Leitsatz (amtlich)
1. Haben Eheleute im Zuge ihrer Scheidung über die Verpflichtung zur Leistung nachehelichen Unterhalts einen gerichtlichen Vergleich geschlossen, so handelt es sich hierbei regelmäßig nur um die Bestimmung der Höhe des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs nach EheG §§ 58 ff (Anschluß an die zivilgerichtliche Rechtsprechung, vergleiche BGH 1959-11-11 IV ZR 88/59 = BGHZ 31, 218).
2. Um einen Anspruch auf Unterhalt nach den Vorschriften des EheG iS der RKG § 65 Alternative 1 (= RVO § 1265) handelt es sich in der Regel auch bei dem - mit der Abänderungsklage nach ZPO § 323 durchsetzbaren - Unterhaltsanspruch, den die Frau gegen ihren geschiedenen Ehemann zur Zeit seines Todes über den früher in einem gerichtlichen Unterhaltsvergleich festgelegten Betrag hinaus deswegen hatte, weil sich die für den Vergleichsschluß maßgebend gewesenen Verhältnisse zu ihren Gunsten wesentlich geändert hatten.
Normenkette
EheG § 58 Fassung: 1946-02-20; ZPO § 323; RKG § 65 Alt. 1 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1265 Alt. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. Mai 1970 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die 1912 geborene Klägerin ist die frühere Ehefrau des am 25. Juli 1966 verstorbenen ehemaligen Bergmanns und Rentners Hermann K (K.). Unter den Beteiligten ist in Streit, ob sie aus dessen Versicherungsverhältnis Hinterbliebenenrente beanspruchen kann.
Die - kinderlos gebliebene - Ehe der Klägerin mit dem Versicherten hat das Landgericht (LG) Dortmund am 18. März 1946 aus dem Verschulden des Mannes rechtskräftig geschieden. Während die Klägerin nicht wieder geheiratet hat, hat sich Hermann K. im Jahre 1950 mit der Beigeladenen wiederverehelicht; auch aus der zweiten Ehe sind keine Kinder hervorgegangen.
Ein von der Klägerin gegen den früheren Ehemann angestrengtes Unterhaltsverfahren haben die Beteiligten vor dem LG Dortmund am 4. Mai 1949 mit einem Vergleich abgeschlossen. Darin hat sich Hermann K. verpflichtet, der Klägerin ab 1. November 1948 eine monatliche Unterhaltsrente von 40,- DM zu zahlen; die Klägerin behielt sich weitere Ansprüche für den Fall vor, daß sie arbeitsunfähig werde. Die mit dem Ziel der Aufhebung des Vergleichs erhobene Klage des Versicherten hat das zuständige Amtsgericht am 26. September 1951 abgewiesen.
Von der Versichertenrente des Hermann K. - dieser hat neben einer wegen Silikose aus der gesetzlichen Unfallversicherung gewährten Verletztenrente seit 1955 Knappschaftsvollrente (Erwerbsunfähigkeitsrente) und seit 1963 Knappschaftsruhegeld bezogen - behielt die Beklagte bis zu dessen Tod auf Grund amtsgerichtlichen Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 5. Mai 1951 monatlich 40,- DM ein und führte sie an die Klägerin ab.
Mit Bescheid vom 11. Januar 1968, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 1968, lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Hinterbliebenenrente ab. In der Begründung heißt es, die Klägerin habe zur Zeit des Todes des Versicherten aus ihrer seit Jahren in einer Stehbierhalle ausgeübten Tätigkeit als Büfettfrau monatlich durchschnittlich 210,- DM verdient. Sie sei daher nicht mehr bedürftig im Sinne des Ehegesetzes (EheG) und der Versicherte nicht mehr unterhaltspflichtig gewesen. Den Unterhaltsvergleich vom Jahre 1949 hätte der Versicherte deshalb im Wege der Abänderungsklage beseitigen können. Die tatsächlichen Zuwendungen des Versicherten an die Klägerin von 40,- DM monatlich seien unerheblich und daher unbeachtlich gewesen.
Hierauf hat die Klägerin den Rechtsweg mit Erfolg beschritten. Am 26. Mai 1970 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung gegen das Hinterbliebenenrente zusprechende Urteil des Sozialgerichts (SG) Dortmund vom 7. Januar 1969 zurückgewiesen und ausgeführt: Mit einer Unterhaltsverpflichtung laut Vergleich vom Jahre 1949 im Betrag von 40,- DM monatlich und mit einer entsprechenden tatsächlichen Unterhaltsleistung sei der Versicherte unter einem Viertel des Betrages geblieben, dessen die Klägerin als Mindestbedarf benötigt hätte. Der Monatsbetrag von 40,- DM habe daher als wesentlicher Unterhalt im Sinne sowohl der 2. wie der 3. Alternative des § 65 Satz 1 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) außer Betracht zu bleiben. Dagegen seien die Voraussetzungen der 1. Alternative aaO erfüllt: Der angemessene Unterhaltsbedarf der Klägerin habe zur Zeit des Todes des Versicherten um 300,- DM monatlich gelegen. Nach Abzug ihres eigenen Monatseinkommens von 213,70 DM habe die Klägerin daher von ihrem früheren Ehemann nach den Vorschriften des EheG etwa 90,- DM monatlich beanspruchen können; diesen über einem Viertel des Mindestbedarfs der Klägerin liegenden Betrag habe Hermann K. bei einem monatlichen Renteneinkommen von 959,- DM netto aus Versicherten- und Verletztenrente ohne Gefährdung seines und seiner Ehefrau angemessenen Unterhalts leisten können.
Die Revision hat das LSG zugelassen.
Die Beklagte hat die Revision eingelegt. Sie bringt vor: Entgegen der Annahme des LSG stehe nicht fest, ob die Klägerin zur Zeit des Todes des Versicherten die Voraussetzungen der 1. Alternative des § 65 Satz 1 RKG erfüllt habe; es sei nicht geklärt, ob die Klägerin bedürftig im Sinne des § 58 Abs. 1 EheG 1946 gewesen sei. Hierbei seien nämlich nicht nur die tatsächlichen Einkünfte zu berücksichtigen, sondern auch, was die Klägerin zur Zeit des Todes des Versicherten hätte verdienen können. Das LSG hätte daher prüfen müssen, ob die Klägerin nicht mehr als 213,70 DM monatlich hätte verdienen können. Diese Prüfung erfordere entsprechende Feststellungen des LSG.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen und der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist im übrigen darauf hin, daß sie sich nach Kräften bemüht habe, ihren Unterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu sichern.
Die Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
II
Die zulässige Revision ist nicht begründet.
Nach § 65 Satz 1 RKG wird einer früheren Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit diesem geschieden ist, nach dessen Tod Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG (1. Alternative) oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte (2. Alternative) oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat (3. Alternative).
Das Berufungsgericht hat zutreffend festgestellt, daß der von der Klägerin im gerichtlichen Vergleich mit ihrem geschiedenen Mann im Jahre 1949 mit 40,- DM festgelegte Betrag einer monatlichen Unterhaltsrente nicht 25 v.H. ihres zur Zeit des Todes des Versicherten im Jahre 1966 notwendigen Mindestbedarfs erreichte; dieser Mindestbedarf lag bei 300,- DM monatlich. Damit war die im Vergleich festgelegte Summe im Sinne der gesicherten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG; vgl. z.B. BSG 22, 44; BSG SozR Nr. 49 zu 1265 RVO) geringfügig und daher im Rahmen weder der 2. noch der 3. Alternative des § 65 Satz 1 RKG geeignet, einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente zu begründen.
Die Klägerin erfüllt indessen die Voraussetzungen der 1. Alternative aaO.
Durch Abschluß des Prozeßvergleichs im Jahre 1949 hat die schuldlos geschiedene Klägerin ihre Ansprüche nach §§ 58, 59, 62 EheG gegen Hermann K. auf künftig fällig werdende, monatlich wiederkehrende Unterhaltsleistungen nicht beeinträchtigt. Die Klägerin und der Versicherte haben im Jahre 1949 offensichtlich allein den vom schuldig geschiedenen Ehemann der Frau gesetzlich geschuldeten nachehelichen Unterhalt der Höhe nach näher bestimmt, nicht aber unabhängig von §§ 58 ff EheG eine selbständige Leistungspflicht des Mannes begründen wollen. Der im Vergleich festgelegte Unterhaltsanspruch bleibt daher ein gesetzlicher Anspruch (RGZ 164, 65, 68; BGHZ 31, 218; Hoffmann/Stephan, Komm. zum Ehegesetz, 2. Aufl., Anmerkungen 22 ff, 31 zu § 72).
Nun ist der Anspruch aus §§ 58 ff EheG - wie regelmäßig alle Ansprüche auf künftig fällig werdende wiederkehrende Unterhaltsleistungen - in seinem künftigen Bestand von vornherein an die Verhältnisse geknüpft, die in der Zukunft eintreten werden (Anwendungsfall der clausula rebus sie stantibus). Die - unten noch eingehender zu besprechende - sogenannte Abänderungsklage nach § 323 der Zivilprozeßordnung (ZPO), die der Anpassung eines titulierten Anspruchs auf wiederkehrende Leistungen an die nachträglich gewandelten Verhältnisse dient, trägt der sachlich-rechtlichen Eigenart dieser in ihrem Umfang veränderlichen Ansprüche verfahrensrechtlich Rechnung. § 323 Abs. 4 ZPO insbesondere stellt i.V.m. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO klar, daß die Eigenschaft eines Vergleichs als eines gerichtlichen seiner Abänderbarkeit aus sachlich-rechtlichen Gründen nicht entgegensteht (Stein/Jonas, Komm. zur ZPO, 19. Aufl., Anm. IV 1 bei § 323).
Für den konkreten Fall bedeutet dies, daß die Unterhaltsverpflichtung Hermann K's. gegenüber der Klägerin zur Zeit seines Todes im Jahre 1966 wesentlich höher als der im Vergleich vom Jahre 1949 festgelegte Betrag gewesen sein kann; Voraussetzung ist, daß sich zwischenzeitlich die für die seinerzeitige Bemessung des Anspruchs maßgebenden Verhältnisse wesentlich zugunsten der Klägerin geändert haben.
Eine solche wesentliche Änderung der Verhältnisse liegt vor. Hermann K. hatte nach den Feststellungen des LSG zur Zeit seines Todes aus zwei Renten, nämlich aus der Knappschaftsrente und aus der Rente der gesetzlichen Unfallversicherung ein monatliches Einkommen von zusammen 959,- DM netto. Damit steht fest, daß dem Versicherten auch als Rentner der starke Anstieg der Einkommen aus unselbständiger Arbeit seit dem Jahre 1949 zugute gekommen ist, sein Nettoeinkommen mithin bei Vergleichsschluß wesentlich geringer gewesen war. Andererseits liegt die Minderung der Realkaufkraft eines Betrages von 40,- DM im Jahre 1966 gegenüber den Verhältnissen vom Jahre 1949 auf der Hand. Der vom LSG für das Jahr 1966 unangegriffen auf 90,- DM monatlich bezifferte und über einem Viertel des Unterhaltsbedarfs der Klägerin liegende Unterhaltsanspruch gegen den früheren geschiedenen Mann ist Ausdruck dieses seit 1949 wesentlich veränderten Lohn-, Preis- und Geldwertniveaus (vgl. dazu BGHZ 34, 110, 118, 120).
Für die Bejahung der 1. Alternative des § 65 RKG genügt das Bestehen eines sachlich-rechtlichen Unterhaltsanspruchs; sie hängt nicht davon ab, daß der Unterhaltsanspruch der geschiedenen Frau vor dem Tode des Versicherten bereits zuerkannt oder zumindest eingeklagt war. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die Klägerin nach der in Rechtsprechung und Schrifttum herrschenden Meinung (vgl. BGHZ 34, 110 ff; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 10. Aufl., S. 831; Stein/Jonas aaO, Anm. I 2) den Anspruch auf Erhöhung des 1949 durch gerichtlichen Vergleich festgelegten Unterhalts verfahrensrechtlich nicht gemäß § 258 ZPO durch eine "Unterhaltszusatzklage", sondern nur durch die auf Abänderung des Vergleichs gerichtete Gestaltungsklage nach § 323 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 ZPO hätte durchsetzen können. Es trifft zwar zu, daß dann, wenn ein zu künftig fällig werdenden Unterhaltsleistungen verpflichtendes Urteil vorliegt, gemäß § 323 Abs. 3 ZPO ein Abänderungsurteil "nur für die Zeit nach Erhebung der Klage" ergehen darf. Auf den Prozeßvergleich ist diese Vorschrift indessen nicht anzuwenden (BGH NJW 63, 2076). Unschädlich ist auch, daß die Abänderungsklage nach § 323 ZPO keine Leistungs-, sondern eine Gestaltungsklage ist. Die nach der herrschenden Rechtsauffassung gegebene Beschränkung auf diese Klageart ist Ausfluß allein des Umstandes, daß in Fällen der vorliegenden Art der streitige Unterhaltsanspruch bis zu einer bestimmten Höhe bereits tituliert ist und es sohin nach eingetretener Veränderung der das Zustandekommen des Unterhaltstitels bestimmenden Umstände allein einer Berichtigung, einer Anpassung des Titels an die gewandelten Verhältnisse bedarf. Streitgegenstand auch der Abänderungsklage bleibt der dem Titel zugrunde liegende sachlich-rechtliche Anspruch (Stein/Jonas aaO, Anm. III 1).
Bei der Beantwortung der Frage, wie die Höhe des Anspruchs auf künftig wiederkehrende Leistungen nach wesentlicher Änderung der bei ihrer ersten Festlegung maßgebenden Verhältnisse neu zu bestimmen sei, braucht im vorliegenden Fall auf die insoweit bestehenden unterschiedlichen Rechtsauffassungen nicht eingegangen zu werden. Es kann nämlich dahinstehen, ob die Leistungshöhe gemäß einer Beurteilung zu bestimmen ist, die nach eingetretener wesentlicher Änderung neu anzustellen gewesen wäre, oder ob nur eine proportionale Erhöhung des im Schuldtitel festgelegten Betrags möglich ist (vgl. dazu z.B. Baumbach/Lauterbach, Komm. zur ZPO, 30. Aufl., Anm. 3 B zu § 323). Die Bezifferung des Unterhaltsanspruchs der Klägerin mit 90,- DM monatlich durch das LSG ist nach dessen Ausführungen das Ergebnis einer auf die Zeit des Todes des Versicherten - 1966 - abgestellten neuen Beurteilung dieses Anspruchs. Nach den Gegebenheiten des konkreten Falles muß aber auch davon ausgegangen werden, daß eine proportionale Erhöhung des ursprünglich vereinbarten Unterhaltsbetrages, die im Jahre 1966 den seit 1949 eingetretenen Veränderungen entsprochen hätte, offensichtlich keine geringere Summe ergeben hätte.
Allerdings liegt es in der rechtlichen Eigenart der Abänderungsklage nach § 323 ZPO, daß die einmal festgestellten Anspruchsgrundlagen verbindlich bleiben (BGHZ 34, 110, 117). Speziell auf den von § 323 Abs. 4 ZPO erfaßten gerichtlichen Vergleich bezogen bedeutet dies, daß bei der Neubemessung des Betrags der wiederkehrenden Leistungen der insoweit zu ermittelnde Wille der Vertragsschließenden nicht außer acht gelassen werden kann. Laut Nr. 2 des am 5. April 1949 geschlossenen gerichtlichen Vergleichs hat sich die Klägerin weitere Ansprüche gegen den Versicherten für den Fall vorbehalten, "daß sie nach dem Urteil eines Amtsarztes arbeitsunfähig wird". Die Vergleichsschließenden sind mithin damals davon ausgegangen, daß die Klägerin fähig ist, eigenen Arbeitsverdienst zu haben; sie haben diesen Umstand dem Unterhaltsanspruch als nicht entgegenstehend erachtet. Die Beklagte kann daher heute nicht mit ihrem Einwand gehört werden, die Klägerin hätte zur Zeit des Todes des Versicherten so viel verdienen können, daß sie von diesem keinen Unterhalt hätte verlangen können.
Hatte aber die Klägerin zur Zeit des Todes des Versicherten gegen diesen - einen teilweise bereits titulierten - Anspruch auf Unterhalt nach den Vorschriften des EheG in einer das Geringfügige überschreitenden Höhe, so erfüllt sie den Tatbestand der 1. Alternative des § 65 Satz 1 RKG. Das LSG hat daher im Ergebnis zu Recht das der Klägerin Hinterbliebenenrente zusprechende Urteil des SG bestätigt.
Die Revision der Beklagten gegen das angefochtene Urteil war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen