Leitsatz (amtlich)
Die Voraussetzungen des RVO § 593 Abs 1 Halbs 2 - solange die Ehefrau den Unterhalt bestritten haben würde - sind nicht gegeben, wenn das Vermögen der verstorbenen Ehefrau, wegen dessen Ertragswerts der überwiegende Unterhalt der Familie - ohne weitere zu unterhaltende Angehörige - bejaht worden ist, mit ihrem Tode auf den Ehemann übergegangen ist.
Normenkette
RVO § 593 Abs. 1 Hs. 2 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 9. November 1970 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger begehrt die Gewährung von Witwerrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Er bewirtschaftete mit seiner Ehefrau Marie T in L, Kreis Land H, ein landwirtschaftliches Unternehmen mit einer Wirtschaftsfläche von fast 29 ha. 21,5 ha davon gehörten der Ehefrau, etwa 2 ha dem Kläger, 5,5 ha sind vom Kläger hinzugepachtet worden. Im landwirtschaftlichen Unternehmen waren außer dem Kläger und seiner Ehefrau die im Jahre 1947 geborene Tochter K und ein Schwager des Klägers beschäftigt.
Am 8. August 1966 verstarb die Ehefrau des Klägers an den Folgen eines Arbeitsunfalles. Die Beklagte zahlte an den Kläger Sterbegeld, dessen Antrag auf Gewährung von Witwerrente lehnte sie mit Bescheid vom 2. Oktober 1968 mit der Begründung ab, seine verstorbene Ehefrau habe nicht den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten.
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 26. November 1969 die Beklagte zur Gewährung von Witwerrente an den Kläger verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, auf Grund der Zeugenaussagen ergebe sich, daß die Verstorbene und der Kläger bei den Feldarbeiten und bei der Viehhaltung gleichwertige Arbeit geleistet hätten. Die Verstorbene habe aber auch den Haushalt geführt. Sie habe, da der Unterhalt der Familie T erst durch den von ihr in die Ehe gebrachten landwirtschaftlichen Besitz sichergestellt gewesen sei, diesen überwiegend bestritten.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, es teile die Auffassung des SG, daß die verstorbene Ehefrau des Klägers den Unterhalt der Familie - d. h. hier der beiden Ehegatten - überwiegend bestritten habe. Zwar seien die Eheleute am landwirtschaftlichen Betrieb - auch unter Berücksichtigung der Haushaltsführung der Ehefrau - arbeitsmäßig etwa zu gleichen Teilen beteiligt gewesen, jedoch habe die Ehefrau am landwirtschaftlichen Betrieb die größere Anbaufläche zur Verfügung gestellt. Ihr Anteil am Unterhaltsaufkommen sei um die Differenz im Ertragswert des beiderseitigen Eigentums größer gewesen als derjenige des Klägers. Dennoch sei der geltend gemachte Anspruch nicht gerechtfertigt, denn die Quelle, aus der die Ehefrau Einnahmen erzielt und sie zum Unterhalt der Familie verwandt habe, sei nach ihrem Tode auf den Kläger übergegangen. Damit sei die Unterhaltsersatzfunktion der Witwerrente weggefallen. Daß der Kläger den Hof im Jahre 1968 auf seine Tochter übertragen habe, ändere am Ergebnis nichts. Im übrigen sei dem Kläger auch an dem früheren Eigentum seiner Ehefrau ein Altenteil eingeräumt worden. Durch dieses sei sein Unterhalt sichergestellt.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger die zugelassene Revision eingelegt. Er meint, das, was die Ehefrau ihm hinterlassen habe, stelle keinen Ausgleich für die weggefallenen Unterhaltsleistungen dar. Nach dem Tode seiner Ehefrau sei es ihm nicht möglich gewesen, den Hof allein zu bewirtschaften. Er wäre daher gezwungen gewesen, wenn er den Hof hätte weiter bewirtschaften wollen, eine Hilfskraft einzustellen. Die Kosten für eine solche wären aus dem Hof jedoch nicht zu erwirtschaften gewesen. Die Tochter sei nicht bereit gewesen, die Stelle der verstorbenen Mutter und Ehefrau des Klägers einzunehmen. Für den Kläger hätte sich nur die Möglichkeit ergeben, den Hof zu verpachten. Eine Pacht hätte jedoch keinesfalls ausgereicht, um den Unterhalt des Klägers auch nur einigermaßen sicherzustellen. Unter diesen Umständen sei dem Kläger nichts anderes übrig geblieben, als den Hof bereits jetzt seiner Tochter im Wege der vorweggenommenen Erbfolge zu übertragen.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. Oktober 1968 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Witwerrente aus Anlaß des tödlichen Unfalls seiner Ehefrau Marie T vom 8. August 1966 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, daß die verstorbene Ehefrau des Klägers den Unterhalt der Familie nicht überwiegend bestritten hat und verweist dazu auf den Beschluß des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 21. Mai 1969 (BSG 29, 225).
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
II
Die Revision ist nicht begründet.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Auffassung des LSG zutrifft, die verstorbene Ehefrau des Klägers habe den Familienunterhalt überwiegend bestritten. Selbst wenn man hiervon ausgeht, weil man berücksichtigt, daß nach den Feststellungen des LSG, die mit Verfahrensrügen (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG) nicht angegriffen worden sind, zwar die Eheleute am landwirtschaftlichen Betrieb arbeitsmäßig etwa jeder zur Hälfte beteiligt waren, jedoch der Anteil der verstorbenen Ehefrau des Klägers am Unterhaltsaufbringen jedenfalls um die Differenz im Ertragswert des beiderseitigen Eigentums größer war als der Anteil des Klägers (vgl. BSG 28, 185, 190), so darf nicht unbeachtet bleiben, daß im Gegensatz zu § 1266 RVO, der für die Rentenversicherung der Arbeiter gilt, eine Witwerrente in der UV-Versicherung nach § 593 Abs. 1 letzter Halbsatz RVO nur so lange zu gewähren ist, als die Ehefrau des Klägers den Unterhalt der Familie "bestritten haben würde". Es müssen also die Verhältnisse mit herangezogen werden, die nach dem Zeitpunkt des Unfalls eingetreten sind. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der genannten Vorschrift, sondern entspricht auch der Auffassung des Gesetzgebers. In dem Bericht des Sozialpolitischen Ausschusses des Bundestages (BT-Drucks. IV/938 - neu - S. 14, 15) wird als Beispiel darauf hingewiesen, daß sich andernfalls für einen Studenten, dessen Ehefrau ihn während der Studienzeit überwiegend unterhalten hat, eine zeitlich unbegrenzte Witwerrente ergeben könnte, wenn die Ehefrau durch einen Arbeitsunfall getötet worden sei. Berücksichtigt man im vorliegenden Fall die Verhältnisse nach dem tödlichen Arbeitsunfall der Ehefrau des Klägers, so ergibt sich folgendes: Nach den ebenfalls unangegriffenen Feststellungen des LSG, waren die Eheleute am landwirtschaftlichen Betrieb arbeitsmäßig etwa zu gleichen Teilen beteiligt. Das überwiegende Bestreiten des Unterhalts der Familie durch die verstorbene Ehefrau des Klägers hat das LSG nur deswegen bejaht, weil der Ertragswert aus dem Eigentum der Verstorbenen zu berücksichtigten sei. Da das Eigentum nunmehr auf den Kläger übergegangen ist, ist mithin auch der Ertragswert mit auf ihn übergegangen. Daraus folgt, daß, unterstellt die Ehefrau des Klägers würde noch leben, sie den überwiegenden Unterhalt nicht mehr bestritten haben würde, da bei der Berechnung des überwiegenden Unterhalts nunmehr der erwähnte Ertragswert auf Seiten des Klägers zu berücksichtigen wäre. Daran ändert auch nichts, wie das LSG ebenfalls zutreffend hervorgehoben hat, daß der Kläger den gesamten Hof später auf seine Tochter als Eigentum übertragen hat. Freiwillige Verfügungen von Überlebenden vermögen den einmal eingetretenen Rechtszustand nicht zu ändern, und eine Übertragung des Eigentums, um etwa in den Genuß der Witwerrente zu kommen, würde einen Verstoß gegen den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben darstellen (§ 242 BGB; vgl. auch BSG in SozR Nr. 9 zu § 242 BGB), und deshalb unbeachtlich bleiben.
Das vom Senat vertretene Ergebnis bei dem es auf den von der Revision hervorgehobenen Gesichtspunkt der "Bedürftigkeit" nicht ankommt, rechtfertigt sich auch aus dem Sinn und Zweck der Gewährung einer Witwerrente als Hinterbliebenenrente. Sie hat Unterhaltsersatzfunktion (BSG 28, 96, 97). Das gilt insbesondere für den vom § 1266 Abs. 1 RVO abweichenden Wortlaut des § 593 Abs. 1 RVO. Diese fällt jedoch jedenfalls in den Fällen weg, in denen der Witwer das Vermögen seiner Ehefrau und die damit verbundenen Erträgnisse erbt, deretwegen allein bejaht worden ist, daß die Ehefrau den überwiegenden Unterhalt der Familie bestritten hat; denn die Berücksichtigung der Arbeit der Ehefrau im gemeinsamen Haushalt (siehe dazu BSG in SozR Nr. 10 zu § 1266 RVO) hätte hier noch nicht zur Erfüllung dieses gesetzlichen Tatbestandsmerkmals geführt. Ob die Frage anders zu beurteilen ist, wenn nicht gerade der Ertragswert den wesentlichen Unterhalt ausmacht und inwieweit der Witwer darauf verwiesen werden kann, daß er das ererbte Vermögen in Anspruch nimmt, braucht vom Senat nicht allgemein entschieden zu werden.
Damit erledigen sich auch die Einwände der Revision, die meint, der Kläger wäre, da er den geerbten Hof nicht allein weiterbewirtschaften könne, gezwungen gewesen, eine Hilfskraft einzustellen. Die Kosten dafür seien jedoch aus dem Hof nicht zu erwirtschaften gewesen. Entweder war der Ertrag aus dem Grund und Boden, der der verstorbenen Ehefrau des Klägers gehörte und auf letzteren übergegangen ist, so groß, daß die verstorbene Ehefrau den Unterhalt der Familie trotz ungefähr gleicher Arbeitsleistung beider Ehegatten überwiegend bestritten hatte, dann müßte der Kläger mit Rücksicht auf die Größe des Hofes auch in der Lage sein, anstelle seiner Ehefrau, deren Bedürfnisse aus den Erträgen ebenfalls befriedigt werden mußten, eine bezahlte Hilfskraft einzustellen; oder aber der Ertrag ist so gering, daß er nicht ausreicht, um eine solche Hilfskraft zu beschäftigten, dann könnte die Ehefrau des Klägers auch nicht den überwiegenden Unterhalt aus ihren Erträgen bestritten haben. Das ergibt sich aus der Berechnung des überwiegenden Unterhalts. Dabei bleiben hier weitere Angehörige außer Betracht, da weder der Schwager des Klägers, weil nicht unterhaltsberechtigt, noch die im Zeitpunkt des Todes der Ehefrau des Klägers 19 Jahre alter Tochter zu berücksichtigen ist, weil sie nach den Feststellungen des LSG zum Familienunterhalt etwa so viel beigesteuert hat, wie ihrem eigenen Unterhaltsaufwand entspricht (vgl. BSG 28, 185, 189; 31, 90 93). Wie der Große Senat des BSG (BSG 29, 225, 232 ff) näher dargelegt hat, hat ein Ehegatte, der ohne weitere Angehörige mit dem anderen Ehegatten einen gemeinsamen Haushalt geführt und sonst keine eigenen Angehörigen unterhalten hat, den anderen Ehegatten nicht schon dann überwiegend unterhalten, wenn sein Beitrag zum gemeinsamen Unterhalt größer ist als die Hälfte der Summe der Beiträge beider Ehegatten. Sein Beitrag muß nach Abzug der Hälfte des gemeinsamen Unterhalts größer sein als der Beitrag des anderen Ehegatten. Das bedeutet, daß der Unterhaltsbeitrag der Ehefrau den Beitrag des Ehemanns um mehr als das Dreifache übersteigen müßte (BSG 29, 233/4). Auf diese Erwägungen kommt es im übrigen nicht entscheidend an. Denn auch bei Unterstellung der Annahme, daß ein landwirtschaftliches Anwesen nach dem Tode der Ehefrau die Einstellung einer Hilfskraft nicht zuließe, wäre noch nicht dargetan, daß die Ehefrau den Unterhalt der Familie im Erlebensfalle weiterhin überwiegend bestritten haben würde, wie dies § 593 Abs. 1 RVO voraussetzt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen