Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechenbarkeit der Zeit des Bezugs einer Bergmannsvollrente bzw einer Folgerente auf die für den Anspruch auf Knappschaftsausgleichsleistung erforderliche Wartezeit
Leitsatz (amtlich)
Auf die für den Anspruch auf Knappschaftsausgleichsleistung erforderliche Wartezeit wird nicht nur eine Zeit des Bezugs von Anpassungsgeld angerechnet, sondern auch – begrenzt auf die Höchstdauer von fünf Jahren – eine Zeit des Bezugs einer Bergmannsvollrente (ggf nach Umwertung in eine Rente für Bergleute).
Normenkette
SGB VI § 239 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a, b, S. 2, Abs. 2 Nr. 2; RÜG Art. 2 § 6, Art. 1 Nr. 54
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 28. November 2001 wird hinsichtlich des nicht durch Klagerücknahme erledigten Zeitraums von März 1997 bis Januar 1998 zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt im Revisionsverfahren Knappschaftsausgleichsleistung (KAL) nach Maßgabe des § 239 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch (SGB VI) nur noch für den Zeitraum von März 1997 bis Januar 1998.
Der am 23. Januar 1938 geborene Kläger hatte im Mansfelder Kupferbergbau der früheren DDR mit Unterbrechungen bis 30. April 1991 insgesamt 267 Monate unter Tage gearbeitet. Anschließend wurde er auf “Kurzarbeit Null” gesetzt und das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 1991 wegen Betriebsstilllegung von Seiten des Arbeitgebers gekündigt. In der Folgezeit war der Kläger bis zum Bezug der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und Vollendung des 60. Lebensjahres (Rentenbeginn 1. Februar 1998) arbeitslos und erhielt (zeitweise) Leistungen. Bereits seit 1. Januar 1988 hatte der Kläger eine Bergmannsvollrente nach Maßgabe des Rentenrechts der DDR bezogen, die ab 1. Januar 1992 in eine Rente für Bergleute mit Auffüllbetrag umgewertet worden war.
Anträge des Klägers auf KAL vom 27. Februar 1992 und 26. Februar 1996 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. April 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 1996 ua mit der Begründung ab, mit lediglich 267 Monaten habe der Kläger nicht die erforderliche Wartezeit von 25 Jahren mit Beitragszeiten auf Grund einer Beschäftigung unter Tage erfüllt (§ 239 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI). Das Sozialgericht Halle (SG) hat mit Urteil vom 26. August 1998 die Klage abgewiesen: Zwar erfülle der Kläger – bis auf die Wartezeit – die Voraussetzungen des § 239 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI, denn dem Bezug von Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer stehe der Bezug der Bergmannsvollrente für längstens fünf Jahre gleich. Die Bezugszeiten seien auch auf die Wartezeit anrechenbar. Aber auch damit bestehe kein Anspruch auf KAL, denn anrechenbar seien lediglich die Bezugszeiten der Bergmannsvollrente nach der Entlassung (31. Dezember 1991) bis zur Vollendung des 55. Lebensjahres, womit sich eine Beitragszeit/gleichgestellte Zeit von insgesamt 288 Monaten (24 Jahren) ergebe. Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG) hat mit Urteil vom 28. November 2001 das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte antragsgemäß verurteilt, dem Kläger “Knappschaftsausgleichsleistung ab dem 1. Oktober 1994 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren”: Entgegen der Ansicht des SG sei der Bezug von Bergmannsvollrente auch über die Vollendung des 55. Lebensjahres hinaus auf die Wartezeit nach § 239 Abs 2 Nr 2 SGB VI anzurechnen, solange die Höchstdauer für die Gleichstellung von fünf Jahren (§ 239 Abs 1 Satz 2 SGB VI) nicht erreicht werde. Es sei ausreichend, wenn der Bezug des Anpassungsgeldes – und gleichgestellt der Bergmannsvollrente bzw der umgewerteten Rente – nach Vollendung des 50. Lebensjahres, aber vor Vollendung des 55. Lebensjahres begonnen habe.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Beklagte die rechtsfehlerhafte Anwendung des § 239 Abs 1 Satz 1 Nr 2 (Alternative 2) Buchst a, des § 239 Abs 1 Satz 2 sowie des § 239 Abs 2 Nr 2 SGB VI: Durch § 239 Abs 1 Satz 2 SGB VI, eingefügt durch das Renten-Überleitungsgesetz (RÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl I 1606), sei der Bergmannsvollrentenbezug dem Bezug von Anpassungsgeld gleichgestellt worden, um auch die von Rationalisierungsmaßnahmen betroffenen Bergleute des Bergbaus im Beitrittsgebiet sozial zu flankieren. Dem LSG könne darin gefolgt werden, dass die einzige für die KAL hier in Betracht kommende Anspruchsgrundlage (§ 239 Abs 1 Satz 1 Nr 2 ≪Alternative 2≫ Buchst a iVm § 239 Abs 1 Satz 2 SGB VI) – bis auf die Wartezeit – erfüllt sei. Die Gleichstellung des Bezugs einer Bergmannsvollente mit dem Bezug von Anpassungsgeld nach § 239 Abs 1 Satz 2 SGB VI betreffe indes nicht die Anrechenbarkeit auf die Wartezeit nach § 239 Abs 2 Nr 2 SGB VI. Systematisch und nach dem Wortlaut beziehe sich die Gleichstellungsregelung des § 239 Abs 1 Satz 2 SGB VI auf Absatz 1 Nr 2 und nicht auf Absatz 2 des § 239 SGB VI. Wäre eine Gleichstellung auch im Rahmen der Regelung des § 239 Abs 2 Nr 2 SGB VI gewollt gewesen, wäre dies zum Ausdruck gebracht worden. Für ein Versehen des Gesetzgebers bestehe kein Anhalt. § 239 Abs 2 Nr 2 SGB VI bestimme ausdrücklich, dass nur “Anrechnungszeiten wegen Bezugs von Anpassungsgeld …” auf die Wartezeit anrechenbar seien. Die Zeit des Bezugs von Bergmannsvollrente sei aber keine Anrechnungszeit. Um das vom LSG angestrebte Ziel zu erreichen, müsste erst die Zeit des Bezugs einer Bergmannsvollrente zu einer Anrechnungszeit “gemacht” werden, womit die Grenzen einer Analogie überschritten würden. Die Gleichstellungsregelung des § 239 Abs 1 Satz 2 SGB VI erschöpfe sich deshalb darin, eine Art “Überbrückungstatbestand” für die KAL zu schaffen, wonach es für die Bezieher einer Bergmannsvollrente, die bereits eine Beschäftigung unter Tage von 25 Jahren zurückgelegt hatten, nicht unbedingt erforderlich sei, bis zur Vollendung des 55. Lebensjahres in einem knappschaftlichen Betrieb beschäftigt gewesen zu sein.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 28. November 2001 hinsichtlich des noch streitigen Zeitraums von März 1997 bis Januar 1998 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 26. August 1998 insoweit zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er trägt vor, eine ausdrückliche Erstreckung der Gleichstellung der Bezugszeiten von Anpassungsgeld und Bergmannsvollrente nach § 239 Abs 1 Satz 2 SGB VI auf die Regelung des § 239 Abs 2 Nr 2 SGB VI sei nicht erforderlich gewesen. Innerhalb einer Sonderregelung sei es ausreichend, die Gleichstellung im Grundtatbestand der Norm für den Bezug der KAL, also in § 239 Abs 1 SGB VI, zu regeln. Eine solche Auslegung gebiete die vom Gesetzgeber beabsichtigte Gleichbehandlung der Bergleute im Beitrittsgebiet mit Versicherten aus den alten Bundesländern. Die Klage werde auf den Zeitraum von März 1997 bis Januar 1998 beschränkt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist hinsichtlich des noch streitigen Zeitraums unbegründet. Das LSG hat ohne Rechtsverstoß die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG sowie der streitgegenständlichen Bescheide verurteilt, dem Kläger die KAL “nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen”, also dem Grunde nach, zu gewähren. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen für einen Anspruch auf KAL gemäß § 239 Abs 1 Satz 1 Nr 2 (Alternative 2) Buchst a SGB VI.
