Entscheidungsstichwort (Thema)
Statistische Durchschnittsergebnisse. Anwendung von Erfahrungssätzen. individuelle Prüfung. Kausalitätsnorm
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Voraussetzungen für die Aussichten einer Geschäftsneugründung oder auch einer Anstellung in einem abhängigen Arbeitsverhältnis sind für den Einzelnen so verschieden und der Erfolg vom Alter, von der Hilfsbereitschaft Verwandter, finanziellen Beziehungen, der Möglichkeit der Erlangung von Wohnung und Geschäftsräumen abhängig, daß deshalb selbst gewisse statistische Durchschnittsergebnisse keinen überzeugenden Schluß zulassen.
2. Nur solche Einkommenverluste können berücksichtigt werden, bei denen der Tod iS der Kausalitätsnorm eine wesentliche Bedingung der Einkommensminderung ist.
3. Mögliche Abweichungen von dem für die Mehrzahl der Fälle anzunehmenden Geschehensablauf müssen nicht außer Betracht bleiben, wenn sie gerade durch die Besonderheiten des Falles hinreichend gerechtfertigt erscheinen. An eine solche individuelle Prüfung dürfen keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden.
Normenkette
BVG § 41 Abs. 3 Fassung: 1960-06-27
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. Juni 1964 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
Die Klägerin bezieht Hinterbliebenenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Ihr 1887 geborener Ehemann K P (P.) starb am 25. Mai 1945 an den Folgen der Flucht aus Oberschlesien. Die Klägerin kam im September 1950 aus der sowjetisch besetzten Zone in das Gebiet der Bundesrepublik. Im November 1960 beantragte sie die erhöhte Ausgleichsrente nach § 41 Abs. 3 BVG idF des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG). Sie gab an, ihr Ehemann habe in seinem Geschäft in L/Oberschlesien einen Jahresumsatz von etwa 350000,- RM erzielt, was einem Jahreseinkommen von 57000,- RM bis 60000,- RM entsprochen habe. Der Betrieb habe eine Lebensmittelabteilung sowie Abteilungen für Haus- und Küchengeräte, Werkzeuge, landwirtschaftliche Maschinen sowie Eisenwaren und Baustoffe aller Art gehabt. Mit Bescheid vom 17. Mai 1961 lehnte das Versorgungsamt (VersorgA) den Antrag ab, weil der Einkommensverlust der Klägerin nicht durch den Tod des Ehemannes, sondern durch den Verlust des Geschäftsbetriebs als Vertreibungsfolge verursacht sei. Der Widerspruch war erfolglos. Mit Urteil vom 12. Dezember 1961 wies das Sozialgericht (SG) die Klage ab und ließ die Berufung zu. Durch Bescheid vom 28. Februar 1962 wurden die der Klägerin ab 1. November 1960 unter Vorbehalt gewährten Versorgungsbezüge endgültig auf 220,- DM monatlich festgestellt. Das Landessozialgericht (LSG) wies mit Urteil vom 4. Juni 1964 die Berufung zurück und die Klage gegen den Bescheid vom 28. Februar 1962 ab. § 41 Abs. 3 BVG idF des 1. NOG treffe allein für die Fälle zu, in denen das besondere wirtschaftliche Betroffensein der Witwe durch den Verlust des Ehemannes wesentlich bedingt sei, also nicht für die Schäden, die durch die Vertreibung aus den deutschen Ostgebieten entstanden seien. Wesentliche Bedingung eines derartigen Schadens sei nicht der - spätere - Tod des Ehemannes. Deshalb könne der Anspruch auf die erhöhte Ausgleichsrente nicht darauf gestützt werden, daß P. bis zum Jahre 1945 als Kaufmann in Oberschlesien ein Jahreseinkommen von 60000,- RM erzielt und dieses Einkommen durch die Vertreibung verloren hatte. Ein durch den Verlust des Ehemannes begründetes besonderes wirtschaftliches Betroffensein der Klägerin für die Zeit nach der Vertreibung liege nicht vor, da nicht anzunehmen sei, daß P. nach der Vertreibung eine neue Existenz aufgebaut und hieraus ein Einkommen erreicht hätte, das um mehr als das Vierfache über den derzeitigen Einkünften der Klägerin nach § 41 Abs. 3 Satz 2 BVG liege. Eine nennenswerte Existenzgründung bis 1948/49 sei unwahrscheinlich gewesen. Frühestens 1950/51 hätte eine Geschäftsneugründung mit Fremdkapital und erheblicher Zinslast in Angriff genommen werden können. Zu dieser Zeit wäre P. bereits 63 bzw. 64 Jahre alt gewesen, also in