Orientierungssatz
Geschiedenenwitwenrente - Mindestbedarf der geschiedenen Frau - Monatssätze nach dem BSHG - ärztlich verordnete Diät.
Normenkette
RKG § 65 S. 1 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1265 S. 1 Fassung: 1957-02-23; BSHG
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 30.08.1973; Aktenzeichen L 2 Kn 125/72) |
SG Duisburg (Entscheidung vom 23.08.1972; Aktenzeichen S 4 (2A) Kn 119/72) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. August 1973 und des Sozialgerichts Duisburg vom 23. August 1972 aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 1971 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. März 1972 wird abgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten der Rechtsverfolgung zu zwei Dritteln zu erstatten.
Gründe
I.
Die 1908 geborene Klägerin ist die frühere, seit 1954 aus dem überwiegenden Verschulden des Mannes geschiedene Ehefrau des ehemaligen Kaufmanns und Knappschaftsrentners Gottfried T (T.). Nach der Scheidung hatte sich T. gegenüber der Klägerin schriftlich verpflichtet, einen monatlichen Unterhalt von 60,- DM zu zahlen (Erklärung vom 1. Oktober 1954). Nachdem die Klägerin im Jahre 1957 ein entsprechendes Versäumnisurteil erstritten hatte, zahlte T., der sich nicht wieder verehelichte, der Klägerin tatsächlich einen monatlichen Unterhalt von 60,- DM. Am 23. Oktober 1971 starb T.
Mit dem streitigen Bescheid vom 14. Dezember 1971 in der Gestalt des bestätigenden Widerspruchsbescheides vom 28. März 1972 lehnte es die Beklagte ab, der Klägerin aus dem Versicherungsverhältnis des T. eine Hinterbliebenenrente zu gewähren. Im Hinblick auf ihr eigenes Erwerbseinkommen von rd. 900,- DM monatlich habe sie von T. keinen Unterhalt zu beanspruchen gehabt; das amtsgerichtliche Unterhaltsurteil hätte sie durch Abänderungsklage beseitigen können.
Mit der hiergegen erhobenen Klage hatte die Klägerin in den Vorinstanzen Erfolg. Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte den Rentenanspruch der Klägerin für die Zeit ab 1. Januar 1973 anerkannt; dieses Teilanerkenntnis hat die Klägerin angenommen. Im übrigen hat das Landessozialgericht (LSG) mit der angefochtenen Entscheidung vom 30. August 1973 die Berufung der Beklagten gegen das Hinterbliebenenrente zusprechende Urteil des Sozialgerichts (SG) vom 23. August 1972 zurückgewiesen und ausgeführt: T. habe der Klägerin im Sinne der 3. Alternative des § 65 Satz 1 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet. Die Unterhaltszahlung habe mit 60,- DM pro Monat auch etwa 25 v.H. des notwendigen Mindestbedarfs der Frau erreicht; aus der Sozialhilfe hätten der Klägerin zur Zeit des Todes des Versicherten rd. 265,- DM zugestanden (Regelsatz von 197,- DM zuzüglich von 53,- DM monatlich für Miete und einer Feuerungsbeihilfe). Die Unterhaltsleistung von 60,- DM monatlich sei unter Berücksichtigung auch des Nettoeinkommens der Frau im Jahre 1971 von 700,- bis 720,- DM von Gewicht gewesen, zumal diese nach ärztlicher Feststellung seit 1971 regelmäßig Diät habe einhalten müssen.
Dieses Urteil hat die Beklagte mit der zugelassenen Revision angefochten. Sie trägt vor: T. habe der Klägerin bei deren Einkommen zur Zeit seines Todes keinen Unterhalt nach dem Ehegesetz (EheG) zu leisten gehabt. Das amtsgerichtliche Versäumnisurteil hätte die Klägerin gemäß §§ 323, 767 der Zivilprozeßordnung (ZPO) beseitigen können, so daß es keinen sonstigen Grund im Sinne der 2. Alternative des § 65 Satz 1 RKG gebildet habe. Die tatsächliche Unterhaltsleistung des Versicherten während des Jahres vor seinem Tode habe mit 60,- DM monatlich nur 22,65 % des Mindestbedarfs der Klägerin betragen und könne daher einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente nicht auslösen. Die Unterhaltszahlung sei beim "Stand der Lebensführung" der Klägerin auch nicht ins Gewicht gefallen. Im übrigen könne der Mindestbedarf der Frau nicht ausschließlich am Richtsatz der Sozialhilfe gemessen werden. Ihr angemessener Unterhalt habe sich auf mindestens 300,- DM monatlich belaufen, wovon 60,- DM nur 20 v.H. ausmachten. Der durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (RVÄndG) 1965 in § 65 RKG eingefügte Satz 2 bringe der Klägerin keinen Rechtsvorteil, weil sie wegen eigener ausreichender Einkünfte keines Unterhalts durch den geschiedenen Mann bedurft habe.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 23. August 1972 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision unter Überbürdung der Kosten auf die Beklagte zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist zulässig und in der Sache zum Teil begründet.
Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 RKG (= § 1265 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) wird einer früheren Ehefrau eines Versicherten, deren Ehe mit diesem geschieden ist, nach dem Tode des Versicherten Rente gewährt, wenn ihr dieser zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG (1. Alternative) oder aus sonstigen Gründen (2. Alternative) zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat (3. Alternative).