1. In der Regel erhalten Versicherte auf Antrag die KAL, wenn sie nach Vollendung des 55. Lebensjahres aus einem knappschaftlichen Betrieb ausscheiden und die weiteren in § 239 Abs 1 Satz 1 Nr 1, § 239 Abs 1 Satz 1 Nr 2 (Alternative 1) und § 239 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB VI genannten Voraussetzungen erfüllen. Diese Vorschriften sind von vornherein nicht einschlägig, denn der Kläger ist nicht nach Vollendung des 55. Lebensjahres aus einem knappschaftlichen Betrieb ausgeschieden.
Ausnahmsweise wird KAL bereits bei einem Ausscheiden aus einem knappschaftlichen Betrieb nach Vollendung des 50. Lebensjahres aus Gründen, die nicht in der Person des Versicherten liegen, gewährt, wenn der Versicherte bis zur Vollendung des 55. Lebensjahres Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen hat und entweder die Wartezeit von 25 Jahren mit Beitragszeiten auf Grund einer Beschäftigung unter Tage erfüllt (§ 239 Abs 1 Satz 1 Nr 2 ≪Alternative 2≫ Buchst a SGB VI) oder mit (schlichten) Beitragszeiten erfüllt, wenn er (zuletzt) eine Beschäftigung unter Tage ausgeübt hat und diese Beschäftigung wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung aufgeben musste (§ 239 Abs 1 Satz 1 Nr 2 ≪Alternative 2≫ Buchst b SGB VI). Bei Anwendung dieser Regelungen steht dem Bezug von Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus der Bezug der Bergmannsvollrente für längstens fünf Jahre gleich (§ 239 Abs 1 Satz 2 SGB VI, eingefügt durch Art 1 Nr 54a RÜG).
2.a) Das LSG ist rechtsfehlerfrei, und hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen für den Senat bindend, davon ausgegangen, dass der Kläger – ungeachtet der Wartezeit von 25 Jahren mit Beitragszeiten auf Grund einer Beschäftigung unter Tage – die Voraussetzungen für den Bezug der KAL nach § 239 Abs 1 Satz 1 Nr 2 (Alternative 2) Buchst a SGB VI iVm § 239 Abs 1 Satz 2 SGB VI erfüllt. Denn er ist mit der Kündigung durch den Arbeitgeber aus Gründen, die nicht in seiner Person lagen, am 31. Dezember 1991 nach Vollendung seines 50. Lebensjahres (22. Januar 1988) aus einem knappschaftlichen Betrieb ausgeschieden, und er hat seitdem bis zur Vollendung des 55. Lebensjahres (22. Januar 1993) die dem Anpassungsgeld gleichgestellte Bergmannsvollrente und nach deren Umwertung ab 1. Januar 1992 die Rente für Bergleute mit Auffüllbetrag erhalten. Dies wird von der Revision auch nicht beanstandet.
b) Der Kläger hat aber auch – wie vom LSG zu Recht ausgeführt worden ist – mit Ablauf des Monats September 1994 die Wartezeit von 25 Jahren “mit Beitragszeiten auf Grund einer Beschäftigung unter Tage” erfüllt, so dass die KAL auf Grund seines Antrags vom 27. Februar 1992 ab Beginn des Folgemonats (vgl § 239 Abs 3 SGB VI) dem Grunde nach zu gewähren war. Nach der teilweisen Klagerücknahme ist allerdings nur noch der Zeitraum von März 1997 bis Januar 1998 streitbefangen.
Bis zu seinem Ausscheiden aus dem knappschaftlichen Betrieb zum 31. Dezember 1991 hatte der Kläger nach den unstreitigen Feststellungen des LSG 267 Monate Beitragszeiten in einem bergbaulichen Betrieb der DDR auf Grund “überwiegend unter Tage” ausgeübter Tätigkeiten zurückgelegt, die nach § 254a SGB VI “ständigen Arbeiten unter Tage” und damit erst recht einer “Beschäftigung unter Tage” gleichgestellt sind. Die fehlenden 33 Monate für die Wartezeit von 25 Jahren (300 Monate) werden durch die Anrechnung der Zeit des Bezugs von Bergmannsvollrente bzw der Rente für Bergleute mit Auffüllbetrag in der Zeit von Januar 1992 bis einschließlich September 1994 erreicht (wie hier auch Jörg in Kreikebohm, Komm SGB VI, 1. Aufl. 1997, § 239 RdNr 14; May in Wannagat, Komm SGB VI, Stand Juni 1997, § 239 RdNr 20 und 21).
Rechtsgrundlage hierfür ist die Gleichstellung des Bezugs von Anpassungsgeld mit dem Bezug der Bergmannsvollrente für längstens fünf Jahre nach § 239 Abs 1 Satz 2 SGB VI iVm § 239 Abs 2 Nr 2 SGB VI. Nach der letztgenannten Vorschrift werden “Anrechnungszeiten wegen Bezugs von Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus” auf die Wartezeit nach § 239 Abs 1 (Satz 1) Nr 2 Buchst a SGB VI dann angerechnet, wenn zuletzt eine Beschäftigung unter Tage ausgeübt worden ist. Damit wird zu Gunsten von Bergleuten, welche die Wartezeit für die KAL nicht mehr erreichen konnten, weil sie nach Vollendung des 50. Lebensjahres aus einem knappschaftlichen Betrieb betriebsbedingt ausgeschieden sind und deshalb unverschuldet keine Tätigkeit unter Tage mehr verrichten konnten, die fehlende Zeit einer Beschäftigung unter Tage für die Höchstdauer des Bezugs von Anpassungsgeld (fünf Jahre) fingiert.
Dieses gesetzgeberische Ziel gilt in gleicher Weise für die Bezieher einer Bergmannsvollrente, die bereits nach Vollendung des 50. Lebensjahres und einer Untertagetätigkeit von 15 Jahren gewährt werden konnte (vgl Art 2 § 6 RÜG). Auch dieser Personenkreis war in der Zeit nach der Wende von Umstrukturierungsmaßnahmen betroffen und hatte zum Großteil die Wartezeit für die KAL von 25 Jahren einer Beschäftigung unter Tage noch nicht erfüllt. Die Einfügung des § 239 Abs 1 Satz 2 SGB VI durch Art 1 Nr 54a RÜG
“ermöglicht Bergleuten in den neuen Bundesländern den Zugang zur Knappschaftsausgleichsleistung in den Fällen, in denen die Entlassung aus dem knappschaftlichen Betrieb nach Vollendung des 50., aber vor Vollendung des 55. Lebensjahres erfolgt. Dieses Ergebnis wird durch die Gleichstellung des Bezuges der Bergmannsvollrente mit dem Bezug von Anpassungsgeld erreicht; und zwar unabhängig davon, ob sie bei Aufgabe der knappschaftlichen Tätigkeit in den alten Bundesländern Anpassungsgeld hätten beziehen können. Diese von den Voraussetzungen für das Anpassungsgeld losgelöste Fiktion ist erforderlich, weil ansonsten Bergleuten in den neuen Bundesländern außerhalb des Steinkohlenbergbaus, den es dort nicht gibt, der Zugang zur KAL weiterhin versperrt bliebe. Die Gleichstellung ist auf längstens fünf Jahre beschränkt, weil eine über fünf Jahre hinausgehende Bezugszeit von Anpassungsgeld nicht möglich ist” (BT-Drucks 12/826 S 16 zu Nr 51a ≪§ 239≫ Buchst a des Entwurfs).
c) Die gegenteilige Rechtsansicht der Beklagten vermag den Senat nicht zu überzeugen.
Die Beklagte legt die einschlägige Vorschrift so aus, dass nur die Bezieher von Bergmannsvollrente, die im Alter zwischen Vollendung des 50. und Vollendung des 55. Lebensjahres bereits zur Zeit des betriebsbedingten Ausscheidens aus einem bergbaulichen Betrieb der DDR die Wartezeit von 25 Jahren einer Beschäftigung unter Tage erfüllt hatten, in den Genuss der KAL kommen. Eine derartige Gleichstellung bliebe jedoch auf halbem Wege stehen und würde das in den Materialien zum Ausdruck gekommene gesetzgeberische Ziel nur teilweise erreichen. Denn ein Bergmann in den alten Bundesländern mit völlig identischem Versicherungsverlauf hätte nach betriebsbedingter Aufgabe der Untertagetätigkeit ab 1. Januar 1992 die auf längstens fünf Jahre begrenzte Ausgleichsleistung bezogen und ab 1. Oktober 1994 Anspruch auf KAL gehabt (vgl im Einzelnen Haupenthal in Kompaß 1995, 85 ff).
Ein Versehen des Gesetzgebers oder eine – ergänzungsbedürftige – Lücke der gesetzlichen Regelung liegt nicht vor. Im Gegenteil: Aus der Begrenzung der Gleichstellung auf längstens fünf Jahre in § 239 Abs 1 Satz 2 SGB VI folgt, dass auch die Erfüllung der Wartezeit (nach § 239 Abs 2 Nr 2 SGB VI) mit einer weiteren höchstmöglichen fiktiven Zeit der Beschäftigung unter Tage von fünf Jahren im Blick des Gesetzgebers lag. Wäre nämlich nur eine Gleichstellung innerhalb des Tatbestandes des § 239 Abs 1 Satz 1 (Alternative 2) Buchst a und b SGB VI beabsichtigt gewesen, hätte es dieser zeitlichen Begrenzung nicht bedurft. Denn dieser Überbrückungstatbestand betrifft stets die Zeitspanne des Bezugs von Anpassungsgeld zwischen Vollendung des 50. und 55. Lebensjahres, also höchstens 5 Jahre – vom Tage seiner Entlassung an gerechnet. Dagegen macht die zeitliche Begrenzung der Gleichstellung bei einer Erstreckung auf den weiteren Zeitenerwerb nach § 239 Abs 2 Nr 2 SGB VI Sinn. Sie verhindert, wie in der Gesetzesbegründung hervorgehoben, eine Besserstellung gegenüber den Anpassungsgeldbeziehern in den alten Bundesländern.
Für den fiktiven Erwerb von Zeiten einer Untertagetätigkeit durch den Bezug einer Bergmannsvollrente ist es unerheblich, dass § 239 Abs 2 Nr 2 SGB VI von “Anrechnungszeiten wegen Bezugs von Anpassungsgeld …” spricht und die Bezugszeit einer Bergmannsvollrente keine Anrechnungszeit nach § 252a SGB VI ist. Entscheidend ist, dass inhaltlich das Rentenreformgesetz (RRG) 1992 die Fiktion einer Beschäftigung unter Tage wegen Bezugs von Anpassungsgeld ohne Änderung des bis 31. Dezember 1991 geltenden Rechts übernommen hat (vgl BT-Drucks 11/4124 S 198 zu § 234 des Entwurfs zum RRG 1992). Soweit im Gegensatz zu § 98a Abs 1a Satz 2 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) nunmehr § 239 Abs 2 Nr 2 SGB VI nicht nur von Zeiten des Bezugs von Anpassungsgeld, sondern von “Anrechnungszeiten wegen Bezugs von Anpassungsgeld …” spricht, hat dies lediglich redaktionelle Gründe, die nur die in den alten Bundesländern Versicherten betreffen und deshalb für den Gleichstellungstatbestand des § 239 Abs 1 Satz 2 SGB VI ohne Bedeutung sind. Denn ab 1. Januar 1992 sind sowohl die Zeiten des Bezugs von Anpassungsgeld wie auch der KAL Anrechnungszeiten (§ 252 Abs 1 Nr 1 und 2 SGB VI). Dies ist ua darauf zurückzuführen, dass für die KAL die Regelungen über den Hinzuverdienst nach § 34 Abs 3 Nr 1 SBG VI gelten (§ 239 Abs 3 Satz 5 SGB VI idF ab 1. Januar 1992 durch Art 1 Nr 54b RÜG) und es der Gesetzgeber den Versicherten nicht zumuten wollte, sich (für den Erhalt der Bezugszeiten von Anpassungsgeld und KAL als Anrechnungszeit) einerseits dem Arbeitsamt für eine vollschichtige Tätigkeit zur Verfügung zu stellen, andererseits aber den Anspruch auf die KAL zu gefährden (vgl Beschluss des Senats vom 13. Mai 1998 – B 8 KN 8/97 B –, veröffentlicht in JURIS).
Schließlich steht der Anrechnung weiterer Beschäftigungszeiten unter Tage bei Bezug einer Bergmannsvollrente nach § 239 Abs 2 Nr 2 SGB VI weder die systematische Stellung der Gleichstellungsregelung des § 239 Abs 1 Satz 2 SGB VI innerhalb der Gesamtnorm noch die Erwähnung der Nr 2 des § 239 Abs 1 Satz 1 SGB VI in § 239 Abs 1 Satz 2 SGB VI entgegen. Das Gegenteil ist aus der Gesamtschau der Einzelregelungen der Norm abzuleiten. Denn systematisch sind sämtliche Anspruchsvoraussetzungen für die KAL – einschließlich des Erfordernisses einer Wartezeit von 25 Jahren – in § 239 Abs 1 Satz 1 “Nr 2” SGB VI geregelt. Die Gleichstellung des Bezugs einer Bergmannsvollrente mit dem Bezug von Anpassungsgeld “nach Nummer 2” in § 239 Abs 1 Satz 2 SGB VI bezieht sich deshalb nicht nur auf den Bezug von Anpassungsgeld nach § 239 Abs 1 Satz 1 “Nr 2” SGB VI, sondern auch auf die ergänzenden in Abs 2 folgenden Passagen der Norm, in denen von Bezugszeiten von Anpassungsgeld zur Anrechnung auf die Wartezeit “nach Abs 1 Nr 2” die Rede ist. § 239 Abs 2 Nr 2 SGB VI gewährt (vorausgesetzt, es ist zuletzt eine Beschäftigung unter Tage ausgeübt worden) bei Bezug von Anpassungsgeld fiktive auf die Wartezeit nach “Abs 1 Satz 1 Nr 2” anrechenbare Zeiten einer Untertagetätigkeit. Gesetzestechnisch erfolgt damit eine Rückverweisung auf § 239 Abs 1 Satz 1 “Nr 2” SGB VI, der wiederum durch den später eingefügten § 239 Abs 1 Satz 2 SGB VI eine Erweiterung erfahren hat.
d) Entgegen der Ansicht des SG endet die Anrechnung weiterer Zeiten einer Beschäftigung unter Tage nach § 239 Abs 2 Nr 2 SGB VI nicht mit Vollendung des 55. Lebensjahres des Klägers. Vielmehr genügt es, wenn der Bezug des Anpassungsgeldes – und damit gleichgestellt der Bezug einer Bergmannsvollrente bzw der Folgerente – zwischen der Vollendung des 50. und der des 55. Lebensjahres beginnt. In diesem Falle wird die gesamte Zeit des Anpassungsgeldbezuges von fünf Jahren – und für die Höchstdauer der Gleichstellung von fünf Jahren nach § 239 Abs 1 Satz 2 SGB VI auch die Bezugszeit einer Bergmannsvollrente –, also auch die über das 55. Lebensjahr hinausgehende Zeit, auf die Wartezeit angerechnet. Dies entsprach bereits der Verwaltungspraxis bis 31. Dezember 1991 zu § 98a Abs 1a Satz 2 RKG (vgl Schimanski/Emmerich/Warode/Lueg, Komm zur Knappschaftsversicherung, § 98a RKG Anm 14a, Stand Dezember 1987). Der Grund hierfür liegt auf der Hand: Der Tag des betriebsbedingten Ausscheidens aus einem knappschaftlichen Betrieb in der relevanten Zeitspanne zwischen Vollendung des 50. und 55. Lebensjahres kann vom Versicherten nicht gesteuert werden. Andererseits wird fingiert, dass er während der ganzen weiteren Bezugszeit von Anpassungsgeld für höchstens fünf Jahre – hier der gleichgestellten Bezugszeit von Bergmannsvollrente bzw der Folgerente (Rente für Bergleute – vgl § 302a Abs 4 SGB VI) für die Dauer von höchstens fünf Jahren – weiterhin unter Tage tätig gewesen wäre (vgl Pott in GemeinschaftsKomm-SGB VI, Stand Dezember 1998, § 239 RdNr 19; VerbandsKomm, Stand April 1993, § 239 RdNr 19 und Stand Juni 2002, § 239 RdNr 8; Störmann in GesamtKomm, Stand März 2002, § 239 Nr 10).
e) Für die Gleichstellung ist unerheblich, dass die Bergmannsvollrente dem Kläger bereits seit 1. Januar 1988 gezahlt wurde, er aber erst am 31. Dezember 1991 durch Kündigung von Seiten des Arbeitgebers aus einem knappschaftlichen Betrieb ausgeschieden ist. Entscheidend ist allein, dass im Anschluss an die betriebsbedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses Bergmannsvollrente bzw die Folgerente nach dem SGB VI gezahlt wurde. Denn wenn § 239 Abs 1 Satz 1 Nr 2 (Alternative 2) Buchst a SGB VI vom Bezug von Anpassungsgeld im Anschluss an die Entlassung aus dem Betrieb spricht, kann sich die Gleichstellung des Bezugs von Bergmannsvollrente nach § 239 Abs 1 Satz 2 SGB VI nur auf diesen Zeitraum beziehen.
f) Schließlich hat es das LSG zu Recht bei Anwendung des § 239 Abs 2 Nr 2 SGB VI als unerheblich angesehen, dass der Kläger tatsächlich nur bis zum 30. April 1991 unter Tage tätig gewesen ist und in der anschließenden Zeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf “Kurzarbeit Null” (Dauerkurzarbeit gemäß den §§ 63 ff Arbeitsförderungsgesetz ≪AFG≫) gesetzt war. Soweit § 239 Abs 2 Nr 2 SGB VI für die Anrechnung einer Bezugszeit von Anpassungsgeld (hier: Bergmannsvollrente) auf die Wartezeit nach § 239 Abs 1 Satz 1 Nr 2 (Alternative 2) Buchst a SGB VI das zusätzliche Erfordernis aufstellt, dass “zuletzt” eine Beschäftigung unter Tage ausgeübt worden ist, bezieht sich dies auf die tatsächliche Arbeitsleistung vor dem Ausscheiden. Dazwischenliegende Zeiträume zB wegen Krankheit, Urlaubs und auch – wie hier – Kurzarbeit stehen dem nicht entgegen, weil es sonst von Zufälligkeiten abhängen würde, ob eine Anrechnung der Bezugszeiten von Anpassungsgeld auf die Wartezeit erfolgt (so, speziell für die Dauerkurzarbeit, Störmann aaO).
3. Das LSG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, dem Kläger ab 1. Oktober 1994 “nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen” KAL zu gewähren, also ein Grundurteil nach § 130 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gefällt. Die Voraussetzungen hierfür sind jedenfalls für den noch streitigen Zeitraum von März 1997 bis Januar 1998 gegeben, denn nach der – auf Anregung des Senats erstellten – fiktiven Probeberechnung der Beklagten steht fest, dass sich insoweit nach den Berechnungsvorschriften des § 239 Abs 3 SGB VI ein Zahlbetrag ergibt. Zu beachten ist allerdings in Ausführung des Urteils die Regelung des § 239 Abs 3 Satz 5 SGB VI, wonach neben der KAL eine Rente aus eigener Versicherung (bis 31. Januar 1998 Rente für Bergleute, erhöht um den Auffüllbetrag) nicht geleistet wird. Auch die Anrechnung der außerdem vom Kläger zeitgleich bezogenen Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung richtet sich nach den für die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit geltenden Vorschriften (vgl § 93 SGB VI). Weiter bestehen ggf Erstattungsansprüche der Arbeitsverwaltung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 954174 |
NJ 2003, 503 |
NZS 2003, 598 |
SozR 4-2600 § 239, Nr. 1 |