Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz bei nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten eines nach § 543 Abs 1 RVO versicherten Unternehmers. zuständiger Versicherungsträger
Orientierungssatz
1. Dienen das Entfernen und Wiederanbringen eines Balkongitters durch einen nach § 543 Abs 1 RVO versicherten Gastwirt rechtlich wesentlich den Zwecken des Gaststättenbetriebes, dann ist es ohne Belang, daß diese Tätigkeiten in einem den persönlichen Lebensbedürfnissen dienenden Bereich ausgeführt werden müssen (vgl BSG 1975-07-30 2 RU 3/73 = SozR 2200 § 545 Nr 2).
2. Zur Frage der berufsgenossenschaftlichen Zuständigkeit für die einem Unternehmen unmittelbar dienenden Bauarbeiten, die von nicht baugewerblichen Unternehmern auf ihren Grundstücken für ihre Rechnung ohne Übertragung an einen Baugewerbetreibenden ausgeführt werden (sog Eigen- oder Regiebauten, nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten - vgl BSG 1982-01-26 2 RU 43/80 -).
Normenkette
RVO § 543 Abs 1 Fassung: 1963-04-30, § 646 Abs 1 Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 25.06.1980; Aktenzeichen L 6 U 326/79) |
SG Stade (Entscheidung vom 15.05.1979; Aktenzeichen S 7 U 19/77) |
Tatbestand
Der Kläger war als Unternehmer eines Gaststättenbetriebes satzungsgemäß bei der Beklagten (BG Nahrungsmittel und Gaststätten) gegen Arbeitsunfall versichert. Ein Brand im Juli 1975 beschädigte ua die Holzbalkendecke der Gaststätte. Um Teile der beschädigten Holzbalkendecke leichter ins Freie transportieren zu können, montierte der Kläger das Gitter des über dem Eingang zur Gaststätte im Obergeschoß (Dachgeschoß) gelegenen ca 3 m x 1,20 m großen Balkons im Herbst 1975 ab. Mitte Dezember 1975 wurde die Gaststätte nach Umbau wiedereröffnet. Am 14. April 1976 stürzte der Kläger bei dem Versuch, das Gitter wieder anzubringen, vom Balkon ab und zog sich dabei einen Bruch des rechten Fersenbeines zu.
Die Beklagte lehnte eine Entschädigung ab: Der Balkon befinde sich ausschließlich an privat genutzten Räumen, zu denen Gäste keinen Zutritt hätten; für Tätigkeiten, die ihrer Art nach dem Gewerbezweig wesensfremd seien, bestehe kein Versicherungsschutz (Bescheid vom 7. Februar 1977).
Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Stade die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Bremervörde (Beigeladene zu 1), bei welcher der Kläger freiwillig gegen Krankheit versichert war, den Gemeindeunfallversicherungsverband (GUV) Hannover (Beigeladener zu 2) sowie die Bau-Berufsgenossenschaft (Bau-BG) Hannover (Beigeladener zu 3) beigeladen und durch Urteil vom 15. Mai 1979 den Bescheid der Beklagten vom 7. Februar 1977 aufgehoben, den Beigeladenen zu 2) entsprechend dem ersten Hilfsantrag des Klägers verurteilt, den Unfall als Arbeitsunfall zu entschädigen und die Klage im übrigen abgewiesen (Hauptantrag: Verurteilung der Beklagten, zweiter Hilfsantrag: Verurteilung der Beigeladenen zu 3). Das SG hat angenommen, der Kläger sei nach § 539 Abs 1 Nr 15 der Reichsversicherungsordnung (RVO) versichert gewesen, da er den Unfall bei dem Bau eines Familienheimes erlitten habe. Auf die Berufung des Beigeladenen zu 2) hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben (Urteil vom 25. Juni 1980). Dem im Berufungsverfahren gestellten ersten Hilfsantrag des Klägers folgend, hat das LSG die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 12. Juli 1976 bis zum 31. März 1978 Verletztenrente in Höhe von 20 vH der Vollrente zu gewähren. Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Das Gebäude, an dem der Kläger gearbeitet habe, diene überwiegend gewerblichen Zwecken, so daß ein Versicherungsschutz durch den Beigeladenen zu 2) nach §§ 539 Abs 1 Nr 15, 657 Abs 1 Nr 8 RVO bei dem Bau eines Familienheimes ausscheide. Der Kläger habe jedoch eine seinem Gaststättenbetrieb dienliche Tätigkeit verrichtet, bei der er als Unternehmer bei der Beklagten versichert gewesen sei. Die am 14. April 1976 begonnene Anbringung des Balkongitters sei wie das Abmontieren im Hebst 1975 zu beurteilen. Das Gitter sei entfernt worden, um nach dem Brandschaden die Aufräumungsarbeiten zu erleichtern, insbesondere Teile der beschädigten Holzbalkendecke über das Dachgeschoß und den Balkon ins Freie zu transportieren; dabei wäre das Balkongitter hinderlich gewesen. Die Aufräumungsarbeiten, insbesondere soweit sie die Holzbalkendecke betroffen hätten, seien wie laufende Instandhaltungsarbeiten noch dem Gaststättenbetrieb zuzurechnen. Die Entfernung des Balkongitters habe sich im Rahmen der notwendigen Aufräumungsarbeiten gehalten, ebenso die Wiederanbringung, ohne daß es auf den zeitlichen Abstand ankomme. Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und macht geltend: Der Kläger habe - zum Teil durch Fremdunternehmer - in umfangreichen Arbeiten von August bis Dezember 1975 die Gaststätte ausgeräumt und wieder eingeräumt. Der Balkon habe ausschließlich zum privat genutzten Bereich gehört. Bei den Arbeiten habe es sich um für das Gaststättengewerbe wesensfremde Tätigkeiten gehandelt. Darüberhinaus hätten die Aufräumungsarbeiten bei weitem den Umfang laufender Ausbesserungsarbeiten überschritten; dafür spreche auch die lange Dauer der Arbeiten. Außerdem sei die unmittelbar zum Unfall führende Tätigkeit des Klägers allein dessen privatem Bereich zuzurechnen.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und
die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die
Sache an das LSG zurückzuverweisen,
weiter hilfsweise,
festzustellen, daß der Beigeladene zu 2),
ferner hilfsweise,
daß die Beigeladene zu 3)
zuständig ist.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene zu 1) beantragt ebenfalls,
die Revision zurückzuweisen.
Sie regt die Prüfung an, ob ggf der Beigeladene zu 2) zuständig ist.
Der Beigeladene zu 2) beantragt,
den - hilfsweise gestellten - Antrag, daß er
zuständig sei, zurückzuweisen.
Die Beigeladene zu 3) stellt keinen Antrag.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten hat insofern Erfolg, als die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.
Die bisher vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen nicht für eine Entscheidung aus, ob der auf die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um 20 vH für die Zeit vom 12. Juli 1976 bis zum 31. März 1978 beschränkte Anspruch des Klägers gegen die Beklagte begründet ist.
Der Versicherungsschutz des Klägers als einem satzungsgemäß bei der Beklagten gegen Arbeitsunfall versicherten Gastwirt (s § 543 Abs 1 RVO) erstreckte sich auf die mit seinem Unternehmen in Zusammenhang stehenden Tätigkeiten, nicht jedoch auf die seinem privaten Bereich zuzurechnenden Verrichtungen. Entgegen dem Vorbringen der Revision scheidet hier aber ein Versicherungsschutz nicht deshalb aus, weil der Balkon, dessen Gitter der Kläger im Unfallzeitpunkt wieder anbringen wollte, den ausschließlich privat genutzten Räumen angrenzte. Das Wiederanbringen des Balkongitters ist nach Lage des Falles, wie auch das LSG zutreffend angenommen hat, zusammen mit dem vorausgegangenen Abmontieren als einheitlicher Vorgang zu werten. Das Gitter wurde nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG abmontiert, um nach dem Brand in der Gaststätte die Aufräumungsarbeiten zu erleichtern, insbesondere Teile der beschädigten Holzbalkendecke über das Dachgeschoß und den Balkon ins Freie zu transportieren. Somit dienten das Entfernen und das Wiederanbringen des Balkongitters rechtlich wesentlich den Zwecken des Gaststättenbetriebes, und es ist ohne Belang, daß diese Tätigkeiten in einem den persönlichen Lebensbedürfnissen dienenden Bereich ausgeführt werden mußten (s BSG SozR Nr 22 zu § 548 RVO; SozR 2200 § 545 Nr 2). Eine Entschädigungspflicht der Beklagten ist daraus allein allerdings noch nicht herzuleiten.
Bei der unfallbringenden Tätigkeit des Klägers handelt es sich um eine Bauarbeit. Grundsätzlich fallen Bauarbeiten ihrer Art nach - entsprechend der fachlichen Gliederung der Berufsgenossenschaften nach Gewerbezweigen (s § 646 RVO) - in den Zuständigkeitsbereich der Bau-BG'en (s aber §§ 657 Abs 1 Nr 7, 777 Nr 3 RVO). Wie auch das LSG nicht verkannt hat, sind jedoch seit jeher in Rechtsprechung und Schrifttum bestimmte, einem Unternehmen unmittelbar dienende Bauarbeiten, die von nicht baugewerblichen Unternehmern auf ihren Grundstücken für ihre Rechnung ohne Übertragung an einen Baugewerbetreibenden ausgeführt wurden (sog Eigen- oder Regiebauten, nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten), nicht einer Bau-BG, sondern derjenigen nicht baugewerblichen Fachberufsgenossenschaft zugerechnet worden, der die jeweiligen Unternehmer als Mitglieder angehören (s BSGE 38, 6; 43, 10; BSG SozR 2200 § 647 Nr 4; BSG Urteile vom 31. März 1976 - 2 RU 125/75 - und vom 26. Januar 1982 - 2 RU 43/80 -, jeweils mwN). Die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen für eine Entscheidung darüber, ob diese Voraussetzungen vorgelegen haben, nicht aus. Den Feststellungen des LSG kann zwar entnommen werden, daß der Kläger nach dem in der etwa 320 qm großen Gaststätte ausgebrochenen Feuer Aufräumungsarbeiten verrichtet, insbesondere die schadhaften Teile der Holzbalkendecke und zur Erleichterung dieser Arbeit das Balkongitter entfernt hat. Das LSG hat aber ua weder Feststellungen über das Ausmaß der Aufräumungsarbeiten und deren Dauer, über die Mitwirkung anderer Personen, die nicht im Unternehmen des Klägers beschäftigt waren, noch über die näheren Verhältnisse des vom Kläger betriebenen Unternehmens getroffen. Die Kenntnis solcher Umstände ist jedoch, wie das Bundessozialgericht -BSG- (aaO) wiederholt dargelegt hat, erforderlich, um die für die Zuständigkeit der nicht baugewerblichen Berufsgenossenschaft ausschlaggebende Frage beantworten zu können, ob die nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten den Verhältnissen des ausgeübten laufenden (Gaststätten-) Betriebes entsprochen haben oder bereits - zB wegen ihres großen Umfangs - außerhalb des Rahmens des laufenden Gaststättenbetriebes lagen (s insbesondere BSG SozR 2200 § 647 Nr 4 mwN). Die insoweit notwendigen Feststellungen wird das LSG nachzuholen haben.
Die Sache ist deshalb an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden hat.
Fundstellen