Von diesen drei Alternativen des Gesetzes erfordert die letzte den geringsten Prüfungsaufwand; im vorliegenden Fall ergibt diese Prüfung folgendes:
Nach den nicht angefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der verstorbene Versicherte Gottfried T. der Klägerin im letzten Jahr vor seinem am 23. Oktober 1971 eingetretenen Tod einen Unterhalt von monatlich jeweils 60,- DM tatsächlich gezahlt. Die Zahlung von Unterhalt begründet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach § 65 Abs. 1 RKG, wenn sie geringfügig war; geringfügig ist sie, wenn sie nicht etwa 25 v.H. des Betrages erreicht, den ein Unterhaltsberechtigter unter den gegebenen zeitlichen und örtlichen Verhältnissen zur Deckung seines notwendigen Mindestbedarfs benötigt (BSG 22, 44, 47; SozR Nr. 49 zu § 1265 RVO; der erkennende Senat in SozR Nr. 26 aaO). Bei der Frage, mit welcher Größe der nach der Rechtsprechung des BSG zu ermittelnde Mindestbedarf der geschiedenen Frau anzusetzen ist, kann davon ausgegangen werden, daß er nicht unter den Monatssätzen liegen kann, die der Frau im Falle ihrer Mittellosigkeit nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zustehen würden. Das LSG hat unangefochten dargelegt, daß der Klägerin im letzten Jahre vor dem Tode T's. nach dem BSHG bei einem Regelsatz von 197,- DM unter zusätzlicher Berücksichtigung der Miete und der Feuerungskosten rd. 265,- DM monatlich zugestanden hätten. Freilich hat das Berufungsgericht übersehen, daß zu dieser Summe noch ein entsprechender Betrag für ärztlich verordnete Diät hinzukommen muß, die die Klägerin - wie das LSG hervorhebt - wegen verschiedener Erkrankungen auf Grund ärztlicher Verordnung seit 1971 einhalten muß: Nach § 37 Abs. 2 BSHG erhält ein Hilfsbedürftiger zu den Regelleistungen eine monatliche Diätzulage, wenn vom Arzt eine besondere Kost zur Besserung oder Linderung einer Krankheit verordnet ist (vgl. Gottschick/Giese, Komm. zum BSHG, 4. Aufl., Anm. 6 bei § 37 mit Rechtsprechungshinweisen; Knopp/Fichtner, Komm. zum BSHG, Anm. 3 zu § 37). Wird bezüglich dieser Diätzulage davon ausgegangen, daß sie nicht mehr als 1,- DM pro Tag beträgt, so läge der Mindestgesamtbedarf der Klägerin nach dem BSHG bereits knapp unter 300,- DM, von dem die von T. pro Monat geleisteten 60,- DM nur etwa 20 v.H. ausmachten. Auf Grund der 3. Alternative des § 65 Satz 1 RKG hat die Klägerin daher entgegen der Ansicht der Vorinstanzen keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente.
Was die 2. Alternative aaO anbelangt, so kommen zwar sowohl die schriftliche Unterhaltsverpflichtung vom 1. Oktober 1954 wie auch das amtsgerichtliche Urteil vom Jahre 1957 als sonstige Unterhaltsgründe in Betracht. Indessen kann im Rahmen der 2. Alternative aaO bezüglich einer Unterhaltsverpflichtung von 60,- DM nichts anderes gelten als bei einer Unterhaltszahlung im Rahmen der 3. Alternative aaO. Es braucht daher nicht erörtert zu werden, ob das genannte Unterhaltsurteil als sonstiger Unterhaltsgrund auch deswegen auszuscheiden hat, weil es die Klägerin durch eine Abänderungsklage hätte beseitigen können.
Dagegen könnte ungeachtet von schriftlicher Unterhaltsverpflichtung und gerichtlichem Unterhaltsurteil ein über 60,- DM pro Monat liegender Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen T. nach den Vorschriften des EheG im Sinne der 1. Alternative des § 65 Satz 1 RKG begründet gewesen sein (vgl. dazu den erkennenden Senat in BSG 34, 192 = SozR Nr. 61 zu § 1265 RVO). Jedoch würde ein solcher ehegesetzlicher Unterhaltsanspruch der Klägerin zur Zeit des Todes des Versicherten daran gescheitert sein, daß die Erträgnisse der Klägerin aus eigener Erwerbstätigkeit für ihren - nach ihren und ihres geschiedenen Mannes zur Zeit der Scheidung gegebenen Lebensverhältnissen - angemessenen Unterhalt im Sinne des § 58 Abs. 1 EheG ausreichten: Sie konnte, wie das LSG unangefochten festgestellt hat, als Alleinstehende zur Zeit des Todes des Versicherten über ein Nettoeinkommen aus einer Tätigkeit als Büroangestellte von mindestens 700,- DM pro Monat verfügen.
Bei dieser Sachlage kann der Anspruch der Klägerin auch nicht auf Grund des durch das RVÄndG vom 9. Juni 1965 mit Wirkung ab 1. Juli 1965 in § 65 RKG eingefügten Satzes 2 begründet sein: Ein Unterhaltsanspruch im Sinne des § 65 Satz 1 Alternative 1 RKG hat zur Zeit des Todes des Versicherten nicht wegen dessen schlechter Vermögens- und Erwerbsverhältnisse, sondern - wie dargelegt - wegen der Erträgnisse der Erwerbstätigkeit der Klägerin nicht bestanden.
Da die Beklagte den Anspruch der Klägerin für die Zeit ab 1. Januar 1973 anerkannt hat, brauchte der Senat nicht zu prüfen, ob die Klägerin die Voraussetzungen des Satzes 2 aaO in der Fassung des Art. 1 § 3 Nr. 12 des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 (vgl. für § 1265 RVO: Art. 1 § 1 Nr. 14 i.V.m. Art. 6 § 8 Abs. 1 RRG) erfüllt.
Besteht nach allem der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch bis zum 31. Dezember 1972 nicht, so waren die zusprechenden Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Im Kostenpunkt beruht die Entscheidung auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen