Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 17.10.1990) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. Oktober 1990 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob das dem Kläger für seine berufliche Rehabilitation bewilligte Ausbildungsgeld wegen der Erhöhung des Einkommens seiner Eltern gekürzt werden durfte.
Die beklagte Bundesanstalt gewährte dem behinderten Kläger die Berufsausbildung vom 1. September 1986 bis zum 31. August 1989 als berufsfördernde Maßnahme der Rehabilitation. Mit bindend gewordenem Bescheid vom 5. Dezember 1986 bewilligte sie ihm auch Ausbildungsgeld in voller Höhe. Die Sachprüfung hatte ergeben, daß das Ausbildungsgeld bei seinen Einkommensverhältnissen und den Einkommensverhältnissen seiner Eltern in dem nach § 27 Abs 5 Satz 1 der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter (- A Reha – idF vom 28. Januar 1986, ANBA 1986, 527) maßgebenden Zeit – zwei Monate vor Beginn der Maßnahme – nicht zu kürzen war. Durch weiteren Bescheid von Ende 1987 wurde nach erneuter Sachprüfung das Ausbildungsgeld für das zweite Ausbildungsjahr in voller Höhe weiterbewilligt. Durch den hier angefochtenen Bescheid vom 21. Dezember 1988 (Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 1989) hat das Arbeitsamt das Ausbildungsgeld erheblich gekürzt. Eine auf zwei Monate vor Beginn des dritten Ausbildungsjahres bezogene Prüfung hatte ergeben, daß das Einkommen der Eltern des Klägers über den nach § 27 Abs 2 A Reha anrechnungsfreien Betrag von damals 4.000,– DM angestiegen war.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, das Ausbildungsgeld in voller Höhe ohne Einkommensanrechnung weiterzuzahlen. Die Beklagte hätte den Eltern des Klägers höhere Werbungskosten zubilligen müssen. Das SG hat die Berufung zugelassen (Urteil des SG Stuttgart vom 16. Juni 1989). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. § 27 Abs 5 A Reha erlaube keine Neuberechnung des Ausbildungsgeldes für die einzelnen Ausbildungsjahre wegen etwaiger Änderungen des Einkommens der Unterhaltspflichtigen des Auszubildenden. Aber auch wenn man das zulasse, müsse festgestellt werden, daß das Einkommen der Eltern des Klägers unter dem anrechnungsfreien Betrag von 4.000,– DM liege (Urteil vom 17. Oktober 1990).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht die Beklagte geltend, für die Förderung einer Ausbildung als Rehabilitationsmaßnahme seien ergänzend zu der A Reha die Vorschriften der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Bildung (- A Ausbildung – idF vom 1. Oktober 1986, ANBA 1986, 1457) heranzuziehen. Die A Ausbildung schreibe aber die Überprüfung der Berechnung der Unterhaltsleistung in kürzeren Abständen vor. Im übrigen liege das Einkommen der Eltern in der streitigen Zeit bei 4.156,50 DM, so daß – im Hinblick auf das volle Ausbildungsgeld von 695,– DM beantragt werde,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. Oktober 1990 sowie des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. Juni 1989 aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit der Kläger für den streitigen Zeitraum höheres Ausbildungsgeld als 538,– DM monatlich begehrt.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der beklagten Bundesanstalt ist nicht begründet.
Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, daß das Ausbildungsgeld des Klägers nicht wegen der Erhöhung des Einkommens seiner Eltern im Laufe der als Rehabilitationsmaßnahme geförderten Berufsausbildung gekürzt werden durfte. Die Einkommensverhältnisse, die zwei Monate vor Beginn der Ausbildung nachweisbar waren und zur Bewilligung des vollen Ausbildungsgeldes durch Bescheid vom 5. Dezember 1986 führten, blieben maßgebend. Das folgt unmittelbar aus dem Wortlaut des § 27 Abs 5 Satz 1 der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter (- A Reha – idF vom 28. Januar 1986, ANBA 1986, 227): „Maßgebend sind bei berufsfördernden Bildungsmaßnahmen die Einkommensverhältnisse, die zwei Monate vor Beginn der jeweiligen Maßnahme oder, wenn die Maßnahme in Abschnitten durchgeführt wird, zwei Monate vor Beginn eines Maßnahmeabschnittes nachweisbar sind.” Dieser Wortlaut galt auch noch in der Zeit des angefochtenen Bescheides (vgl Fassung vom 16. März 1988, ANBA 1988, 683).
Maßnahme im Sinne dieser Vorschrift ist – unstreitig – die dreijährige Ausbildung des Klägers, die zusammenhängend und nicht in Abschnitten durchgeführt worden ist.
Der Senat folgt nicht der Meinung der Beklagten, § 27 Abs 5 Satz 1 A Reha sei im Hinblick auf das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht und den Zusammenhang dieser Vorschrift mit der entsprechenden Vorschrift der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Bildung (- A Ausbildung – idF vom 1. Oktober 1986, ANBA 1986, 1457) anders auszulegen. Die Erhöhung des Einkommens der Eltern über den Freibetrag des § 27 Abs 2 A Reha hinaus ist zwar eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erlaß eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung – nämlich der erstmaligen Bewilligung von Ausbildungsgeld – maßgebend waren. Aus § 27 Abs 5 Satz 1 A Reha ergibt sich aber, daß diese Änderung keine wesentliche iS des § 48 Abs 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs – Verwaltungsverfahren – (SGB X) ist. Änderungen der Einkommensverhältnisse im Laufe der Maßnahme sollen nicht zur Änderung des Ausbildungsgeldes führen.
§ 48 SGB X erlaubt grundsätzlich die Anpassung von Dauerbescheiden an geänderte Tatsachen. Das Ausmaß der Änderungsbefugnis ergibt sich aber häufig erst aus dem einschlägigen Rechtsgebiet, in dem geregelt ist, welche Umstände wesentlich iS des § 48 SGB X sind. Das gilt vor allem bei einkommensabhängigen Leistungen, die andernfalls permanent kontrolliert werden müßten. Deshalb legt auch das Anordnungsrecht bestimmte Zeitpunkte fest, die für die Berechnung maßgebend sind (vgl Urteil des Senats vom 7. November 1990 – 9b/7 RAr 130/89 –, SozR 3 – 4100 § 40 Nr 4). Der hier maßgebende Zeitpunkt liegt zwei Monate vor Maßnahmebeginn. Eine weitere Ausnahme ist in § 27 Abs 5 Satz 2 A Reha geregelt: „Änderungen in der Höhe der Ausbildungsvergütung sind zu berücksichtigen, wenn diese auf dem Eintritt in das nächste Ausbildungsjahr oder in den nächsten Ausbildungsabschnitt beruhen”. Diese Regelung gebietet zwar die jährliche Überprüfung der Höhe des Ausbildungsgeldes, rechtfertigt aber nicht die Prüfung über den Umstand hinaus, der hier genannt ist: Nur eine Änderung in der Höhe der Ausbildungsvergütung und diese nur, soweit sie auf dem Eintritt in das nächste Ausbildungsjahr oder in den nächsten Ausbildungsabschnitt beruht, ist eine beachtliche, dh wesentliche Änderung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X.
Den Senat überzeugt auch nicht die Auffassung der Bundesanstalt, die abweichenden Berechnungsvorschriften der A Ausbildung seien ergänzend heranzuziehen. Richtig ist, daß bei der Förderung der Berufsausbildung von Nichtbehinderten die Unterhaltsleistung – Berufsausbildungsbeihilfe – in der Regel für einen Zeitraum von neun oder zwölf Monaten (vgl im einzelnen § 20 Abs 7 Satz 1 A Ausbildung) zu berechnen ist. Es sind sogar kürzere Bewilligungszeiträume festzusetzen, wenn nämlich im Zeitpunkt der Bewilligung abzusehen ist, daß wesentliche Änderungen in den wirtschaftlichen Verhältnissen eintreten. Es ist auch richtig, daß die Förderung der Ausbildung Behinderter nur ein Sonderfall der Förderung der Ausbildung nach § 40 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) und den entsprechenden Verwaltungsvorschriften ist, so daß es möglich erscheint, im Zweifelsfall auf diese Vorschriften zurückzugreifen. § 27 Abs 5 A Reha enthält aber eine abschließende Regelung, die keiner Ergänzung bedarf. Es ist – wie schon das LSG ausgeführt hat – sachgerecht, die Einkommensverhältnisse, insbesondere der Eltern des geförderten Behinderten, für die Dauer der ganzen Rehabilitationsmaßnahme für maßgebend zu erklären. Dafür spricht nicht nur das Interesse daran, die Verwaltung von der permanenten Kontrolle zu entlasten, sondern auch die Rücksichtnahme auf die Motivsituation des Behinderten und seiner Eltern. Es soll nicht jeder Anreiz dafür genommen werden, während der Rehabilitationsmaßnahme das Familieneinkommen zu erhöhen. Daß diesen Vorstellungen nur in § 27 Abs 5 A Reha, nicht aber in § 20 Abs 7 A Ausbildung Rechnung getragen wird, liegt am Gesetz selbst, das für den behinderten Auszubildenden eine günstigere Förderung festlegt. Nach § 58 Abs 1 Satz 3 AFG (in der seit dem Rehabilitationsangleichungsgesetz vom 7. August 1974 – BGBl I 1881 –, damals Satz 2, geltenden Fassung) erhalten behinderte Auszubildende Leistungen nach § 40 AFG auch dann,
wenn ihnen die erforderlichen Mittel aufgrund eines Unterhaltsanspruchs zur Verfügung stehen. Deshalb ist das Übergangsgeld eben nicht grundsätzlich abhängig vom Elterneinkommen. § 20 Abs 7 A Ausbildung nimmt auf die andersartige Lage bei der Berufsausbildungsbeihilfe Rücksicht. Das Elterneinkommen ist im Rahmen der Rehabilitation nur insoweit von Bedeutung, als „die Nichtberücksichtigung des Unterhaltsanspruchs offensichtlich ungerechtfertigt wäre” (§ 58 Abs 1 Satz 3 letzter Satzteil AFG). Demnach könnte allenfalls ein außerordentlicher Anstieg des Elterneinkommens im Laufe der Rehabilitationsmaßnahme die Kürzung des Ausbildungsgeldes rechtfertigen, wenn damit eine „offensichtliche” und nicht mehr hinzunehmende Begünstigung des Behinderten verbunden wäre. Darüber ist aber nicht zu entscheiden, weil ein solcher Fall nicht vorliegt. Es ist auch nicht darüber zu entscheiden, ob die einmal gerechtfertigte Anrechnung von Unterhaltsansprüchen weiterhin durchgeführt werden darf, wenn der Unterhaltsanspruch entfällt oder sich vermindert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen