Orientierungssatz
Notwendige Beiladung des Rentenversicherungsträgers - zur Verfassungsmäßigkeit eines Teils des § 1385b Abs 1:
Die notwendige Beiladung des Rentenversicherungsträgers ist nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger nur den seine Beitragstragungspflicht betreffenden Satz 2 des § 1385b Abs 1 RVO angreift. Die Auffassung, aus der Unwirksamkeit nur dieses Teiles der Vorschrift würde sich die Verpflichtung des Rehabilitationsträgers zur Tragung des vollen Beitrags ergeben (was dann letztlich den Beitragsanspruch des Rentenversicherungsträgers unberührt lassen würde), trifft nicht zu. Eine solche Folgerung ist nicht mit dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers bei Schaffung des § 1385b RVO vereinbar, wonach die dort genannten Rehabilitationsträger zwar zur Abführung des vollen Beitrags an den Rentenversicherungsträger, gleichzeitig aber nur zur Tragung des halben Beitrages verpflichtet wurden.
Die Frage der Verfassungsmäßigkeit kann deshalb nicht auf einen Teil des § 1385b Abs 1 RVO beschränkt werden, sondern erfaßt die ganze Vorschrift. Damit betrifft aber der Streitgegenstand dieses Verfahrens auch die Rechtssphäre des Rentenversicherungsträgers.
Normenkette
RVO § 1385b Abs. 1 S. 2 Fassung: 1983-12-22; SGG § 75 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
SG Hildesheim (Entscheidung vom 13.02.1985; Aktenzeichen S 2 Kr 2/85) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger nach § 1385b Abs 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I, 1532) verpflichtet ist, die von der beklagten Krankenkasse aus Anlaß seines Krankengeldbezuges an die gesetzliche Rentenversicherung zu zahlenden Beiträge zur Hälfte zu tragen.
Die Beklagte gewährte dem Kläger vom 14. September bis 14. Oktober 1984 Krankengeld. Es belief sich auf 2.152,33 DM. Davon behielt die Beklagte an Beiträgen 199,09 DM zur Rentenversicherung und 49,50 DM zur Arbeitslosenversicherung ein. Die restlichen 1.903,74 DM zahlte sie aus. Der Kläger erhob gegen den Abzug von Beiträgen zur Rentenversicherung Widerspruch, der erfolglos blieb (Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 1984).
Der Kläger hat beim Sozialgericht (SG) Hildesheim Klage erhoben. Die Regelung, nach der er vom Krankengeld einen Beitragsanteil zur Rentenversicherung zu tragen habe, sei verfassungswidrig. Das SG hat die Klage durch Urteil vom 13. Februar 1985 abgewiesen und die Sprungrevision zugelassen. Es hat § 1385b RVO für vereinbar mit dem Grundgesetz (GG) gehalten.
Mit der Sprungrevision wendet sich der Kläger weiterhin gegen die Einbehaltung des Beitragsanteils zur Rentenversicherung. Er hält § 1385b Abs 1 Satz 2 RVO insoweit für verfassungswidrig, als Bezieher von Krankengeld und von Verletztengeld zur Tragung der Hälfte der Beiträge verpflichtet worden sind. Die Vorschrift verstoße gegen die Art 3, 14 und 104a bis 108 GG. Nicht beanstandet werde, daß die in § 1385b Abs 1 Satz 1 RVO aufgeführten Sozialleistungsträger zur Finanzierung von Lasten der Rentenversicherung herangezogen werden. Hierin sei ein verfassungsrechtlich zulässiger Finanzausgleich zwischen den verschiedenen Sozialleistungsbereichen zu sehen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 13. Februar 1985 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 4. und 24. Oktober 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 1984 zu verurteilen, ihm die vom Krankengeld einbehaltenen Beiträge zur Rentenversicherung in Höhe von 199,09 DM auszuzahlen.
Die Beklagte stellt keinen Antrag. Sie überläßt die Beurteilung der Frage, ob die genannte Regelung mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dem Gericht.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landessozialgericht (LSG), das für die Berufung zuständig gewesen wäre (§ 170 Abs 4 Satz 1 SGG).
Die Aufhebung des Urteils des SG ist geboten, weil das Verfahren an einem im Revisionsverfahren fortwirkenden prozessualen Mangel leidet, der in der Revisionsinstanz nicht beseitigt werden kann. In dem Rechtsstreit war der zuständige Rentenversicherungsträger notwendig beizuladen (§ 75 Abs 2 SGG).
Der Rechtsstreit wird darüber geführt, ob der Kläger verpflichtet ist, die von der Beklagten aufgrund seines Krankengeldbezuges entrichteten Rentenversicherungsbeiträge zur Hälfte zu tragen. Da die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1385b Abs 1 Satz 2 RVO unstreitig vorliegen, hängt der Erfolg des Klagebegehren davon ab, ob die Vorschrift anwendbares Recht ist, was der Kläger mit der Behauptung ihrer Verfassungswidrigkeit in Zweifel zieht. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit, über die der Senat vorweg - sei es durch ihre Bejahung oder bei Verneinung durch Vorlage gemäß Art 100 GG an das Bundesverfassungsgericht - zu befinden hat, berührt indes unmittelbar den Anspruch auf die Beiträge und greift damit dergestalt in die Rechtssphäre des Rentenversicherungsträgers ein, daß die Entscheidung auch diesem gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs 2 - 1. Alternative - SGG).
Die notwendige Beiladung des Rentenversicherungsträgers ist nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger nur den seine Beitragstragungspflicht betreffenden Satz 2 des § 1385b Abs 1 RVO angreift. Die Auffassung, aus der Unwirksamkeit nur dieses Teiles der Vorschrift würde sich die Verpflichtung der Beklagten zur Tragung des vollen Beitrags ergeben (was dann letztlich den Beitragsanspruch des Rentenversicherungsträgers unberührt lassen würde), trifft nicht zu. Eine solche Folgerung ist nicht mit dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers bei Schaffung des § 1385b RVO vereinbar, wonach die dort genannten Rehabilitationsträger zwar zur Abführung des vollen Beitrags an den Rentenversicherungsträger, gleichzeitig aber nur zur Tragung des halben Beitrages verpflichtet wurden. Entsprechend dieser Entscheidung des Gesetzgebers müßte sich, wenn die Pflicht des Klägers zur Tragung seines Beitragsanteils aus Verfassungsgründen entfiele, dies auch auf die Abführungspflicht der Beklagten auswirken. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit kann deshalb nicht auf einen Teil des § 1385b Abs 1 RVO beschränkt werden, sondern erfaßt die ganze Vorschrift. Damit betrifft aber der Streitgegenstand dieses Verfahrens auch die Rechtssphäre des Rentenversicherungsträgers.
Die Unterlassung der notwendigen Beiladung ist ein im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtender und zur Zurückverweisung zwingender Verfahrensmangel (BSG SozR 1500 § 75 Nr 1).
Da das SG bereits eine Entscheidung zur Sache getroffen hat, erschien es zweckmäßig, den Rechtsstreit nicht an das SG, sondern an das LSG zurückzuverweisen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen