Entscheidungsstichwort (Thema)

MdE. Berufsschadensausgleich

 

Orientierungssatz

1. Der Anspruch auf Berufsschadensausgleich ist nicht davon abhängig, daß die Voraussetzungen für eine höhere Bewertung der MdE nach § 30 Abs 2 BVG gegeben sind.

. 2. Auch ein einmal erlernter aber später nicht ausgeübter Beruf ist nach § 30 Abs 4 S 1 BVG für die Ermittlung des Durchschnittseinkommens zur Berechnung des Berufsschadensausgleichs dann heranzuziehen, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen der für diesen Beruf maßgebenden Berufs- oder Wirtschaftsgruppe wahrscheinlich angehört hätte.

3. Eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem anderen als in dem Beruf, der infolge der Schädigungsfolge hat aufgegeben werden müssen, kann nur berücksichtigt werden, wenn sie für den später ausgeübten Beruf nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten förderlich gewesen ist.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs. 3 Fassung: 1966-12-28, Abs. 2; BVG § 30 Abs 3 u 4 DV 1968 § 5 Abs. 1 S. 3; BVG § 30 Abs. 4 S. 1

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 06.11.1968)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. November 1968 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Die Kläger sind die Rechtsnachfolger des am 25. Dezember 1915 geborenen und am 23. Juni 1970 während des Revisionsverfahren verstorbenen O L (L.). L. hatte ursprünglich wegen der bei ihm anerkannten Schädigungsfolge "Verlust des linken Armes ab oberem Drittel des Oberarmes" Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 v.H. bezogen. Ab 1. Oktober 1958 wurde wegen wesentlicher Änderung in der anerkannten Schädigungsfolge mit Bescheid vom 7. März 1960 Rente nach einer MdE von 80 v.H. bewilligt, ein besonderes berufliches Betroffensein in dem vor der Schädigung ausgeübten Beruf eines Molkereimeisters jedoch verneint. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg. In der Begründung des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 1960 wurde u.a. ausgeführt, eine wesentliche Änderung der Verhältnisse sei dadurch eingetreten, daß infolge des Armverlustes Phantombeschwerden bestünden. Die Klage auf Gewährung der Rente eines Erwerbsunfähigen blieb ohne Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) verwarf die Berufung als unzulässig.

L. hatte nach dem Besuch der Volksschule und einer dreijährigen Lehre als Molkereigehilfe 1934 die Molkereigehilfenprüfung abgelegt. Sodann war er bis Oktober 1937 (Einberufung zur Wehrmacht) in verschiedenen Molkereien als Molkereigehilfe tätig. Nach einer Verwundung im Mai 1940 wurde er im März 1941 aus dem Wehrdienst entlassen und legte noch im selben Jahr die Molkereimeisterprüfung ab. Da er nach seinen Angaben als Molkereimeister keine Anstellung fand, betrieb er zusammen mit seiner Frau und sechs Hilfskräften bis zum Kriegsende ein Milchhandelsgeschäft. 1945 kam er als Flüchtling in die heutige Bundesrepublik. Er blieb bis 1948 ohne Beschäftigung, handelte 1949 vorübergehend mit Kurzwaren und eröffnete 1950 ein Tabak- und Papierwarengeschäft mit Totoannahmestelle, das er 1960 nach seinen Angaben wegen dauernder Phantomschmerzen aufgab. Ab Juli 1960 war er als Telefonist tätig.

Im August 1964 beantragte L. Berufsschadensausgleich. Das Versorgungsamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 9. September 1964 ab, weil Voraussetzung für einen Berufsschadensausgleich ein besonderes berufliches Betroffensein nach § 30 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) sei; dies sei jedoch durch den rechtsverbindlichen Bescheid vom 7. März 1960 verneint worden. Widerspruch und Klage blieben aus den gleichen Gründen ohne Erfolg. Mit der Berufung beantragte L.,

unter Abänderung des sozialgerichtlichen Urteils vom 18. April 1966 und unter Aufhebung der zugrunde liegenden Verwaltungsbescheide den Beklagten zu verurteilen, Berufsschadensausgleich gem. § 30 Abs. 3 Bundesversorgungsgesetz zu gewähren und dabei die Leistungsgruppe II der Angestellten der Nahrungs- und Genußmittelindustrie,

hilfsweise,

das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 9 des Bundesbesoldungsgesetzes zugrunde zu legen.

Das LSG hob unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts (SG) vom 18. April 1966 die angefochtenen Bescheide auf und verurteilte den Beklagten, bei einer Berechnung des Berufsschadensausgleichs als Vergleichseinkommen das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe (BesGr) A 7 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) zugrunde zu legen (Urteil vom 6. November 1968). Im übrigen wies es - was zwar nicht im Tenor des Urteils zum Ausdruck kommt, aber aus den Urteilsgründen zu entnehmen ist - die Berufung zurück. Es ließ die Revision zu und führte im wesentlichen aus: Obwohl die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 BVG durch den bindend gewordenen Bescheid vom 7. März 1960 verneint worden seien, habe das SG nicht schon deshalb den Anspruch auf Berufsschadensausgleich ablehnen dürfen; denn dieser Anspruch sei nicht davon abhängig, ob die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 BVG vorlägen. L. habe jedoch, obwohl er bereits 1941 die Meisterprüfung abgelegt habe, keinen Anspruch auf Berechnung des Berufsschadensausgleichs nach Leistungsgruppe II (Molkereimeister), weil er in diesem Beruf nie tätig geworden sei. Obwohl er die Tätigkeit als Milchhändler in seiner Heimat 1945 durch den Ausgang des Krieges und die anschließende Flucht habe aufgeben müssen, habe er auch nach seinem Eintreffen im Bundesgebiet von der - wie das LSG aufgrund seiner Ermittlungen feststellte - durchaus gegebenen Möglichkeit, als Molkereimeister tätig zu werden, keinen Gebrauch gemacht; an dieser Beschäftigung sei er nach den ärztlichen Gutachten auch nicht durch die Schädigungsfolgen gehindert gewesen. Vielmehr habe er schon 1950 ein Tabak- und Papierwarengeschäft (später mit Totoannahmestelle) eröffnet und es bis 1960 geführt. Von seinem Beruf als Molkereimeister habe er sich also schon in der Zeit bis 1960 gelöst. Dieser Beruf sei auch nicht deshalb der Berechnung des Berufsschadensausgleichs zugrunde zu legen, weil L. ihn auf alle Fälle ab 1. Januar 1964 (Einführung des Berufsschadensausgleichs für Schwerbeschädigte) nicht mehr hätte ausüben können, auch wenn er bis dahin als Molkereimeister tätig gewesen wäre. Denn es komme auf den Beruf an, in dem der Beschädigte durch die Schädigungsfolge beruflich besonders betroffen bzw. in seinem Erwerbseinkommen gemindert sei. L. habe wegen der Schädigungsfolgen nicht den Beruf eines Molkereimeisters aufgeben müssen, sondern den tatsächlich ausgeübten eines selbständigen Kaufmannes. Daß er jedoch diesen Beruf wegen der Schädigungsfolgen aufgegeben habe, ergebe sich bereits aus den Ausführungen von Dr. K im Oktober 1959, wonach die bei L. bestehenden Phantombeschwerden eine dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit mit sich bringen könnten. Aber auch die Sachverständigen Dr. B und Dr. H hätten später bestätigt, daß L. infolge der Phantomschmerzen bzw der ursächlich davon herrührenden Psycholabilität und Konzentrationsstörungen gehindert sei, seinen Beruf als Kaufmann auszuüben. Beide Gutachter hätten zwar auch Nervenwurzelreizerscheinungen im Bereich des linken Beines und des Kreuzes als mittelbare Schädigungsfolge angesehen, sie aber nicht als wesentliche Ursache der Berufsbehinderung als Kaufmann bezeichnet; bei dieser Sachlage habe es der Einholung eines orthopädischen Gutachtens wegen des Zusammenhanges dieser Gesundheitsstörungen mit dem Wehrdienst nicht bedurft. Da L. bei seiner Ausbildung zum Molkereimeister u.a. auch in kaufmännischer und technischer Buchführung, Auswertung und Sicherung des Betriebserfolgs und im Wirtschafts- und Bankwesen geschult worden sei, habe sich diese Ausbildung beruflich und wirtschaftlich fördernd auf die spätere kaufmännische Tätigkeit ausgewirkt. Deshalb sei hier für die Berechnung des Berufsschadensausgleichs nach § 5 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (DVO) zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG nicht von der BesGr A 5 (selbständig Tätige mit Volksschulbildung ohne abgeschlossene Berufsausbildung), sondern von der BesGr A 7 (Volksschulbildung mit abgeschlossener Berufsausbildung) auszugehen. Eine Einstufung nach der BesGr A 9 komme dagegen auch nach der Neufassung des § 5 Abs. 2 DVO durch das 3. Neuordnungsgesetz (NOG) mit Wirkung ab 1. Januar 1967 nicht in Betracht. Die Berechnung nach der BesGr A 7 werde auch dem tatsächlichen Einkommen des L. in seinem Beruf als Kaufmann gerecht. Die Revision ließ das LSG wegen der Frage zu, ob bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 DVO in der jetzigen Fassung "weitere Gesichtspunkte zugunsten des Schwerbeschädigten für die Berechnung des Berufsschadensausgleichs zu berücksichtigen sind".

Mit der Revision rügt der Beklagte Verstöße des LSG gegen Verfahrensvorschriften und eine Verletzung des materiellen Rechts. Er meint, das LSG habe das Gutachten von Dr. B unrichtig ausgewertet; diesem Gutachten sei nicht zu entnehmen, daß Dr. B die Phantombeschwerden als "wesentliche Ursache" für die Aufgabe des Kaufmannsberufes durch den Kläger angesehen habe (Verstoß gegen § 128 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Falls das LSG nur ein Feststellungsurteil erlassen habe, hätte es damit gegen die §§ 55, 123 SGG verstoßen. Sachlich-rechtlich habe das LSG § 30 Abs. 3 und 4 BVG, §§ 2, 5 DVO unrichtig angewandt.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalen die Berufung gegen das Urteil des SG Detmold vom 18. April 1966 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision des Beklagten als unzulässig zu verwerfen,

hilfsweise,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält die Revision des Beklagten für unzulässig, weil sie vom LSG nur zu der Frage zugelassen worden sei, ob bei L. nach § 5 DVO die BesGr A 9 zugrunde gelegt werden müsse. Die Verfahrensrügen des Beklagten greifen nach seiner Meinung nicht durch. Sachlich-rechtlich hält er das Urteil des LSG für zutreffend.

L. ist am 23. Juni 1970 verstorben. Die Rechtsnachfolger, ausgewiesen durch Erbschein, haben das durch den Tod unterbrochene Verfahren aufgenommen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

II

Das LSG hat die Revision nach dem Tenor seines Urteils zugelassen (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Die Revision ist auch frist- und formgerecht eingelegt worden. Damit unterliegt das Urteil des LSG in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht; es kommt nicht darauf an, wie das LSG die Zulassung begründet hat. Für die Zulässigkeit der Revision ist es auch unerheblich, ob das LSG nur eine Feststellung über eine Anspruchsvoraussetzung getroffen oder ob es den Beklagten zur Gewährung einer Leistung verurteilt hat.

Da nur der Beklagte Revision eingelegt hat, ist im Revisionsverfahren nur darüber zu entscheiden, ob den Klägern als Rechtsnachfolgern des L. von der Antragstellung (August 1964) an bis zu dessen Tode ein Berufsschadensausgleich zusteht, der auf der Grundlage der BesGr A 7 zu berechnen ist. Nach § 30 Abs. 3 BVG idF des 2. NOG vom 21. Februar 1964 (BGBl I S. 85) erhält nach Anwendung des Abs. 2 einen Berufsschadensausgleich, wer als Schwerbeschädigter beruflich insoweit besonders betroffen ist, als er einen Einkommensverlust von monatlich mindestens 75 DM hat. Nach § 30 Abs. 3 BVG idF des 3. NOG vom 28. Dezember 1966 (BGBl I S. 750) erhalten nach Anwendung des Abs. 2 Schwerbeschädigte, deren Erwerbseinkommen durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, einen Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 4 Satz 1 BVG. Nach beiden Fassungen ist Einkommensverlust der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente und dem höheren Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, der der Beschädigte ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte. Nach beiden Fassungen des Gesetzes ist auch, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, der Anspruch auf Berufsschadensausgleich entgegen der Auffassung des SG nicht davon abhängig, daß die Voraussetzungen für eine höhere Bewertung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG gegeben sind; es ist also unerheblich, daß die Voraussetzungen dieser Vorschrift bei L. durch den bindend gewordenen Bescheid vom 7. März 1960 verneint worden sind (BSG 29, 208).

Streitig ist im vorliegenden Falle, welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung eines Einkommensverlustes heranzuziehen ist (vgl. § 30 Abs. 7 BVG Buchst. a). Dies ist in der Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG in den Fassungen vom 30. Juli 1964 und vom 28. Februar 1968 geregelt. L. Hat nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG eine abgeschlossene Ausbildung als Molkereigehilfe gehabt und nach der Schädigung die Prüfung als Molkereimeister abgelegt, jedoch den Beruf eines Molkereimeisters nie ausgeübt, sondern ist von 1941 bis 1945 als Milchhändler und - nachdem er nach der Flucht aus seiner früheren Heimat in die Bundesrepublik bis 1950 offenbar im wesentlichen arbeitslos war - von 1950 bis 1960 als Inhaber eines Tabak- und Papierwarengeschäfts mit Totoannahmestelle selbständig und anschließend als Telefonist beschäftigt gewesen. Das LSG hat deshalb zunächst prüfen müssen, ob zur Feststellung des Berufsschadensausgleichs von dem Durchschnittseinkommen eines unselbständig in der privaten Wirtschaft Tätigen (§ 2 Abs. 1 Buchst. a, § 3 DVO) oder von einem Durchschnittseinkommen aus selbständiger Tätigkeit (§ 2 Abs. 1 Buchst. c, § 5 DVO) auszugehen ist. Obwohl nur der Beklagte Revision eingelegt hat, hat der erkennende Senat - unter Beachtung des Rechtsgrundsatzes, daß die prozessuale Lage des Klägers nicht verschlechtert werden darf - die Voraussetzungen eines Berufsschadensausgleichs auch unter dem Gesichtspunkt prüfen müsse, ob das LSG zu Recht nicht vom Durchschnittseinkommen eines unselbständig in der privaten Wirtschaft Tätigen, hier eines Molkereimeisters, ausgegangen ist. Den Beruf eines Molkereimeisters, also eines Angestellten in Industrie und Handel, Wirtschaftsbereich Nahrungs- und Genußmittelindustrie, hat das LSG allerdings nicht schon deshalb außer Betracht lassen dürfen, weil L. "in dieser Eigenschaft ... nie tätig gewesen ist" und "der Schaden ... in dem tatsächlich ausgeübten und nicht in dem irgend einmal erlernten Beruf eingetreten sein" müsse. Auch ein "irgend einmal erlernter" aber später nicht ausgeübter Beruf wäre nämlich nach § 30 Abs. 4 Satz 1 BVG für die Ermittlung des Durchschnittseinkommens zur Berechnung des Berufsschadensausgleichs dann heranzuziehen, wenn der Beschädigte "ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen" der für diesen Beruf maßgebenden Berufs- oder Wirtschaftsgruppe "wahrscheinlich angehört" hätte. Die vom LSG festgestellten Tatsachen rechtfertigen jedoch die im Ergebnis auch vom LSG gezogene Schlußfolgerung, daß L. den Beruf eines Molkereimeisters auch ohne die Schädigungsfolgen wahrscheinlich nicht ausgeübt hätte. Hierfür spricht zunächst, daß L., obwohl er schon 1941 und erst nach der Schädigung die Molkereimeisterprüfung abgelegt hat, diesen Beruf anschließend auch in seiner Heimat nicht ausgeübt, sondern alsbald ein offenbar größeres Milchhandelsgeschäft betrieben hat. Da er auch nach der Flucht in den Jahren 1945 bis 1950 den Beruf eines Molkereimeisters im Bundesgebiet nicht ausgeübt hat, obwohl nach den Feststellungen des LSG damals ein hoher Bedarf an Molkereimeistern nicht nur in Molkereibetrieben, sondern auch in verwandten Betrieben und Industrien der Nahrungsmittelbranche bestanden hat, deshalb auch Kriegsbeschädigte zum Einsatz gekommen sind und nach dem ärztlichen Gutachten der damalige gesundheitliche Zustand des Klägers (Verlust des linken Armes) noch keinen Hinderungsgrund für die Ausübung der Tätigkeit als Molkereimeister dargestellt hat, und da L. sich sodann 1950 selbständig gemacht hat, so läßt dies den Schluß zu, daß - unbeschadet des früher betätigten "Ausbildungswillens" - L. jedenfalls "nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten" auch ohne die Schädigung den Beruf des Molkereimeisters nicht ausgeübt hätte. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob L. möglicherweise - wie er im Berufungsverfahren geltend gemacht hat - wegen struktureller Veränderungen im Molkereiwesen eine Beschäftigung als Molkereimeister in der Zeit nach 1950 nicht hätte finden können; ein durch solche Umstände bedingter Berufswechsel wäre nicht auf die Schädigungsfolgen zurückzuführen. Im Ergebnis ist dem LSG jedenfalls zuzustimmen, daß der Beruf eines Molkereimeisters für die Ermittlung des Durchschnittseinkommens zur Berechnung eines Berufsschadensausgleichs nicht hat herangezogen werden dürfen.

Wahrscheinlich ist vielmehr, daß L. auch ohne Schädigung selbständig tätig gewesen wäre, wie er dies trotz der Schädigung 1941 bis 1945 und in den Jahren 1950 bis 1960 gewesen ist. Auch ein anderer als der vor der Schädigung ausgeübte Beruf - hier der vor der Schädigung ausgeübte Beruf eines Molkereigehilfen mit nach der Schädigung abgelegter Prüfung als Molkereimeister - ist zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens für die Berechnung des beruflichen Schadens heranzuziehen, wenn, wovon im vorliegenden Falle auszugehen ist, der Beschädigte diesen Beruf wahrscheinlich auch ohne die Schädigung ausgeübt hätte (vgl. Urteil des BSG vom 8. Juli 1970 - SozR Nr. 44 zu § 30 BVG). Dieser andere Beruf ist hier der eines selbständigen Kaufmannes gewesen. Diesen Beruf hat L. jedoch, wie das LSG zutreffend festgestellt hat, 1960 wegen der spätestens damals eingetretenen Verschlimmerung der Schädigungsfolgen aufgeben müssen; nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG spricht nichts dafür, daß L. ohne die Schädigungsfolgen 1960 Telefonist geworden wäre. Der Beklagte hat gegen die medizinischen Feststellungen des LSG keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen geltend gemacht. Zunächst ist nach dem Bescheid vom 7. März 1960 idF des Widerspruchsbescheids vom 20. Juni 1960 bei L. schon ab 1. Oktober 1958 eine Erhöhung der Rente nach einer MdE von 80 v.H. mit einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse durch Phantombeschwerden infolge des Armverlustes begründet worden. Der Beklagte hat diese Beschwerden, auch wenn er sie nicht als Schädigungsfolgen "festgestellt" hat, jedenfalls als mittelbare Schädigungsfolgen behandelt. Sowohl Dr. B (Gutachten vom 2. Juni 1967) als auch Dr. H (Gutachten vom 18. November 1967) haben ferner bei L. die neben dem Armverlust bestehenden Phantomschmerzen und die auf sie zurückzuführende Psycholabilität und Konzentrationsschwäche als eine wesentliche Behinderung für die weitere Ausübung der bis 1960 verrichteten selbständigen Tätigkeit angesehen. Dr. H hat eindeutig auch die Nervenwurzelreizerscheinungen im Bereich der Lendenwirbelsäule auf den Verlust des linken Armes zurückgeführt (Gutachten S. 15); Dr. B sagt in seinem Gutachten (S. 12) fast wörtlich das gleiche. Dr. H hat ferner auch bezüglich der "Kreuzschmerzen" seine volle Übereinstimmung mit Dr. B betont. Da jedenfalls beide Gutachter zu einem wesentlichen Teil die Nervenwurzelreizerscheinungen auf den Armverlust zurückgeführt haben, hat das LSG nicht deshalb gegen § 128 SGG verstoßen, weil es offenbar übersehen hat, daß nur Dr. H bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung den Armverlust und die Phantomschmerzen sowie die dadurch hervorgerufene Psycholabilität und Konzentrationsstörung als "Hauptursache" dafür bezeichnet hat, daß L. nicht mehr als (Molkereimeister oder) Kaufmann gearbeitet hat. Im wesentlichen hat das LSG jedenfalls eine übereinstimmende Beurteilung beider Gutachter feststellen dürfen. Das weitere sachlich-rechtliche Vorbringen des Beklagten, das sich gegen die im Ergebnis zutreffende Beurteilung des LSG richtet, daß L. wahrscheinlich auch ohne die Schädigung eine Beschäftigung als Molkereimeister nicht ausgeübt hätte, ist nicht begründet, wie bereits dar gelegt wurde. Damit kommt es nicht auf die Einwendungen des Beklagten gegen die vom LSG nur hilfsweise angestellten Überlegungen an, ob L. spätestens von dem Zeitpunkt an, von dem der Berufsschadensausgleich für Schwerbeschädigte überhaupt gesetzlich vorgesehen ist (1. Januar 1964), den Beruf eines Molkereimeisters nicht mehr hätte ausüben können.

Zuzustimmen ist dem LSG im wesentlichen auch insoweit, als es zu dem Ergebnis gelangt ist, für L. sei mit Wirkung vom 1. Januar 1964 an bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs das Endgrundgehalt der BesGr A 7 zugrunde zu legen. Das LSG hat nicht verkannt, daß L. eine kaufmännische Lehre nicht durchgemacht hat und deshalb grundsätzlich als selbständig Tätiger mit Volksschulbildung in die BesGr A 5 einzustufen wäre. Es ist auch zutreffend davon ausgegangen, daß Befähigungsnachweise in einem anderen als dem tatsächlich ausgeübten Beruf (hier die abgeschlossene Ausbildung als Molkereigehilfe und die Molkereimeisterprüfung) bei der Einstufung grundsätzlich berücksichtigt werden dürfen. Für die Zeit vom Inkrafttreten der DVO vom 28. Februar 1968 an hätte sich das LSG dabei auf die von ihm nicht erwähnte Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 3 DVO stützen können. Sowohl nach dem Erlaß des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 27. Dezember 1965 (BVBl 1966, 10) als auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (vgl. die Urteile vom 19. Dezember 1967 - 8 RV 455/67 - BVBl 1968, 130, vom 29. September 1970 - 8 RV 613/69 und vom 16. Juli 1971 - 10 RV 768/69 -) ist auch schon § 5 DVO vom 30. Juli 1964 im Sinne des späteren § 5 Abs. 1 Satz 3 DVO auszulegen gewesen. Nach beiden Fassungen des § 5 DVO kann jedoch eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem anderen als in dem Beruf, der infolge der Schädigungsfolge hat aufgegeben werden müssen, nur berücksichtigt werden, wenn sie für den später ausgeübten Beruf nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten förderlich gewesen ist, wobei dem Wort "erheblich" in § 5 Abs. 1 Satz 3 BVG keine über die frühere Fassung hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. hierzu eingehend das Urteil des BSG vom 29. September 1970). Das LSG hat aufgrund der Auskunft der Staatlich anerkannten Molkereilehr- und Untersuchungsanstalt Münster vom 10. Januar 1961 festgestellt, L. sei bei der Ausbildung zum Molkereimeister "auch in der kaufmännischen und technischen Buchführung, Auswertung und Sicherung des Betriebserfolges, ferner in der einschlägigen Gesetzgebung sowie im Wirtschafts-, Bank- und Berufsausbildungswesen" geschult worden. Da diese Feststellung vom Beklagten nicht angegriffen ist, ist sie für das BSG bindend (obwohl sie den Inhalt der Auskunft, in der von "der kaufmännischen und technischen Buchführung für die Überwachung usw. des Betriebserfolgs" und von Kenntnissen u.a. im "Genossenschaftswesen", nicht im "Wirtschaftswesen" die Rede ist, nicht genau wiedergibt). Bei der Frage, ob diese Berufsausbildung für den später ausgeübten anderen Beruf eines selbständigen Kaufmannes förderlich gewesen ist, handelt es sich jedoch nicht nur um eine Tatsachenfeststellung, sondern auch um eine der Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterliegende Rechtsfrage. Im Ergebnis stimmt der Senat auch insoweit der Rechtsauffassung des LSG zu. Maßgebend ist für ihn dabei die Erwägung, daß für die Errichtung (oder auch nur Übernahme) einer Verkaufsstelle sowohl im Jahre 1941 als auch noch im Jahre 1950 nach dem Gesetz zum Schutze des Einzelhandels vom 12. Mai 1933 (RGBl I 262) - mit späteren Änderungen - i.V.m. der DVO vom 23. Juli 1934 (RGBl I 726) der Nachweis der Sachkunde erforderlich gewesen ist (vgl. Pfundtner/Neubert, Das neue Deutsche Reichsrecht, Teil III Wirtschaftsrecht, Bd. 2 Nr. 4 S. 1 ff). Dieses Gesetz hat auch in Nordrhein-Westfalen jedenfalls 1950, als L. das Papier- und Tabakwarengeschäft eröffnet hat, noch weitergegolten (vgl. MinBl f.d. Land Nordrhein-Westfalen 1950 S. 1142). Nach den §§ 2, 5 dieses Gesetzes und I der DVO sind Ausnahmen von dem grundsätzlichen Verbot der Errichtung von Verkaufsstellen u.a. dann in Betracht gekommen, wenn der Unternehmer die für den Betrieb erforderliche Sachkunde nachgewiesen hat. Zu dieser Sachkunde haben sowohl die allgemeinen kaufmännischen Kenntnisse, insbesondere auf dem Gebiet der Buchführung und der Betriebswirtschaft, als auch die besonderen technischen Kenntnisse des in Betracht kommenden Warenzweiges gehört (vgl. Pfundtner/Neubert, aaO S. 2, 18). Den Nachweis der allgemeinen kaufmännischen Kenntnisse hat L. durch die vom LSG festgestellte Ausbildung in der kaufmännischen und technischen Buchführung für die Überwachung, Auswertung und Sicherung des Betriebserfolges erbringen können; insoweit ist ihm die Ausbildung zum Molkereimeister jedenfalls für die Erteilung der Erlaubnis zur Errichtung einer Verkaufsstelle förderlich gewesen. Voraussetzungen, die 1941 und 1950 für den Zugang zum Beruf eines selbständigen Gewerbetreibenden haben erfüllt sein müssen, sind auch für die anschließende Ausübung dieses Berufs als förderlich anzusehen.

Obwohl der erkennende Senat die sachlich-rechtliche Auffassung des LSG im Ergebnis billigt, hat er das Urteil des LSG nicht aufrechterhalten können. Das LSG hat den Beklagten verurteilt, "bei einer Berechnung des Berufsschadensausgleichs als Vergleichseinkommen das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 7 des Bundesbesoldungsgesetzes zugrunde zu legen". Sowohl der Tenor als auch die Gründe des Urteils lassen nicht eindeutig erkennen, ob das LSG damit nur einen Berechnungsfaktor für den - möglichen - Anspruch auf Berufsschadensausgleich hat feststellen oder ob es über den Anspruch selbst dem Grunde nach hat entscheiden wollen. Da der Kläger eine Aufhebungs- und Leistungsklage erhoben hat (§ 54 Abs. 1 und Abs. 4 SGG), hätte das LSG nicht nur über einen Berechnungsfaktor für die Höhe des Anspruchs - hier das "Vergleichseinkommen" für die Feststellung des noch zu ermittelnden Einkommensverlustes im Sinne von § 30 Abs. 3 und Abs. 4 BVG - entscheiden dürfen (vgl. BSG 4, 184, 186); auch die Voraussetzungen einer sog. "Elementarfeststellungsklage" (vgl. BSG SozR Nr. 14 zu § 141 SGG) haben damit nicht vorgelegen. Aber auch ein Grundurteil im Sinne von § 130 SGG hätte es nur erlassen dürfen, wenn die begründete Wahrscheinlichkeit besteht, daß der Leistungsanspruch für eine bestimmte Zeit in einer Mindesthöhe gegeben ist (vgl. u.a. BSG SozR Nr. 4 zu § 130 SGG). Ob das der Fall ist, hätte das LSG nur entscheiden können, wenn es zuvor Feststellungen über die Höhe des von L. seit 1964 erzielten Einkommens, das für die Berechnung des Berufsschadensausgleichs nach § 30 Abs. 3 und Abs. 4 BVG in den für die streitige Zeit in Betracht kommenden Fassungen des 2. und 3. NOG maßgebend ist, getroffen hätte. Diese Feststellungen enthält das angefochtene Urteil nicht. Der erkennende Senat darf sie nicht selbst treffen, er darf sie auch nicht aus den Beiakten entnehmen (BSG SozR Nr. 9 zu § 163 SGG). Das Urteil des LSG könnte auch als Grundurteil nur dann bestätigt werden, wenn sämtliche Anspruchsvoraussetzungen durch die tatsächlichen Feststellungen des LSG belegt wären. Da dies nicht der Fall ist, muß auf die Revision des Beklagten das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648668

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