einem Alter, in dem erfahrungsgemäß keine Geschäftsgründungen ohne erhebliches Eigenkapital mehr vorgenommen würden. Er hätte auch nicht zu dem nach dem Soforthilfegesetz anspruchsberechtigten Personenkreis gehört, der als Aufbauhilfe besonders günstige Darlehen hätte erhalten können, da er zum Stichtag am 21. Juni 1948 seinen Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt nicht im Währungsgebiet der Bundesrepublik gehabt hätte. Diese Möglichkeit hätte sich ihm erst nach den §§ 253 ff des Lastenausgleichsgesetzes vom 14. August 1952 (LAG) eröffnet, also nach Vollendung seines 65. Lebensjahres. In einem derartigen Alter sei jedoch ein wirtschaftlicher Neubeginn nicht mehr zu erwarten, auch nicht unter Berücksichtigung der Tatsache, daß P. bis zum Tode den Beweis besonderer beruflicher Kenntnisse, Fähigkeiten und Tüchtigkeit erbracht hatte. Zwar bestehe diese Möglichkeit, nicht aber die Wahrscheinlichkeit eines solchen Geschehensablaufs. Somit sei davon auszugehen, daß P. bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres im Jahre 1952 als Arbeitnehmer tätig gewesen wäre. Als solcher hätte er voraussichtlich nicht mehr als 800,- DM monatlich verdient.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Klägerin verfahrensrechtlich Verletzung der §§ 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sowie sachlich-rechtlich des § 41 Abs. 3 BVG. Zu den wesentlichen Bedingungen, die im Sinne der Kausalitätsnorm zu dem geringen Einkommen der Klägerin beigetragen hätten, gehörten die Vertreibung und der Tod ihres Ehemannes. Der Tod sei von annähernd gleicher Bedeutung wie die Vertreibung, diese somit eine Mitursache für den Einkommensverlust gewesen. Das LSG habe zu wenig die Erfahrungstatsache berücksichtigt, daß gerade die befähigten Flüchtlingskaufleute mit Erfolg Geschäftsneugründungen betrieben hätten. Deshalb sei anzunehmen, daß auch P. die ihm gebotenen Chancen vielfältigster Art, die insbesondere durch den Nachholbedarf nach der Währungsreform entstanden seien, nicht ungenutzt hätte vorübergehen lassen. Selbst wenn einer Geschäftsneugründung das Alter entgegengestanden habe, hätte P. bei seinen reichen beruflichen Erfahrungen als Angestellter in Warenhäusern, Eisenhandlungen, Einkaufsgenossenschaften ein monatliches Einkommen von über 800,- DM erzielt. Das LSG hätte durch Anfragen bei der Industrie- und Handelskammer, bei Flüchtlingsverbänden, dem Statistischen Bundesamt klären müssen, ob Flüchtlinge mit gleicher Berufserfahrung aus selbständiger oder nichtselbständiger Tätigkeit mehr als 800,- DM monatlich erzielt hätten. Die Beweiserhebung hätte dies bestätigt. Dadurch, daß das LSG dem Alter des P. die alleinige Bedeutung für die Annahme beigemessen habe, daß er keine selbständige Tätigkeit mehr ausgeübt und als Angestellter keinesfalls mehr als 800,- DM verdient hätte, habe es gegen die Denkgesetze verstoßen und damit § 128 SGG verletzt. Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil und das Urteil des SG Speyer vom 12. Dezember 1961 sowie den Bescheid vom 17. Mai 1961 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Juni 1961 ganz, den Bescheid vom 28. Februar 1962 teilweise aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin ab 1. November 1960 die erhöhte Ausgleichsrente zu zahlen, hilfsweise die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Das LSG habe seine Aufklärungspflicht nicht verletzt. Die in der Praxis erzielten Betriebsergebnisse seien abhängig von der persönlichen und fachlichen Tüchtigkeit des Betriebsinhabers, dem betrieblichen Standort, der Betriebs- und Auftragsstruktur, dem Kundenkreis, der Konkurrenz und anderen örtlichen Faktoren, die eine Abweichung von Mittelwerten des Einkommens nach oben und unten zur Folge hätten. Eine Anfrage bei der Industrie- und Handelskammer über das vermutliche Einkommen wäre nicht mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit beantwortet worden. Deshalb sei von Mittelwerten auszugehen gewesen, die aber ein höheres Einkommen als von 800,- DM monatlich nicht ergeben hätten.
Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG) und deshalb zulässig. Sie ist auch sachlich im Sinne der Zurückverweisung an das LSG begründet.
Die auf Verfahrensmängel gestützten Revisionsrügen greifen nicht durch. Die Klägerin hat nicht ausreichend dargetan, inwiefern das LSG das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht berücksichtigt oder seine Aufklärungspflicht verletzt hat. Insbesondere ist nicht ersichtlich, daß durch Einholung von Auskünften bei der Industrie- und Handelskammer, Flüchtlingsverbänden und dem Statistischen Bundesamt Ergebnisse erzielt werden konnten, die den fiktiv zu beurteilenden Sachverhalt einer weiteren Klärung zugeführt hätten. Das LSG durfte davon ausgehen, daß die Frage, ob der Ehemann der Klägerin als selbständiger Kaufmann im Alter eine neue Existenz hätte aufbauen können, überwiegend von seinen persönlichen Eigenschaften sowie davon abhing, zu welchem Zeitpunkt er seinen Wohnsitz in die Bundesrepublik verlegt hätte und Darlehen als Betriebsmittel aufnehmen konnte. Eine befriedigende Antwort auf diese Fragen war von einer Rückfrage bei Behörden und Organisationen nicht zu erwarten; auf Grund einer Anzahl wirklich oder nur scheinbar vergleichbarer Umstände konnte bestenfalls ermittelt werden, was einem Teil der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen gelungen war, nicht aber, was in der individuellen schwierigen Lage des Ehemannes der Klägerin als wahrscheinlich gelten konnte. Auf Grund allgemeiner Lebenserfahrung durfte das LSG der Meinung sein, daß die Voraussetzungen für die Aussichten einer Geschäftsneugründung oder auch einer Anstellung in einem abhängigen Arbeitsverhältnis für den Einzelnen so verschieden sind und der Erfolg vom Alter, der Hilfsbereitschaft Verwandter im Bundesgebiet, finanziellen Beziehungen, der Möglichkeit der Erlangung von Wohnung und Geschäftsräumen usw. abhing, daß deshalb selbst gewisse statistische Durchschnittsergebnisse keinen überzeugenden Schluß auf die Erfolgsaussichten einer Existenzneugründung für P. zuließen. Die Klägerin hat lediglich auf den geschäftlichen Erfolg ihres Ehemannes bis zum Jahre 1945 und seine Tatkraft hingewiesen. Diese Umstände hat das LSG auch berücksichtigt. Die Klägerin hat aber darüber hinaus keine bestimmten Tatsachen angegeben, die die Vermutung nahelegen könnten, P. habe den Entschluß, seinen Wohnsitz in die Bundesrepublik zu verlegen und dort ein Geschäft zu gründen, wahrscheinlich schon frühzeitig genug gefaßt, um öffentliche Darlehen zu erhalten, und er sei imstande gewesen, sein Vorhaben mit Aussicht auf Erfolg auch zu verwirklichen. Das Vorbringen der Klägerin ist somit im Sinne des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG nicht hinreichend substantiiert und deshalb die Rüge eines Verfahrensverstoßes gegen die §§ 128, 103 SGG nicht begründet.
Dennoch reichen die Feststellungen des LSG nicht zu einer Ablehnung des Anspruchs nach § 41 Abs. 3 BVG idF des 1. NOG aF vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) aus. Nach dieser Vorschrift erhöht sich die volle Ausgleichsrente der durch den Verlust ihres Ehemannes wirtschaftlich besonders betroffenen Witwe auf 150,- DM. Nach § 41 Abs. 3 Satz 2 BVG aF ist sie besonders betroffen, wenn ihre Einkünfte einschließlich der Grund- und Ausgleichsrente nicht ein Viertel des Einkommens ihres Ehemannes erreichen, das dieser erzielt hat oder voraussichtlich erzielt hätte. Durch § 41 Abs. 2 BVG idF des Zweiten Neuordnungsgesetzes (2. NOG) nF vom 21. Februar 1964 (BGBl I 85) wurde die Ausgleichsrente erhöht und in § 40 a BVG anstelle der erhöhten Ausgleichsrente nach § 41 Abs. 3 BVG aF ein Anspruch auf Schadensausgleich für die Witwe eingeführt, deren Einkommen um mindestens 50,- DM geringer ist als die Hälfte des Einkommens, das der Ehemann ohne die Schädigung erzielt hätte. Für die Feststellung des Einkommens des Ehemannes enthält § 40 a Abs. 2 BVG nF besondere Vorschriften. Diese wurden durch das Dritte Neuordnungsgesetz (3. NOG) vom 28. Dezember 1966 (BGBl I 750) teilweise geändert. Das 2. und 3. NOG können hier außer Betracht bleiben, da der Erlaß eines Bescheides über den Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Schadensausgleich ab 1. Januar 1964 zurückgestellt wurde und nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist.
Nach § 41 Abs. 3 BVG aF muß die Witwe durch den Verlust ihres Ehemannes wirtschaftlich besonders betroffen sein. Nur insoweit ist die Einkommensminderung bei dem Vergleich nach § 41 Abs. 3 Satz 2 BVG aF zwischen den Einkünften der Witwe und dem Einkommen, das ihr Ehemann erzielt hat oder voraussichtlich erzielt hätte, zu berücksichtigen. Es kommt also auf das Einkommen an, das der Ehemann ohne die Schädigung erzielt hätte. Das bedeutet, daß nur solche Einkommensverluste berücksichtigt werden können, bei denen der Tod im Sinne der Kausalitätsnorm eine wesentliche Bedingung der Einkommensminderung ist (vgl. auch BSG in SozR Nr. 11 zu § 41 BVG aF). Im vorliegenden Fall ist ein abgrenzbarer Teil der Mindereinkünfte der Klägerin jedenfalls ganz überwiegend auf die Folgen der Vertreibung zurückzuführen. Die Vertreibung stellt insoweit die alleinige Ursache für den Einkommensverlust dar. Ein Kaufmann, der durch die Vertreibung ein mit erheblichem Kapitalaufwand errichtetes Geschäft und damit Kapital und Kundenkreis als Grundlage seiner Einkünfte verloren hat, ist darauf angewiesen, mit der ihm verbliebenen Arbeitskraft und Geschäftserfahrung eine neue Existenz aufzubauen, möglichst auch unter Inanspruchnahme fremden Kapitals. Mit Recht hat das LSG deshalb nur die Einkommensminderung geprüft, die nach der Vertreibung der Klägerin durch den Tod ihres Ehemannes eingetreten ist.
Die aus dem Sachverhalt hergeleitete allgemeine Feststellung des LSG, der Ehemann der Klägerin würde voraussichtlich kein Einkommen von mehr als 800,- DM, d. h. nicht mehr als das Vierfache des anrechenbaren Einkommens der Klägerin (ausschließlich des Zuschlags nach § 41 Abs. 5 BVG aF) erzielt haben, ist nicht ausreichend begründet. Die in § 41 Abs. 3 BVG aF vorgeschriebene Beurteilung eines vermutlichen individuellen Geschehensablaufs (vgl. auch BSG, Urteil v. 26. Januar 1967 - 8 RV 323/65 -) ist mit zahlreichen Faktoren belastet, die einer sicheren Feststellung eines fiktiven Geschehens entgegenstehen. Die Einschätzung solcher Umstände erfordert in höherem Maße als andere Sachverhalte die Anwendung von Erfahrungssätzen, die nur in begrenztem Umfang allgemeine Gültigkeit beanspruchen können und deshalb die Feststellung bestimmter Tatsachen, hier des vermutlichen Zeitpunkts des Wohnsitzwechsels in das Gebiet der Bundesrepublik und der Erfolgsaussichten einer Geschäftsneugründung, nur mit Einschränkungen oder einer gewissen Wahrscheinlichkeit erlauben. Das bedeutet aber nicht, daß mögliche Entwicklungen, die von dem für die Mehrzahl der Fälle anzunehmenden Geschehensablauf abweichen, außer Betracht bleiben müssen, wenn diese Abweichungen gerade durch die Besonderheiten des Falles hinreichend gerechtfertigt erscheinen. Daß der Ehemann der Klägerin für die Zeit seit Inkrafttreten des 1. NOG (1. Juni 1960) voraussichtlich Einnahmen von mehr als 800,- DM nicht erzielt hätte, ließ sich jedenfalls ohne Beurteilung der individuellen Verhältnisse des P. nicht feststellen, wenn P. von der Regel abweichende Möglichkeiten hatte, seine Pläne zu verwirklichen. Ob er sich etwa schon frühzeitig entschlossen hätte, seinen Wohnsitz in die Bundesrepublik zu verlegen, um dort ein Geschäft zu begründen, hing nicht nur von seiner Tatkraft und Geschäftserfahrung, sondern auch davon ab, welche konkreten Möglichkeiten ihm für die Ausführung eines solchen Vorhabens zu Gebote standen und wie er sie zu nutzen verstand. An eine solche individuelle Prüfung dürfen keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Es genügt, wenn der Einkommensverlust auf Grund solcher Umstände mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit begründet werden kann.
Das LSG hat festgestellt, daß P. bis zu seinem Tode den Beweis besonderer beruflicher Kenntnisse, Fähigkeiten und Tüchtigkeit als Kaufmann erbracht hatte. Es hat nicht unterstellt, daß sein Gesundheitszustand - von dem versorgungsrechtlich anerkannten Verlust des linken Auges und der Sehbehinderung auf dem rechten Auge abgesehen - wesentlich geschwächt war oder daß er bereits in erheblichem Umfang an Altersbeschwerden gelitten hätte. Es hat damit eine dem Alter des P. entsprechende allgemeine Tatkraft und Rüstigkeit vorausgesetzt. Sonach lag die Annahme nahe, daß durch seine Kenntnisse im Lebensmittelhandel, im Handel mit Haus- und Küchengeräten, Werkzeugen, landwirtschaftlichen Maschinen, Eisenwaren und Baustoffen über so vielfältige Erfahrungen verfügte, daß ihm dadurch die Neugründung einer Existenz erleichtert worden wäre. Er war als selbständiger Kaufmann darauf angewiesen, nach dem Verlust von Besitz und Existenz ohne Rücksicht auf sein Alter alles aufzubieten, um den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu sichern. Aus den Versorgungsakten ergibt sich, daß auch die Klägerin, die Tochter A und der Sohn E - dieser nur ein halbes Jahr - (1939) im Geschäft tätig waren. Die Klägerin ist zwar erst 1950 in das Gebiet der Bundesrepublik gekommen, hat jedoch zunächst in M bei einer Familie J P, somit vermutlich bei einem Verwandten ihres Ehemannes oder einem Sohn gewohnt. Es hätte deshalb geklärt werden müssen, ob P. für eine Geschäftsgründung in der Bundesrepublik noch auf die Hilfe anderer geschäftskundiger Familienmitglieder zurückgreifen konnte, und ob er vermutlich möglichst frühzeitig das sowjetisch besetzte Gebiet verlassen hätte, wenn er mit einer Unterkunft und Aufnahme in Mettenheim rechnen konnte. Das LSG hat offensichtlich unterstellt, daß P. nicht früher als die auf sich allein gestellte Klägerin nach M gekommen wäre. Diese Folgerung ist aber nicht überzeugend, wenn P. die Möglichkeit hatte, frühzeitig in Mettenheim oder anderswo in der Bundesrepublik Fuß zu fassen, um von dort aus eine Existenzneugründung zu betreiben. Es konnte dann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß er schon vor dem 60. Lebensjahr seinen Wohnsitz in die Bundesrepublik verlegt, zunächst ein Geschäft in kleinerem Umfang betrieben, es mit Darlehnshilfen nach dem Soforthilfegesetz erweitert und in der Folgezeit noch nach dem 1. Juni 1960 höhere Einnahmen erzielt hätte. Da das LSG die besonderen Umstände, die dem Ehemann der Klägerin möglicherweise eine frühzeitige Übersiedlung in das Gebiet der Bundesrepublik mit anschließender Geschäftsgründung erleichtert hätten, nicht geprüft hat, war das angefochtene Urteil aufzuheben. Der Senat kann die noch erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen. Deshalb war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung bleibt der endgültigen Entscheidung des Rechtsstreits vorbehalten.
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