Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindererziehungszeiten. Vertriebene. Altösterreicherin
Orientierungssatz
1. Kindererziehungszeiten in Österreich während der Zeit vom 1.1.1939 bis 9.4.1945 sind bei sogenannten Altösterreicherin nach § 1251a Abs 1a RVO nicht anrechenbar, da Beitragszeiten in die österreichische Versicherungslast fallen würden (vgl BSG vom 23.4.1990 - 5 RJ 55/89).
2. Kindererziehungszeiten von Vertriebenen, deren Herkunftsgebiet Österreich ist, sind wegen der Geltung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Soziale Sicherheit vom 22.12.1966 als Abkommen iS von § 2 Buchst b FRG nicht nach § 28b FRG anrechenbar.
Normenkette
RVO § 1251a Abs. 1a; SVAbk AUT Art. 24 Abs. 2 S. 1 Hs. 2; FRG § 2 Buchst. b, § 28b Abs. 1; SozSichAbkSchlProt AUT Nr. 19 Buchst. b Nr. 2; SozSichAbk AUT
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 25.07.1989; Aktenzeichen L 11 Ar 59/89) |
SG Würzburg (Entscheidung vom 14.12.1988; Aktenzeichen S 4 Ar 399/88) |
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA) die Anrechnung von Kindererziehungszeiten für ihre Kinder G. und W. , die sie in Österreich geboren hat. Die Kinder haben in Österreich ihr erstes Lebensjahr verbracht.
Die 1923 in Österreich geborene Klägerin heiratete 1941 einen als Soldat in Österreich stationierten Reichsdeutschen, gebar 1941 in W. ihren Sohn G. und 1944 ihre Tochter W. . Nach dem Krieg - Ende September 1946 - kam die Klägerin mit einem Flüchtlingstransport über ein Flüchtlingslager nach Westdeutschland. Sie erhielt den Flüchtlingsausweis A. Die Klägerin bezog von der Beklagten zunächst Altersruhegeld wegen Vollendung des 60. Lebensjahres. Am 16. März 1988 beantragte sie die Umwandlung des Altersruhegeldes in ein solches wegen Vollendung des 65. Lebensjahres unter Anrechnung von Kindererziehungszeiten für ihre in Österreich geborenen Kinder G. und W. und für ihr 1957 in der Bundesrepublik Deutschland geborenes Kind H A. . Die Beklagte rechnete der Klägerin darauf eine Kindererziehungszeit für ihren Sohn H. A. an, lehnte aber die Anrechnung von Kindererziehungszeiten für die in Österreich geborenen Kinder G. und W. ab (Bescheid vom 19. April 1988; Widerspruchsbescheid vom 4. August 1988).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, die Monate April bis August 1945 (einschließlich) als Kindererziehungszeit bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 14. Dezember 1988). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben, soweit es die Beklagte zur Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten und zur Kostenerstattung an die Klägerin verurteilt hat und hat auch insoweit die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat es zurückgewiesen (Urteil vom 25. Juli 1989).
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 14. Dezember 1988 aufzuheben, soweit es die Klage abweist und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die Kindererziehungszeiten für ihre Kinder G. und W. L. anzuerkennen und der Klägerin die sich daraus ergebenden Leistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, daß ihr die Zeiten der Erziehung ihrer Kinder G. und W. als Versicherungszeiten angerechnet werden. Eine entsprechende Entscheidung hat der Senat bereits in einem gleichgelagerten Fall getroffen (Urteil vom 23. April 1990 - 5 RJ 55/89 - zur Veröffentlichung bestimmt).
Nach § 1251a Abs 1 Satz 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) werden Müttern und Vätern, die nach dem 31. Dezember 1920 geboren sind, Zeiten der Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986 in den ersten zwölf Kalendermonaten nach Ablauf des Monats der Geburt des Kindes angerechnet, wenn sie ihr Kind im Geltungsbereich der RVO oder in dem jeweiligen Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze erzogen und sich mit ihm dort gewöhnlich aufgehalten haben. Ab dem 10. April 1945 galten in Österreich die Reichsversicherungsgesetze nicht mehr (§§ 1, 120 Abs 2 Österreichisches Überleitungsgesetz - BGBl 147/1947). Aber auch, soweit die Kindererziehungszeiten in die Zeit fallen, in welche die Reichsversicherungsgesetze in Österreich in Geltung waren, sind der Klägerin diese Zeiten in Deutschland nicht anzurechnen, weil die Republik Österreich es durch Abkommen mit der Bundesrepublik Deutschland übernommen hat, die in Österreich versicherten Personen durch die dortigen Träger zu versorgen. Die Versicherungsträger der Bundesrepublik sind insoweit freigestellt.
