Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Urteil vom 19.09.1991) |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 19. September 1991 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt höheres Übergangsgeld (Übg); die Beklagte hatte der Berechnung die zuletzt bezogene Ausbildungsvergütung des Klägers zugrunde gelegt.
Der im Februar 1968 geborene Kläger mußte eine für die Zeit vom August 1985 bis Ende Januar 1989 vorgesehene Ausbildung zum Zahntechniker Ende April 1988 krankheitshalber vorzeitig abbrechen. Seine Ausbildungsvergütung hatte zuletzt 450,– DM betragen. Im Anschluß an eine Arbeitserprobung vom 23. August bis 8. September 1988 bewilligte ihm die Beklagte als Rehabilitationsmaßnahme (Reha-Maßnahme) eine Ausbildung zum Kommunikationselektroniker in einem Berufsbildungswerk bei freier Unterbringung und Verpflegung. Das vom 23. August 1988 bis 30. April 1990 zu gewährende Übg setzte sie mit Bescheid vom 30. November 1988 mit zunächst täglich 8,40 DM (252,– DM monatlich) und ab 1. Mai 1989 mit täglich 8,65 DM (259,50 DM monatlich) fest. Den auf höheres Übg gerichteten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 1989 zurück. Klage und Berufung des Klägers blieben erfolglos (Urteile vom 8. November 1990 und vom 19. September 1991). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Zurückweisung der Berufung des Klägers insbesondere damit begründet, daß eine „unbillige Härte” iS des § 59a Satz 1 Nr 3 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) nicht vorliege. Es fehle an einer wesentlichen Einbuße des sozialen Besitzstandes. Eine Orientierung an den für die Berechnung des Arbeitslosengeldes (Alg) geltenden Vorschriften des § 112 Abs 5 Nr 2 iVm Abs 7 AFG, wonach das Alg unter bestimmten Voraussetzungen nicht aus der Ausbildungsvergütung zu berechnen sei, helfe nicht weiter, weil sie sich nicht auf den vorliegenden Fall übertragen ließen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) (SozR 2200 § 568 Nr 2) sei es grundsätzlich nicht unbillig hart, der Bemessung des Übg während einer Berufshilfemaßnahme die vor ihrem Beginn bezogene Ausbildungsvergütung zugrunde zu legen.
Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 59a Satz 1 Nr 3 AFG sowie des Art 3 Grundgesetz (GG). Entgegen der Ansicht des LSG liege eine „unbillige Härte” vor. Das Übg reiche nicht aus, seine Ausbildung zu finanzieren. Vielmehr habe sein Vater die begonnene Ausbildung zum Kommunikationselektroniker sicherstellen müssen. Es sei zu berücksichtigen, daß er seine Ausbildung zum Zahntechniker kurz vor deren Beendigung wegen unverschuldeter Erkrankung habe abbrechen müssen. Hätte er von Anfang an die Ausbildung zum Kommunikationselektroniker angestrebt, hätte er wesentlich höhere Leistungen erhalten. Die dem § 59a Satz 1 Nr 3 AFG durch das LSG gegebene Auslegung verletze Art 3 GG. Denn diejenigen Rehabilitanden, die innerhalb der letzten drei Jahre vor Beginn der Maßnahme ohne Vorbeschäftigung gewesen seien, würden denen gegenüber bevorzugt, die in diesem Zeitraum Ausbildungsvergütung erhalten hätten, wie sich aus § 59a Satz 1 Nr 2 AFG ergebe.
Er beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts und des Sozialgerichts aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide zu verurteilen, das Übergangsgeld nach § 59a Satz 1 Nr 3 AFG zu berechnen und die entsprechenden Differenzbeträge nachzuzahlen.
Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist nicht begründet.
Das Berufungsgericht hat zu Recht die von dem Kläger beanstandete Bemessung seines Übg bestätigt. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, daß der Bemessung ein höherer Betrag als die Ausbildungsvergütung zugrunde gelegt wird.
Die Ausbildungsvergütung, die der Kläger in der letzten Zeit seiner abgebrochenen Ausbildung erhalten hat, ist das Arbeitsentgelt iS des § 59 Abs 3 AFG, nach dem das Übg im Regelfall zu bemessen ist. Die Voraussetzungen der Sonderregelung des § 59a AFG idF des Gesetzes vom 22. Dezember 1981 (BGBl I S 1497) liegen nicht vor. Es ist nicht iS des § 59a Satz 1 Nr 3 AFG „unbillig hart”, das Arbeitsentgelt nach § 59 Abs 3 AFG zugrunde zu legen. Das Gesetz ermächtigt mit dieser Sonderregelung die Verwaltung und die Rechtsprechung nicht, in allen Fällen, in denen die Anwendung des § 59 Abs 3 AFG zu Härten führt, einen höheren als den darin vorgesehenen Betrag der Bemessung des Übg zugrunde zu legen. § 59a Satz 1 Nr 3 AFG erlaubt nämlich nur in den Fällen die Abweichung von § 59 Abs 3 AFG, in denen sich eine unbillige Härte daraus ergibt, daß in der nach § 59 Abs 3 AFG maßgebenden Zeit nur ein Arbeitsentgelt erzielt worden ist, das der beruflichen Position des Rehabilitanden nicht entspricht. Das ergibt sich aus § 59a Sätze 1 und 2 AFG und der hier angeordneten Berechnungsweise, mit der die unbillige Härte ausgeglichen werden soll. Danach ist abweichend von § 59 Abs 3 AFG das tarifliche oder ortsübliche Arbeitsentgelt maßgebend, das im letzten Kalendermonat vor Beginn der Maßnahme für diejenige Beschäftigung gezahlt worden wäre, für die der Behinderte ohne die Behinderung nach seinen beruflichen Fähigkeiten und nach seinem Lebensalter in Betracht käme. Die Geringfügigkeit des nach § 59 Abs 3 AFG zu errechnenden Übg und die durch die Behinderung vereitelte Chance, in absehbarer Zeit ein hohes Arbeitsentgelt zu erzielen, mögen es aus der Sicht des Klägers rechtfertigen, von einer unbilligen Härte zu sprechen; das Gesetz schließt es aber aus, in einem solchen Fall eine höhere Leistung zuzusprechen. Diese nur beschränkte Anerkennung einer unbilligen Härte durch § 59a AFG entspricht auch dem Sinn der Bestimmung: Sie soll vor allem verhindern, daß die erreichte soziale Stellung des Behinderten während der Rehabilitationsmaßnahme zu seinem Nachteil vermindert wird (vgl Begründung zu dem § 59a AFG entsprechenden § 14 RehaAnglG in BT-Drucks 7/1237 S 59).
In Fällen, in denen eine Erstausbildung wegen des Eintritts einer Behinderung nach Erfüllung der Vorversicherungszeit für Übg (§ 59 Abs 1 Satz 3 AFG) abgebrochen werden muß und eine andere Ausbildung im Wege der Rehabilitation zu gewähren ist, muß allerdings gefragt werden, ob Übg immer die sachgerechte Leistung ist. Das ist deshalb fraglich, weil das Gesetz sowohl Behinderten als auch Nichtbehinderten für die Zeit ihrer Erstausbildung eine bedarfsorientierte Leistung garantiert, deren Höhe mit dem Übg, einer Lohnersatzleistung unter Zugrundelegung einer Ausbildungsvergütung in aller Regel nicht annähernd erreicht wird. Zu beachten ist dabei § 58 Abs 1 Satz 3 AFG, wonach behinderte Auszubildende Leistungen nach § 40 AFG auch dann erhalten, wenn ihnen die erforderlichen Mittel aufgrund eines Unterhaltsanspruchs zur Verfügung stehen und es nicht offensichtlich ungerechtfertigt wäre, den Unterhaltsanspruch nicht zu berücksichtigen. Danach steht einem behinderten Auszubildenden, der noch keine Vorversicherungszeiten aufzuweisen hat, das sog Ausbildungsgeld in Höhe des Betrags zu, der einem gesunden Auszubildenden zusammen mit Ausbildungsvergütung, Unterhaltsanspruch und Ausbildungsbeihilfe nach § 40 AFG und der entsprechenden Anordnung des Verwaltungsrats garantiert wird.
Es ist fraglich, ob in Abgrenzung zu der Entscheidung des 7. Senats vom 8. Juni 1989, zu § 59 Abs 5 AFG (SozR 4100 § 59 Nr 8) hier der Rechtssatz anzuwenden wäre, daß ein Versicherter seine Anwartschaft nicht dadurch verschlechtern kann, daß er durch Arbeit eine Vorversicherungszeit für eine geringere Leistung erfüllt.
Diese Frage braucht aber im vorliegenden Fall nicht beantwortet zu werden. Denn wenn man zu dem Ergebnis käme, daß der Kläger Anspruch auf höheres Ausbildungsgeld anstelle des niedrigeren Übg hätte, müßte die Klage ohne Erfolg bleiben. Da der Kläger in einem Wohnheim untergebracht ist, würde sich nämlich das Ausbildungsgeld auf einen Betrag von 145,– DM ermäßigen (vgl § 24 Abs 3 Nr 1 Buchst c der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter idF der 14. Änderungsanordnung vom 6. Juli 1988 – ANBA S 1339).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen