Entscheidungsstichwort (Thema)
Kriegsopferversorgung. Elternrente. Bedürftigkeit. Anrechnung von Einkommen des nicht elternrentenberechtigten Ehegatten
Orientierungssatz
1. Bedürftigkeit nach § 50 Abs 2 BVG idF vom 6.6.1956 (= § 50 Abs 3 idF vom 1.7.1957) liegt dann vor, wenn der Antragsteller weder eigenes Einkommen noch einen Unterhaltsanspruch gegenüber Dritten in Höhe der im § 51 Abs 2 BVG aufgestellten Einkommensgrenzen hat (vgl BSG vom 5.12.1956 - 9 RV 38/54 = BSGE 4, 165 und vom 12.9.1957 - 10 RV 155/55 = BSGE 5, 293 = SozR Nr 4 zu § 50 BVG).
2. Bei der Beurteilung der Bedürftigkeit eines elternrentenberechtigten Elternteils ist das Einkommen des nicht elternrentenberechtigten Ehegatten (hier in Form von Arbeitslosenfürsorgeunterstützung) nur insoweit heranzuziehen, als hierdurch Ansprüche des elternrentenberechtigten Elternteils auf tatsächlichen Unterhalt begründet werden.
Normenkette
BVG § 50 Abs. 1, 2 Fassung: 1956-06-06, Abs. 3 Fassung: 1957-07-01, § 49 Abs. 1, § 51 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 22. März 1955 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die am 22. Juni 1893 geborene Klägerin war in erster Ehe mit dem am 6. Mai 1946 verstorbenen F. G. verheiratet. Ihr am 28. Januar 1915 geborener Sohn Georg wurde durch die Ehe der Klägerin mit F. G. legitimiert. Er ist seit Dezember 1943 als Unteroffizier der Wehrmacht in Rußland vermißt. Die Klägerin ist seit 1947 mit H. P. verheiratet.
Der Antrag der Klägerin auf Elternrente vom 15. Mai 1951 wurde durch das Versorgungsamt (VersorgA.) I Berlin abgelehnt, weil ihr Ehemann, der ein monatliches Nettoeinkommen von 160.-- DM habe, imstande sei, ausreichend für sie zu sorgen (Bescheid vom 2.1.1952). Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos (Entscheidung des Landesversorgungsamts Berlin vom 13.5.1953).
Das Sozialgericht (SG.) Berlin hat die Klage (§ 218 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) durch Urteil vom 17. September 1954 abgewiesen: Die Klägerin sei nicht bedürftig, weil die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung (Alfu) ihres Ehemannes die Einkommensgrenze des § 51 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) überschreite.
Das Landessozialgericht (LSG.) Berlin hat durch Urteil vom 22. März 1955 die Entscheidung des SG. vom 17. September 1954 aufgehoben und die Sache an das SG. zurückverwiesen: Die Ernährereigenschaft des verschollenen Sohnes, dessen Ableben mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei (§ 52 Abs. 1 BVG), sei zu bejahen. Es könne angenommen werden, daß er - das einzige Kind der Klägerin - seine Mutter vor Not geschützt hätte, wenn er zurückgekehrt wäre. Die Klägerin könne nur dann als bedürftig angesehen werden, wenn das Einkommen ihres Ehemannes die Einkommensgrenze des § 51 BVG für die in Frage kommenden Zeiträume nicht erreicht habe. Für die Beurteilung der Bedürftigkeit sei auch dann, wenn nur ein Elternteil anspruchsberechtigt sei, stets das Einkommen beider Eltern maßgebend. Das gelte auch, wenn der Ehemann Alfu beziehe. Die Feststellung des SG, daß der Ehemann seit dem 1. Mai 1951 zu keiner Zeit eine Alfu von weniger als 34.50 DM wöchentlich erhalten habe, sei nicht bedenkenfrei. Die von der Klägerin angegebenen geringeren Beträge enthielten außerdem einen - nicht anzurechnenden - Zuschlag für ein minderjähriges Kind ihres Ehemannes. Da das SG. die Höhe dieses Zuschlags nicht ermittelt habe, leide das Verfahren an einem wesentlichen Mangel, der die Zurückverweisung der Sache rechtfertige. Das LSG. hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt und beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des LSG. dem Klageantrag auf Gewährung der Elternrente stattzugeben.
Sie rügt die Verletzung der §§ 51, 33 Abs. 2 Satz 1 BVG und macht geltend, daß sie sich die Alfu ihres Ehemannes nicht in voller Höhe anrechnen lassen müsse. Als ihr sonstiges Einkommen sei vielmehr nur der zur Alfu für sie als Ehefrau gezahlte Zuschlag von 4.50 DM wöchentlich anzusehen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG). Sie ist daher zulässig.
Die Revision ist auch begründet.
Das BVG, nach dessen Vorschriften das LSG. den von der Klägerin geltend gemachten Elternrentenanspruch beurteilt hat, ist im Revisionsverfahren nachprüfbares Recht im Sinne des § 162 Abs. 2 SGG, weil das Land Berlin dieses Gesetz inhaltsgleich durch das Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges vom 12. April 1951 (GVBl. für Berlin S. 317) übernommen hat (BSG. 2 S. 106 [108]; 1 S. 98 [100, 101] und S. 189 [190, 191]).
Der Anspruch der Klägerin auf Elternrente hängt zunächst davon ab, daß ihr im zweiten Weltkrieg auf dem östlichen Kriegsschauplatz verschollener Sohn, dessen Ableben nach den tatsächlichen, nicht angegriffenen und daher das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG. (§ 163 SGG) mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, ihr Ernährer gewesen ist oder geworden wäre (§§ 49 Abs. 1, 52 Abs. 1, 50 Abs. 1 BVG). Die Ansicht des Berufungsgerichts, daß der Sohn der Klägerin - ihr einziges Kind - diese vor Not geschützt hätte, also ihr Ernährer geworden wäre, wenn er noch lebte, gibt zu Bedenken keinen Anlaß. Der Anspruch auf Elternrente ist somit von der weiteren Voraussetzung abhängig, daß die Klägerin bedürftig ist (§ 50 Abs. 1 BVG). Bedürftig ist nach § 50 Abs. 2 BVG = § 50 Abs. 3 BVG i.d.F. der 6. Novelle vom 1. Juli 1957 - BGBl. I S. 661 -, wer körperlich oder geistig gebrechlich ist oder als Mutter das 50., als Vater das 65. Lebensjahr vollendet hat und weder seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten kann noch einen Unterhaltsanspruch gegen Personen hat, die imstande sind, ausreichend für ihn zu sorgen. Die Klägerin erfüllt die persönlichen Voraussetzungen, weil sie am 22. Juni 1893 geboren ist und damit im Zeitpunkt der Antragstellung des 50. Lebensjahr vollendet hatte. Nach den wirtschaftlichen Verhältnissen liegt, wie der 10. Senat des Bundessozialgerichts (BSG.) bereits entschieden hat, Bedürftigkeit dann vor, wenn der Antragsteller weder eigenes Einkommen noch einen Unterhaltsanspruch gegenüber Dritten in Höhe der im § 51 Abs. 2 BVG aufgestellten Einkommensgrenzen hat (Urt. des BSG. vom 12.9.1957 - 10 RV 155/55 - SozR. BVG § 50 Bl. Ca 1 Nr. 5; BSG. 4 S. 165). Dabei ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts bei nur einem rentenberechtigten Elternteil das tatsächliche Einkommen (dazu gehört auch der Wert des an ihn geleisteten Unterhalts) und der Wert der Unterhaltsansprüche dieses berechtigten Elternteils zu berücksichtigen (BSG. a.a.O.). Das bedeutet, daß das Einkommen des nicht elternrentenberechtigten Ehemannes der Klägerin (die von ihm bezogene Alfu) als solches nicht für die Beurteilung der Frage, ob die Klägerin bedürftig ist, maßgebend ist. Das Einkommen des Ehemannes ist nur insofern von Bedeutung, als die Bedürftigkeit der Klägerin davon abhängig ist, in welcher Höhe sie von ihrem Ehemann Unterhalt erhält oder einen Anspruch gegen ihn hat. Die gegen die Auffassung des BSG. von Wilke vorgebrachten Bedenken (vgl. KOV. 1957 S. 224) sind nicht geeignet, diese Ansicht zu widerlegen. Entgegen der Meinung von Wilke führt die Auffassung des BSG. nicht dazu, daß die Entscheidung über die Bedürftigkeit eines allein rentenberechtigten Elternteils von dem Zufall abhängig ist, welcher der beiden Ehegatten Einkommen hat. Denn die wirtschaftlichen Verhältnisse des nicht rentenberechtigten Ehegatten sind, worauf der 9. Senat (BSG. 4 S. 165 [169]) und der 10. Senat in seinem Urteil vom 12. September 1957 (a.a.O.) mit Recht hingewiesen haben, ausschlaggebend dafür, was er an tatsächlichem Unterhalt dem versorgungsberechtigten Elternteil gewährt oder zu gewähren hat, so daß sein Einkommen und seine wirtschaftlichen Verhältnisse weitgehend die Bedürftigkeit des rentenberechtigten Elternteils beeinflussen. Im übrigen ist der Rückgriff auf das Einkommen des nicht rentenberechtigten Elternteils auch deshalb nicht möglich, weil das BVG von dem Grundsatz beherrscht wird, daß für die Bemessung von Versorgungsleistungen grundsätzlich nur das Einkommen des Anspruchsberechtigten selbst zu berücksichtigen ist, es sei denn, daß ausnahmsweise - wie z.B. im § 34 Abs. 2 BVG - etwas anderes vorgeschrieben ist (vgl. Urteil des 10. Senats vom 12.9.1957, a.a.O.; BSG. 4 S. 165 [169]; Urteil des 11. Senats vom 14.1.1958 - 11/8 RV 991/55 -). Das hiernach auf der unrichtigen Anwendung der §§ 50 Abs. 2, 51 Abs. 2 BVG beruhende Urteil des LSG. war daher aufzuheben. Gleichzeitig war die Sache mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 SGG). Das LSG. wird nun unter Beachtung der angeführten Gesichtspunkte zu prüfen haben, ob die Klägerin bedürftig ist und gegebenenfalls, in welcher Höhe der Beklagte Elternrente zu zahlen hat. Das LSG. wird dabei zu berücksichtigen haben, ob und in welchem Maße die Klägerin durch Unterhaltsleistungen ihres Ehemannes eigenes Einkommen und darüber hinaus einen Unterhaltsanspruch hat. Ein etwaiger Unterhaltsanspruch ist dabei nur insoweit zu berücksichtigen, als er verwirklicht, d.h. nach den Vorschriften zum Schutz des Schuldners in der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden kann (SozR. BVG § 50 Bl. Ca 1 Nr. 5).
Die Kostenentscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG. vorbehalten.
Fundstellen