Durch Art 6 Nr 18 iVm Art 85 Abs 2 des Rentenreformgesetzes 1992 (BGBl I 2261) ist deshalb klarstellend § 1251 Abs 1a RVO mit Wirkung vom 1. Januar 1986 (also mit Inkrafttreten der Regelung über die Kindererziehungszeiten überhaupt - Art 1 Nr 19 des Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetzes vom 11. Juli 1985 BGBl I 1450) eingefügt worden. Er bestimmt, daß Erziehungszeiten im Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze nicht in Deutschland angerechnet werden, wenn Beitragszeiten während desselben Zeitraumes auf Grund einer Versicherungslastregelung mit einem anderen Staat nicht in die Versicherungslast der Bundesrepublik Deutschland fallen würden. Nach Art 24 Abs 1 Nr 2 b des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich vom 21. April 1951 (BGBl II 1951, 318) - Erstes Abkommen - haben die Versicherungsträger in der Republik Österreich von den Leistungsansprüchen und den Anwartschaften, die vor dem 10. April 1945 in den deutschen Rentenversicherungen entstanden sind, die Ansprüche und Anwartschaften übernommen, die auf Versicherungszeiten beruhen, die nach Einführung der deutschen Rentenversicherungen in Österreich im Gebiet der Republik Österreich zurückgelegt worden sind. Beitragszeiten, die mit den Kindererziehungszeiten der Klägerin zeitgleich wären, würden somit in die österreichische Versicherungslast fallen. Dasselbe hat daher nach § 1251 Abs 1a RVO für Kindererziehungszeiten zu gelten.
Zwar ist das Erste Abkommen durch Art 53 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Soziale Sicherheit vom 22. Dezember 1966 - BGBl II 1969, 1235 - (Deutsch-Österreichisches Sozialversicherungsabkommen - DÖSVA -) außer Kraft gesetzt worden. Durch Art 53 Satz 1 DÖSVA iVm Nr 19 b) 1 a des Schlußprotokolls vom 22. Dezember 1966 zum DÖSVA ist es aber bei der in den Art 23 und 24 des Ersten Abkommens festgelegten Verteilung der Versicherungslast geblieben.
Die Klägerin hat auch nicht deshalb Versicherungszeiten durch die Kindererziehung in Österreich erworben, weil sie Vertriebene ist. Zwar stehen bei Vertriebenen für die Anrechnung von Versicherungszeiten wegen Kindererziehung die Erziehung und der gewöhnliche Aufenthalt im Herkunftsgebiet der Erziehung und dem gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gleich (§ 28b Fremdrentengesetz -FRG-). Österreich ist auch das Herkunftsgebiet der Klägerin. Doch gilt das FRG nicht für Versicherungszeiten, die nach einem für die Bundesrepublik wirksamen zwischenstaatlichen Abkommen über Sozialversicherung oder nach innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines Staates, für den auch ein für die Bundesrepublik Deutschland verbindliches allgemeines Abkommen über Sozialversicherungen wirksam ist, in einer Rentenversicherung des anderen Staates anrechnungsfähig sind. Das gilt auch für den Fall, daß die Versicherungszeiten im Einzelfall nicht der Berechnung der Leistungen zugrunde gelegt werden (§ 2 Buchst b FRG). Das deutsch-österreichische Sozialversicherungsabkommen gilt für Versicherungszeiten vor dem 1. Januar 1939 und nach dem 10. April 1945 im Gebiet der Republik Österreich generell und für die Klägerin als Altösterreicherin, für die in der Zeit vom 31. Dezember 1938 und dem 11. April 1945 im Gebiet der Republik Österreich zurückgelegten Versicherungszeiten als Abkommen iS der Rechtsvorschriften über Fremdrenten (Nr 19 Buchst b Nr 2 Buchst c a)a) und b)b) des Schlußprotokolls zum DÖSVA). Als Altösterreicher bzw Altösterreicherin ist dabei der zu verstehen, der unmittelbar vor dem 13. März 1938 seinen ordentlichen Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich gehabt hat (Nr 19 b 2 c b)b) des Schlußprotokolls zum DÖSVA, Art 24 Abs 2 Erstes Abkommen, § 56 Abs 3 des Österreichischen Sozialversicherungs-Überleitungsgesetzes).
Nach § 1251a Abs 3 iVm § 1227a Abs 5 RVO sind Kindererziehungszeiten auch anzuerkennen bei Müttern oder Vätern, die ihr Kind in einem Gebiet außerhalb der Bundesrepublik Deutschland erzogen haben, wenn sie wegen einer Beschäftigung oder Tätigkeit in diesem Staat während der Kindererziehung oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes Pflichtbeitragszeiten im Inland haben. Der- artiges ist zugunsten der Klägerin nicht festgestellt und auch nicht behauptet. Ebenso sind Kindererziehungszeiten Versicherungszeiten, wenn der Ehegatte des erziehenden Elternteils während der Erziehungszeit im Inland versichert war oder nur deshalb nicht versichert war, weil er nach § 1229 RVO versicherungsfrei war. Das letztere sind zB Beamte oder Berufssoldaten, nicht jedoch Soldaten, die ihrer Wehrpflicht genügten. Das LSG geht jedoch in tatsächlicher Hinsicht davon aus, daß der Ehemann der Klägerin als Wehrpflichtiger und nicht als Berufssoldat in Österreich gewesen war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen