Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 19. September 1989 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Klägers sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Bei dem 1969 geborenen Kläger ist Phenylketonurie (PKU), ein Stoffwechselleiden, das strenge eiweißarme Diät erfordert, als Behinderung nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) mit einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 vH bei Verneinung von Hilflosigkeit anerkannt (Abhilfebescheid vom 19. August 1976, Widerspruchsbescheid vom 14. September 1976). Später wurden dem Kläger aufgrund eines Rundschreibens des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) bis 1979 und sodann bis 1987 befristete Bescheinigungen über Hilflosigkeit iS des § 33b Abs 3 Einkommensteuergesetz (EStG) ausgestellt (Bescheide vom 12. Januar 1977 und 18. Oktober 1979). Nachdem der Kläger das 18. Lebensjahr vollendet hatte, stellte das Versorgungsamt ihm gegenüber fest, die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich „H” (Hilflosigkeit) seien nicht mehr gegeben, da er nunmehr Diät ohne fremde Hilfe einhalten und kontrollieren könne (Bescheid vom 6. Januar 1988, Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 1988). Klage und Berufung des Klägers hatten keinen Erfolg (Urteile des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 20. März 1989 und des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 19. September 1989). Das LSG hat die Voraussetzungen der Hilflosigkeit iS des § 35 Abs 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG), die auch im Steuerrecht maßgebend seien, für die Zeit ab Vollendung des 18. Lebensjahres verneint. Der Kläger sei nicht mehr bei den gewöhnlichen Verrichtungen des täglichen Lebens in erheblichem Umfang auf fremde Hilfe angewiesen. Selbst wenn er beim Zubereiten von Mahlzeiten fremde Hilfe benötige, was bei Volljährigen grundsätzlich nicht angenommen werden könne, betreffe dies nur eine einzige tägliche Verrichtung. Die Verhältnisse hätten sich insofern inzwischen wesentlich geändert, als der Kläger nicht mehr wie im Kindesalter darauf überwacht werden müsse, ob er die Diät genau einhalte. Andere Gründe, wie eine Verhinderung durch die Berufsausbildung zum Einzelhandelskaufmann und durch sportliche Betätigungen in der Freizeit, seien nicht rechtlich zu beachten.
Der Kläger rügt mit seiner – vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen – Revision eine Verletzung des Begriffes der Hilflosigkeit iS des § 35 Abs 1 Satz 1 BVG. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen „H” seien ihm als Kind und Jugendlichem nicht zu Unrecht zuerkannt worden und beständen weiterhin. Er sei wegen der Schwierigkeiten bei der Herstellung der Diät hilflos. Seine Mutter müsse von früh bis abends Grundstoffe für die Mahlzeiten besorgen und besondere Speisen zubereiten.
Der Kläger beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen sowie den Neufeststellungs- und den Widerspruchsbescheid des Beklagten aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen „H” weiterhin anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf die Rechtsprechung des Senats über Hilflosigkeit bei Mucoviscidose.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Wie die Vorinstanzen im Ergebnis zutreffend entschieden haben, hat der Beklagte dem Kläger für die Zeit nach Vollendung des 18. Lebensjahres mit Recht nicht die Voraussetzungen für das Merkzeichen „H”, dh für Hilflosigkeit iS des § 33b Abs 1 Satz 2 EStG, zuerkannt (§ 4 Abs 4 und 1 SchwbG idF der Bekanntmachung vom 26. August 1986 – BGBl I 1421 –; § 3 Abs 1 Nr 2 Ausweisverordnung SchwbG vom 3. April 1984 – BGBl I 509 – / 18. Juli 1985 – BGBl I 1516 –). Allerdings war die Entscheidung nicht als Rücknahme eines rechtswidrig gewordenen Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung für die Zukunft auf § 48 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – ≪SGB X≫ (vom 18. August 1980 – BGBl I 1469 –) zu stützen. Vielmehr ist eine von den früheren Bescheinigungen unabhängige Erstfeststellung umstritten, und seit der Vollendung des 18. Lebensjahres ist der Kläger nicht hilflos. Selbst wenn der angefochtene Bescheid wegen des auf § 48 SGB X gestützten Verfügungssatzes, daß der Kläger nicht „mehr” hilflos sei, nach § 43 SGB X umgedeutet werden müßte, wäre dies zulässig.
Die Neufeststellung nach § 48 SGB X setzt einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, und zwar mit einer solchen, die zeitlich nicht begrenzt ist, voraus und außerdem eine nachträgliche wesentliche Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse, die bei seinem Erlaß vorlagen (Abs 1 Satz 1). Eine Neufeststellung unter derartigen Voraussetzungen erübrigte sich hier. Vorher hatte der Kläger über die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkmals „H” lediglich zwei jeweils befristete Bescheinigungen erhalten, zuletzt für die Zeit von 1980 bis 1987, dh bis zu dem Jahr, in dem er 18 Jahre alt wurde. Diese Bescheinigungen benötigte der Kläger als solche nach § 65 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Buchstabe a Einkommensteuerdurchführungsverordnung (idF vom 24. September 1980 – BGBl I 1801 –) für das Finanzamt zum Nachweis von Hilflosigkeit. Wegen eines solchen Zustandes wird der Pauschbetrag, der wegen besonderer Belastungen infolge einer Behinderung zu gewähren ist, erhöht (§ 33b Abs 1 und 3 Satz 2 EstG). Selbst wenn in dieser Bescheinigung ein Verwaltungsakt (§ 31 SGB X) enthalten gewesen wäre, hätte das Versorgungsamt 1979 nicht etwa eine Feststellung nach § 3 Abs 4 SchwbG aF entsprechend § 4 Abs 4 SchwbG nF getroffen, die zeitlich unbeschränkt gegolten hätte mit dem Vorbehalt der Neufeststellung nach § 48 SGB X, und nicht aufgrund dessen einen entsprechenden Ausweis nach § 3 Abs 5 SchwbG aF entsprechend § 4 Abs 5 SchwbG nF mit dem Merkzeichen „H” ausgestellt. Die befristete Feststellung der Voraussetzungen von „H” war, auch wenn sie als feststellender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, dh mit einer rechtlichen Wirkung für eine bestimmte Zeit über den Erlaß hinaus, zu verstehen ist (BSGE 58, 49, 51 ff = SozR 1300 § 45 Nr 15), nicht nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X wegen einer nachträglichen Änderung tatsächlicher Verhältnisse zurückzunehmen. Dies erübrigte sich wegen der Befristung. Die Wirksamkeit jenes Verwaltungsaktes hatte sich durch Zeitablauf erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X), wie bei der Gewährung einer Rente auf Zeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung kein Entziehungsbescheid zu erteilen ist, wenn der festgestellte Zeitraum abgelaufen ist (§ 1276 Abs 1 und 2 Satz 1 Reichsversicherungsordnung). Die Wirksamkeit war nach dem Verfügungssatz eindeutig und klar auf das Jahr 1987 zeitlich beschränkt (dazu BSGE 62, 103, 105 = SozR 1300 § 48 Nr 39). Diese befristende Nebenbestimmung (vgl dazu BSGE 67, 104, 114 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2) war nach § 32 Abs 2 Nr 1 und Abs 3 SGB X rechtmäßig; sie beruhte auf pflichtgemäßer Ermessensausübung (BSG SozR 3-1300 § 32 Nr 3). Rechtfertigender Grund war die vom BMA nach Anhörung von Sachverständigen gebildete, durch Rundschreiben bekanntgegebene und später in die „Anhaltspunkte” übernommene Meinung, daß Kinder mit PKU während der Zeit, in der sie strenge Diät einhalten müssen, in der Regel bis zum vollendeten 10. Lebensjahr, sonst bei weiterer Diät-Notwendigkeit bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, als hilflos anzusehen sind; bei ihnen sollen zum rechtlich maßgebenden Bereich, für den Hilfe benötigt wird, auch die Förderung der körperlichen und geistigen Entwicklung sowie die Anleitung zu den notwendigen und alltäglichen Verrichtungen zu rechnen sein (Rundschreiben vom 22. Dezember 1976 – BVBl 1977, S 15 –; Anhaltspunkte für die ärztliche Begutachtung Behinderter nach dem SchwbG, herausgegeben vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, 1977, S 15; jetzt: Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem SchwbG, 1983, S 31, 33; vgl auch OVG Berlin, FEVS 1975, 191).
Da sich die Wirkung der letzten Bescheinigung 1987 erschöpft hat, ist nicht mehr zu prüfen, ob die Bescheinigung zu Recht erteilt wurde (BSGE 67, 204 mit im wesentlichen zustimmender Anmerkung von Wolf, Sozialgerichtsbarkeit 1991, S 230; der Rechtsmediziner Rauschelbach, Medizinischer Sachverständiger 1991, S 132 ff). Jedenfalls ist der Kläger nach Vollendung des 18. Lebensjahres nicht mehr hilflos iS des § 33b EStG. Das bestimmt sich inhaltlich nach § 35 Abs 1 Satz 1 BVG (BSGE 67, 204, 205).
Für eine Hilflosigkeit in diesem Sinn fehlt es schon daran, daß der Kläger wegen einer behinderungsbedingten Funktionseinbuße für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens überhaupt auf fremde Hilfe angewiesen ist. Wenn er wegen seiner Berufsausbildung und seines Freizeitsports nicht die notwendige Zeit hat, die über das übliche Maß hinausgehenden Arbeiten beim Herrichten seiner Speisen selbst zu leisten, dann besteht nur eine mittelbare Beziehung zu seiner Krankheit, die im übrigen für sich allein keine Behinderung darstellt. Die zeitraubende Diät-Zubereitung ist wegen der PKU notwendig. Eine Behinderung iS des SchwbG ist aber nicht die Krankheit selbst als regelwidriger Körperzustand, sondern ihre Auswirkung in einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung (§ 4 Abs 1 Satz 1 SchwbG nF; BSGE 50, 217 = SozR 3870 § 1 Nr 3; BSGE 62, 209 = SozR 3870 § 3 Nr 26). Abgesehen davon hindert die PKU den Kläger nicht, seine Nahrung zuzubereiten. Was er anstrebt, ist ein finanzieller Ausgleich für die kostspielige Diät, die noch teurer wird, wenn der Kläger sich die Speisen durch eine bezahlte Kraft zubereiten ließe, weil er sie nach seiner Darstellung weder in einem Geschäft gebrauchsfertig kaufen noch in einem Gasthaus nach der Karte bestellen könnte. Als Voraussetzung für eine entsprechende Steuererleichterung ist aber für Fälle wie den des Klägers eine Hilflosigkeit keine passende Anspruchsgrundlage. Eine Sachwidrigkeit des Einkommensteuerrechts könnte der Kläger nur im Steuerverfahren geltend machen.
Für sie fehlt es auch an einer Hilfsbedürftigkeit bezüglich einer personenbezogenen alltäglichen Verrichtung, die in § 35 Abs 1 Satz 1 BVG gemeint ist, wenn dazu nur die Nahrungsaufnahme, nicht aber die Nahrungszubereitung als Hausarbeit gerechnet wird (so Anhaltspunkte 1977, S 12; Anhaltspunkte 1983, S 29, 30; anders, aber nicht entscheidungserheblich: BSGE 59, 103, 105 f = SozR 3875 § 3 Nr 2; BSGE 67, 204, 205; Richtlinien der Spitzenverbände der Krankenkassen über die Abgrenzung des Kreises der schwerpflegebedürftigen Personen vom 9. August 1989, BGBl 1989 Nr 70, S. 43). Ob das Kochen und Backen der Diät-Speisen zur Heilbehandlung iS der Vorbeugung gehört (vgl § 10 Abs 1 Satz 1 BVG), wogegen der übliche Katalog der Heilbehandlungsleistungen sprechen könnte (§ 11 Abs 1 BVG; vgl BSGE 64, 1 = SozR 3100 § 11 Nr 17), und ob zu den Hilfen bei alltäglichen Verrichtungen der Wartung und Pflege iS des § 35 Abs 1 Satz 1 BVG auch solche bei Heilbehandlungsmaßnahmen gehören (BSGE 59, 103, 106; BSG SozR 3100 § 35 Nr 16), kann dahingestellt bleiben.
Jedenfalls ist der Kläger nicht „in erheblichem Umfang” bei „den” alltäglichen Verrichtungen auf fremde Hilfe angewiesen. Falls er die Hilfe für eine Verrichtung der genannten Art benötigte, beschränkte sich dies auf das Zubereiten der Diät-Speisen, also auf eine einzige von zahlreichen alltäglichen Leistungen zur Wartung und Pflege der Person, und das würde für eine Hilflosigkeit nicht genügen (BSGE 59, 103, 105 f; BSGE 3100 § 35 Nr 16; BSG ZfSH/SGB 1987, 318).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen