Leitsatz (amtlich)
Die Einwilligung zur Sprungrevision kann rechtswirksam auch telegrafisch erklärt werden.
Normenkette
SGG § 161 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. Januar 1956 wird aufgehoben, soweit die Beklagte zur Zahlung der Hinterbliebenenrenten vom 1. April 1943 bis 31. Juli 1948 verurteilt worden ist. Die Klage wird auch insoweit abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Kläger sind die Witwe und die minderjährigen Kinder des Assistenzarztes Dr. Hans W. Dieser hat der Angestelltenversicherung (AV.) angehört. Er ist seit März 1943 als Soldat vermißt und seit dem 13. März 1951 rechtskräftig für tot erklärt. Die Kläger erhalten vom 1. Juni 1949 an auf Grund des Bescheids der Landesversicherungsanstalt (LVA.) Württemberg vom 22. September 1949 Hinterbliebenenrenten. Die LVA. Württemberg nahm damals die Aufgaben der AV. wahr.
Die Kläger beantragten im Juni 1953, ihnen nach § 2 des Kriegsfristengesetzes (KFG) die Rente vom 1. April 1943 an zu gewähren. Die LVA. Württemberg lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 27. Januar 1954 ab, weil der Verstorbene weniger als 60 Beitragsmonate zurückgelegt habe, die Wartezeit daher erst seit dem 1. Juni 1949 als erfüllt gelte (§ 4 Abs. 1 des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes - SVAG -; § 1263 a der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Das Sozialgericht (SG.) Stuttgart hob den Bescheid auf, verurteilte die Beklagte, die Hinterbliebenenrenten auch für die Zeit vom 1. April 1943 bis 31. Juli 1948 zu gewähren und wies im übrigen die Klage ab: Die Wartezeit gelte auch für die Zeit bis zum 31. Juli 1948 als erfüllt (§ 17 Abs. 1 des Gesetzes vom 15.1.1941 - RGBl. I S. 34 -; § 3 Nr. 2 des Gesetzes von Württemberg-Hohenzollern vom 6.8.1948 - RegBl. S. 111 -). Die Voraussetzungen des § 2 KFG seien gegeben. Die Beklagte schulde daher die Rente auch für die Zeit vom 1. April 1943 bis 31. Juli 1948 (Urteil vom 30.1.1956).
Das SG. ließ die Berufung zu. Die Beklagte legte gegen das ihr am 17. Februar 1956 zugestellte Urteil am 12. März 1956 Sprungrevision ein und beantragte, das Urteil des SG. aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Einwilligung der Kläger zur Sprungrevision wurde telegrafisch erklärt. Die Beklagte begründete die Revision am 13. April 1956: Die Sprungrevision sei zulässig. Das Telegramm ersetze die für die Einwilligungserklärung erforderliche Schriftform. Die Revision sei auch begründet. Der Versicherte habe nur Beiträge zur Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA.) entrichtet. Der Anspruch der Kläger falle daher unter das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (FremdRG). Nach § 17 FremdRG beginne die Rente frühestens am 1. April 1952. Diese Vorschrift sei eine Spezialbestimmung zu § 2 KFG. Das KFG sei daher im vorliegenden Falle nicht anwendbar, so daß eine Vorverlegung des Rentenbeginns nicht möglich sei.
Die Kläger beantragten, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie als unbegründet zurückzuweisen: Die Einwilligungserklärung zur Sprungrevision müsse schriftlich erfolgen. Sie sei daher vom Aussteller eigenhändig zu unterschreiben, so daß ein Telegramm nicht genüge. Dem stehe nicht entgegen, daß ein Rechtsmittel durch Telegramm eingelegt werden könne. Dies beruhe auf Gewohnheitsrecht. Ein solches habe sich jedoch für die Erklärung der Einwilligung zur Sprungrevision noch nicht gebildet. Im übrigen sei der Unterzeichner des Telegramms weder im Rubrum des angefochtenen Urteils noch in der für das Revisionsverfahren erteilten Vollmacht aufgeführt. Die Revision sei daher unzulässig.
Die Sprungrevision ist zulässig. Die Einwilligungserklärung durch Telegramm steht dem nicht entgegen. Die Einwilligung zur Sprungrevision hat - ebenso wie die Einlegung der Revision - schriftlich zu erfolgen (§§ 161 Abs. 1 Satz 2, 164 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Für die Einlegung der Revision ist das Telegramm als rechtswirksame Revisionsschrift schon jahrelang in der Rechtsprechung anerkannt (vgl. RGZ. 139/45 ff., 140/73 ff., 151/82 ff.; RVA. in AN. 1909/484 ff.; BSG. 1/243 ff.; Stein-Jonas, ZPO-Kommentar, 18. Aufl., Anm. IV zu § 207; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 7. Aufl., S. 271; Baumbach-Lauterbach, ZPO-Kommentar, 24. Aufl., Anm. 1 C zu § 129). Die Einwilligungserklärung ist eine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Sprungrevision und Bestandteil der Revisionsschrift (§ 161 Abs. 1 SGG). Sie muß daher ebenfalls durch Telegramm rechtswirksam erfolgen können. Dies entspricht einem praktischen Bedürfnis, weil dem Revisionskläger oft nur wenig Zeit zum Einholen der Einwilligung des Prozeßgegners zur Verfügung steht. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG.) vom 13. Oktober 1955 (BSG. 1/243 ff. steht hierzu nicht im Widerspruch. In ihr ist nur ausgeführt, daß in den Fällen, in denen die Berufung nicht durch Telegramm, sondern durch einen Schriftsatz eingelegt worden ist, die Berufungsschrift vom Berufungskläger oder seinem Prozeßbevollmächtigten eigenhändig unterschrieben sein muß.
Die Einwilligung zur Sprungrevision hat Herr Sch vom Verband der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner Deutschlands (VdK), Landesverband Württemberg-Baden, erklärt. Dieser ist - ausweislich der Akten des SG. - einer der vom VdK gestellten Prozeßbevollmächtigten der Kläger. Er war, weil die Einwilligungserklärung nicht durch den für die Revisionsinstanz bevollmächtigten Vertreter abgegeben zu werden braucht, zur Abgabe dieser Erklärung befugt (vgl. BSG., Urteil vom 28.3.1956, Az.: 3 RK 17/55; für die ähnliche Vorschrift des § 566 a ZPO Stein-Jonas a. a. O., Anm. I 2 zu § 566 a und Baumbach-Lauterbach a. a. O., Anm. 1 C zu § 566 a). Seine Prozeßvollmacht deckt die Einwilligung zur Sprungrevision. Sie ist auch von den Klägern vor Beginn des Revisionsverfahrens nicht widerrufen worden. Ein Widerruf liegt nicht darin, daß die Kläger vor dem Termin beim SG. eine weitere Vollmacht für den VdK unterschrieben haben.
Die Sprungrevision ist auch begründet. Die Kläger haben den Bescheid der LVA. Württemberg vom 22. September 1949 nicht angefochten. Er ist daher rechtskräftig geworden. Im vorliegenden Fall kann demnach nur geprüft werden, ob der Beginn der in diesem Bescheid festgestellten Hinterbliebenenrenten nach § 2 KFG vorzuverlegen ist. Dies ist nicht der Fall.
Der Versicherte hat nur Beiträge zur RfA. entrichtet. Diese ist nach der Kapitulation stillgelegt und am 1. August 1953 aufgelöst worden. Die Beklagte als neue Trägerin der AV. ist nicht ihre Gesamtrechtsnachfolgerin. Die aus den Beiträgen zur RfA. hergeleiteten Ansprüche fallen unter das FremdRG, das bestimmt, in welchem Umfang aus solchen Beiträgen Leistungen von einem Versicherungsträger im Bundesgebiet oder im Lande Berlin zu gewähren sind. Nach § 2 FremdRG sind "für die Leistungen grundsätzlich die im Bundesgebiet geltenden Vorschriften der Sozialversicherung unter Berücksichtigung der in den §§ 3 bis 7 vorgesehenen Besonderheiten maßgebend". Die §§ 3 bis 7 FremdRG befassen sich mit dem hier streitigen Rentenbeginn nicht. Dieser richtet sich daher nach den im Bundesgebiet sonst geltenden sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften, zu denen auch § 2 KFG gehört (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 29.10.1956 - 1 RA 101/55 -).
Die Vorschrift des § 2 KFG bestimmt, daß Renten an die Hinterbliebenen von Kriegsteilnehmern und Internierten - abweichend von § 1286 RVO - mit dem Ablauf des Sterbemonats beginnen, sofern der Antrag vor Ablauf des auf die Todesnachricht oder Todeserklärung folgenden Kalenderjahres gestellt wird. Sie regelt mithin nur den Leistungsbeginn, nicht auch den Leistungsanspruch, so daß die Hinterbliebenenrenten nur insoweit vor Ablauf des Antragsmonats beginnen können, als der zuständige Versicherungsträger im Bundesgebiet oder im Lande Berlin überhaupt zu Leistungen verpflichtet war. Handelt es sich nun - wie im vorliegenden Falle - um eine Hinterbliebenenrente aus Beiträgen zur RfA., dann ist bei der Anwendung des § 2 KFG zu beachten, daß aus solchen Beiträgen ein Rentenanspruch gegen die Beklagte als der heutigen Trägerin der AV. erst durch das FremdRG entstanden ist. In der AV. können daher Hinterbliebenenrenten frühestens an dem Tag beginnen, von dem an nach dem FremdRG ein Rentenanspruch gegen die Beklagte besteht (vgl. BSG. a. a. O.).
Nach dem FremdRG gelten Hinterbliebenenrenten, die - wie hier - vor seinem Inkrafttreten von einem Versicherungsträger im Bundesgebiet oder im Lande Berlin rechtskräftig festgestellt worden sind, als Leistungen im Sinne des FremdRG. Eine Änderung dieser Feststellung zu Ungunsten der Berechtigten ist ausgeschlossen, eine Änderung zu ihren Gunsten ist nur hinsichtlich der Rentenhöhe, nicht aber des Rentenbeginns möglich (§ 17 Abs. 6 FremdRG). Der Beginn dieser Hinterbliebenenrenten kann daher nach § 2 KFG nicht vorverlegt werden (vgl. BSG. a. a. O.).
Das Urteil des SG. war daher aufzuheben, soweit die Beklagte zur Zahlung der Hinterbliebenenrenten für die Zeit vom 1. April 1943 bis 31. Juli 1948 verurteilt worden ist; die Klage war auch insoweit abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen