewähren. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 27. Juni 1962 abgelehnt. Widerspruch, Klage und - die vom Sozialgericht - SG - zugelassene - Berufung blieben ohne Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) führte im Urteil vom 8. Januar 1964 aus, der Antrag bringe nicht nur das Versorgungsverfahren in Gang, sondern habe auch die materiell-rechtliche Bedeutung, daß er als rechtsbegründender Faktor neben die anderen Tatbestandsmerkmale gestellt sei. Zwar sei vor dem 1. April 1955 (vgl. § 6 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VerwVG -) hierfür keine Schriftform vorgesehen gewesen. Eine für die Kriegsopferversorgung beachtliche Willensäußerung der Kläger sei aber nicht vor Juni 1961 erfolgt, auch aus der Personalakte der Oberfinanzdirektion (OFD) H ergebe sich keine Antragstellung. Die Klägerin zu 1) habe nur dem unmittelbaren Dienstherrn des B. mitgeteilt, daß dieser gefallen sei. Der Oberfinanz-Präsident habe daraufhin die Zahlung des Sterbegeldes und die Feststellung der beamtenrechtlichen Hinterbliebenenbezüge veranlaßt; hierzu habe es keines Antrages bedurft. In der Entgegennahme der erhöhten Pension liege kein Antrag auf Bezüge aus der Kriegsopferversorgung (KOV); die Kläger könnten auch durch "Anfechtung" ihres jahrelangen Stillschweigens nicht nachträglich einen früher gestellten Antrag schaffen. Ein Antrag sei auch nicht nach § 86 BVG, § 14 Abs. 2 der Sozialversicherungsdirektive Nr. 27 (SVD 27) überflüssig gewesen, da eine Entscheidung aufgrund früherer Versorgungsvorschriften nicht vorausgegangen sei. Deshalb sei auch eine Zahlung früher festgestellter Versorgungsbezüge nicht aus einem von der Versorgungsverwaltung zu vertretenden Grunde unterblieben (§ 86 Abs. 2 BVG). In § 27 a EWFVG, dessen Vergünstigung überdies nach etwa einem Jahr wieder entfallen sei, komme zum Ausdruck, daß gerade kein Anspruch gegen die Versorgungsverwaltung bestanden habe. Es genüge ferner nicht, daß dem "Staat", d. h. irgendeiner unzuständigen staatlichen Stelle (z. B. Standesamt), der versorgungsrechtliche Tatbestand seit 1945 bekannt gewesen sei. Ob die OFD bei den Klägern einen Irrtum erweckt oder ihre Fürsorgepflicht verletzt habe, könne hier dahinstehen; denn daraus könnte allenfalls ein Regreßanspruch gegen diese Behörde hergeleitet werden. Das VersorgA habe jedenfalls keinen solchen Irrtum erweckt oder eine Fürsorgepflicht verletzt.
Mit der zugelassenen Revision rügen die Kläger, das LSG habe den in §§ 1, 60 und 61 BVG verwendeten Rechtsbegriff des Antrags verkannt. Die Mitteilung an das Finanzamt sei im Hinblick auf die aus dem Tod an der Front resultierenden Hinterbliebenenbezüge erfolgt. Da die Hinterbliebenenbezüge nach den §§ 107 DBG und 27 a EWFVG erhöht worden seien, sei auch der sonst angebrachte Hinweis, daß man sich wegen etwaiger Versorgungsansprüche an das VersorgA wenden müsse, weggelassen worden. Es liege demnach ein Versorgungsantrag vor, der an eine unzuständige Stelle gerichtet gewesen sei. Im übrigen liege in dem über 1-jährigen Bezug von Geldern nach § 27 a EWFVG die denkbar stärkste Form eines Antrages auf Versorgungsbezüge. Diese Erhöhung der DBG-Bezüge habe im Versorgungsrecht, nicht aber im Beamtenrecht gewurzelt; daher habe insoweit eine Entscheidung nach Versorgungsvorschriften vorgelegen, die möglicherweise von der unzuständigen Behörde getroffen worden sei; deshalb liege ein Überleitungsfall nach § 14 Abs. 2 SVD 27 und § 86 BVG vor. Unabhängig hiervon ergebe sich aus BSG 14, 246 ff, daß die damaligen Fristvorschriften kein Mittel sein sollten, die Verfolgung sachlich berechtigter Ansprüche zu erschweren. Die Klägerin zu 1) habe einen Antrag auf Versorgung nach dem BVG nicht gestellt, weil sie geglaubt habe, die OFD bearbeite sowohl die beamtenrechtliche wie die versorgungsrechtliche Seite des Falles. Dem "Staat" sei nicht nur seit 1945 die Versorgungsberechtigung bekannt gewesen, sondern er habe obendrein die Kläger durch Unterlassung eines Hinweises in den Irrglauben versetzt, ihre Ansprüche auf Versorgung würden bei der OFD bearbeitet. Dürfe sich die Versorgungsverwaltung in diesem Falle auf die Nichtstellung eines früheren Antrages berufen, so werde der rechtsethische und soziale Gehalt der Antragsvorschriften beseitigt.
Die Kläger haben das Urteil des LSG in vollem Umfang angefochten und beantragt, "vollen Umfangs" nach den Anträgen in der Vorinstanz zu erkennen. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Das LSG-Urteil sei zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG); sachlich ist sie nicht begründet.
Im vorliegenden Fall sind nur Leistungen nach dem BVG, und zwar für die Zeit vor dem 1. Juni 1961 streitig. Der Senat hatte insoweit nur zu prüfen, ob den Klägern in dieser Zeit überhaupt ein Anspruch zusteht, d. h. unabhängig von der Frage eines etwaigen Ruhens des Rechts bezw. Anspruchs auf Versorgungsbezüge im Sinne des § 65 Abs. 1 Nr. 2 BVG aF und nF. Dies war zu verneinen.
Die tatsächlichen Feststellungen des LSG sind von der Revision nicht mit Verfahrensrügen angegriffen; deshalb war von diesen, da sie gemäß § 163 SGG für das BSG bindend sind, auszugehen. Hiernach hat das LSG zutreffend in der fernmündlichen Mitteilung der Klägerin zu 1) an den unmittelbaren Dienstherrn des B., daß B. gefallen sei, keinen Antrag im Sinne der §§ 1, 60, 61 BVG gesehen. Dabei konnte dahingestellt bleiben, ob eine bloße fernmündliche Mitteilung, bei der nicht einmal die Identität des Anrufenden hinreichend eindeutig feststellbar ist, überhaupt dem Erfordernis eines solchen Antrags genügt (vgl. jetzt § 6 VerwVG, der vorschreibt, daß die Anträge in Versorgungsangelegenheiten schriftlich oder mündlich unter Aufnahme einer Niederschrift beim VersorgA zu stellen sind). Denn das LSG hat in diesem Anruf ohne Rechtsirrtum eine Mitteilung sehen dürfen, die lediglich die Feststellung der beamtenrechtlichen Hinterbliebenenbezüge bezwecken sollte. Daran änderte auch die Vorschrift des § 27 a EWFVG nichts; hier war bestimmt, daß beim Tode eines Beamten infolge einer Wehrdienstbeschädigung bei besonderem Einsatz die Hinterbliebenen Unfallfürsorge nach dem Deutschen Beamtengesetz erhalten. Damit war klargestellt, daß Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen, nicht nach Vorschriften der KOV zu gewähren ist. Demgemäß hat das LSG auch unangegriffen festgestellt, daß die Kläger erhöhte beamtenrechtliche Fürsorge nach den §§ 107 ff DBG, d. h. beamtenrechtliche Unfallfürsorge erhalten haben. Daß es sich um einen Anspruch nach dem Deutschen Beamtengesetz gehandelt hat, ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut des § 27 a EWFVG i. d. F. vom 20. August 1940. Für die Zubilligung solcher rein beamtenrechtlichen Versorgungsansprüche war jedenfalls das VersorgA nicht zuständig; daher kann das Vorbringen der Revision, es sei eine unzuständige Behörde tätig geworden, den Anspruch der Kläger auch nicht bei entsprechender Anwendung des § 14 Abs. 2 SVD 27 oder auch des § 86 BVG begründen.
