Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenkasse. Unfallversicherung. Aufwendungsersatz
Orientierungssatz
Der Bescheid des Unfallversicherungsträgers, der die Ansprüche des Verletzten abgelehnt hat, hat gegenüber der Krankenkasse für deren Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen nach § 1509 RVO aF auch dann keine Bindungswirkung, wenn die Krankenkasse die Feststellung der Unfallentschädigung nach § 1511 RVO aF betrieben hat und der Bescheid des Unfallversicherungsträgers auch ihr zugestellt worden ist (vgl BSG 1965-12-14 2 RU 24/61 = DOK 1966, 336). Dies gilt auch, wenn die Kasse im Rechtsstreit des Verletzten gegen die BG nach § 75 SGG beigeladen worden ist.
Normenkette
RVO §§ 1509, 1511
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 23.02.1962) |
SG Koblenz (Entscheidung vom 28.04.1959) |
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. Februar 1962 wird mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben, soweit es die Berufung der Revisionsklägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 28. April 1959 zurückgewiesen hat.
Der Rechtsstreit wird insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Gerber Johann B (B.) war 35 Jahre lang in demselben Betrieb als Lohgerber beschäftigt. Als das Unternehmen in Liquidation ging, begann er im Mai 1957 bei der Firma C. S Söhne GmbH in K. mit der Arbeit als Chromgerber. Im September 1957 traten bei ihm erstmals Ekzeme an beiden Händen und Armen auf. Er war deshalb arbeitsunfähig krank vom 14. bis 27. Oktober 1957. Nach Wiederaufnahme der Arbeit bildeten sich erneut Ekzeme, die B. vom 15. November 1957 an wiederum arbeitsunfähig machten. Er erhielt während der Zeiten der Arbeitsunfähigkeit von der Klägerin Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung. Am 5. Mai 1958 wurde er ausgesteuert.
Durch Bescheid vom 28. Juli 1958 gewährte die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) wegen der Hautveränderungen, die sie als Folge einer Berufskrankheit nach der Nr. 19 der Anlage zur 5. Berufskrankheitenverordnung ansah, vom 6. bis 13. Mai 1958 sowie vom 22. Mai 1958 an vorläufige Unfallrente unter Zugrundelegung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v. H. Als Zeitpunkt des Versicherungsfalls setzte sie den 5. Mai 1958 fest, weil nach ihrer Ansicht erst an diesem Tage sämtliche Voraussetzungen für die Anerkennung als Berufskrankheit gegeben waren.
Deshalb lehnte die Beklagte den von der Betriebskrankenkasse (BKK) der Firma C. S. Söhne mit Schreiben vom 26. Juni 1958 geltend gemachten Anspruch auf Ersatz des von ihr an B. bis zum 4. Mai 1958 gezahlten Krankengeldes ab; ihre - der BG - Leistungspflicht habe erst nach der Aussteuerung begonnen, bis zu diesem Zeitpunkt sei allein die BKK zur Leistungsgewährung zuständig gewesen.
Wegen des Bescheides vom 28. Juli 1958 hat B. Klage zum Sozialgericht (SG) Koblenz mit der Begründung erhoben, daß der Versicherungsfall bereits am 14. Oktober 1957 eingetreten sei und ihm deshalb schon von diesem Tage an gegen die beklagte BG Leistungen zustünden. Die BKK hat sich dieser Meinung angeschlossen und mit Schreiben vom 13. Oktober 1958 beantragt, sie gemäß § 75 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beizuladen, den Eintritt des Versicherungsfalls auf den 14. Oktober 1957 festzusetzen und die Beklagte zu verpflichten, ihre Ersatzansprüche zu befriedigen.
Das SG hat die BKK zum Rechtsstreit des B. gegen die BG beigeladen. Durch Urteil vom 28. April 1959 hat es "die Klage abgewiesen". Wie es in den Entscheidungsgründen ausgeführt hat, hat es weder den von B. erhobenen Anspruch auf Gewährung zusätzlicher Leistungen noch den Antrag der beigeladenen BKK auf Ersatz ihrer Aufwendungen aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit des B. als gerechtfertigt angesehen.
Gegen das Urteil des SG haben B. und die BKK Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz eingelegt. Dieses hat beide Berufungen als unzulässig verworfen, weil die Berufungsausschlußgründe des § 145 Nr. 2 und 3 SGG gegeben seien.
Auf die Revision der BKK hat der erkennende Senat durch Urteil vom 21. September 1960 (Az.: 2 RU 12/60) die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit insbesondere deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen, weil dieses nicht geklärt habe, ob die BKK im Berufungsverfahren ihren bisher geltend gemachten und vom SG aus sachlich-rechtlichen Gründen abgewiesenen Ersatzanspruch aus § 1509 der Reichsversicherungsordnung (in der bis zum Inkrafttreten des UVNG geltenden Fassung - RVO - aF) weiter verfolgt oder im Wege der Klageänderung den Entschädigungsanspruch des Verletzten gegen die BG betrieben habe.
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 27. Oktober 1960 vom 1. Dezember 1960 an die Dauerrente unter Zugrundelegung einer MdE um 20 v. H. festgestellt.
Das LSG hat in der mündlichen Verhandlung vom 23. Februar 1962 geklärt, daß die BKK nach wie vor ihren Ersatzanspruch aus § 1509 RVO aF in Höhe von 1.342,73 DM und B. seinen Rentenanspruch geltend mache, somit inhaltlich verschiedene Berufungsbegehren vorlägen, die eine unterschiedliche Beurteilung ihrer Statthaftigkeit zuließen. Durch Urteil von demselben Tage hat das Berufungsgericht die Beklagte unter Änderung ihres Bescheides vom 27. Oktober 1960 verurteilt, die Dauerrente nach einer MdE um 30 v. H. zu gewähren. Im übrigen hat es die Berufung B's als unzulässig verworfen und die der BKK als unbegründet zurückgewiesen.
Das LSG hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die Berufung B's sei nach § 145 Nr. 2 - 3 SGG ausgeschlossen, soweit sie die Gewährung der im Bescheid vom 28. Juli 1958 festgestellten vorläufigen Rente von einem früheren Zeitpunkt an erstrebe. Der nach § 96 SGG zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gewordene Bescheid vom 27. Oktober 1960 sei rechtswidrig, weil die MdE nach wie vor auf 30 v. H. zu schätzen sei. Die Berufung der BKK sei nicht begründet, weil ihre auf § 1509 RVO aF gestützte Klage nicht zulässig sei. Der auf dieser Vorschrift beruhende Ersatzanspruch des Trägers der Krankenversicherung könne erst geltend gemacht werden, wenn die Leistungspflicht des Unfallversicherungsträgers gegenüber dem Verletzten unstreitig oder rechtskräftig festgestellt sei. Die BKK habe jedoch im Verfahren auf Feststellung der Unfallentschädigung des Verletzten nicht mitgewirkt, obwohl ihr durch § 1511 RVO aF die rechtliche Möglichkeit dazu gegeben gewesen sei.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die BKK hat dieses Rechtsmittel eingelegt und es im wesentlichen wie folgt begründet: Die Verfahren nach § 1509 und 1511 RVO aF bestünden unabhängig nebeneinander. Es könne ihr nicht angelastet werden, daß der Verletzte aus prozessualen Gründen aus dem Rechtsstreit ausgeschieden sei. Der Zwang, seinen Beruf infolge der beruflich bedingten Hauterkrankung zu wechseln, habe bei dem Verletzten bereits zu Beginn seiner Erkrankung vorgelegen. Der Versicherungsfall sei daher am 14. Oktober 1957 eingetreten, ihr Ersatzanspruch sei somit begründet.
Die Beklagte hat im wesentlichen wie folgt erwidert: Im Verhältnis zwischen ihr und dem Verletzten stehe, da der Bescheid vom 28. Juli 1958 bindend geworden sei, als Zeitpunkt des Versicherungsfalls der 5. Mai 1958 fest. Deshalb bestehe für sie vor diesem Zeitpunkt keine Entschädigungspflicht. Da die Revisionsklägerin an diesem Verfahren als Beigeladene beteiligt gewesen sei, erstrecke sich die Bindungswirkung des Bescheides vom 28. Juli 1958 auch auf sie. Der von der Revisionsklägerin geltend gemachte Ersatzanspruch beziehe sich auf einen vor dem Eintritt des Versicherungsfalls gelegenen Zeitraum.
Die Revisionsklägerin beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.342,73 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Juli 1958 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden; die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 SGG liegen vor.
Prozeßbeteiligte im Revisionsverfahren sind allein die BKK sowie die BG. Jene ist im Klageverfahren an zwei verschiedenen Verfahren in unterschiedlicher Funktion beteiligt gewesen. Im Rechtsstreit des Verletzten gegen die Beklagte wegen des Beginns der Unfallentschädigung - also im Rahmen einer verbundenen Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, 4 SGG) - war sie beigeladen; sie hat hier auf seiten des Verletzten gestritten. Außerdem hat sie als Klägerin - im Wege einer nach § 54 Abs. 5 SGG erhobenen Klage - Ansprüche aus § 1509 RVO aF gegen die Beklagte erhoben. In beiden Klageverfahren ist es nach Ansicht der Kläger für die Begründetheit der von ihnen erhobenen Ansprüche entscheidend darauf angekommen, daß der Versicherungsfall bereits am 14. Oktober 1957 eingetreten ist. Die Voraussetzungen für eine Verbindung beider Verfahren nach § 113 SGG sind somit gegeben gewesen. Das SG hat, ohne allerdings einen nach dieser Vorschrift erforderlichen Verbindungsbeschluß zu erlassen, ersichtlich beide Klageverfahren miteinander verbunden, da es über sie in einem Urteil entschieden hat. Die Statthaftigkeit der von beiden Klägern gegen dieses Urteil eingelegten Berufungen richtet sich, wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat, nach dem jeweiligen Anspruch; das Berufungsgericht war sonach trotz der Klagenverbindung nicht gehindert, die Berufung des Verletzten teilweise als unzulässig zu verwerfen (BSG 5, 34, 37; Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, 3. Aufl., Stand Februar 1966, S. II/78). Der Verletzte hat seinen Anspruch nicht mehr weiter verfolgt; Revision hat allein die BKK eingelegt. Da, wie die letzte mündliche Verhandlung vor dem LSG ergeben hat, ihr mit Berufung und Revision weiter betriebener Anspruch seinem Inhalt nach von dem des Verletzten völlig verschieden ist, sind die Voraussetzungen der §§ 74 SGG, 62 Zivilprozeßordnung (ZPO) nicht gegeben; der Verletzte ist sonach nicht Beteiligter des Revisionsverfahrens.
Die Revision hatte insoweit Erfolg, als der Rechtsstreit zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen war.
Wie der erkennende Senat im Urteil vom 14. Dezember 1965 (Az.: 2 RU 24/61) entschieden hat, hat der Bescheid des Unfallversicherungsträgers, der die Entschädigungsansprüche des Verletzten abgelehnt hat, gegenüber der Krankenkasse für deren Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen nach § 1509 RVO aF auch dann keine Bindungswirkung, wenn die Krankenkasse die Feststellung der Unfallentschädigung nach § 1511 RVO aF betrieben hat und der Bescheid des Unfallversicherungsträgers auch ihr zugestellt worden ist. Nichts anderes hat zu gelten. wenn - wie vorliegendenfalls - die Krankenkasse im Rechtsstreit des Verletzten gegen die BG nach § 75 SGG beigeladen worden ist. Nach § 141 Abs. 1 SGG binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten. Beteiligter in diesem Sinn ist auch ein Beigeladener (§ 69 Nr. 3 SGG). § 141 SGG setzt aber voraus, daß über denselben Streitgegenstand entschieden worden ist. Der Streitgegenstand eines vom Verletzten gegen die BG wegen Unfallentschädigung geführten Rechtsstreits ist aber, wie der Senat in jenem Urteil im einzelnen begründet hat, ein anderer als der eines von der Krankenkasse gegen denselben Unfallversicherungsträger betriebenen Verfahrens auf Ersatz ihrer Aufwendungen nach § 1509 RVO aF, ungeachtet dessen, daß in beiden Streitverfahren über dieselbe Rechtsfrage auf Grund ein und desselben Sachverhalts als Vorfrage zu entscheiden ist. Obgleich zwischen der beklagten BG und dem Verletzten rechtskräftig feststeht, daß diesem gegen den Träger der Unfallversicherung für die Zeit vor dem 5. Mai 1958 kein Entschädigungsanspruch zusteht, ist es sonach nicht von vornherein ausgeschlossen, daß der von der Revisionsklägerin geltend gemachte auf § 1509 RVO aF gestützte Ersatzanspruch, der ebenfalls einen vor diesem Zeitpunkt liegenden Zeitraum umfaßt, begründet ist. Das LSG hat indessen - von seinem vom Senat nicht geteilten Rechtsstandpunkt aus zu Recht - die für die Entscheidung dieser Frage erforderlichen tatsächlichen Feststellungen, bei deren rechtlicher Beurteilung es an der Entscheidung des SG Koblenz vom 28. April 1959 nicht gebunden ist, nicht getroffen. Daher war das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und der Rechtsstreit an dieses zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Da die Beteiligten des Revisionsverfahrens gemäß § 193 Abs. 4 SGG einander keine Kosten zu erstatten haben, hat der Senat die Kostenentscheidung des LSG bestehen lassen und über die Kosten des Revisionsverfahrens entschieden.
Fundstellen