Leitsatz (amtlich)
Wird ein Versicherter, der nach Stellung des Antrags auf Bewilligung von Altersruhegeld seine der Pflichtversicherung unterliegende Beschäftigung fortsetzt, vor Zustellung des Rentenbescheides arbeitsunfähig krank und wird ihm während des Krankengeldbezuges Altersruhegeld von einem Zeitpunkt an bewilligt, der vor dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit liegt, so hat er Anspruch auf Krankengeld bis zu 6 Wochen, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an.
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach der Ausnahmevorschrift des RVO § 183 Abs 4 steht neben dem Altersruhegeld ein Anspruch auf Krankengeld bis zu 6 Wochen zu, wenn der Versicherte erst nach dem Zeitpunkt des Beginns des Altersruhegeldes als versicherter Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt ist.
2. RVO § 182 Abs 1 Nr 2 S 2 gilt nur für solche Rentner und Rentenbewerber, die nach RVO § 165 Abs 1 Nr 3 oder RVO § 165 Abs 1 Nr 4 versichert sind.
"Zubilligung der Rente iS des RVO § 183 Abs 3 ist der Beginn der Rente, d h der Zeitpunkt, von dem an Rente zu zahlen ist.
"Anspruch auf Krankengeld" iS des RVO § 183 Abs 3 S i ist der Anspruch ohne Rücksicht darauf, ob Krankengeld schon gezahlt wurde. RVO § 183 Abs 4 ist eine Ergänzungsvorschrift des RVO § 183 Abs 3, so daß für ein und denselben Tatbestand beide Vorschriften zur Anwendung kommen, es sei denn, daß der Anspruch auf Krankengeld vor dem Beginn der Rente entstanden ist.
RVO § 183 Abs 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Anspruch auf Krankengeld in der Zeit vom Beginn der Rente bis zur Zustellung des Rentenbescheides entstanden ist; der Anspruch nach RVO § 183 Abs 4 (vgl Abs 3 und 5) wird dadurch jedoch nicht berührt, so daß der Anspruch auf Rente erst nach Ablauf der 6. Woche des Krankengeldbezuges auf die Krankenkasse übergeht.
Der Ausdruck "Bezug" der Rente im RVO § 183 Abs 4 umfaßt einen Zeitraum, dessen Anfang durch den Beginn der Rente (aVG § 67, RVO § 1290) und dessen Ende durch den Wegfall oder die Entziehung der Rente bestimmt ist, so daß RVO § 183 Abs 4 alle Fälle erfaßt, in denen der Anspruch auf Krankengeld in einer Zeit entsteht, in der entweder die Rente schon gezahlt wird oder für die ein Anspruch auf Rente besteht.
Normenkette
RVO § 165 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-07-27, Nr. 4 Fassung: 1957-07-27, § 183 Abs. 4 Fassung: 1930-07-26, Abs. 5 S. 1 Fassung: 1930-07-26, § 182 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Fassung: 1957-06-26, § 183 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1930-07-26, § 1290 Fassung: 1957-02-23; AVG § 67 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 10. April 1962 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß das angefochtene Urteil zu Ziffer 2) dahin geändert wird, daß die Beklagte den Klägerinnen für den verstorbenen Rentner Heinrich H über den 26. Oktober 1961 hinaus Krankengeld für insgesamt längstens sechs Wochen zu zahlen hat.
Die Beklagte hat den Klägerinnen die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der Rechtsstreit betrifft die Dauer des Krankengeldanspruchs eines Versicherten, dem während des Bezugs von Krankengeld ein Bescheid über die rückwirkende Zahlung von Altersruhegeld zugestellt worden ist.
Der am 20. Mai 1896 geborene - im Laufe des Revisionsverfahrens gestorbene - Kläger Heinrich H (H.) der noch bis zu seiner Erkrankung im Oktober 1961 eine der Versicherungspflicht unterliegende Beschäftigung ausgeübt hat, beantragte am 26. Januar 1961 die Gewährung des Altersruhegeldes, das ihm durch Bescheid der Landesversicherungsanstalt (LVA) Oberbayern vom 16. Oktober 1961 vom 1. Mai 1961 an zugebilligt wurde. Nachdem der Versicherte am 4. Oktober 1961 arbeitsunfähig erkrankt war, zahlte ihm die beklagte Kasse bis zum 26. Oktober 1961 Krankengeld und stellte die weitere Zahlung unter Hinweis auf § 183 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vom 12. Juli 1961 (BGBl I 913) ein.
Der Widerspruch, mit dem der Versicherte geltend machte, ihm stehe Krankengeld für längstens sechs Wochen zu, weil nicht § 183 Abs. 3, sondern § 183 Abs. 4 RVO idF des Gesetzes vom 12. Juli 1961 anzuwenden sei, wurde mit Bescheid vom 29. Dezember 1961 zurückgewiesen. H. erhob Klage beim Sozialgericht (SG) München und beantragte, den Bescheid der Beklagten vom 23. November 1961 idF des Widerspruchsbescheides vom 29. November 1961 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Krankengeld vom 27. Oktober 1961 an für längstens sechs Wochen vom Eintritt der Arbeitsunfähigkeit an (4.10.1961) zu zahlen.
Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage, weil nach ihrer Auffassung nicht Abs. 4 des § 183 RVO nF, sondern Abs. 3 anzuwenden sei. Nachdem der Vertreter der Beklagten erklärt hatte, daß auf Grund einer vertrauensärztlichen Beurteilung mit der Arbeitsfähigkeit des Versicherten zunächst nicht zu rechnen sei, gab das SG der Klage statt und begründete seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt: § 183 RVO nF regele in den Absätzen 3, 4 und 5, inwieweit eine Rentengewährung Einfluß auf die Zahlung des Krankengeldes habe. Während die Absätze 3 und 5 auf Versicherte anzuwenden seien, denen während der Arbeitsunfähigkeit Rente zugebilligt werde, gelte Abs. 4 für beschäftigte Empfänger von Arbeitsunfähigkeitsrente und von Altersruhegeld. Der Versicherte H. sei im Zeitpunkt des Rentenbeginns (1.5.1961) noch nicht arbeitsunfähig gewesen und habe daher noch kein Krankengeld bezogen. Deshalb sei § 183 Abs. 3 RVO nicht anwendbar, vielmehr sei § 183 Abs. 4 RVO maßgebend, wonach dem Versicherten, der schon Altersruhegeld beziehe, im Falle der Erkrankung ein Anspruch auf Krankengeld bis zu sechs Wochen zustehe. Zwar habe H. während des Krankengeldbezugs die laufende Rente noch nicht erhalten; er könne aber wegen der späteren rückwirkenden Bewilligung der Rente nicht schlechter gestellt werden als der Versicherte, der während des Rentenbezugs arbeitsunfähig erkranke. Das Gesetz billige einem beschäftigten Altersrentner bei Arbeitsunfähigkeit, die nach dem Beginn der Rente eintrete, in jedem Falle Krankengeld für längstens sechs Wochen zu, ohne Rücksicht darauf, wann die Rente bewilligt und daher tatsächlich schon bezogen worden sei.
Das SG hat die Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) hat mit Einwilligung des Versicherten H., dessen Töchter nach seinem Tode als gesetzliche Erben den Rechtsstreit fortsetzen, Sprungrevision eingelegt. Sie beantragt, das Urteil des SG München vom 10. April 1962 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Zur Begründung der Revision trägt die beklagte AOK im wesentlichen vor: Nach § 183 Abs. 3 RVO nF ende der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tage, von dem an der Träger der Rentenversicherung Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Altersruhegeld zubillige. Unter Zubilligung der Rente sei nach übereinstimmender Meinung deren Beginn und nicht die Zustellung des Rentenbescheids zu verstehen. Die Auffassung des SG, daß unter "Anspruch auf Krankengeld" nur der konkrete, am Tage der Rentenzubilligung schon bewilligte Anspruch zu verstehen sei, entspreche nicht dem Sinn des Gesetzes. Nach § 183 Abs. 3 RVO nF ende mit dem Tage der Rentenzubilligung nicht nur der laufende Anspruch auf Krankengeld, sondern der Anspruch auf Krankengeld schlechthin, so daß im Rahmen des § 183 Abs. 3 RVO nF nach dem Tage der Rentenzubilligung auch kein Anspruch auf Krankengeld entstehen könne. Das nach diesem Zeitpunkt gezahlte Krankengeld könne kraft ausdrücklicher Vorschrift (§ 183 Abs. 3 Satz 2 und 3 RVO nF) nicht zurückgefordert werden; es trete vielmehr ein gesetzlicher Forderungsübergang ein, so daß der Versicherte im Regelfalle das Krankengeld behalte und der Anspruch auf die oft wesentlich niedrigere Rente auf die Kasse übergehe. Für diese Auslegung des § 183 Abs. 3 RVO nF spreche auch die Entstehungsgeschichte. Der Entwurf des Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - KVNG - habe angestrebt, den Empfängern von Altersruhegeld und Erwerbsunfähigkeitsrente keinen Anspruch auf Krankengeld zuzubilligen (§ 200 Abs. 1 des Entwurfs zum KVNG). Der ursprüngliche Entwurf des Änderungs- und Ergänzungsgesetzes habe ebenfalls die Absicht verfolgt, den Krankengeldanspruch dieses Personenkreises generell wegfallen zu lassen; er habe § 200 Abs. 1 des Entwurfs des KVNG als § 183 Abs. 3 RVO nF wörtlich übernommen. Der sozialpolitische Ausschuß habe jedoch noch nachträglich § 183 Abs. 4 RVO nF eingefügt. Dies sei nur geschehen, um den beschäftigten Erwerbsunfähigkeitsrentnern und Altersruhegeldempfängern einen Anspruch auf Krankengeld für sechs Wochen neu zuzubilligen. Die Voraussetzungen des § 183 Abs. 4 RVO lägen nur dann vor, wenn der Versicherte nach Zustellung des Rentenbescheides weiterhin eine Beschäftigung ausübe und dann arbeitsunfähig erkranke.
Die Rechtsnachfolger des Versicherten H. beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend. Nach ihrer Auffassung bezieht sich § 183 Abs. 3 RVO nF auf Fälle, in denen der Rentner bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sei, während Abs. 4 den Krankengeldanspruch derjenigen Rentner regele, die zwar Erwerbsunfähigkeitsrente oder Altersruhegeld erhielten, aber gleichwohl eine der Versicherungspflicht unterliegende Beschäftigung ausübten und arbeitsunfähig würden. Zum Kreise dieser Rentner gehöre auch der Versicherte H., der seine der Versicherungspflicht unterliegende Beschäftigung fortgesetzt habe, obgleich ihm bei Stellung des Antrags auf Bewilligung des Altersruhegeldes klar gewesen sei, daß er vom 1. Mai 1961 an mit dem Beginn der Rente rechnen könne.
II.
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Anspruch auf Krankengeld für einen Zeitraum von weniger als 13 Wochen. Die Berufung war daher an sich nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen. Da das SG die Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache jedoch zugelassen hat (§ 150 Abs. 1 Nr. 1 SGG), bestehen gegen die Zulässigkeit der von der beklagten AOK eingelegten Sprungrevision keine Bedenken (§ 161 SGG; BSG 1, 69). Die Revision ist auch form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig begründet worden. Sie ist jedoch sachlich nicht begründet; das angefochtene Urteil ist im Ergebnis zutreffend.
Die Beteiligten streiten darüber, welchen Einfluß das durch den Bescheid vom 16. Oktober 1961 mit Wirkung vom 1. Mai 1961 gewährte Altersruhegeld auf den Krankengeldanspruch des im Laufe des Revisionsverfahrens gestorbenen früheren Klägers H. gehabt hat.
Nach den Feststellungen des SG hatte H., der am 20. Mai 1961 das 65. Lebensjahr vollendet hat, am 26. Januar 1961 die Gewährung des Altersruhegeldes beantragt. Er hat aber die der Versicherungspflicht unterliegende Beschäftigung weiterhin ausgeübt und ist am 4. Oktober 1961 arbeitsunfähig erkrankt. H. gehörte somit im Zeitpunkt seiner Erkrankung, obgleich er einen Antrag auf Altersruhegeld gestellt hatte, nicht zu den nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO versicherten Rentenbewerbern, sondern zum Kreise der nach § 165 Abs. 1 Nr. 1 RVO versicherungspflichtigen Arbeitnehmer (§ 165 Abs. 6 RVO). Deshalb stand seinem Anspruch auf Krankengeld die Vorschrift des § 182 Abs. 1 Nr. 2 letzter Satz RVO idF des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vom 12. Juli 1961 - BGBl I 913 - (Novelle zum Leistungsverbesserungsgesetz), die sich auf die in § 165 Abs. 1 Nr. 3 und 4 bezeichneten Versicherten bezieht, nicht entgegen. Die in dem schriftlichen Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (BT-Drucks., 3. Wahlperiode Nr. 2748) unter Abschnitt A auf Seite 3 vertretene Auffassung, die Praxis habe sich bisher mit § 311 RVO "beholfen", um beschäftigten Rentnern Krankengeld zahlen zu können, beruht, worauf Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung S. 396 g und Siebeck/Töns, Neues Leistungsrecht in der Krankenversicherung, August 1961 S. 191, 192 mit Recht hinweisen, auf einer Verkennung der Rechtslage.
Nach § 183 Abs. 3 RVO idF der Novelle zum Leistungsverbesserungsgesetz endet der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tage, von dem an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Altersruhegeld von einem Träger der Rentenversicherung zugebilligt wird. Ist über diesen Zeitpunkt hinaus Krankengeld gezahlt worden, so geht der Anspruch auf Rente bis zur Höhe des gezahlten Krankengeldes auf die Kasse über, im übrigen verbleibt dem Rentner der überzahlte Betrag des Krankengeldes. In Ergänzung dieser Vorschrift schreibt § 183 Abs. 4 RVO idF der Novelle zum Leistungsverbesserungsgesetz vor, daß jedoch ein Anspruch auf Krankengeld bis zu sechs Wochen - gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an - besteht, wenn während des Bezuges von Erwerbsunfähigkeitsrente oder Altersruhegeld Krankengeld gewährt wird.
Unter dem Begriff "Zubilligung der Rente" im Sinne des § 183 Abs. 3 RVO ist - in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung - der Beginn der Rente, d. h. der Zeitpunkt, von dem an die Rente zu zahlen ist, zu verstehen (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand Januar 1963 Bd. II S. 396 i mit weiteren Hinweisen). Wäre unter "Zubilligung" das Datum des Rentenbescheids oder der Tag seiner Zustellung an den Versicherten gemeint, so hätten die Worte "mit dem Tage, von dem an Rente ... zugebilligt wird" keinen Sinn. Für diese Auffassung spricht auch § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO nF, wonach der Rentenanspruch bis zur Höhe des gezahlten Krankengeldes auf die Kasse übergeht, wenn Krankengeld über den Zeitpunkt der Zubilligung hinaus gezahlt worden ist. Wäre der Zeitpunkt der Zustellung des Rentenbescheides maßgebend, so kämen Überzahlungen des Krankengeldes kaum in Betracht.
Die Auslegung des Begriffs "Anspruch auf Krankengeld" im Sinne des § 183 Abs. 3 Satz 1 ist nur unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Vorschrift unter Heranziehung der Entstehungsgeschichte möglich. Nach der amtlichen Begründung zu § 200 des nicht mehr verabschiedeten Entwurfs eines Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (BT-Drucks., 3. Wahlperiode Nr. 1540) - dessen Absätze 1 und 2 im wesentlichen den Absätzen 3 und 5 des § 183 RVO nF entsprechen - sollte aus der Erwägung, daß längere Arbeitsunfähigkeit vielfach zur Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit führt, die Leistungsansprüche gegen die Rentenversicherung auslösen können, sichergestellt werden, daß nicht aus beiden Versicherungszweigen - Krankenversicherung und Rentenversicherung - Leistungen nebeneinander gewährt werden, denen gleichermaßen die Funktion des Lohnersatzes zukommt. In dem schriftlichen Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik des Bundestages zum Entwurf der Novelle zum Leistungsverbesserungsgesetz (BT-Drucks., 3. Wahlperiode Nr. 2748) ist ausgeführt, daß bei der Ausdehnung der Bezugsdauer des Krankengeldes, wie sie der Entwurf vorsehe, die Weitergewährung des Krankengeldes - bei Anwendung des § 311 RVO - zu Ergebnissen führen würde, die für die Krankenkassen finanziell nicht mehr tragbar und sozialpolitisch gesehen kaum vertretbar wären. Es erscheine dem Ausschuß aber zu weitgehend, den Alters- und Erwerbsunfähigkeitsrentner vom Krankengeldbezug generell auszuschließen. Der Versicherte, dem während seiner Arbeitsunfähigkeit Altersruhegeld oder eine Erwerbsunfähigkeitsrente zugebilligt werde, solle von dem Tage an, von dem an er diese Rente erhalte, zwar grundsätzlich nicht mehr Anspruch auf Krankengeld haben; der Anspruch solle aber nicht rückwirkend wegfallen, vielmehr solle der Versicherte das bis zur Zustellung des Rentenbescheides schon gezahlte Krankengeld behalten, es werde lediglich die für diese Zeitspanne "gezahlte" Rente in der Weise angerechnet, daß der Anspruch auf Rente bis zur Höhe des gezahlten Krankengeldes auf die Kasse übergehe. Der Empfänger von Altersruhegeld oder Erwerbsunfähigkeitsrente, der weiter arbeite, solle darüber hinaus - nach dem Vorschlag des Ausschusses - neben seiner Rente bis zu sechs Wochen Anspruch auf Krankengeld haben. Mit dieser Begründung wurde in den Entwurf der Novelle zum Leistungsverbesserungsgesetz bei der vorgesehenen Neufassung des § 183 RVO der Abs. 3 a eingefügt, wonach in Fällen, in denen "während des Bezugs von Erwerbsunfähigkeitsrente oder Altersruhegeld Krankengeld gewährt wird", Anspruch auf Krankengeld für höchstens sechs Wochen, gerechnet vom Tag des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an, besteht. Dieser Vorschlag des Ausschusses für Sozialpolitik ist dann als § 183 Abs. 4 RVO Gesetz geworden.
Die Entstehungsgeschichte läßt hiernach als Motiv der Neuregelung erkennen, daß im Hinblick auf die Ausdehnung der Bezugsdauer des Krankengeldes (§ 183 Abs. 1 und 2 RVO nF) neben einer Erwerbsunfähigkeitsrente oder dem Altersruhegeld grundsätzlich kein Anspruch auf Krankengeld bestehen soll. Deshalb ist - im Gegensatz zu dem angefochtenen Urteil - unter dem "Anspruch auf Krankengeld", der nach § 183 Abs. 3 Satz 1 RVO nF mit dem Tage "enden" soll, von dem an die Rente zugebilligt wird, der Anspruch ohne Rücksicht darauf zu verstehen, ob das Krankengeld schon bewilligt war und gezahlt wurde. Die gegenteilige Auffassung des SG würde dazu führen, daß ein Versicherter, der nach Stellung des Rentenantrags weiterhin eine der Versicherungspflicht unterliegende Beschäftigung ausübt, der aber erst in einem Zeitpunkt arbeitsunfähig erkrankt, der nach dem Beginn der Erwerbsunfähigkeitsrente oder des Altersruhegeldes liegt, neben der Rente Krankengeld bis zur Höchstdauer des § 183 Abs. 2 RVO nF (bei Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit 78 Wochen innerhalb von drei Jahren) beanspruchen könnte. Dies steht aber mit dem erkennbaren Zweck der gesetzlichen Regelung, wonach neben der Erwerbsunfähigkeitsrente oder Altersrente grundsätzlich kein Anspruch auf Krankengeld bestehen soll, nicht im Einklang. Die Tatsache, daß der Kläger schon vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit (4. Oktober 1961) einen Anspruch auf Altersrente (vom 1. Mai 1961 an) hatte, würde also der Anwendung des § 183 Abs. 3 RVO nicht entgegenstehen. - Die Einstellung des Krankengeldbezuges nach Bewilligung des Altersruhegeldes ist jedoch nach der den § 183 Abs. 3 RVO ergänzenden Vorschrift des § 183 Abs. 4 RVO rechtswidrig. Diese Vorschrift bedeutet ein Privileg nicht nur für diejenigen Arbeitnehmer, die nach Zustellung des Bescheides über die Gewährung der Erwerbsunfähigkeitsrente oder des Altersruhegeldes einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen, sondern auch für diejenigen Versicherten, die die Voraussetzungen für die Erwerbsunfähigkeitsrente oder - wie hier - für das Altersruhegeld (§ 1248 RVO, § 25 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -) erfüllen und weiterhin eine der Versicherungspflicht unterliegende Beschäftigung ausüben. Wird ein solcher Rentenbewerber, dem das Altersruhegeld in der Regel vom Beginn des Monats an zusteht, in dem er das 65. Lebensjahr vollendet hat (§ 1290 RVO, § 67 AVG), erst nach diesem Zeitpunkt arbeitsunfähig, so würde, wenn nur der Abs. 3 des § 183 RVO nF zur Anwendung käme, ein Anspruch auf Krankengeld nicht bestehen. Der Versicherte würde, obgleich er während eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses erkrankt ist und obwohl er die seinem Einkommen entsprechenden Beiträge zur Krankenversicherung entrichtet hat, keinen Anspruch auf Krankengeld haben. Zwar hätte ihm die Krankenkasse bis zur Zustellung des Rentenbescheides zunächst Krankengeld zu gewähren. Der Anspruch auf Rente würde aber vom Beginn der Zahlung des Krankengeldes an bis zur Höhe des gezahlten Krankengeldes nach § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO auf die Kasse übergehen.
Dieses Ergebnis ist jedoch mit dem Sinn des § 183 Abs. 4 RVO nicht vereinbar. Nach dieser Vorschrift besteht - wie bereits dargelegt - Anspruch auf Krankengeld bis zu sechs Wochen, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an, wenn "während des Bezugs von Erwerbsunfähigkeitsrente oder Altersruhegeld" Krankengeld gewährt wird. Wie sich aus der oben wiedergegebenen Entstehungsgeschichte ergibt, sollte durch diese Vorschrift vermieden werden, daß weiterarbeitende Rentner über Gebühr benachteiligt werden. Zwar spricht der schriftliche Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik von "dem Empfänger von Altersruhegeld oder Erwerbsunfähigkeitsrente, der weiter arbeitet". Das Gesetz selbst gebraucht aber nicht den Begriff Renten empfänger , sondern macht den Anspruch auf Krankengeld für höchstens sechs Wochen davon abhängig, daß "während des Bezuges von Erwerbsunfähigkeitsrente oder Altersruhegeld" Krankengeld gewährt wird. Es kann dahinstehen, ob unter dem Begriff "Bezug" der Rente allgemein die mit dem Zeitpunkt des Beginns der Rente eintretende Rechtsposition zu verstehen ist (vgl. die Entscheidung des 7. Senats zu § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG aF in BSG 8, 88, 91 unter Hinweis auf RVA GE 2843 - AN 1925, 48 - und 3459 - AN 1929, 263 -; vgl. auch die Entscheidung des erkennenden Senats in BSG 1, 34). Jedenfalls wird man im Hinblick auf den Zusammenhang, in dem die Absätze 3 und 4 des § 183 RVO nF stehen, davon ausgehen müssen, daß der Bezug der Rente nicht ihre tatsächliche Zahlung voraussetzt, sondern daß der Bezug der Rente mit dem Zeitpunkt beginnt, von dem an die Rente zu zahlen ist. In ähnlicher Weise wie unter "Zubilligung der Rente" im Sinne des § 183 Abs. 3 Satz 1 RVO nF der Zeitpunkt zu verstehen ist, in dem der Rentenanspruch beginnt, von dem an also die Rente zu gewähren ist, liegt ein "Bezug der Rente" im Sinne des § 183 Abs. 4 aaO vom Zeitpunkt des Beginns des Rentenanspruchs an vor. Deshalb erfaßt § 183 Abs. 4 RVO nF alle die Fälle, in denen die Arbeitsunfähigkeit in einer Zeit eintritt, in der entweder die Rente schon gezahlt wird oder doch ein Anspruch auf Rente besteht. Der Ausdruck "Bezug" der Rente im Sinne dieser Vorschrift umfaßt bei dieser Auslegung einen Zeitraum, dessen Anfang durch den Beginn der Rente (§ 1290 RVO, § 67 AVG) und dessen Ende durch den Wegfall der Rente (Tod des Versicherten oder Entziehung der Rente) bestimmt ist (ebenso Rabenstein in SozVers 1962, 147 f und Dembowski in SozSich 1963, 46 f; a. A. Brackmann aaO S. 396 k und 1; Siebeck/Töns aaO S. 201). Wollte man der Auffassung sein, daß der Bezug der Rente erst mit der Zustellung des Bescheides des Rentenversicherungsträgers oder mit der ersten Zahlung der Rente einsetzt, so würde es wesentlich von der Dauer des Rentenverfahrens abhängen, ob und für welche Zeit der versicherte Beschäftigte bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Krankengeld hätte. Der Versicherte, dessen Rentenantrag in kurzer Zeit erledigt wird und der nach Zustellung des Rentenbescheides während einer versicherungspflichtigen Beschäftigung arbeitsunfähig erkrankt, würde einen Anspruch auf Krankengeld bis zu sechs Wochen erlangen, während der Versicherte, der nach Stellung des Rentenantrags weiter als versicherter Arbeitnehmer beschäftigt ist, dessen Rentenverfahren sich aber bis über den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit hinaus hinzieht, vom Zeitpunkt des Beginns der Rente an keinen Anspruch auf Krankengeld hätte.
Diese allein von der Dauer des Rentenverfahrens abhängige Auswirkung, die zu einer sachlich nicht gerechtfertigten unterschiedlichen Behandlung der Bezieher von Erwerbsunfähigkeitsrente oder Altersruhegeld führen würde, wäre mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vereinbar und stünde auch mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Versicherten nicht im Einklang.
Der Anspruch des H. auf Krankengeld für die Dauer von sechs Wochen vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an war mithin begründet. Die Revision der beklagten Kasse ist daher mit der aus der Urteilsformel ersichtlichen Maßgabe, die der Klarstellung der angefochtenen Entscheidung dient, zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2014555 |
BSGE, 28 |