Verfahrensgang
SG Duisburg (Urteil vom 16.04.1980) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 16. April 1980 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Umstritten ist ein Anspruch auf Krankengeld.
Die Klägerin, Mitglied der beklagten Ersatzkasse, hat am 12. Juli 1979 entbunden. Wegen einer Erkrankung an Gelbsucht mußte sie sich ab 5. September 1979 einer Krankenhausbehandlung unterziehen. Noch vor Beginn der Erkrankung hatte sie Mutterschaftsurlaub beantragt, der am 7. September 1979 beginnen sollte. Die Beklagte lehnte die Gewährung von Krankengeld für die Zeit ab 7. September 1979 (im Anschluß an die Mutterschutzfrist nach der Entbindung) mit der Begründung ab, die Klägerin habe rechtzeitig Mutterschaftsurlaub beantragt, es sei deshalb ein weiteres Mutterschaftsgeld nach § 200 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu zahlen, ein Anspruch auf Krankengeld bestehe in diesem Fall nicht. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 7. September 1979 bis 11. Januar 1980 Krankengeld zu gewähren. Es sei zwar richtig, daß während des Mutterschaftsurlaubs Mutterschaftsgeld und kein Krankengeld zustehe, die Klägerin sei jedoch wegen der Erkrankung und der Krankenhausaufnahme gehindert gewesen, den Mutterschaftsurlaub anzutreten. Ihr habe daher nach Ablauf der Schutzfrist des § 6 Abs. 1 des Mutterschutzgesetzes (MuSchG) Anspruch auf Krankengeld zugestanden.
Mit der zugelassenen Sprungrevision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 200 Abs. 4 RVO iVm § 8a MuSchG und § 200c Abs. 1 RVO. Zur Begründung trägt sie vor: Eine Versicherte, die sich für den Mutterschaftsurlaub entschieden und ihn bei ihrem Arbeitgeber rechtzeitig verlangt habe, sei vom Beginn der vierten Woche vor Ablauf der Schutzfrist – vorbehaltlich der in Abs. 5 des § 8a MuSchG eröffneten Möglichkeit der vorzeitigen Beendigung – an ihre Erklärung gebunden. Davon sei schon deshalb auszugehen, weil der Arbeitgeber ansonsten nicht oder nur mit großen Schwierigkeiten disponieren könnte (zB durch Einstellung einer Ersatzkraft). Etwas anderes gelte selbst dann nicht, wenn nach der Erklärungsfrist Ereignisse einträten, bei deren Kenntnis die Mutter den Mutterschaftsurlaub möglicherweise nicht verlangt hätte. Mithin behalte die Erklärung der Mutter zB auch dann Bestand, wenn – wie hier – während der letzten vier Wochen vor Ablauf der Schutzfrist Arbeitsunfähigkeit eintrete. Hierdurch werde der Antritt des Mutterschaftsurlaubs für die gesetzlich bestimmte Dauer nicht beeinträchtigt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 16. April 1980 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Sprungrevision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie trägt vor, die Beklagte verkenne, daß sie durch Krankheit daran gehindert gewesen sei, den Mutterschaftsurlaub anzutreten. Es liege ein Anwendungsfall des § 8a Abs. 3 MuSchG vor. Diese Vorschrift stelle nicht nur darauf ab, daß die Mutter aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund den Mutterschaftsurlaub nicht rechtzeitig verlangen könne, sondern auch darauf, daß sie ihn aus einem solchen Grund nicht antreten könne. Als Beispiel für einen von der Mutter nicht zu vertretenden Grund werde in der Begründung des Gesetzentwurfes zu § 8a MuSchG vom 5. März 1979 ausdrücklich der Krankenhausaufenthalt genannt (BT-Drucks 8/2613).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten hat insofern Erfolg, als das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das SG zurückzuverweisen ist.
Der Senat kann in der Sache selbst nicht entscheiden, weil, das Verfahren vor dem SG an einem fortwirkenden prozessualen Mangel leidet, der in der Revisionsinstanz nicht behoben werden kann. Das SG hat es unterlassen, den Arbeitgeber der Klägerin in der hier fraglichen Zeit zum Verfahren beizuladen, obwohl seine Beiladung nach § 75 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) notwendig ist. Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung ist bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrensfehler zu beachten (BSG SozR 1500 § 75 SGG Nr. 1)
An dem hier streitigen Rechtsverhältnis ist der Arbeitgeber der Klägerin derart beteiligt, daß die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs. 2 Alternative 1 SGG). Der umstrittene Krankengeldanspruch ist ua davon abhängig, daß die Klägerin in der Zeit vor 7. September 1979 bis 11. Januar 1980 keinen Mutterschaftsurlaub hatte, denn neben dem während des Mutterschaftsurlaubs zu zahlenden Mutterschaftsgeld wird Krankengeld nicht gewährt (§ 200c Abs. 1 iVm § 200 Abs. 4 bzw § 200a Abs. 2 RVO). Ob die Klägerin in der hier fraglichen Zeit Mutterschaftsurlaub hatte, ist zwar zunächst eine arbeitsrechtliche Frage. Diese Frage hat darüber hinaus aber auch unmittelbare Bedeutung für die sozialversicherungsrechtlichen Beziehungen zwischen den bisherigen Prozeßbeteiligten und dem Arbeitgeber der Klägerin. So hat ein Arbeitgeber während des Mutterschaftsurlaubs einer Arbeitnehmerin für diese keine Krankenversicherungsbeiträge zu entrichten (§ 381 Abs. 1 iVm § 383 RVO). Des weiteren ist er während des Mutterschaftsurlaubs von der Beitragsentrichtung zur Rentenversicherung befreit (§ 1227 Abs. 1 Nr. 11 iVm § 1385 Abs. 4a RVO). Auch insoweit werden Rechtsbeziehungen zwischen dem Arbeitgeber und der Krankenkasse berührt, denn der Krankenkasse obliegt die Einziehung der vom Arbeitgeber zu entrichtenden Rentenversicherungsbeiträge (§§ 1399 ff, §§ 1433 ff RVO). Schließlich ergeben sich Konsequenzen für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und damit auch für den von den Krankenkassen durchzuführenden Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen (§ 1 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 3 iVm § 10 des Lohnfortzahlungsgesetzes). Diese beispielhaften Hinweise zeigen, daß die Entscheidung, ob eine Zeit in versicherungsrechtlicher Hinsicht als Beschäftigungszeit oder als Mutterschaftsurlaub zu gelten hat, unmittelbar in die Rechtssphäre des Arbeitgebers eingreifen kann. Dies macht die Beiladung des Arbeitgebers zum Rechtsstreit zumindest dann notwendig, wenn – wie hier – die Frage, ob Mutterschaftsurlaub rechtswirksam angetreten worden ist, nicht nur eine Vorfrage, sondern die eigentliche Frage des Rechtsstreits ist.
Da die versäumte Beiladung im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden kann (§ 168 SGG), ist die Zurückverweisung an das SG geboten (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Bei der neuen Entscheidung wird das SG darauf zu achten haben, daß alle Tatsachen, die es aufgrund seiner Rechtsauffassung für entscheidungserheblich hält, ordnungsgemäß festgestellt werden. Das aufgehobene Urteil enthält keine Feststellungen darüber, wann die Klägerin aus dem Krankenhaus entlassen wurde, wie lange die Arbeitsunfähigkeit gedauert hat, ob die Klägerin nach der Entlassung aus dem Krankenhaus oder nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit die Arbeit wieder aufgenommen oder ihrem Arbeitgeber gegenüber irgendwelche den Mutterschaftsurlaub betreffenden Erklärungen abgegeben hat und ob der Arbeitgeber in der streitbefangenen oder in einer damit zusammenhängenden Zeit Arbeitsentgelt oder Lohnfortzahlung gewährt hat. Auf diese fehlenden Feststellungen kann es insbesondere dann ankommen, wenn das SG der Rechtsauffassung ist, daß ein Krankenhausaufenthalt oder auch nur eine Arbeitsunfähigkeit einen Mutterschaftsurlaub ausschließt oder dessen Beginn bis zum Ende des Krankenhausaufenthalts bzw bis zum Wegfall der Arbeitsunfähigkeit hinausschiebt oder es notwendig macht, das „Antreten” des Mutterschaftsurlaubs auch dann „nachzuholen”, wenn der Mutterschaftsurlaub vorher fristgerecht geltend gemacht worden ist (vgl. § 8a Abs. 2 und 3 MuSchG).
Dem SG bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens vorbehalten.
Fundstellen