Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 5. März 1991 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 22. August 1990 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt von der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA) die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Oktober 1990; streitig ist dabei insbesondere die Frage, ob der Kläger deshalb nicht mehr zum Kreis der beitragspflichtigen Arbeitnehmer gehörte, weil er neben seiner Tätigkeit als leitender Angestellter zugleich Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft (AG) war.
Der 1937 geborene Kläger war vom 1. Januar 1982 bis zum 31. Dezember 1989 als Leiter der Werksverwaltung G. … (Niederlassungsleiter) der Firma H. … C. S. … GmbH & Co KG, B. …, (im folgenden: Firma S) tätig (Anstellungsvertrag vom 10. Dezember 1981). Zugleich nahm er in der Zeit vom 18. Februar 1982 bis 14. Juli 1989 die Funktion eines Vorstandsmitglieds der Chemischen Fabriken O. und B. … Aktiengesellschaft (im folgenden: Firma O-AG), eines Tochterunternehmens der Firma S, wahr.
Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) war der Kläger eines von zwei Vorstandsmitgliedern der Firma O-AG. Er war als Nachfolger eines am 27. Januar 1982 verstorbenen Vorstandsmitglieds in diese Tätigkeit – entsprechend der einschlägigen Regelung in seinem Anstellungsvertrag (Nr 1 Abs 2) – durch die Geschäftsführung der Firma S (Aufsichtsrat der Firma O-AG) „delegiert” worden. Ein Vorstandsvertrag (Anstellungsvertrag) mit der Firma O-AG war nicht abgeschlossen worden. Für seine Vorstandstätigkeit, die etwa 30 vH seiner Arbeitskraft und Arbeitszeit in Anspruch nahm, hat der Kläger keine gesonderte Vergütung erhalten. Nur die Kosten der Dienstreisen für die Firma O-AG sind erstattet worden. Die Vorstandstätigkeit als solche war durch die Bezüge, die er als Angestellter der Firma S erhielt, mit abgegolten. Der Anstellungsvertrag sah ein Bruttojahresgehalt von 112.000 DM, zahlbar in 14 Monatsraten à 8.000 DM sowie eine Sondervergütung in Höhe von mindestens 38.000 DM vor.
Nachdem sein Arbeitsverhältnis durch Kündigung seitens der Firma S zum 31. Dezember 1989 endete, meldete sich der Kläger am 18. Dezember 1989 zum 1. Januar 1990 arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg.
Diesen Antrag lehnte die BA mit der Begründung ab, der Kläger habe nicht die erforderliche Anwartschaftszeit erfüllt. Seine Tätigkeit als Vorstandsmitglied einer AG habe nicht nach § 168 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) iVm § 3 Abs 1a Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) die Beitragspflicht zur BA begründet. Dabei spiele keine Rolle, ob und in welchem Umfang er neben seiner Vorstandstätigkeit möglicherweise eine an sich „weisungsgebundene” (abhängige) Tätigkeit als Arbeitnehmer ausgeübt habe (Bescheid vom 10. Januar 1990, Widerspruchsbescheid vom 6. Februar 1990).
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 22. August 1990 die Klage abgewiesen. Das LSG hat auf die Berufung des Klägers das erstinstanzliche Urteil und die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die BA verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Oktober 1990 Alg zu zahlen. Es hat ausgeführt, grundsätzlich sei der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu folgen, wonach die unternehmerähnliche und unabhängige Tätigkeit eines Vorstandsmitglieds einer AG in entsprechender Anwendung des § 3 Abs 1a AVG nicht der Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung unterliege. Jedoch weise der Streitfall Besonderheiten auf, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigten. Der Kläger habe seine Vorstandstätigkeit nur in engen zeitlichen Grenzen neben seiner Tätigkeit als leitender Angestellter der Firma S ausgeübt, die mithin den Schwerpunkt seiner Tätigkeit gebildet habe; hierzu sei er auch arbeitsvertraglich verpflichtet gewesen; eine Zusatzvergütung für die Vorstandstätigkeit sei weder vereinbart noch gezahlt worden. Dies ergebe ein anderes Bild als das einer Persönlichkeit, die wegen ihrer herausragenden und starken wirtschaftlichen Stellung nicht schutzbedürftig iS der Sozialversicherung sei, wie es der bisherigen Rechtsprechung des BSG zugrunde gelegt worden sei.
Mit der – zugelassenen – Revision rügt die BA eine Verletzung der §§ 103 Satz 1, 128 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sowie des § 104 Abs 1 Satz 1 iVm § 168 Abs 1 Satz 1 AFG, § 3 Abs 1 und Abs 1a AVG. Sie trägt vor, es fehle schon an einer die Entscheidung tragenden, objektivierbaren Sachverhaltsfeststellung (§§ 103 Satz 1, 128 Abs 1 Satz 1, 2 SGG). Denn die vermeintlichen Fallbesonderheiten, die ein Abweichen von der Rechtsprechung des BSG hätten rechtfertigen sollen, hätten einer sorgfältigeren Ermittlung bedurft. Insbesondere die Verteilung seiner Arbeitszeit, wie sie das LSG ohne weiteres aus den Angaben des Klägers übernommen habe (30 vH zu 70 vH), erscheine in keiner Weise belegt oder auch nur schlüssig. Abgesehen davon treffe die Rechtsauffassung des LSG nicht zu, wonach es für das Bestehen eines beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses auf die festgestellten Fallbesonderheiten ankomme. Denn der Gesetzgeber habe in § 3 Abs 1a AVG, der auch für den Bereich der Arbeitslosenversicherung zu beachten sei, allein auf ein formales Merkmal – nämlich Zugehörigkeit zum Vorstand einer AG – abgestellt. Er gehe dabei von der typischen Fallkonstellation aus, daß Vorstandsmitglieder einer AG wegen ihrer herausragenden und starken wirtschaftlichen Stellung des Schutzes und der Sicherheit der Renten- und Arbeitslosenversicherung nicht bedürften. Eine Differenzierung nach dem Schwerpunkt der Tätigkeit eines Vorstandsmitglieds und dessen wirtschaftlicher Leistungskraft sowie die bis dahin notwendige schwierige Prüfung, ob Vorstandsmitglieder in einem Beschäftigungsverhältnis zur Gesellschaft standen oder aber selbst maßgeblichen Einfluß auf deren Geschäftsführung nehmen konnten, habe dadurch gerade vermieden werden sollen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen; hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er teilt die Rechtsauffassung des LSG.
Die Beigeladene hat sich dem Antrag und dem Vorbringen der BA angeschlossen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der BA ist begründet. Entgegen der Rechtsauffassung des LSG steht dem Kläger für die streitige Zeit vom 1. Januar bis 31. Oktober 1990 ein Anspruch auf Alg nicht zu.
Nach den §§ 100 Abs 1, 104 AFG hat Anspruch auf Alg nur, wer die Anwartschaftszeit dadurch erfüllt hat, daß er in der dem (ersten) Tag der Arbeitslosigkeit, an dem alle übrigen Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind, vorangegangenen Rahmenfrist von 360 Kalendertagen in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168 AFG) gestanden hat. Der Kläger erfüllte diese Voraussetzungen nicht; denn die von ihm während der hier maßgeblichen Rahmenfrist vom 1. Januar 1987 bis 31. Dezember 1989 in der Zeit bis zum 14. Juli 1989 ausgeübte Tätigkeit als Vorstandsmitglied hat nicht die Beitragspflicht zur BA iS des § 168 AFG begründet. Seine gleichzeitig ausgeübte Tätigkeit als Leiter der Werksverwaltung der Firma S machte den Kläger ebenfalls nicht beitragspflichtig iS des § 168 Abs 1 Satz 1 AFG. Lediglich die Zeit, nachdem die Vorstandstätigkeit des Klägers beendet war, also vom 15. Juli bis 31. Dezember 1989, kann als beitragspflichtige Beschäftigungszeit zur Erfüllung der Anwartschaft zugrunde gelegt werden. Damit erreicht der Kläger jedoch insgesamt nur 170 Tage einer beitragspflichtigen Beschäftigung, so daß hierdurch die erforderliche Anwartschaft für den Anspruch auf Alg nicht erfüllt ist.
Der Kläger war in der Zeit bis zum 14. Juli 1989 einerseits als Vorstandsmitglied der Firma O-AG, andererseits als Niederlassungsleiter der Firma S tätig. Nach den Feststellungen des LSG handelte es sich bei der Tätigkeit als Niederlassungsleiter um eine beitragspflichtige Beschäftigung. Demzufolge hatte die Beigeladene die Versicherungspflicht bejaht und die Sozialversicherungsbeiträge entgegengenommen. Daß für den Kläger Beiträge zur BA entrichtet worden sind, ist jedoch, wie das LSG insoweit zutreffend erkannt hat, ohne rechtliche Bedeutung. Wie das BSG bereits mehrfach entschieden hat, hängt nach § 104 AFG die Erfüllung der Anwartschaftszeit von einer ihrer Art nach die Anwartschaft begründenden beitragspflichtigen Beschäftigung ab, nicht dagegen von der Entrichtung von Beiträgen (Urteil des 7. Senats vom 6. Februar 1992 – 7 RAr 36/91 – mwN). Hierzu hat der 7. Senat des BSG nunmehr klargestellt, daß selbst dann, wenn die Einzugsstelle über die Beitragspflicht und die Beitragshöhe einen bindenden Bescheid erteilt hat, dies die BA nicht bindet. Es kommt also auf die wahre Rechtslage auch dann an, wenn die Einzugsstelle die Beitragspflicht durch Verwaltungsakt zu Unrecht bejaht hat.
Beitragspflichtig sind nach § 168 Abs 1 Satz 1 AFG ua Personen, die als Angestellte gegen Entgelt beschäftigt sind (Arbeitnehmer). Vorstandsmitglieder einer AG sind nicht gegen Entgelt beschäftigte Angestellte, daher nicht Arbeitnehmer und folglich nicht beitragspflichtig. Dies hat der 7. Senat in der vom LSG zitierten Entscheidung vom 4. September 1979 (BSGE 49, 22 = SozR 4100 § 168 Nr 10) entschieden und zur Begründung vor allem § 3 Abs 1a AVG herangezogen, wonach zu den Angestellten des § 3 Abs 1 AVG nicht die Mitglieder des Vorstandes einer AG gehören. Der 12. Senat des BSG (SozR 4100 § 168 Nr 17) hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen, weil das Vorstandsmitglied einer AG nur zur Leistung selbständiger Dienste verpflichtet sei und sich die Beitragsfreiheit nicht nur auf die Organstellung, sondern auch auf das Dienstverhältnis beziehe, das zwischen der AG und dem Vorstandsmitglied durch Abschluß des Anstellungsvertrages begründet werde (§ 84 Abs 1 Satz 5, Abs 3 Satz 5 Aktiengesetz ≪AktG≫). Der 7. Senat und der 12. Senat lehnen mithin für das Beitragsrecht die Arbeitnehmereigenschaft der Vorstandsmitglieder von AGen generell ab. Der erkennende Senat folgt dieser auch in der Literatur einhellig vertretenen Ansicht (Gagel, Kommentar zum AFG, Stand: Mai 1991, § 168 RdNr 8; Hennig/Kühl/Heuer, Kommentar zum AFG, Stand Juni: 1989, § 168 Anm 10; Gemeinschaftskommentar zum AFG, Stand: Mai 1989, § 168 Anm 101; Schelter, Kommentar zum AFG, Stand: Juni 1986, § 168 RdNr 17).
Die sich aus § 3 Abs 1a AVG ergebende Rechtslage, daß die Tätigkeit des Klägers als Vorstandsmitglied der O-AG in der Rahmenfrist nicht die Beitragspflicht zur BA iS des § 168 Abs 1 AFG ausgelöst hat, ändert sich auch deshalb nicht, weil der Kläger zugleich leitender Angestellter der Firma S gewesen ist. Wie der 7. Senat im Urteil vom 4. September 1979 (aaO) bereits ausgeführt hat, kann eine solche gleichzeitig ausgeübte Tätigkeit – dort war ein Vorstandsmitglied einer AG zugleich Geschäftsführer einer GmbH – zwar als sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis anzusehen sein und deshalb an sich zwar Beitragspflicht zur BA auslösen. Unabhängig davon bewirkt dieses Beschäftigungsverhältnis wegen der gleichzeitigen Vorstandstätigkeit jedoch keine Beitragspflicht zur BA. Der 7. Senat hat sich dabei der Rechtsprechung des 12. Senats angeschlossen, nach der Vorstandsmitglieder einer AG auch dann nicht zu den Angestellten iS des § 3 Abs 1 AVG gehören, wenn sie neben der Vorstandstätigkeit noch weitere entgeltliche Beschäftigungen ausüben. § 3 Abs 1a AVG ordne nämlich nicht nur die Versicherungsfreiheit ihrer sonst versicherungspflichtigen Beschäftigung an, sondern stelle Vorstandsmitglieder von AGen nach Wortlaut und Sinn wegen ihrer herausragenden und starken wirtschaftlichen Stellung insgesamt – also auch für zusätzliche abhängige Beschäftigungen – außerhalb der Sozialversicherung.
Der Rechtsauffassung des LSG, diese Rechtsprechung des BSG beziehe sich nur auf Fallgestaltungen, bei denen die Vorstandstätigkeit zumindest den Schwerpunkt der Tätigkeit bildete, außerdem jeweils ein Anstellungsvertrag mit der AG bestand und die Vergütung für die Vorstandstätigkeit zumindest den Hauptteil der Einnahmen aus den Tätigkeiten darstellte, kann nicht gefolgt werden. Vielmehr folgt bereits aus der Entstehungsgeschichte, dem Wortlaut und dem Zweck des § 3 Abs 1a AVG, daß nach dem Willen des Gesetzgebers Vorstandsmitglieder einer AG unabhängig davon, ob und in welchem Umfang sie neben dieser Tätigkeit noch weitere entgeltliche Beschäftigungen ausüben, nicht zu den Angestellten iS des § 3 Abs 1 AVG gehören.
Wie die Entstehungsgeschichte des durch das 3. Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 28. Juli 1969 (BGBl I 956) mit Wirkung vom 1. Januar 1968 eingefügten § 3 Abs 1a AVG ausweist, beruht die vollständige Herausnahme der Vorstandsmitglieder einer AG aus dem kraft Gesetzes rentenversicherungspflichtigen Personenkreis auf der Erwägung, bei typisierender Betrachtung gehörten die Vorstandsmitglieder der zu den „großen” Gesellschaften zu rechnenden AGen wegen ihrer herausragenden und starken wirtschaftlichen Stellung nicht mehr zu den Angestellten iS von § 3 Abs 1 AVG, die des Schutzes der gesetzlichen Sozialversicherung bedürfen (vgl Kurzprotokoll des Ausschusses für Sozialpolitik des Deutschen Bundestages, 89. Sitzung vom 23. Januar 1969 S 9 f; vgl zur Entstehungsgeschichte des § 3 Abs 1a AVG BSGE 36, 164, 167 = SozR Nr 23 zu § 3 AVG; BSGE 36, 258, 260 = SozR Nr 24 zu § 3 AVG). Entsprechend bestimmt die zur gleichen Zeit eingefügte Regelung in § 2 Abs 1a AVG, daß derjenige, der nach § 2 Abs 1 iVm § 3 Abs 1a AVG nicht versicherungspflichtig ist, (auch) in anderen gesetzlichen Rentenversicherungen nicht der Versicherungspflicht unterliegt. Diese Regelung entspricht der Auffassung, daß Vorstandsmitglieder einer AG nicht Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsrechts sind (BGHZ 12, 1, 8; 36, 142; 49, 30; Geßler/Hefermehl/ Eckhardt/Kropff, Kommentar zum Aktiengesetz, Bd II § 84 Anm 35).
Da der Gesetzgeber somit die Schutz- und Sicherungsbedürftigkeit der Betroffenen bei Schaffung des § 3 Abs 1a AVG in seine Erwägungen einbezogen hat, kann diese Norm nicht erweiternd dahin verstanden werden, daß Vorstandsmitglieder einer AG dann zum Kreis der Angestellten iS des § 3 Abs 1 AVG gehören, wenn sie neben der Vorstandstätigkeit noch eine weitere, an sich sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausüben. Denn damit würde der Sinn des § 3 Abs 1a AVG, wonach in Abänderung des früheren Rechtszustandes eine Differenzierung nach dem Schwerpunkt der Tätigkeit eines Vorstandsmitglieds und seiner wirtschaftlichen Leistungskraft gerade vermieden werden sollte, zunichte gemacht. Nach der Entwicklungsgeschichte des § 3 Abs 1a AVG (vgl BSGE 36, 258, 260 = SozR Nr 24 zu § 3 AVG), wurde von dem ursprünglichen Vorschlag, wonach Mitglieder eines zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organs einer juristischen Person, das unter eigener Verantwortung ein Unternehmen zu leiten hat, keine Angestellten sein sollten (vgl BT-Drucks V/2880), gerade deshalb abgewichen, weil diese Fassung eine klare Abgrenzung (insbesondere in bezug auf GmbH-Geschäftsführer) nicht zugelassen hätte (vgl hierzu BT-Drucks V/4474, Seite 7 – ebenso BSGE 49, 22, 28). Demgemäß hat der 10. Senat des BSG im Urteil vom 22. April 1987 (- 10 RAr 5/86 und 10 RAr 6/86 – USK 8732) ausgeführt, die für die Abgrenzung der Arbeitnehmer- oder Arbeitgebereigenschaft der GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer maßgeblichen Gesichtspunkte ließen sich nicht auf die Vorstandsmitglieder der AG übertragen. Dabei ist vor allem auf die wesentlich anders gestaltete und weitaus unabhängigere Organstellung der Vorstandsmitglieder von AGen (§ 76 Abs 1 AktG) hingewiesen worden. Deshalb führt auch die vom Kläger zitierte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ≪BAG≫ (Urteil vom 9. Mai 1985 – 2 AZR 330/84 – NZA 1986, 792 und Urteil vom 12. März 1987 – 2 AZR 336/86 – NZA 1987, 845), wonach das zwischen einer GmbH und ihrem Arbeitnehmer begründete Arbeitsverhältnis nach dessen Bestellung zum Geschäftsführer im Zustand des Ruhens fortbestehen kann, zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Denn anders als beim GmbH-Geschäftsführer, bei dem es auf die rechtliche Ausgestaltung des Anstellungsverhältnisses ankommt, so daß die gesellschaftsrechtliche Organstellung die Arbeitnehmereigenschaft nicht ausschließt, werden von der Rechtswirkung des § 3 Abs 1a AVG alle Vorstandsmitglieder von AGen uneingeschränkt erfaßt.
Somit kann die Anwendung des § 3 Abs 1a AVG auf den Kläger nicht deshalb unterbleiben, weil er nach den Feststellungen des LSG keine herausragende und starke wirtschaftliche Stellung hatte, sondern im Schwerpunkt seiner Tätigkeit leitender Angestellter der Firma S war. Daher kann die Richtigkeit dieser – von der BA angegriffenen – Feststellungen des LSG dahingestellt bleiben. Entscheidend ist allein, daß er – auch ohne schriftlichen Anstellungsvertrag (Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, Kommentar zum Aktiengesetz, Band II, § 84 Anm 40) – ordentliches Vorstandsmitglied einer AG war.
Nach Auffassung des erkennenden Senats ist die Regelung des § 3 Abs 1a AVG, die der Gesetzgeber in § 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI) inhaltsgleich getroffen hat, nicht verfassungswidrig, weil die darin enthaltene Typisierung nicht dem Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) widerspricht.
Wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, darf der Gesetzgeber bei der Ordnung von Massenerscheinungen, wie sie besonders im Bereich der Sozialversicherung auftreten, typisierende Regelungen treffen (BVerfGE 9, 20, 32; 17, 1, 25; 51, 115, 122 f; 63, 119, 128). Daraus folgt auch, daß Härten im Einzelfall unvermeidlich und hinzunehmen sind (BVerfGE 63, 119, 128). Allerdings rechtfertigt dies nicht jede Härte im Einzelfall. Vielmehr setzt eine noch hinzunehmende Typisierung insbesondere voraus, daß die durch sie eintretenden Härten oder Ungerechtigkeiten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und eine durch sie entstehende Ungerechtigkeit nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wäre (BVerfGE 63, 119, 128).
Mißt man § 3 Abs 1a AVG an diesen Maßstäben, ist die Regelung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die AG ist typischerweise eine „große” Kapitalgesellschaft (vgl § 7 AktG: Mindestgrundkapital 100.000 DM), und die Organstellung des Vorstandsmitgliedes der AG ist – im Vergleich zum GmbH-Geschäftsführer – weitaus unabhängiger gestaltet. Während das Vorstandsmitglied einer AG nur aus „wichtigem Grund” abberufen werden kann (§ 84 Abs 3 AktG), ist die Bestellung des GmbH-Geschäftsführers zu jeder Zeit widerruflich (§ 38 Abs 1 GmbHG). Dasselbe gilt für die Bezüge der Vorstandsmitglieder von AGen, die nicht nach arbeitsrechtlichen, sondern nach besonderen aktienrechtlichen Grundsätzen (§ 87 Abs 1 AktG) festgesetzt werden. Es liegt deshalb nahe, für Vorstandsmitglieder von AGen im allgemeinen ein soziales Sicherungsbedürfnis zu verneinen. Mag im Einzelfall auch innerhalb dieses Personenkreises ein Bedürfnis nach sozialer Sicherung bestehen, müssen solche atypischen Besonderheiten doch im Interesse einer einfachen, sicheren und gleichmäßigen Rechtsanwendung unberücksichtigt bleiben. Denn neben der Überzeugung, daß Vorstandsmitglieder einer AG des Schutzes der Sozialversicherung nicht bedürfen, ging es dem Gesetzgeber ersichtlich darum, die Rechtsanwendung einfacher, sicherer und gleichmäßiger zu machen und im Tatsächlichen mögliche Verschieden- und Unklarheiten zu vermeiden. Vorstandsmitglieder von AGen haben danach ausnahmslos für ihre soziale Sicherung selbst zu sorgen. Die vollständige Herausnahme der Vorstandsmitglieder einer AG aus dem kraft Gesetzes sozialversicherungspflichtigen Personenkreis schließt im übrigen nicht aus, daß sie von dem Recht der Versicherungspflicht auf Antrag nach § 2 Abs 1 Nr 11 AVG Gebrauch machen (vgl BSG SozR 2200 § 1248 Nr 48).
Da der Kläger mangels Erfüllung der Anwartschaftszeit keinen Anspruch auf Alg hat, stellt sich auch nicht mehr die Frage, ob und inwieweit die Abfindung in Höhe von 45.000 DM, die er nach den Feststellungen des LSG anläßlich der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses erhalten hat, zum Ruhen seines Anspruchs auf Alg nach § 117 Abs 2 AFG geführt hätte. Die vom Kläger zu Unrecht entrichteten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sind für ihn nicht verloren. Vielmehr ist nach § 185a Abs 1 AFG der fehlerhaften Beitragsentrichtung durch eine von Amts wegen vorzunehmende Beitragserstattung Rechnung zu tragen.
Das Urteil des SG ist demnach im Ergebnis zutreffend. Auf die Revision der BA mußte somit die Entscheidung des LSG aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen