Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusammentreffen von Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander
Leitsatz (amtlich)
Soweit wegen des Zusammentreffens mit einer Unfallrente ein Erstattungsanspruch des Rentenversicherungsträgers gegen den Unfallversicherungsträger besteht, darf der Rentenversicherungsträger den Bewilligungsbescheid nicht wegen einer Überzahlung aufheben. Insoweit ist die Auseinandersetzung über die Rechtmäßigkeit der nachträglichen Anrechnung der Unfallrente vom Versicherten mit dem Unfallversicherungsträger zu führen (Anschluss an BSG vom 22.5.2002 - B 8 KN 11/00 R = SozR 3-2600 § 93 Nr 12).
Normenkette
SGB VI § 93 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 5 S. 3 Fassung: 1996-09-25, Abs. 5 Nr. 1 Fassung: 1989-12-18, § 100 Abs. 1; SGB X § 48 Abs. 1 S. 2, § 104 Abs. 1 S. 2, § 103 Abs. 1, § 107 Abs. 1; WFG Art. 1 Nr. 17, Art. 12 Abs. 8
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Anrechnung der Hinterbliebenenrente der Klägerin aus der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) auf ihre Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung (RV) für die Monate August bis Oktober 1996.
Der Ehemann der Klägerin verstarb im April 1996 auf Grund eines Arbeitsunfalls. Mit Bescheid vom 12. Juni 1996 bewilligte ihr die Beklagte ab 1. Mai 1996 große Witwenrente. In dem Bescheid wurde der monatliche Zahlbetrag ab 1. August 1996 nach Abzug der Beitragsanteile für Kranken- und Pflegeversicherung mit 654,20 DM festgesetzt. Die Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen (BGF) bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 11. Oktober 1996 Hinterbliebenenrente ab dem 3. April 1996, und zwar ab dem 1. August 1996 in Höhe von monatlich 991,20 DM. Hierauf verfügte die Beklagte mit Bescheid vom 17. Oktober 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. April 1997, die Rente werde ab dem 1. Dezember 1996 monatlich in Höhe von 45,82 DM geleistet; die für die Zeit vom 1. Mai 1996 bis zum 30. November 1996 eingetretene Überzahlung werde mit der Nachzahlung aus der UV verrechnet. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Bescheid vom 12. Juni 1996 werde nach § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zurückgenommen. Die Neuberechnung sei entsprechend § 93 iVm § 100 Abs 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) erfolgt; auf Grund der durch das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (WFG) mit Wirkung ab 1. Januar 1992 erfolgten Änderung von § 93 Abs 5 SGB VI sei die Kürzungsvorschrift des § 93 Abs 1 bis 3 SGB VI anzuwenden. Gleichzeitig meldete die Beklagte in Höhe des festgestellten Überzahlungsbetrags bei der BGF einen Erstattungsanspruch an.
Im Klageverfahren hat die Beklagte ein Teilanerkenntnis vom 11. April 2003 abgegeben, das die Klägerin nicht angenommenen hat, und mit Bescheid vom 9. Juli 2003 in Ausführung dieses Teilanerkenntnisses den Bescheid vom 17. Oktober 1996 für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Juli 1996 gemäß § 44 SGB X aufgehoben, den Zahlbetrag für die Hinterbliebenenrente erst ab dem 1. August 1996 gekürzt und für die davor liegende Zeit eine an die Klägerin zu überweisende Nachzahlung festgestellt. Mit Urteil vom 19. November 2003 hat das Sozialgericht (SG) entschieden: "Der Bescheid vom 17.10.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.4.1997 wird abgeändert und die Beklagte über ihr Teilanerkenntnis vom 09.07.2003 hinaus verurteilt, der Klägerin große Witwenrente vom 01.05.1996 bis zum 31.10.1996 in der ursprünglich bewilligten (mit Bescheid vom 12. Juni 1996) Höhe auszuzahlen und diesen Nachzahlungsbetrag mit 4 % in gesetzlicher Höhe zu verzinsen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen". Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 8. Juni 2004 zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Mit Einfügung des § 93 Abs 5 Satz 3 SGB VI durch das WFG vom 25. September 1996 sei eine Rechtsänderung erfolgt. Die Klägerin habe danach mit Bewilligung der Hinterbliebenenrente durch die BGF grundsätzlich ab dem 3. April 1996 Einkommen iS des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X gehabt. Dass die Beklagte die Aufhebung der Bewilligung auf § 45 SGB X gestützt habe, stehe der Rechtmäßigkeit der Aufhebung grundsätzlich nicht entgegen; die allein noch im Streit befindliche Aufhebung des angefochtenen Bescheids für die Monate August bis Oktober 1996 verstoße aber gegen das aus Art 20 Abs 3 Grundgesetz abgeleitete Rückwirkungsverbot. Insoweit sei der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 31. März 1998 (B 4 RA 59/96 R - SozR 3-2600 § 93 Nr 8) zu folgen, wonach die nach Art 12 Abs 8 WFG verfassungswidrig (echt) rückwirkend zum 1. Januar 1992 in Kraft getretene Änderung von § 93 SGB VI durch Art 1 Nr 17 WFG erst - wie auch im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 20. Februar 2002 (BVerfGE 105, 48) im Hinblick auf die Gewährleistung des Vertrauensschutzes durch das SGB X ausgeführt - nach der Gesetzesverkündung (am 26. September 1996) durch einen Verwaltungsakt der Beklagten habe umgesetzt werden können und dem Versicherungsträger für die Umsetzung mindestens eine angemessene Zeit von einem Monat zuzubilligen sei. Entgegen der Auffassung der Beklagten und des BSG im Urteil des 8. Senats vom 26. Februar 2003 (B 8 KN 11/02 R - SozR 4-2600 § 48 Nr 1) könne es für den Vertrauensschutz nicht auf den Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses ankommen. Ein Bürger müsse nicht damit rechnen, dass neue Anrechnungsregelungen rückwirkend in Kraft treten.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die fehlerhafte Anwendung von § 48 SGB X und trägt vor: Nach der Rechtsprechung des 8. Senats des BSG - Urteile vom 28. Mai 1997 (8 RKn 27/95 - SozR 3-2600 § 93 Nr 3), vom 13. März 2002 (B 8 KN 4/00 R - SozR 3-2600 § 93 Nr 11) und vom 26. Februar 2003 (B 8 KN 11/02 R - SozR 4-2600 § 93 Nr 4) - sei ein Eingriff in bestehende Leistungsansprüche bereits ab 1. August 1996 (gerechnet ab dem Gesetzesbeschluss des deutschen Bundestags am 9. Juli 1996) zulässig. Gestützt auf Erwägungen des BVerfG in dessen Urteil vom 14. Mai 1986 (2 BvL 2/83 - BVerfGE 72, 200, 260 ff) gehe der 8. Senat davon aus, dass die Betroffenen bereits ab dem Tag, als das Gesetz im Bundestag beschlossen worden sei, mit seiner Verkündung und dem Inkrafttreten hätten rechnen müssen und ihnen daher zuzumuten sei, seither ihr Verhalten darauf einzustellen. Dies gelte auch angesichts des Umstandes, dass in jenem Zeitpunkt schon wegen der Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrats weder der Inhalt des künftigen Gesetzes festgestanden habe noch, dass es überhaupt endgültig zustande kommen werde. Eine Abweichung von der Rechtsprechung des 4. Senats habe der 8. Senat wegen der Besonderheiten der zu Grunde liegenden Fallkonstellationen nicht gesehen und im Übrigen auch auf den Nicht-Annahme-Beschluss des BVerfG vom 24. Oktober 2000 (1 BvR 1769/00) verwiesen. Dass der verfassungsrechtlich maßgebliche Zeitpunkt für den Wegfall des Vertrauens in dem Zeitpunkt des endgültigen Gesetzesbeschlusses über die Neuregelung liege, habe auch der 7. Senat des BSG mit Urteil vom 25. Juni 1998 (B 7 AL 2/98 R - BSGE 82, 198 = SozR 3-4100 § 242 v Nr 1) unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des BVerfG entschieden.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 8. Juni 2004 aufzuheben und die Klage in Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Ulm vom 19. November 2003 auch insoweit abzuweisen, als die Beklagte unter Änderung des angefochtenen Bescheids vom 17. Oktober 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. April 1997 und des Bescheids vom 9. Juli 2003 verurteilt wurde, der Klägerin große Witwenrente auch vom 1. August bis zum 31. Oktober 1996 in der ursprünglich im Bescheid vom 12. Juni 1996 bewilligten Höhe auszuzahlen und diesen Nachzahlungsbetrag mit 4 % zu verzinsen.
Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
Der Bescheid der Beklagten vom 17. Oktober 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. April 1997 und des (in Ausführung des Anerkenntnisses ergangenen) Bescheids vom 9. Juli 2003, der gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden ist, unterliegt der Überprüfung im Revisionsverfahren nur insoweit, als die Beklagte damit ihren Bescheid vom 12. Juni 1996 für die Zeit vom 1. August bis 31. Oktober 1996 aufgehoben hat. Desgleichen beschränkt sich im Revisionsverfahren auch die Prüfung des mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage geltend gemachten Anspruchs auf Leistung eines Nachzahlungsbetrags durch die Beklagte auf diese Zeit. Hinsichtlich der Leistungen für die übrigen Zeiten ist das Urteil des LSG nicht angefochten und der Bescheid der Beklagten daher bindend geworden. Vor dem BSG herrscht Vertretungszwang (§ 166 SGG); die trotz des entsprechenden Hinweises in der dem Urteil des LSG beigefügten Rechtsmittelbelehrung und im Schreiben des Senats vom 19. Juli 2004 lediglich privatschriftlichen Ausführungen der Klägerin zur Revision der Beklagten müssen unberücksichtigt bleiben.
Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Aufhebung des angefochtenen Bescheids wendet. Die Revision ist hingegen begründet, soweit das LSG das Urteil des SG auch hinsichtlich der Verurteilung der Beklagten zur Auszahlung eines Nachzahlungsbetrags an die Klägerin bestätigt hat. Dabei kann dahinstehen, ob und inwieweit im Fall der Klägerin § 93 Abs 1 Nr 2 iVm § 93 Abs 5 Satz 3 SGB VI auch für die Zeit vor Erlass des Aufhebungsbescheids vom 17. Oktober 1996 anwendbar ist oder nicht. Denn auch im Fall einer zulässig rückwirkenden Anwendung durfte die Beklagte den Rentenbescheid für die streitige Zeit nicht aufheben (1.). Einen (weiteren) Zahlungsanspruch gegen die Beklagte hat die Klägerin indes auch dann nicht, wenn § 93 Abs 1 Nr 2 iVm § 100 Abs 1 SGB VI hier erst ab 1. November 1996 anwendbar sein sollte (2.).
1. Ein Verwaltungsakt kann nur aufgrund gesetzlicher Ermächtigung erlassen werden (vgl dazu BSG Urteil vom 17. Dezember 1997 - 11 RAr 103/96 - SozR 3-4100 § 128 Nr 4 S 35 mwN, stRspr). Soweit der angefochtene Bescheid den Rentenbewilligungsbescheid teilweise für die Vergangenheit zurückgenommen hat, hat das LSG die einzig dafür in Betracht kommende Ermächtigung in § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X gesehen, und es hat dessen Voraussetzungen verneint, weil § 93 Abs 5 Satz 3 SGB VI erst nach Verkündung des WFG und auch dann nur zukunftsgerichtet anwendbar sei. Eine gesetzliche Ermächtigung für eine Aufhebung der Rentenbewilligung mit Wirkung für die Vergangenheit fehlt aber selbst dann, wenn die Leistungen der UV entgegen der Auffassung des LSG auch für die Zeit vom 1. August bis 31. Oktober 1996 auf die Rente aus der RV angerechnet werden müssten. Denn dies würde lediglich dazu führen, dass die Klägerin von der BGF den entsprechenden Nachzahlungsbetrag aus der UV nicht mehr verlangen könnte. Irgendwelche Ansprüche der Beklagten, die diese gegen die Klägerin geltend machen könnte, bestünden nicht. Das ergibt sich aus § 93 Abs 1 Nr 2 SGB VI iVm mit §§ 104 und 107 SGB X.
Nach § 93 Abs 1 Nr 2 SGB VI wird, wenn für denselben Zeitraum Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente und eine entsprechende Hinterbliebenenrente aus der UV besteht, die Rente aus der RV insoweit nicht geleistet, als die Summe beider Renten vor Einkommensanrechnung den jeweiligen Grenzbetrag übersteigt. Als Ausnahme davon bestimmt § 93 Abs 5 Nr 1 SGB VI idF des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 (BGBl I 2261), dass Absatz 1 nicht angewandt wird, wenn die Rente aus der UV für einen Arbeitsunfall geleistet wird, der sich nach Rentenbeginn oder nach Eintritt der für die Rente maßgebenden Minderung der Erwerbsfähigkeit ereignet hat. Diese Ausnahmevorschrift ist nach § 93 Abs 5 Satz 3 SGB VI, eingefügt durch Art 1 Nr 17 des WFG vom 25. September 1996 (BGBl I 1461) und gemäß Art 12 Abs 8 WFG am 1. Januar 1992 in Kraft getreten, nicht auf Hinterbliebenenrenten anzuwenden. Dabei handelt es sich, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, nach der Rechtsprechung des BSG nicht lediglich um eine Klarstellung, sondern um eine rückwirkende Änderung der zuvor bestehenden Rechtslage. Dies ist nach Auffassung des 8. Senats jedenfalls in Fällen einer erstmaligen Bewilligung von Hinterbliebenenrente verfassungsrechtlich unbedenklich, soweit dabei auf den Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses am 9. Juli 1996 abgestellt wird (Teilurteil und Vorlagebeschluss vom 28. Mai 1997 - 8 RKn 27/95 - insoweit veröffentlicht in JURIS, Urteile vom 13. März 2002 - B 8 KN 4/00 R - SozR 3-2600 § 93 Nr 11 S 106 und vom 26. Februar 2003 - B 8 KN 11/02 R - SozR 4-2600 § 93 Nr 4 RdNr 9; Beschluss vom 18. August 2004 - B 8 KN 18/03 B - veröffentlicht in JURIS). Ob dem im Fall der Klägerin, der die Rente zunächst ungekürzt gewährt wurde, zu folgen ist, kann deshalb dahinstehen, weil die Anwendung der Kürzungsvorschrift für die Zeit vom 1. August bis 31. Oktober 1996, in der die Klägerin bereits laufend Rente von der Beklagten erhalten hat, von Gesetzes wegen zu einem entsprechenden Erstattungsanspruch der Beklagten gemäß § 104 SGB X allein gegen die BGF führen würde; die Beklagte wäre deswegen nicht berechtigt, den Rentenbescheid für die Vergangenheit aufzuheben.
Nach § 104 Abs 1 SGB X ist ein Leistungsträger, gegen den ein Berechtigter vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, erstattungspflichtig, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen des § 103 Abs 1 SGB X vorliegen. Letztere Bestimmung betrifft die Fallgestaltung, dass der Anspruch auf die erbrachten Sozialleistungen nachträglich entfallen ist. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (§ 104 Abs 1 Satz 2 SGB X). Hinsichtlich des nach § 93 Abs 1 Nr 2 SGB VI nicht zu leistenden Rentenbetrags ist der RV-Träger nachrangig verpflichteter Leistungsträger iS des § 104 Abs 1 Satz 2 SGB X; es handelt sich nicht um einen Fall des § 103 SGB X, weil § 93 Abs 1 Nr 2 SGB VI nicht zum Wegfall des Rentenanspruchs der RV führt, sondern nur die monatlichen Rentenzahlungen mindert (vgl BSG Urteil vom 22. Mai 2002 - B 8 KN 12/00 R - SozR 3-2600 § 319b Nr 3 S 21 f, 24 mwN - zur Bedeutung der Leistungspflicht beim Zusammentreffen von Renten und Einkommen nach den §§ 89 ff SGB VI).
Soweit ein Erstattungsanspruch besteht, gilt die Erfüllungsfiktion gemäß § 107 Abs 1 SGB X. Der Anspruch der Klägerin auf den Nachzahlungsbetrag aus der UV für die Zeit vom 1. August bis 31. Oktober 1996 würde danach als durch die für diese Zeit erfolgten Rentenzahlungen der Beklagten als erfüllt gelten; die Zahlungen der Beklagten wären insoweit als rechtmäßige Zahlungen der Hinterbliebenenrente aus der UV anzusehen. Für den Nachzahlungszeitraum würde es daher an einer Rechtswidrigkeit des Rentenbescheids, die nach §§ 45 oder 48 SGB X allein zu seiner Aufhebung führen könnte, fehlen; rechtswidrig würde der Rentenbescheid erst mit Beginn der laufenden Zahlung der Rente aus der UV. Irgendwelche Ansprüche der Beklagten gegen die Klägerin, die sie im Wege eines Verwaltungsakts durchsetzen oder feststellen könnte, sind damit ausgeschlossen (vgl BSG Urteile vom 29. April 1997 - 8 RKn 29/95 - SozR 3-1300 § 107 Nr 10 S 13 f, vom 30. Juni 1997 - 8 RKn 28/95 - SozR 3-2600 § 93 Nr 4 S 40 f und vom 22. Mai 2002 - B 8 KN 11/00 R - SozR 3-2600 § 93 Nr 12; Zweng/Scheerer/ Buschmann/Dörr, Handbuch der RV II - SGB VI § 93 RdNr 137, Stand März 2003, der allerdings ohne Begründung von einem Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X ausgeht); insbesondere ist die Beklagte nach dieser Rechtsprechung nicht berechtigt, einen Bescheid darüber zu erteilen, in welcher Höhe die gezahlten Leistungen der UV bzw der RV zuzurechnen sind.
2. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, zusätzlich zu den für die streitige Zeit bereits erfolgten Rentenzahlungen noch weitere Zahlungen für diese Zeit an die Klägerin zu leisten. Das gilt auch, wenn die Beklagte die Leistungen der UV erst ab 1. November 1996 berücksichtigen durfte. Einzige Folge dieses Umstands wäre ein geringerer Erstattungsanspruch gegen die BGF, die ihrerseits eine höhere Nachzahlung an die Klägerin hätte erbringen müssen. Diesen möglichen Anspruch hat nicht die Beklagte zu erfüllen, denn sie ist gegenüber der Klägerin nur zu Leistungen aus der RV verpflichtet.
Leistungen der RV hat die Beklagte der Klägerin für die streitige Zeit nicht vorenthalten; die Klägerin hat die große Witwenrente für die Zeit vom 1. August bis 31. Oktober 1996 von der Beklagten in der ursprünglich festgesetzten Höhe erhalten. Die "Verrechnung" der Überzahlung mit dem Nachzahlungsbetrag aus der UV ändert daran nichts. Durch die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs gemäß § 104 SGB X ist die Beklagte nicht Schuldnerin der Leistungen aus der UV gegenüber der Klägerin geworden; ebenso wenig käme im Fall, dass sie den Erstattungsanspruch zu Unrecht geltend gemacht hat, eine Verpflichtung der Beklagten in Betracht, einen von der BGF bereits erhaltenen Erstattungsbetrag an die Klägerin "weiterzureichen". Der Ausgleich erfolgt nur im Verhältnis der beteiligten Leistungsträger (BSG Urteil vom 22. Mai 2002 - B 8 KN 11/00 R - SozR 3-2600 § 93 Nr 12 S 111 mwN). Wegen der einbehaltenen Nachzahlung aus der UV kann sich die Klägerin nur an die BGF wenden, für die § 107 SGB X bei gegebenem Erstattungsanspruch der Beklagten einen Erfüllungseinwand begründet; entfällt die Erfüllungsfiktion, weil kein Erstattungsanspruch besteht, bleibt es bei der Zahlungspflicht der BGF. Die Frage, ob sie der Klägerin den entsprechenden Nachzahlungsbetrag vorenthalten darf, kann daher im vorliegenden, allein gegen die Beklagte gerichteten Rechtsstreit nicht entschieden werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1398771 |
NZS 2006, 43 |
SGb 2005, 338 |
SozR 4-1300 § 127, Nr. 1 |