Der Einwand der Revision, es müsse genügen, daß dem "Staat" seit 1945 die Versorgungsberechtigung der Kläger bekannt gewesen sei, verkennt, daß der Versorgungsanspruch nicht schon allein mit der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes, soweit er vom Willen des Berechtigten unabhängig ist, entsteht, sondern daß der Antrag des Berechtigten als weiterer rechtsbegründender Faktor hinzukommen muß (vgl. BSG 2, 290, 293; 4, 115; 7, 120). Wenn in den §§ 1 Abs. 1, 60 Abs. 1, 61 Abs. 2 BVG aF bestimmt ist, daß Versorgung "auf Antrag" bezw. Rente ab dem Monat gewährt wird, in dem "der Anspruch angemeldet worden ist" (ebenso § 1 Abs. 1 BVG in der Fassung des 1. Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960 BGBl I, 453 - nF - und ähnlich: §§ 60 Abs. 1 und 61 Abs. 2 BVG nF, die von "Antragsmonat" sprechen; vgl. ferner auch schon § 14 Abs. 1 SVD 27), so ist damit ganz eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß KOV-Leistungen nicht von Amts wegen, sondern nur auf Antrag gewährt werden. Das bedeutet, daß die kriegsbeschädigte Person oder ein Kriegshinterbliebener keine Versorgung erhält, wenn ein solcher Anspruch nicht durch einen Antrag geltendgemacht ist. Zwar genügt es, wenn der Antrag bei einer anderen amtlichen Stelle oder einem bundesdeutschen Träger der Sozialversicherung gestellt wird (vgl. jetzt § 6 Abs. 2 VerwVG und für früher die ähnliche Vorschrift des § 1549 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO - in Verbindung mit § 2 SVD 27). Diese Erleichterung bei der zwingend vorgeschriebenen Antragstellung kann den Klägern aber deshalb nicht zugute kommen, weil sie, wie oben dargetan, früher überhaupt keinen KOV-Antrag gestellt haben. Dabei spielt es - wenn nicht die Versorgungsbehörde etwa eine Antragstellung vereitelt hat, was hier nicht in Betracht kommt -, grundsätzlich keine Rolle, aus welchen Gründen eine frühere Antragstellung unterblieben ist. Zutreffend hat es daher das LSG dahingestellt sein lassen, ob die OFD insoweit bei den Klägern etwa einen Irrtum erweckt oder ihre Fürsorgepflicht verletzt hat.
Bemerkt sei jedoch hierzu, daß die Klägerin zu 1) einen etwaigen Irrtum zumindest dann hätte erkennen müssen, als 1946 die auf § 27 a EWFVG gestützte erhöhte beamtenrechtliche Unfallversorgung wieder rückgängig gemacht wurde. Schon deshalb ist der Einwand der Revision abwegig, in dem über einjährigen Bezug von Leistungen nach § 27 a EWFVG liege die stärkste Form eines Antrags auf Versorgungsbezüge. Gerade der Wegfall dieser Bezüge hätte bei einer entsprechenden Willensrichtung schon 1946 Anlaß zur Stellung eines KOV-Antrags geben müssen. Da die Kläger weder zu diesem Zeitpunkt noch alsbald nach dem Inkrafttreten des BVG einen Versorgungsantrag gestellt haben, dürfte die unterbliebene Antragstellung eher auf einer unzulänglichen Beachtung der für Kriegshinterbliebene geschaffenen Möglichkeiten zurückzuführen sein. Die Feststellung des LSG, daß bei Inkrafttreten des BVG in der Tagespresse hinreichend auf das Erfordernis der Antragstellung und die Beachtung der Fristen in der KOV hingewiesen worden sei, ist demnach auch von der Revision nicht angegriffen worden. Das LSG konnte insoweit mit in Betracht ziehen, daß ungezählte Kriegsopfer auch ohne besondere Belehrung durch ihre Dienstbehörde ihre Ansprüche geltend gemacht haben.
Zu Unrecht bezieht sich die Revision schließlich in diesem Zusammenhang auf BSG 14, 246 ff. Denn diese Entscheidung des Großen Senats des BSG betraf die Vorschrift des § 58 Abs. 1 BVG aF, die - anders als im vorliegenden Fall - nach Ablauf von 2 Jahren eine Versorgung grundsätzlich überhaupt, d. h. auch für die Zukunft ausgeschlossen hat. Demgemäß stellt diese Entscheidung auch nur auf die Funktion dieser Fristvorschrift bei der verspäteten Anmeldung ab, nicht auf das Antragserfordernis als materielle Voraussetzung für die Entstehung von Versorgungsansprüchen.
Da das angefochtene Urteil nach alledem nicht zu beanstanden war, mußte die Revision der Kläger als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen