Leitsatz (amtlich)
Der Erstattungsanspruch der BG nach RVO § 1509a entsteht mit der Leistung an den Verletzten. Seine Verjährung wird nicht durch die Unkenntnis der BG von der Unrechtmäßigkeit ihrer Leistung gehemmt (Anschluß an BSG 1976-01-27 8 RU 64/75 = SozR 2200 § 1509a Nr 1).
Normenkette
RVO § 29 Abs. 3 Fassung: 1924-12-15, § 223 Fassung: 1924-12-15, § 1509a Fassung: 1963-04-30; SGB 1 § 45 Abs. 2 Fassung: 1975-12-11; BGB § 198 Fassung: 1896-08-18, § 202 Fassung: 1896-08-18
Verfahrensgang
SG Mannheim (Entscheidung vom 06.10.1976; Aktenzeichen S 7 Kr 1750/75) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 6. Oktober 1976 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte der Klägerin Aufwendungen, die diese anläßlich einer Verletzung des bei der Beklagten versicherten F (F.) deshalb nicht erstatten muß, weil ihr Erstattungsanspruch verjährt ist.
F. hatte am 4. Februar 1970 einen Unfall erlitten, von dem die Klägerin seinerzeit annahm, es habe sich um einen entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall gehandelt. Sie führte deshalb berufsgenossenschaftliche Maßnahmen durch. 1975 wurden der Klägerin neue Tatsachen bekannt, aus denen sie schloß, es habe sich nicht um einen von ihr zu entschädigenden Arbeitsunfall gehandelt. Sie verlangte deshalb mit Schreiben vom 24. Juni 1975 von der Beklagten unter anderem die Erstattung von Leistungen an F. im Gesamtbetrage von 492,20 DM, die sie unstreitig im Jahre 1970 gewährt hatte. Die Beklagte lehnte es ab, diesen Betrag zu erstatten, weil die Forderung verjährt sei.
Die Klägerin hat am 28. Oktober 1975 Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) Mannheim hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 6. Oktober 1976), weil der geltend gemachte Erstattungsanspruch im Jahre 1975 bereits verjährt gewesen sei. Es hat die Berufung und die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat form- und fristgerecht Revision eingelegt. Die schriftliche Zustimmung der Beklagten vom 16. November 1976 befand sich bis zum Ablauf der Revisionsfrist (6. Dezember 1976) nicht bei den Prozeßakten des Bundessozialgerichts (BSG)
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 1509a der Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie der Verjährungsvorschriften.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Mannheim vom 6. Oktober 1976 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 492,20 DM zu zahlen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
die Revision zurückzuweisen.
Der Senat hat die Angestellte Frau D als Zeugin vernommen. Wegen ihrer Aussage wird auf die Verhandlungsniederschrift vom 26. Oktober 1978 verwiesen.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Entscheidungsgründe
Die (Sprung-)Revision der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.
Die Beweisaufnahme, insbesondere die Aussage der Zeugin D hat zur Überzeugung des Senats ergeben, daß die schriftliche Zustimmungserklärung der Beklagten zur Einlegung der Sprungrevision vom 16. Oktober 1976 zusammen mit der Revisionsschrift am 6. Dezember 1976, also innerhalb der Revisionsfrist, bei dem BSG eingegangen ist. Damit war sie iS von § 161 Abs 1 Satz 3 SGG der Revisionsschrift beigefügt.
Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des SG hat die Klägerin im Jahre 1970 dem bei ihr gegen Krankheit versicherten F. in der Annahme, er habe einen Arbeitsunfall erlitten, ua die streitigen Leistungen in Höhe von 492,20 DM gewährt, deren Erstattung sie zunächst von der Beklagten mit Schreiben vom 24. Juni 1975 verlangt und, nachdem diese Verjährung eingewandt hatte, mit der Klage vom 28. Oktober 1975 geltend gemacht hat.
Der streitige Ersatzanspruch hat seine Rechtsgrundlage in § 1509a RVO, wonach die Krankenkasse (KK) zu ersetzen hat, was sie nach dem Recht der Krankenversicherung hätte leisten müssen, wenn ein Träger der Unfallversicherung Leistungen gewährt hat und sich nachträglich herausstellt, daß die Krankheit nicht Folge eines Arbeitsunfalles ist. Die von der Beklagten gegenüber diesem Anspruch erhobene Einrede der Verjährung greift durch.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG verjähren Erstattungsansprüche von Trägern der Sozialversicherung untereinander nach den entsprechend anwendbaren Verjährungsvorschriften der RVO und seit dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB 1) am 1. Januar 1976 nach § 45 SGB 1 (vgl ua BSGE 24, 260, 261; SozR Nr 21 zu § 29 RVO; SozR 2200 § 1509a Nr 1; SozR Nr 64 zu § 183 RVO; SozR Nrn 2 und 6 zu § 223 RVO; USK 1974 Nr 7415 S. 57; SozR 3100 § 81b Nrn 4 und 6). Ob die Verjährungsfrist für Ansprüche aus § 1509a RVO nach den hier noch anzuwendenden, bis zum Inkrafttreten des SGB 1 geltenden Vorschriften der RVO entsprechend § 29 Abs 3 RVO aF vier Jahre oder entsprechend § 223 Abs 1 RVO aF zwei Jahre beträgt, kann unentschieden bleiben, weil der streitige Anspruch bei Klagerhebung in jedem Falle verjährt war.
Die Verjährung beginnt mit der Entstehung des Anspruchs (§ 198 BGB sowie die oa Rechtsprechung). Hierfür ist nicht der Zeitpunkt der Entstehung des Leistungsanspruchs des Versicherten, sei es gegen den Unfallversicherungsträger, sei es gegen die KK, maßgebend. Der Erstattungsanspruch ist eigenständig. Er ist mit dem Leistungsanspruch des Versicherten nicht in allen Punkten identisch (Urteil des erkennenden Senats vom 20. September 1977 - 8 RU 32/77 -; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand August 1977, S. 964 v). Er kann frühestens mit der tatsächlich erbrachten Leistung an den Versicherten entstehen (Urteil des 3. Senats vom 22. März 1974, USK 1974 Nr 7415, S. 57 zu § 223 RVO aF). Erst mit der tatsächlichen Leistung entsteht ggf eine rechtsgrundlose Vermögensverschiebung zwischen Versicherungsträgern, zu deren Ausgleich der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch dient.
Dieser Zeitpunkt ist auch für die Entstehung des Anspruchs nach § 1509 a RVO maßgebend. Was insoweit für allgemeine öffentlich-rechtliche und die übrigen im 5. Buch der RVO geregelten Erstattungsansprüche gilt (vgl die oben genannten Urteile des 2., 3. und des erkennenden Senats), ist für den Anspruch nach § 1509a RVO nicht anders zu beurteilen. Diese mit dem Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) vom 30. April 1963 (BGBl I 241) neu gefaßte Bestimmung ist ebenso wie der ihr nachgebildete § 81b des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) die gesetzliche Ausprägung des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs (vgl BSG in SozR Nr 5 zu § 14 BVG; BSGE 16, 151 ff; 222, 226; 29, 44, 50; Urteil des erkennenden Senats vom 20. September 1977 - 8 RU 37/77, BSGE 44, 282, 283). Der erkennende Senat hat daher in seinem Urteil vom 27. Januar 1976 (SozR 2200 § 1509a Nr 1) den Beginn der (vierjährigen) Verjährungsfrist gleichermaßen wie für den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch auch für den Anspruch nach § 1509a RVO mit der tatsächlichen Leistung an den anderen Versicherungsträger oder den Versicherten selbst angenommen. Hiervon abzuweichen besteht kein Anlaß.
Es ist dem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, soweit er nicht auf einer gesetzlichen Vorleistung- oder Unterstützungspflicht beruht, eigentümlich, daß sich erst nachträglich herausstellt, wer der endgültig zur Leistung verpflichtete Leistungsträger ist (vgl das Urteil des 2. Senats vom 28. April 1976 in SozR 3100 § 81b Nr 4). Wenn dieser Umstand sowohl in § 1509a RVO wie auch in § 81b BVG ausdrücklich genannt ist, so ergibt sich daraus nicht, daß dieser Anspruch erst zu einem späteren Zeitpunkt, insbesondere nicht erst mit der Kenntnis des Berechtigten von der Rechtsirrtümlichkeit seiner Leistung entsteht. In der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs ist bei der Verjährung, die mit der Entstehung des Anspruchs beginnt, insbesondere gestützt auf die Motive zum BGB, anerkannt, daß es grundsätzlich unerheblich ist, ob ein Gläubiger den ihm zustehenden Anspruch kennt oder nicht. Danach hindert die Unkenntnis des Gläubigers von der Entstehung seines Rechts im allgemeinen den Beginn der Verjährung nicht, ohne daß es darauf ankommt, worauf die Unkenntnis beruht (RG JW 12, 70; BGH NJW 1968, 1381, 1382), es sei denn, daß das Gesetz ausdrücklich wie etwa in § 852 BGB die Kenntnis bestimmter Umstände für den Beginn der Verjährung maßgebend sein läßt (vgl dazu auch übereinstimmend Erman, BGB, 6. Aufl, § 198 Anm 1; BGB - Reichsgerichtsrätekommentar, 11. Aufl, § 198 Anm 22; Soergel-Siebert, BGB 10. Aufl, § 198 Anm 4 und 13; Staudinger, BGB, 11. Aufl, § 198 Anm 4; Enneccerus-Nipperdey, BGB 15. Aufl, § 232 Anm III; BGB-Kommentar der Mitglieder des Bundesgerichtshofs, 12. Aufl, § 198 Anm 1; Palandt, BGB, 37. Aufl, § 198 Anm 1). Die gleichen für die Entstehung des Anspruchs und damit für den Beginn der Verjährung geltenden Grundsätze sind auch für die Hemmung der Verjährung (§§ 202 ff BGB) maßgebend. Deshalb hemmt die Unkenntnis des Anspruchs nicht den Lauf der Verjährung (BGH aaO). Es begegnet keinen Bedenken, die Regelungen über die Hemmung und Unterbrechung der Verjährung in BGB auf sozialversicherungsrechtliche Ansprüche entsprechend anzuwenden (so jetzt ausdrücklich § 45 Abs 2 SGB 1, der keine neue gesetzliche Regelung, sondern eine Klarstellung des bisherigen Rechtszustandes enthält, - vgl auch BSGE 8, 221; 19, 88, 90; 25, 73, 74; 28, 61, 62; Brackmann, aaO, 19. Nachtrag 1960, S. 196 e, 35. Nachtrag 1971, S. 446 c).
Wie der BGH (aaO) ausdrücklich hervorhebt, kann die Nichtberücksichtigung der Unkenntnis des Berechtigten bei der Verjährung unter Umständen unbillig sein. Das sei jedoch vom Gesetzgeber erkannt worden. Er gehe davon aus, daß in der Regel die Verjährung innerlich gerechtfertigt sei und auch dann eintrete, wenn im Interesse der Rechtssicherheit der Gedanke der Abwehr eines voraussichtlich unbegründeten Anspruchs ohne Eingehen auf die Sache selbst allein wegen des Zeitablaufs im Einzelfall nicht zutreffe. Das gilt auch in Fällen der vorliegenden Art. Die Rechtssicherheit gebietet es, daß Erstattungsansprüche von Versicherungsträgern im Interesse einer geordneten Geschäftsführung nicht für lange, unter Umständen unabsehbare Zeiträume in der Schwebe bleiben; dh, ein Versicherungsträger soll nicht noch nach Jahren oder Jahrzehnten mit solchen Ansprüchen überzogen werden. Das wäre aber möglich, wenn die Unkenntnis der rechtsirrtümlich gewährten Leistung solange der Verjährung entgegenstehen würde, wie diese Unkenntnis andauert.
Es kommt hinzu, daß der Gesetzestext "und sich nachträglich herausstellt" sich nicht mit dem etwa des § 852 BGB vergleichen läßt, der die Verjährung ausdrücklich von der Kenntnis des Schadens und der Person des Ersatzpflichtigen abhängig macht. Daß ein Unfall kein Arbeitsunfall war, kann sich ggf "nachträglich" erst "herausstellen", wenn das rechtskräftig festgestellt worden ist. Diese Feststellung ist, wenn insoweit Streit besteht, in dem Ersatzstreit zwischen den Versicherungsträgern zu treffen (BSG SozR 2200 § 1509a Nr 1). In diesem Verfahren ist aber bereits über die Rechtmäßigkeit des Erstattungsanspruchs selbst zu entscheiden, so daß in solchen Fällen, die nicht etwa die Ausnahme, sondern die Regel sein werden, niemals eine Verjährung eintreten könnte.
Wenn mann die Kenntnis des Unfallversicherungsträgers von tatsächlichen Umständen, aus denen sich die Unrechtmäßigkeit seiner Leistung ergibt oder ergeben könnte, als den maßgeblichen Zeitpunkt der Entstehung des Erstattungsanspruchs und damit des Beginns der Verjährung ansehen wollte, würde das dem mit dem Rechtsinstitut der Verjährung verfolgten Zweck widersprechen. Es bliebe nämlich dann dem Zufall oder der Intensität der Ermittlungen überlassen, ob ein Erstattungsanspruch gegebenenfalls noch nach vielen Jahren geltend gemacht werden kann. Gerade dadurch soll aber der Beginn und der Lauf der Verjährung nicht beeinflußt werden.
Demgegenüber kann sich die Klägerin nicht auf das Urteil des BGH vom 20. Juni 1969 (NJW 1969 S. 1661/62) berufen. Es betrifft einen anderen Fall, nämlich die Hemmung eines nach § 1542 RVO übergegangenen Schadenersatzanspruchs einer BG, die ihre Leistungsverpflichtungen gegenüber den Hinterbliebenen mit einem förmlichen Bescheid (§ 1583 RVO) verneint hatte. Der BGH hat dort die Verjährung dieses Anspruchs als solange nach § 202 BGB gehemmt erachtet, als über den Hinterbliebenenanspruch selbst nicht durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit rechtskräftig entschieden war, weil der Ersatzpflichtige der BG bis dahin ihre mangelnde Aktivlegitimation hätte entgegenhalten können. Ein ablehnender Bescheid gegenüber den Hinterbliebenen und das Beharren auf dessen Rechtmäßigkeit auch im Streitverfahren kann aber nicht der Unkenntnis von einer rechtsirrtümlichen Leistung gleich erachtet werden. In diesen Fällen stehen nämlich bindende Bescheide gegenüber den Versicherten der Geltendmachung von Erstattungsansprüchen nicht entgegen (BSG in SozR 2200 § 1509a Nr 1).
Hat somit die Verjährung des streitigen Anspruchs im Jahre 1970 begonnen und war sie nicht gehemmt, so konnte sich die Beklagte auf die jedenfalls mit Ablauf des Jahres 1974 eingetretene Verjährung berufen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 4 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1656343 |
BSGE, 131 |