Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Verletzung der Sachaufklärungspflicht. Feststellung. Gesamt-MdE

 

Orientierungssatz

Zur Verletzung der Sachaufklärungspflicht gem § 103 SGG, wenn das das LSG eine Gesamt-MdE aufgrund mehrerer Erkrankungen ohne ausreichende Sachaufklärung festgestellt hat.

 

Normenkette

SGG § 103

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 16.05.1955)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 16. Mai 1955 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Kläger nahm von 1914 bis 1919 am ersten Weltkrieg teil. Im zweiten Weltkrieg wurde er wieder einberufen und zunächst im Polenfeldzug als Infanterist eingesetzt. Vom 21. August 1940 bis 20. April 1942 war er Kommandant eines Minensuchbootes. Wegen eines Kniegelenkschadens wurde er von der Marine entlassen, kam aber im April 1945 nach erneuter Einberufung auf ein Vorpostenboot, das Ende April 1945 vor Norwegen versenkt wurde. Der Kläger trieb nach seinen Angaben etwa eineinhalb Stunden im Wasser, wurde gerettet, kam zunächst nach Norwegen in ein Lazarett und später nach Dänemark, bis er am 20. Juni 1947 aus der Gefangenschaft entlassen wurde. Die Landesversicherungsanstalt (LVA.) Schleswig-Holstein erkannte durch Bescheid vom 11. Juni 1948 bei dem Kläger "chronische Kniegelenksentzündung links mit teilweiser Versteifung des Kniegelenks und erheblicher Beeinträchtigung der Gehfähigkeit" als Körperschaden an und setzte die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) auf 30 v.H. fest. Auf den Einspruch des Klägers gegen diesen Bescheid entschied der Beschwerdeausschuß bei der LVA. Schleswig-Holstein am 2. März 1949, daß eine arteriosklerotische Demenz im Sinne der Verschlimmerung als Schädigungsfolge anzuerkennen und vom 1. Februar 1948 ab eine Rente auf Grund einer MdE. um 50 v.H. zu gewähren sei. Mit dieser Beschwerdeentscheidung gab sich der Kläger jedoch nicht zufrieden. Er beantragte die Anerkennung seiner sämtlichen Beschwerden, und zwar insbesondere seiner rheumatischen Beschwerden, seiner Magenbeschwerden und Eiweißmangelschäden. Daraufhin erkannte die LVA. mit Bescheid vom 3. Oktober 1949 "chronische Kniegelenksentzündung links mit teilweiser Versteifung des Kniegelenks und erheblicher Beeinträchtigung der Gehfähigkeit, Gehirngefäßleiden im Sinne der Verschlimmerung und zu Rückfällen neigender Muskelrheumatismus" als Schädigungsfolgen unter Festsetzung der MdE. auf 70 v.H. an; sie lehnte jedoch Wehrdienstbeschädigung für das Magenleiden und den Eiweißmangelschaden ab. Auf den Einspruch des Klägers gewährte der Beschwerdeausschuß der LVA. Schleswig-Holstein mit Entscheidung vom 7. Februar 1950 eine Rente nach einer MdE. um 70 v.H. bereits vom 1. Februar 1948 ab.

Die hiergegen eingelegte Berufung wurde vom Oberversicherungsamt (OVA.) Schleswig durch Urteil vom 7. Juli 1950 unter Anschluß an die gutachtliche Äußerung des Gerichtsarztes zurückgewiesen.

Mit Schreiben vom 27. Juli 1950 beantragte der Kläger die Gewährung eines Pflegegeldes, das ihm durch Bescheid vom 28. August 1950 vom 1. August 1950 ab in Höhe von monatlich 20,- DM bewilligt wurde. Der Einspruch des Klägers, mit dem er ein Pflegegeld der Stufe II begehrte, hatte keinen Erfolg. Seine Berufung wurde durch Urteil des OVA. Schleswig vom 16. März 1951 zurückgewiesen, da das Hirngefäßleiden nur im Sinne der Verschlimmerung anerkannt sei und daher auch nur insoweit bei der Prüfung der Frage, ob der Kläger Anspruch auf Pflegegeld habe, berücksichtigt werden könne.

Durch Umanerkennungsbescheid des Versorgungsamts (VersorgA.) Lübeck vom 15. Mai 1951 wurden die bisher anerkannten Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) unter Zugrundelegung derselben MdE. um 70 v.H. übernommen. Ferner wurde dem Kläger eine Pflegezulage nach § 35 BVG in Höhe von 50,- DM bewilligt. Nachdem der Kläger erneut eine chronische Bronchitis und Lungenblähung als Schädigungsfolgen geltend gemacht hatte, lehnte das VersorgA. Lübeck mit Bescheid vom 19. April 1952 die Anerkennung dieser Leiden ab, da über sie bereits früher rechtskräftig entschieden worden sei. Der Einspruch des Klägers gegen diesen Bescheid blieb erfolglos (Entscheidung vom 19.4.1952).

Am 19. Dezember 1952 stellte der Kläger Antrag auf Bewilligung einer Badekur. Er wurde daraufhin durch die Versorgungsärztliche Untersuchungsstelle Neumünster neurologisch, innerfachärztlich, chirurgisch und augenfachärztlich untersucht. Die Untersuchungen ergaben das Vorliegen einer Arthrosis deformans des linken Kniegelenks mit einer Bewegungseinschränkung im linken Kniegelenk bei einer MdE. um 30 v.H. In innerfachärztlicher und augenfachärztlicher Hinsicht kamen die Gutachter zu dem Ergebnis, daß die Gesundheitsstörungen des Klägers auf diesen Gebieten nicht im Zusammenhang mit Kriegseinwirkungen stünden, und daß für einen zu Rückfällen neigenden Muskelrheumatismus kein Anhalt gegeben sei. Der Neurologe lehnte für sein Fachgebiet das Vorliegen von Schädigungsfolgen überhaupt ab, da der Zusammenhang zwischen der allgemeinen cerebralen Arteriosklerose des Klägers bei vorzeitiger Alterung und den Kriegseinwirkungen nicht wahrscheinlich sei. Auf Grund dieser Untersuchungsergebnisse erkannte das VersorgA. Lübeck mit Bescheid vom 24. Juli 1953 lediglich noch "Gelenkveränderungen mit einer Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenks im Sinne der Entstehung und Gehirngefäßleiden im Sinne einer abgrenzbaren Verschlimmerung" als Schädigungsfolgen an; die MdE. für diese auf den Wehrdienst zurückzuführenden Gesundheitsstörungen setzte es auf 40 v.H. fest. Als in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Wehrdienst stehend wurden folgende Leiden bezeichnet: Allgemeine Gefäßsklerose mit Kreislaufstörung, hirnarteriosklerotische Veränderungen, Persönlichkeitsabbau, vorzeitige Alterung, beiderseitige Oberlappentuberkulose und Lungenblähung. Ein zu Rückfällen neigender Muskelrheumatismus wurde als nicht mehr feststellbar erachtet. Gleichzeitig wurde dem Kläger die bisher gewährte Pflegezulage entzogen. Der Einspruch des Klägers gegen diesen Bescheid wurde mit Entscheidung vom 9. Dezember 1953 zurückgewiesen.

Unter Vorlage einer Bescheinigung des behandelnden Arztes Dr. B... vom 4. Februar 1954, nach welcher der Kläger an demselben Tage in das Städtische Krankenhaus L... wegen Muskelrheumatismus, Bronchitis mit Lungenemphysem, inaktiver Lungentuberkulose, Gehirngefäßleiden, Kreislaufstörungen und chronischer Kniegelenksentzündung links eingewiesen worden ist, hat der Kläger beim Sozialgericht (SG.) Lübeck Klage erhoben mit dem Antrag, die in dem Bescheid vom 15. Mai 1951 aufgeführten Schädigungsfolgen in einen neuen Bescheid aufzunehmen und den Beklagten zu verurteilen, eine Rente nach einer MdE. um 70 v.H. auch über den 1. September 1953 hinaus sowie die früher gewährte Pflegezulage zu zahlen. Durch Urteil vom 21. September 1954 hat das SG. Lübeck den angefochtenen Bescheid vom 24. Juli 1953 und die Entscheidung des Beschwerdeausschusses vom 9. Dezember 1953 aufgehoben und den Beklagten unter Anführung der bereits früher anerkannt gewesenen Versorgungsleiden verurteilt, vom 1. September 1953 ab eine Rente nach einer MdE. um 70 v.H. an den Kläger zu zahlen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen, weil die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pflegezulage nicht gegeben seien. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Der Kläger hat die Aufhebung des angefochtenen Urteils insoweit beantragt, als die Klage auf Gewährung einer Pflegezulage zurückgewiesen worden ist. Der Beklagte hat unter Bezugnahme auf die fachärztlichen Untersuchungen des Klägers in der Versorgungsärztlichen Untersuchungsstelle in Neumünster die Aufhebung des Urteils des SG. und Abweisung der Klage beantragt, da nur die in dem angefochtenen Bescheid vom 24. Juli 1953 genannten Gesundheitsstörungen Schädigungsfolgen seien, die eine höhere MdE. als 40 v.H. nicht bedingten.

Das Landessozialgericht (LSG.) Schleswig hat durch Urteil vom 16. Mai 1955 die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Auf die Berufung des Beklagten hat es das angefochtene Urteil des SG. Lübeck aufgehoben und den Beklagten verurteilt, dem Kläger vom 1. September 1953 ab eine Rente nach einer MdE. um 50 v.H. zu gewähren; im übrigen hat es die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Das LSG. hat die Revision nicht zugelassen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt: Es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger hilflos im Sinne des Gesetzes sei, da die weitere Voraussetzung des § 35 BVG, daß die Hilflosigkeit durch eine Schädigungsfolge verursacht worden sei, nicht vorliege. Bei dem Kläger handle es sich um eine ausgeprägte, offenbar fortschreitende cerebrale Arteriosklerose, welche die behauptete Hilflosigkeit entscheidend beeinflusse. Da hinsichtlich des Gehirngefäßleidens des Klägers nur eine abgrenzbare Verschlimmerung durch den Wehrdienst anerkannt sei, könne das Fortschreiten der cerebralen Arteriosklerose nicht mehr mit dem Wehrdienst in Zusammenhang gebracht werden mit der Folge, daß diese Verschlimmerung nicht als ursächlich für eine etwa heute bestehende Hilflosigkeit angesehen werden könne. Ein zu Rückfällen neigender Muskelrheumatismus als Schädigungsfolge sei auch dann weiterhin anzuerkennen, wenn nach beschwerdefreien Zeiträumen sich neue Schübe einstellten. Aus diesem Grunde sei es unbeachtlich, wenn im Zeitpunkt der Untersuchung im Februar 1953 objektive Anzeichen für das Vorliegen eines Muskelrheumatismus nicht hätten festgestellt werden können. Insoweit könne daher die Berufung des Beklagten keinen Erfolg haben; sie sei jedoch hinsichtlich der Höhe der MdE. begründet. Über die bei dem Kläger vorliegenden Gelenkveränderungen und die Höhe der dadurch bedingten MdE. bestehe kein Streit; sie betrage zusammen mit dem Muskelrheumatismus 30 v.H. Hinsichtlich der einmaligen abgrenzbaren Verschlimmerung des Gehirngefäßleidens erscheine eine MdE. um 30 v.H. angemessen, so daß die Gesamt-MdE. auf 50 v.H. festzusetzen sei.

Gegen das ihm am 5. Juli 1955 zugestellte Urteil des LSG. Schleswig hat der Kläger mit Schriftsatz vom 1. August 1955 und Telegramm vom 4. August 1955 Revision eingelegt. Er beantragt:

den Beklagten unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, dem Kläger über den 31. August 1953 hinaus eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 70 v.H. und die Pflegezulage zu zahlen wegen "chronischer Kniegelenksentzündung links mit teilweiser Versteifung des Kniegelenks und erheblicher Beeinträchtigung der Gehfähigkeit, Gehirngefäßleiden im Sinne der Verschlimmerung und zu Rückfällen neigendem Muskelrheumatismus."

Der Kläger rügt die Verletzung der §§ 103, 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und der §§ 1, 35 BVG. Das LSG. habe seiner Pflicht zur Sachaufklärung nicht genügt, da es sich nicht bemüht habe, die von dem Krankenhaus S... in Lübeck angeforderten Krankenunterlagen, deren Herausgabe zunächst wegen der fehlenden Zustimmung des Klägers verweigert worden sei, zu erhalten. Es liege nahe, daß das LSG. bei Kenntnis dieser Unterlagen zu einer günstigeren Beurteilung der durch den Muskelrheumatismus des Klägers bedingten MdE. gekommen wäre. Der behandelnde Arzt des Klägers, Dr. B..., sei zur mündlichen Verhandlung als Zeuge geladen worden. Das LSG. habe sich jedoch darauf beschränkt, Dr. B... lediglich hinsichtlich des Muskelrheumatismus zu vernehmen; darüber hinaus habe es ihm das Wort abgeschnitten, weil er sich zu dem gesamten Fragenkomplex habe äußern wollen. Da der Kläger die Vernehmung des Dr. B... beantragt habe, sei auch § 109 SGG verletzt. Endlich rügt der Kläger noch eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs. Er ist der Meinung, daß die auf den Wehrdienst zurückzuführende einmalige Verschlimmerung des Gehirngefäßleidens bei einer MdE. um 30 v.H. für den jetzigen Zustand des Klägers auf jeden Fall kausal sei, da ohne diese einmalige Verschlimmerung der im übrigen altersbedingte Ablauf der hirnarteriosklerotischen Veränderungen nur eine entsprechend geringere MdE. herbeiführen würde. Die anerkannte Verschlimmerung sei daher eine Mitursache für die Hilfslosigkeit des Klägers.

Der Beklagte beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen,

hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. Schleswig zurückzuverweisen.

Er trägt vor, daß eine weitere Sachaufklärung hinsichtlich des Leidens "Muskelrheumatismus" nicht erforderlich gewesen sei, weil das LSG. dieses Leiden aus rechtlichen Gründen als Leistungsgrund anerkannt habe. Ein Antrag nach § 109 SGG, Dr. B. gutachtlich zu hören, sei im Berufungsverfahren weder mündlich noch schriftlich gestellt worden; das Verfahren vor dem LSG. leide somit nicht an einem wesentlichen Mangel. § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG komme deswegen nicht in Betracht, weil die Rüge des Klägers, das LSG. habe den Begriff der Hilflosigkeit im Sinne des § 35 BVG verkannt, keine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs betreffe.

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist auch statthaft.

Das LSG. hat die Revision nicht zugelassen. Sie findet daher nur statt, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG) und auch vorliegt (BSG. 1 S. 150 und 254), oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung im Sinne des BVG das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG).

Der Kläger rügt mit der Revision, daß das LSG. seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nicht in ausreichendem Maße nachgekommen sei. Nach § 103 SGG hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Es hat alle geeigneten und notwendigen Ermittlungen anzustellen, die für die Beurteilung des Bestehens oder Nichtbestehens des geltend gemachten Anspruchs erheblich sind. Das tatsächliche Vorbringen der Parteien ist im Rahmen dieser Ermittlungen zu berücksichtigen; das Gericht ist jedoch nach § 103 Satz 2 SGG an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Das Gericht bestimmt die Maßnahmen, die zur Aufklärung des Sachverhalts notwendig sind. Sein Ermessen wird allerdings durch die in § 103 SGG festgelegte Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts in dem für die Entscheidung erforderlichen Umfang begrenzt. Die Verletzung dieser Aufklärungspflicht stellt einen wesentlichen Mangel des Verfahrens im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG dar (vgl. BSG. 1 S. 91 und 194, 2 S. 236). Die Nachprüfung des Verfahrens vor dem Berufungsgericht setzt voraus, daß der Revisionskläger im einzelnen die Tatsachen und Beweismittel anführt, aus denen sich mit hinreichender Deutlichkeit ergibt, daß das LSG. seine gesetzliche Verpflichtung zur Erforschung des Sachverhalts verkannt hat oder ihr nicht nachgekommen ist, z.B. indem es Beweismittel ungenützt ließ, obwohl die bisher erhobenen Beweise zu einer sicheren tatsächlichen Feststellung nicht ausreichten. Diese Voraussetzungen für die Rüge unzureichender Sachaufklärung sind im vorliegenden Falle erfüllt.

Der Kläger bringt in dieser Hinsicht vor, daß das Berufungsgericht zwar die Krankenunterlagen des Krankenhauses S... in Lübeck angefordert, sich aber nicht bemüht habe, diese Krankenunterlagen zu erhalten, nachdem das Krankenhaus ihre Herausgabe wegen der fehlenden Zustimmung des Klägers verweigert habe. Aus der bei den Akten befindlichen Bescheinigung des behandelnden Arztes Dr. B... ist ersichtlich, daß der Kläger am 4. Februar 1954 wegen Muskelrheumatismus und wegen seiner übrigen Gesundheitsstörungen in das Krankenhaus S... in Lübeck eingewiesen worden ist. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG. am 21. September 1954 ist Dr. B... als Zeuge gehört worden. Er hat u.a. ausgesagt, es sei ihm von dem Krankenhaus S... bestätigt worden, daß der Kläger tatsächlich noch an Muskelrheumatismus leide. Das LSG. hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auch zum Ausdruck gebracht, daß der zu Rückfällen neigende Muskelrheumatismus weiterhin als Schädigungsfolge anzuerkennen sei, da ein "zu Rückfällen neigendes" Leiden nach beschwerdefreien Zeiträumen wieder aufflackern könne. Das Berufungsgericht hat weiter ausgeführt, daß über die Höhe der MdE. hinsichtlich der Gelenkveränderungen kein Streit bestehe und hierfür zusammen mit dem Muskelrheumatismus die Annahme einer MdE. um 30 v.H. gerechtfertigt erscheine. Zu dieser Feststellung ist das LSG. jedoch ohne ausreichende Sachaufklärung gelangt. Es ist zwar richtig, daß über die Bewertung der durch die Gelenkveränderungen bedingten MdE. zwischen den Parteien kein Streit besteht. Insoweit ist stets eine MdE. um 30 v.H. bereits ohne Berücksichtigung des Muskelrheumatismus angenommen worden. Aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ist aber nicht zu entnehmen, auf welche Unterlagen und Erwägungen sich die Überzeugung des Senats gründet, daß die MdE. für die Gelenkveränderungen zusammen mit dem Muskelrheumatismus 30 v.H. betrage. Der Kläger hat stets geltend gemacht, daß auch sein Muskelrheumatismus eine MdE. bedinge. Er hat entsprechende Bescheinigungen seines behandelnden Arztes Dr. B... vorgelegt und insbesondere beantragt, das Krankenhaus S... in Lübeck zu hören, in dem er u.a. auch wegen Muskelrheumatismus gelegen habe. Obwohl das Berufungsgericht in den Urteilsgründen selbst ausführt, daß dieses Leiden durchaus wieder aufflackern könne, auch wenn bei einer Untersuchung im Februar 1953 keine objektiven Anzeichen für das Vorliegen des Leidens festzustellen gewesen seien, hat es weder von sich aus weitere Ermittlungen angestellt noch von dem Beweisangebot, das Krankenhaus S... in Lübeck zu hören, Gebrauch gemacht, was nach Einholung der Zustimmung des Klägers möglich gewesen wäre. Insoweit liegt daher eine Verletzung der dem Gericht nach § 103 SGG obliegenden Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts vor. Dieser wesentliche Mangel des Verfahrens macht die Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft.

Das Urteil beruht auch auf dieser Gesetzesverletzung, da die Möglichkeit besteht, daß das LSG. anders entschieden hätte, wenn es die erforderliche Sachaufklärung hinsichtlich der ggf. durch den Muskelrheumatismus bedingten MdE durchgeführt hätte (vgl. BSG. 2 S. 197 = SozR. SGG § 162 Bl. Da 7 Nr. 29). Die Revision ist somit auch begründet. Da der erkennende Senat nicht selbst entscheiden kann, weil in dieser Sache noch weitere Ermittlungen erforderlich sind, mußte das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. Schleswig zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Bei dieser Sach- und Rechtslage erübrigte sich die Prüfung der von dem Kläger erhobenen weiteren Rügen durch das Revisionsgericht.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2180165

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