Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 23.11.1993) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. November 1993 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente nach § 1265 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aus der Versicherung des am 5. Februar 1985 verstorbenen Versicherten R. … K. … (Versicherter). Dabei geht es vornehmlich darum, ob der bei Scheidung der Ehe ausgesprochene Unterhaltsverzicht unbeachtet bleiben kann.
Die Ehe der am 11. Februar 1927 geborenen Klägerin mit dem Versicherten wurde am 4. Dezember 1968 aus beiderseitigem Verschulden geschieden. Aus der Ehe sind die im Jahre 1959 und 1960 geborenen Kinder J. … und G. … hervorgegangen. Für den Fall der Scheidung der Ehe aus beiderseitigem Verschulden haben die Klägerin und der Versicherte gegenseitig auf Unterhalt für Vergangenheit und Zukunft auch für den Fall des Notbedarfs verzichtet.
Der Versicherte erzielte im Jahre 1968 ein Bruttoarbeitsentgelt von 10.294 DM. Die Klägerin nahm erstmals am 18. November 1968 eine versicherungspflichtige Tätigkeit auf. Bis Ende 1968 verdiente sie 570 DM, im Jahre 1969 5.719 DM und 1970 8.480 DM. Im Zeitpunkt des Todes des Versicherten bezog dieser eine Erwerbsunfähigkeitsrente von 1.159,15 DM monatlich, die Klägerin erhielt Krankengeld in Höhe von monatlich 1.084,20 DM.
Den im Jahre 1985 erstmals gestellten Antrag der Klägerin auf Gewährung von Hinterbliebenenrente lehnte die Beklagte durch bindenden Bescheid vom 28. Oktober 1985 ab. Im Januar 1990 beantragte die Klägerin die Überprüfung ihres Rentenanspruchs. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 6. Februar 1990). Die hiergegen eingelegten Rechtsmittel blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts Mannheim ≪SG≫ vom 18. März 1991, Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg ≪LSG≫ vom 23. November 1993). Das LSG hielt die Voraussetzungen des § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO nicht für erfüllt, weil die Klägerin auf Unterhalt verzichtet hatte und Unterhaltsleistungen des Versicherten im letzten Jahr vor seinem Tode allenfalls gelegentlich, nicht aber regelmäßig erbracht worden seien. Ob für die Anwendbarkeit des § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO der Unterhaltsverzicht nur deklaratorische Bedeutung gehabt habe „leere Hülse”) und deswegen den Rentenanspruch nicht ausschließe, hänge von den wirtschaftlichen Verhältnissen der Eheleute im Zeitpunkt der Scheidung und des Todes des Versicherten ab. Hiernach hätte im Zeitpunkt des Todes kein Unterhaltsanspruch bestanden, weil die Klägerin über ein anzurechnendes monatliches Einkommen in Höhe von 1.084,20 DM verfügt habe. Ein Unterhaltsanspruch hätte jedoch im Zeitpunkt der Scheidung bestanden, wenn die Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Versicherten geschieden worden wäre. In diesem Falle hätte ein Anspruch auf angemessenen Unterhalt in Höhe von 3/7 des Gesamteinkommens bestanden. Bei einem Gesamteinkommen von 765,73 DM und einem bei der Klägerin anzurechnenden Einkommen von 286,07 DM hätte sich ein Unterhaltsanspruch von 42,10 DM ergeben, der über 25% des Regelsatzes (32,00 DM) gelegen hätte. Etwas anderes gelte indessen, wenn – wie im vorliegenden Fall – Unterhalt nur nach § 60 Ehegesetz (EheG) geschuldet werde. Hiernach hätte die Klägerin im Zeitpunkt der Scheidung wegen ihrer eigenen Erwerbstätigkeit keinen Unterhaltsanspruch gehabt. Sie habe auch gewußt, daß sie zukünftig ihren Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit werde verdienen müssen. Unter diesen Voraussetzungen sei der Unterhaltsverzicht nur deklaratorisch gewesen; denn „bei dieser Sachlage” habe „kein Anlaß zu der Annahme” bestanden, „daß sie zukünftig genötigt sein werde, Unterhaltsansprüche gem § 60 EheG gegen ihren geschiedenen Ehemann geltend zu machen”. Dies begründe hier jedoch keinen Rentenanspruch, weil die vom Bundessozialgericht (BSG) aufgestellten Grundsätze über die deklaratorische Wirkung eines Unterhaltsverzichts für Scheidungen aus beiderseitigem Verschulden und Unterhaltsansprüchen nach § 60 EheG nicht anwendbar seien. Anderenfalls würden Scheidungen aus beiderseitigem Verschulden gegenüber solchen aus dem alleinigem Verschulden des Versicherten unangemessen begünstigt.
Gegen diese Rechtsauffassung wendet sich die Klägerin mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 1265 RVO und trägt dazu vor: Nach dem Beschluß des Großen Senats des BSG vom 25. April 1979 (GS 1/78 = BSG 48, 146 ff) gehörten zu den Unterhaltsansprüchen iS des § 1265 RVO auch solche nach § 60 EheG. Dann aber sei der Unterhaltsverzicht nur deklaratorisch und könne den Rentenanspruch nicht ausschließen. Scheinbare Ungerechtigkeiten zwischen der Anwendung des § 1265 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 RVO ergäben sich immer und seien hinzunehmen, weil man anderenfalls die ganze Systematik dieser Vorschriften sowie ihre langjährige Entwicklung neu zur Rechtsdiskussion stellen müßte.
Die Klägerin beantragt,
- die Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 23. November 1993 und des SG Mannheim vom 18. März 1991 sowie die Bescheide der Beklagten vom 28. Oktober 1985 und 6. Februar 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 1990 aufzuheben;
- die Beklagte zu verurteilen, ihr Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des R. … K. … ab 1. Januar 1986 zu gewähren;
- der Beklagten die außergerichtlichen Kosten aller Rechtszüge aufzuerlegen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das Berufungsurteil ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, der Klägerin Hinterbliebenenrente nach ihrem früheren Ehemann zu gewähren.
Der Anspruch der Klägerin richtet sich noch nach § 1265 Abs 1 RVO, denn ihre Ehe ist vor dem 1. Juli 1977 geschieden und der Rentenantrag vor dem 31. März 1992 gestellt worden; er bezieht sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 (§ 300 Abs 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung – ≪SGB VI≫; vgl BSG SozR 3-2200 § 1265 Nr 9 S 47).
Nach § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO ist einer früheren Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten vor dem 1. Juli 1977 geschieden, für nichtig erklärt oder aufgehoben worden ist, nach dem Tode des Versicherten Rente zu gewähren, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte, oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Beide Alternativen sind hier nicht gegeben. Eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten bestand schon wegen des bei der Scheidung vereinbarten Unterhaltsverzichts nicht. An dessen Wirksamkeit bestehen keine Zweifel. Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit nach § 72 Satz 3 EheG sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht zu erkennen, daß der Unterhaltsverzicht bewußt zu Lasten Dritter, etwa eines Sozialhilfeträgers oder der Kinder, vereinbart worden wäre (vgl dazu BGH FamRZ 1983, 137; OLG Köln FamRZ 1990, 634; BSG SozR 3-2200 § 1265 Nr 12).
Ein umfassender endgültiger Verzicht wie der vorliegende schließt jegliche Unterhaltsverpflichtung nach dem EheG und damit die daran anknüpfende erste Alternative des § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO aus (vgl BSG SozR 2200 § 1265 Nr 40 mwN). Tatsächliche Unterhaltsleistungen (zweite Alternative) hat der Versicherte nach den nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des LSG, die für den erkennenden Senat bindend sind (§ 163 SGG), nicht erbracht.
Auch aus § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO kann die Klägerin einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente nicht herleiten. Ist eine Witwenrente nicht zu gewähren, so findet nach dieser Vorschrift Satz 1 des § 1265 Abs 1 RVO auch dann Anwendung,
1. wenn eine Unterhaltsverpflichtung wegen der Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten oder wegen der Erträgnisse der früheren Ehefrau aus einer Erwerbstätigkeit nicht bestanden hat und 2. wenn die frühere Ehefrau im Zeitpunkt der Scheidung, Nichtigerklärung oder Aufhebung der Ehe mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind zu erziehen oder für ein Kind, das wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen Waisenrente erhielt, zu sorgen oder das 45. Lebensjahr vollendet hatte und 3. solange sie berufsunfähig (§ 1246 Abs 2 RVO) oder erwerbsunfähig (§ 1247 Abs 2 RVO) ist oder mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind erzieht oder für ein Kind, das wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen Waisenrente erhält, sorgt oder wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet hat.
Witwenrente ist hier zwar nicht zu gewähren. Darüber hinaus müssen aber auch die Voraussetzungen der Nrn 1 bis 3 kumulativ vorliegen (vgl BSG SozR 2200 § 1265 Nr 22 S 69). Hier sind bereits die Tatbestandsmerkmale der Nr 1 nicht gegeben. Fehlte die Unterhaltspflicht des Versicherten aus anderen als den dort genannten Gründen, kann § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO keinen Rentenanspruch begründen (vgl BSGE 40, 155, 156 = SozR 2200 § 1265 Nr 6 S 18; BSG SozR 3-2200 § 1265 Nr 8 S 34). Folglich schließt ein Unterhaltsverzicht der früheren Ehefrau auch im Rahmen des § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO grundsätzlich die Gewährung von Geschiedenenwitwenrente aus (vgl BSG SozR 3-2200 § 1265 Nr 9 S 51 = BSGE 72, 39, 45). Ein derartiger Unterhaltsverzicht ist jedoch aus Billigkeitsgründen dann als unschädlich für den Rentenanspruch nach § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO anzusehen, wenn er im Hinblick auf die in Nr 1 dieser Vorschrift genannten wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten nur deklaratorischen Charakter hatte, mithin einer „leeren Hülse” gleichkam (vgl BSG SozR 3-2200 § 1265 Nr 9 S 51 = BSGE 72, 36, 45 mwN).
Diesen Tatbestand sieht der erkennende Senat – in Übereinstimmung mit dem 4. und 5. Senat des BSG – dann als erfüllt an, wenn ohne die Verzichtserklärung der Ehefrau schon im Zeitpunkt der Scheidung sowie im Zeitpunkt des Todes des Versicherten aus den in § 1265 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO genannten wirtschaftlichen Gründen kein Unterhaltsanspruch bestand und auch nach den bei Abschluß der Vereinbarung über den Unterhaltsverzicht gegebenen objektiven Umständen vernünftigerweise für die Zukunft nicht mit dem Entstehen von Unterhaltsansprüchen der geschiedenen Ehefrau gerechnet werden konnte (vgl Urteile des erkennenden Senats vom 21. Januar 1993 – 13 RJ 19/91 – BSGE 72, 39, 45 = SozR 3-2200 § 1265 Nr 9 und vom 16. Dezember 1993 – 1 RJ 1/93 – SozR 3-2200 § 1265 Nr 12). Dabei kommt es jeweils nur auf rentenrechtlich relevante Unterhaltsansprüche an, die also zumindest 25 % des zeitlich und örtlich maßgebenden Regelsatzes der Sozialhilfe erreichen oder übersteigen (vgl BSG SozR 2200 § 1265 Nrn 51, 65; Senatsurteil vom 16. Dezember 1993 – 1 RJ 1/93 –).
Der erkennende Senat vermag dem LSG nicht zu folgen, soweit es eine Anwendung dieser Rechtsprechung auf Unterhaltsansprüche nach § 60 EheG ausschließt.
Dabei ist bereits nicht ersichtlich, welche Rechtsgrundlage das LSG für seine Auffassung heranziehen will. Möglicherweise soll eine verfassungskonforme Auslegung unter Beachtung des Art 3 des Grundgesetzes (GG) in seiner Ausformung durch Art 6 GG vorgenommen werden. Die dabei anzustellenden Überlegungen vermögen jedoch das Ergebnis des LSG nicht zu rechtfertigen. Art 3 Abs 1 GG ist nur verletzt, wenn tatsächliche Gleichheiten bzw Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse nicht berücksichtigt werden, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen (BVerfGE 60, 113, 119). Was in Anwendung des Gleichheitssatzes sachlich vertretbar oder sachfremd ist, läßt sich nicht abstrakt und allgemein feststellen, sondern nur in bezug auf die Eigenart des konkreten Sachverhalts, der geregelt werden soll (BVerfGE 75, 157 unter Hinweis auf BVerfGE 17, 130). Der normative Gehalt der Gleichheitsbindung erfährt seine Konkretisierung jeweils im Hinblick auf die Eigenart des zu regelnden Sachbereichs. Der Gleichheitssatz verlangt, daß eine vorgenommene unterschiedliche Behandlung sich sachbereichsbezogen auf einen vernünftigen oder sonstigen einleuchtenden Grund zurückführen läßt (BVerfGE 75, 157 unter Hinweis auf BVerfGE 42, 388).
Als Vergleichsgruppen, die das LSG sachwidrig ungleich behandelt sieht, stellt es frühere Ehefrauen, die aus Alleinverschulden des Versicherten geschieden worden sind und einen Unterhaltsanspruch nach § 58 EheG haben, denjenigen Ehefrauen gegenüber, deren Ehe aus beiderseitigem Verschulden aufgelöst wurde und denen deshalb nur ein Billigkeitsanspruch nach § 60 EheG zusteht. Den Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung sieht es darin, daß bei der letztgenannten Gruppe, weil ihr nur unter engeren Voraussetzungen ein Unterhaltsanspruch zusteht, infolge der Rechtsprechung des BSG ein Verzicht seltener rentenrechtlich wirksam wird, als bei denjenigen früheren Ehefrauen, die den höheren und an weniger enge Voraussetzungen geknüpften Unterhaltsanspruch nach § 58 EheG haben.
Damit bezeichnet das LSG aber keine sachwidrige Ungleichbehandlung in bezug auf den geregelten Sachverhalt. Bei der Frage, ob ein Unterhaltsverzicht einer leeren Hülse gleichkam, sind die unterschiedlichen unterhaltsrechtlichen Ausgangspositionen von geschiedenen Ehefrauen nach § 58 und § 60 EheG von ausschlaggebender Bedeutung. Die in diesem Zusammenhang vom LSG als sachwidrig angesehene Besserstellung der früheren Ehefrauen, die nur einen Anspruch nach § 60 EheG haben, erfolgt nicht ohne sachlichen Grund; sie ist lediglich die Folge davon, daß die vom Unterhaltsverzicht betroffene Rechtsposition nach § 60 EheG schwächer ist als die durch § 58 EheG vermittelte. Hinterbliebene, die auf einen echten Unterhaltsanspruch (§ 58 EheG) verzichtet haben, können nicht verlangen, zu Lasten der Rentenversicherung genau so behandelt zu werden, wie diejenigen, die durch den Verzicht lediglich einer Situation, die keinen Unterhaltsanspruch erwarten läßt, Rechnung getragen haben.
Der unterschiedliche Umfang des Verschuldens an der Scheidung wirkt sich unterhaltsrechtlich (nach §§ 58, 60 EheG) in Voraussetzungen und Höhe des Unterhaltsanspruchs aus und setzt sich unmittelbar im Rahmen der Hinterbliebenenrentengewährung nach § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO fort. Ehefrauen, deren Ehe aus beiderseitigem Verschulden geschieden wurde, haben seltener und in geringerer Höhe mit Unterhaltsansprüchen zu rechnen; dementsprechend kann auch seltener § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO angewendet werden. Die Erleichterung der Hinterbliebenenrentengewährung durch § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO hat diese Unterschiede lediglich für einen engeren Kreis hinterbliebener früherer Ehefrauen abgemildert.
Die Behandlung eines Verzichts durch die Rechtsprechung des BSG verändert die gesetzgeberische Konzeption des § 1265 Abs 1 RVO nicht, sondern trägt den rentenrechtlich bedeutsamen Auswirkungen im Rahmen dieses vorgegebenen Konzepts lediglich Rechnung. Der erkennende Senat hat ausführlich dargelegt, daß es nur darum geht, eine Handlung unbeachtet zu lassen, die keine Auswirkung auf das Konzept des § 1265 RVO hatte, also nur die Konsequenzen aus der ohnehin vorhandenen Situation gezogen hat (Urteil vom 16. Dezember 1993 – 13 RJ 1/93 – SozR 3-2200 § 1265 Nr 12). Die Rechtsprechung zur „leeren Hülse” ruft keine Unterschiede hervor, sondern berücksichtigt lediglich, daß ein Verzicht unterschiedliche Bedeutung hat, je nachdem, ob dadurch ein vorhandener (rentenrechtlich relevanter) Unterhaltsanspruch wegfällt oder ein auf Dauer nicht realisierbarer Unterhaltsanspruch überlagert wird. Wer einen Unterhaltsanspruch hat oder zu erwarten hat und darauf verzichtet, schafft willentlich einen neuen Tatbestand. Er kann nicht erwarten, zu Lasten der Rentenversicherung so behandelt zu werden, als hätte er den Unterhaltsanspruch immer noch; wer keinen Unterhaltsanspruch hatte oder zu erwarten hatte, verändert durch einen erklärten Verzicht nichts. Er zerstört nicht eine bisher vorhandene Basis eines Rentenanspruchs, sondern bestätigt lediglich eine Situation, welcher der Gesetzgeber gerade durch § 1265 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO Rechnung tragen wollte. Darin liegt der Grund für die unterschiedliche Behandlung der vom LSG gebildeten Vergleichsgruppen.
Die somit auch in diesem Fall zu prüfenden Voraussetzungen des Konzepts der „leeren Hülse” führen indes nicht zu einem Erfolg der Berufung.
Es kann hier dahinstehen, ob die Klägerin im Zeitpunkt der Scheidung und des Todes des Versicherten einen Unterhaltsanspruch hatte oder nicht; denn jedenfalls war nicht die Erwartung gerechtfertigt, daß sie in der Zwischenzeit nicht mehr unterhaltsbedürftig und der Versicherte nicht wieder leistungsfähig werden würde.
Die Unterhaltsfähigkeit des Versicherten im Zeitpunkt der Scheidung scheiterte nach den Feststellungen des LSG allenfalls daran, daß er auch noch Unterhaltsleistungen an seine Kinder zu erbringen hatte. Es war aber zu erwarten, daß diese Verpflichtung zeitlich begrenzt sein würde, so daß nach Wegfall dieser Belastungen im Falle einer Bedürftigkeit der Klägerin auch ein rentenrechtlich bedeutsamer Unterhaltsbeitrag nach § 60 EheG anfallen konnte. Umstände, die eine andere Entwicklung hätten erwarten lassen, sind weder festgestellt noch vorgetragen worden.
Es war im Zeitpunkt der Scheidung auch kein Anhaltspunkt gegeben, der es vernünftigerweise als ausgeschlossen erscheinen lassen konnte, daß die Klägerin in Zukunft unterhaltsbedürftig werden und Unterhalt des Versicherten in Anspruch nehmen würde. Der erkennende Senat hat bereits in seinem Urteil vom 16. Dezember 1993 – 13 RJ 1/93 – (SozR 3-2200 § 1265 Nr 12) entschieden, daß bei der Prüfung der zu erwartenden Bedürftigkeit einkommensmindernden Wechselfällen, wie dem Eintritt von Krankheit oder Arbeitslosigkeit, im Rahmen der Prognose grundsätzlich Rechnung getragen werden muß; denn sie gehören zum normalen Ablauf eines Arbeitslebens und können nur unter besonderen Umständen ausgeschlossen werden. Das Vorliegen von in dieser Hinsicht abgesicherten Lebensverhältnissen bildet die Ausnahme. Den für den erkennenden Senat bindenden Feststellungen des LSG sind keine Anhaltspunkte für solche Ausnahmetatbestände zu entnehmen. Mögliche Ansprüche auf Krankengeld und Arbeitslosengeld vermögen wegen ihrer zeitlichen Begrenztheit eine solche Sicherung nicht zu gewährleisten. Ansprüche auf Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe sind und waren stets gegenüber Unterhaltsansprüchen nachrangig (vgl § 150 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ≪AVAVG≫ vom 16. Juli 1927 idF der Bekanntmachung vom 3. April 1957 ≪BGBl I, 321, 706; § 138 des Arbeitsförderungsgesetzes ≪AFG≫ vom 25. Juni 1969 ≪BGBl I 582≫ beide in jeweils geltender Fassung sowie § 2 des Bundessozialhilfegesetzes ≪BSHG≫ in der jeweiligen Fassung, zur Zeit in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Januar 1991 ≪BGBl I, 94≫).
Diese Überlegungen könnten zwar nun wiederum dem Vorwurf ausgesetzt sein, daß im Widerspruch zum Sozialstaatsprinzip hierdurch eine besser abgesicherte frühere Ehefrau gegenüber einer weniger abgesicherten begünstigt werde. Hierzu ist jedoch wiederum darauf hinzuweisen, daß diejenige Ehefrau, die auf einen möglichen Unterhaltsanspruch verzichtet, die Unterhaltssituation real verändert und nicht erwarten kann, daß sie in der Rentenversicherung so behandelt wird, als hätte sie nie Unterhalt in Anspruch nehmen können, während diejenige Ehefrau, die, aus welchen Gründen auch immer (Alkoholsucht des Ehemanns, eigenes gesichertes Einkommen), keinen Unterhaltsanspruch zu erwarten hat, dieser Situation mit dem Verzicht lediglich Rechnung trägt.
Diese Überlegungen und auch die zuvor behandelten Überlegungen des LSG könnten allenfalls Veranlassung für den Gesetzgeber sein, die rentenrechtlichen Folgen von Unterhaltsverzichten vor Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) vom 14. Juni 1976 (BGBl I, 1421) am 1. Juli 1977 neu zu regeln. Die Rechtsprechung kann dies nicht; sie muß beachten, daß der gegenwärtigen gesetzlichen Fassung des § 1265 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO die Anknüpfung an einen zumindest latenten Unterhaltsanspruch zugrunde lag (ausführlich BSG SozR 3-2200 § 1265 Nrn 9 und 12).
Die Revision der Klägerin konnte deshalb keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen