Leitsatz (redaktionell)
1. Grundsätze, nach denen ein Gericht der Sozialgerichtsbarkeit sich ohne Verfahrensverstoß und ohne ein Obergutachten einholen zu müssen zwischen unterschiedlichen Gutachten und medizinischen Lehrmeinungen zB über Ursache und Entstehung eines vorhandenen Gelenkrheumas entscheiden darf.
Um die Richtigkeit seines Vorgehens bestätigt zu erhalten, darf das LSG in solchen Fällen die Revision zulassen.
2. Die Zulassung der Revision nach SGG § 162 Abs 1 Nr 1 ist nicht offensichtlich entgegen dem Gesetz erfolgt und darum die Revision insoweit nicht unstatthaft (vergleiche BSG 1955-07-07 10 RV 175/54 = BSGE 1, 104; BSG 1959-07-30 10 RV 139/59 = BSGE 10, 240 und BSG 1959-10-27 10 RV 903/58 = BSGE 10, 269), wenn das LSG die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darin gefunden hat, daß es nicht nur über den medizinischen Zusammenhang bei weitgehend ungeklärter Ätiologie einer Krankheit - hier des primärchronischen Gelenkrheumatismus - zu entscheiden hatte und hierzu einander widersprechende Gutachten vorlagen, sondern daß außerdem von den Gutachtern zwei verschiedene Diagnosen gestellt worden waren. Diese Besonderheit konnte das LSG zum Anlaß nehmen, die Revision zuzulassen, damit höchstrichterlich für einen solchen keineswegs vereinzelten Fall entschieden werde, ob und unter welchen Voraussetzungen das Berufungsgericht sich einem der Gutachter anschließen durfte und ob nicht ein weiteres Gutachten einzuholen war.
Normenkette
SGG § 128 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1953-09-03, § 162 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle vom 16. Juni 1959 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Kläger sind die Rechtsnachfolger ihres ... 1958 verstorbenen Ehemannes und Vaters Karl B (B.). Sie begehren Versorgung wegen eines Gelenkrheumas, das sich B. während des militärischen Dienstes zugezogen habe. B. wurde im Mai 1942 zum Heeresdienst einberufen und am 15. Juni 1945 aus der Gefangenschaft entlassen. Nach seinen Angaben zog er sich im Februar 1943 durch Absturz von einem Mast Fersenprellungen und einen Bluterguß an beiden Knien zu; im Februar 1944, kurz vor Antritt eines Heimaturlaubs entstand unter dem linken Auge ein Pickel, der sich zu einer Gesichtsrose entwickelte und im Urlaub vom Standortarzt behandelt werden mußte. Im April 1945 wurde er durch einen Bombensplitter am rechten Oberschenkel verwundet; außerdem erkrankte er an Gelenkrheuma, das nach der Feststellung des Landessozialgerichts (LSG) in den Fingergelenken begann.
1949 beantragte B. Versorgungsrente nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27. Er wies auf die 1943 und 1945 erlittenen Verletzungen hin; er leide seit April 1945 an Gelenkrheuma, das sich alljährlich in mehreren Schüben wiederhole; durch diese Erkrankung seien seine Knie- und Fingergelenke sehr behindert. B. litt nach einer Bescheinigung des Dr. P, der ihn seit dem Spätherbst 1945 behandelte, an einem mehrfach wiederkehrenden Gelenkrheumatismus, der durch alle Gelenke lief und "hauptsächlich in den schon im Wehrdienst beschädigten Kniegelenken" sowie in den Fingerwurzelgelenken Veränderungen hervorrief. Die Versorgungsbehörde holte ein Gutachten des Dr. J ein. Darin ist zur Vorgeschichte vermerkt, der Gelenkrheumatismus habe nach Kriegsende begonnen - ein wenig auch schon in der Gefangenschaft - und sei 1947 besonders stark aufgetreten; er habe zunächst in den Fingergelenken gesessen, später in den Knie- und Fußgelenken, und zeige sich jetzt auch in den Schultern. Dr. J stellte einen erhöhten Blutdruck sowie einen Gelenkrheumatismus starken Grades in allen Gelenken fest, führte ihn aber nicht auf Einflüsse des militärischen Dienstes zurück. Nach einer von der Zentralkrankenversicherung eingeholten Auskunft war B. seit August 1947 wegen Angina und Polyarthritis von Dr. Petzold und vom 1. bis 15. Dezember 1948 wegen Rheumas von Dr. Müller behandelt worden. Mit Bescheid vom 1. April 1950 lehnte die Versorgungsbehörde den Antrag ab, weil das Gelenkrheuma erstmalig im August 1947 aufgetreten sei und in keinem Zusammenhang mit dem militärischen Dienst stehe. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
B. legte Berufung (alten Rechts) beim Oberversicherungsamt (OVA) ein. In der Verhandlung und in einer Auskunft vom 7. August 1951 gab Dr. P an, er habe im Spätherbst 1945 einwandfrei den Beginn eines Gelenkrheumas, und zwar einer progressiven Art mit zunehmender Versteifung der Finger-, Hals-, Knie- und Fußgelenke, festgestellt und diese Erkrankung auf die 1944 durchgemachte Gesichtsrose bezogen. Im April 1948 habe B. eine Kur durchgeführt; dennoch seien weitere Versteifungen eingetreten. In einem Gutachten des Prof. Dr. T und des Dr. M des Krankenhauses Nordstadt in Hannover vom 6. März 1953 kamen die Gutachter nach stationärer Beobachtung zu dem Ergebnis, B. leide an einer typischen primär-chronischen Polyarthritis, deren zeitlicher Beginn nicht einwandfrei bestimmt werden könne. Die Erkrankung stehe in keinem Zusammenhang mit dem militärischen Dienst, besonders nicht mit dem Kniegelenktrauma aus dem Jahre 1943 und der Gesichtsrose (Gesichtserysipel) vom März 1944. An einer primär-chronischen Polyarthritis bestehe kein Zweifel, da sich das Krankheitsbild differentialdiagnostisch gegen die sekundär-chronische Polyarthritis abgrenzen lasse. Der Zeuge Herbert P bekundete, seit Anfang 1944 habe B. über rheumatische Rücken- und Armschmerzen geklagt und gesagt, der Truppenarzt habe bei ihm Rheuma festgestellt.
Das Sozialgericht (SG), auf das die Berufung als Klage übergegangen war, holte noch ein Gutachten von Prof. Dr. S und Privatdozent Dr. H der Medizinischen Universitätsklinik in Göttingen ein. Diese Gutachter traten der Auffassung des Prof. Dr. T bei, dessen Beweisführung sie als zwingend bezeichneten. Das SG wies durch Urteil vom 28. September 1955 die Klage ab.
Das LSG holte im Berufungsverfahren nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ein Gutachten des Internisten Dr. med. habil. W in Braunschweig ein. Dieser hielt die Krankheit für einen sekundär-chronischen Gelenkrheumatismus, bei dem der Wundrose als Streptokokkeninfektion die dominierende Rolle zuzusprechen sei. Für diese Diagnose spreche auch der von ihm festgestellte Herzmuskelschaden und der Umstand, daß nach den Angaben B's. die Schultergelenke zuerst befallen worden seien. Zu einer zusammenfassenden Darstellung gab B. an, er habe im Mai oder Juni 1944 schon einmal Schmerzen in den Schultergelenken gehabt, die zur Behandlung durch den Truppenarzt geführt hätten und von ihm als rheumatische Beschwerden bezeichnet worden seien. Die Gutachter Prof. Dr. S und Dr. W nahmen nochmals Stellung zur Zusammenhangsfrage; beide blieben bei ihrer Auffassung.
Während des Berufungsverfahrens verstarb B.. Das Verfahren wurde von den jetzigen Klägern als Rechtsnachfolger gemäß § 68 SGG i. V. m. § 239 der Zivilprozeßordnung (ZPO) aufgenommen. Das LSG wies mit Urteil vom 16. Juni 1959 die Berufung zurück. Das Gelenkrheuma könne nicht als eine durch militärische Einflüsse hervorgerufene oder verschlimmerte Gesundheitsschädigung im Sinne des § 4 der SVD Nr. 27 angesehen werden. Es sei zwar erwiesen, daß B. 1944 an einer durch kriegseigentümliche Verhältnisse entstandenen Gesichtsrose erkrankt sei. Das Gelenkrheuma sei aber nicht auf diese zurückzuführen und auch nicht durch andere kriegseigentümliche Verhältnisse entstanden oder verschlimmert worden. Die gegensätzlichen Auffassungen in den Gutachten von Prof. Dr. T und Prof. Dr. S einerseits und von Dr. W andererseits beruhten vor allem auf ihrer verschiedenen Diagnose. Als Beweis für das Krankheitsbild des sekundär-chronischen Gelenkrheumatismus führe Dr. W ua. einen rheumatisch bedingten Herzmuskelschaden sowie den Beginn des Krankheitsprozesses an den großen Gelenken wie Schulter, Knie oder Hüftgelenken an. Der Herzmuskelschaden könne jedoch, wie Prof. Dr. S ausgeführt habe, nicht im Sinne einer rheumatischen Carditis gewertet werden, weil es an einer Endocardbeteiligung fehle. Die eingehende Untersuchung durch Prof. Dr. T 1953 habe ein völlig normales Elektrokardiogramm ergeben. Die Veränderungen des Herzens müßten also später entstanden sein. Aus der Bescheinigung des Dr. P vom 15. Juli 1949 ergebe sich, daß die rheumatischen Beschwerden "hauptsächlich in den schon im Wehrdienst beschädigten Kniegelenken sowie in den Fingergelenken" begonnen hätten. Wenn B. später davon gesprochen habe, die Beschwerden hätten zunächst in den Schultergelenken begonnen, so komme dieser nachträglichen Behauptung eine geringere Beweiskraft zu. Damit sei der Beurteilung des Dr. W zum größten Teil der Boden entzogen. Die für seine Auffassung angeführten Umstände könnten nur als eine Möglichkeit gewertet werden. Mit Prof. Dr. T und Prof. Dr. S sei davon auszugehen, daß bei B. eine primär-chronische Polyarthritis vorgelegen habe. Die Ursache für diese Erkrankung sei noch weitgehend ungeklärt; Streit bestehe in der medizinischen Wissenschaft besonders darüber, inwieweit eine Streptokokkeninfektion als Ursache in Betracht komme. Neue Forschungen hätten ergeben, daß die Ursache dieser Erkrankung - im Gegensatz zum akuten Gelenkrheumatismus - nicht in einer Streptokokkeninfektion zu suchen sei. Prof. Dr. S sei in seiner sehr langen praktischen Erfahrung ein Erysipel niemals als auslösende Ursache begegnet. Man müsse somit davon ausgehen, daß als Ursache der primär-chronischen Polyarthritis besonders endogene erbliche Faktoren beteiligt seien und die Gesichtsrose wahrscheinlich als Ursache ausscheide. Die Kausalreihe Gesichtsrose - akuter Gelenkrheumatismus - primär-chronische Polyarthritis müsse außer Betracht bleiben, da sich die Polyarthritis nicht als Fortsetzung eines akuten Gelenkrheumas darstelle; es handele sich dabei um durchaus verschiedene Erkrankungen, die nach Ursache und Reaktionsweise in keiner Beziehung zueinander stünden. Den Ausführungen von Prof. Dr. S komme vor allem im Hinblick auf seine gerichtsbekannte Qualifikation eine stärkere Beweiskraft als dem gegenteiligen Gutachten des Dr. W zu. Das LSG ließ die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zu.
Mit der Revision beantragen die Kläger,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 16. Juni 1959 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen,
hilfsweise,
die Urteile des LSG Niedersachsen vom 16. Juni 1959 und des SG Hildesheim vom 28. September 1955 sowie die Entscheidungen des Beschwerdeausschusses vom 26. Juni 1950 und den Bescheid vom 1. April 1950 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Versorgungsanspruch des Verstorbenen anzuerkennen.
Die Revision rügt nur Verfahrensmängel. Das LSG habe bei der Beweiswürdigung die Diagnose des Prof. Dr. S unter Verstoß gegen § 128 SGG für wahrscheinlicher gehalten als die des Dr. W denn der Richter könne als medizinischer Laie nicht sagen, er halte die eine Diagnose für wahrscheinlicher als die andere. Die Gutachter seien hier zu verschiedenen Diagnosen gelangt und hätten damit - jeder von seiner Auffassung aus - andere medizinische Tatsachen, nämlich eine andere Krankheit festgestellt. Dem Gericht stehe es zwar zu, zwischen den voneinander abweichenden Auffassungen verschiedener Gutachter zu wählen. Es dürfe die festgestellten medizinischen Tatsachen aber nur rechtlich würdigen, jedoch nicht selbst medizinische Tatsachen feststellen. Das LSG habe somit den medizinischen Sachverhalt noch näher aufklären und einen weiteren Gutachter hören müssen; es habe daher seine Aufklärungspflicht verletzt (§ 103 SGG). Hätte das LSG einen weiteren Sachverständigen gehört, hätte es zu einem anderen Ergebnis kommen können; jedenfalls habe es sich, da die Ursachen für die Entstehung eines chronischen Gelenkrheumatismus oder eines primär-chronischen Gelenkrheumatismus noch weitgehend ungeklärt seien, veranlaßt sehen müssen, etwa Prof. Dr. K als den besten Sachkenner des rheumatischen Geschehens zu hören.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
sie als unbegründet zurückzuweisen.
Die Revision ist durch Zulassung statthaft. Der Senat ist nicht der Auffassung, daß die Zulassung der Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG offensichtlich entgegen dem Gesetz erfolgt und daß darum die Revision insoweit unstatthaft ist (BSG 1, 104; 10, 240, 269; vgl. auch BAG NJW 1955 S. 278). Das LSG hat der Sache eine grundsätzliche Bedeutung beigemessen; die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung kann darin gefunden werden, daß das LSG nicht nur über den medizinischen Zusammenhang bei weitgehend ungeklärter Ätiologie einer Krankheit - hier des primär-chronischen Gelenkrheumatismus - zu entscheiden hatte und hierzu einander widersprechende Gutachten vorlagen, sondern daß außerdem von den Gutachtern zwei verschiedene Diagnosen gestellt worden waren. Diese Besonderheit konnte das LSG zum Anlaß nehmen, die Revision zuzulassen, damit höchstrichterlich für einen solchen keineswegs vereinzelten Fall entschieden werde, ob und unter welchen Voraussetzungen das Berufungsgericht sich einem der Gutachter anschließen durfte und ob nicht ein weiteres Gutachten einzuholen war.
Die hiernach statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164, 166 SGG). Sie ist sonach zulässig, sachlich ist sie nicht begründet. Es ist nicht ersichtlich, daß das LSG bei der Beweiswürdigung die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens überschritten und damit § 128 Abs. 1 SGG verletzt hat. Die Revision hat nicht, jedenfalls nicht rechtzeitig gerügt, das LSG habe die im Verfahren ermittelten Tatsachen über den Verlauf der Rheumaerkrankung nicht oder nicht vollständig berücksichtigt. Sie ist zwar der Meinung, das LSG habe diese Tatsachen nicht zutreffend, d. h. medizinisch richtig, beurteilt; den Verfahrensverstoß erblickt sie aber darin, daß das LSG seine Entscheidung auf eine Bewertung der Gutachten von Prof. Dr. T und Prof. Dr. S einerseits und von Dr. W andererseits gestützt habe.
Diese Auffassung verkennt die Aufgaben, die im gerichtlichen Verfahren dem Richter und dem Sachverständigen zukommen. Der Sachverständige vermittelt dem Gericht die allgemeinen Erfahrungssätze aus seinem Fachgebiet und die sich daraus für den Einzelfall ergebenden Schlußfolgerungen (Baumbach/Lauterbach, ZPO 26. Aufl. Übersicht vor § 402, Anm. 1 A). Zur sachgemäßen Beurteilung medizinischer Fragen ist das Gericht in aller Regel auf den Sachverständigen angewiesen; darum überschreitet es die Grenzen des Rechts auf freie Beweiswürdigung, wenn es ohne wohlerwogene und stichhaltige Gründe über die Beurteilung medizinischer Fragen durch die Sachverständigen hinweggeht und seine eigene Auffassung an deren Stelle setzt (BSG in SozR SGG § 128 Da 1 Nr. 2). Der Sachverständige bleibt jedoch Gehilfe des Richters; der Gutachter kann ihm die Verantwortung für die richterliche Entscheidung auch soweit sie die medizinische Beurteilung des Sachverhalts betrifft nicht abnehmen. Das Gericht ist deshalb nicht an ein ärztliches Gutachten in dem Sinne gebunden, daß es ihm stets folgen müßte. Es hat vielmehr die ihm vorliegenden Gutachten kritisch darauf zu prüfen, ob sie überzeugend, insbesondere frei von Widersprüchen sind und nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen. Ein noch größeres Maß von Freiheit ist dem Gericht eingeräumt, wenn es zwischen voneinander abweichenden Auffassungen verschiedener Gutachter zu wählen hat (BSG aaO). Wenn sich aus den Gutachten ergibt, daß Streit über medizinische Lehrmeinungen besteht, von denen die Entscheidung abhängt, kann die Einholung eines weiteren Gutachtens angezeigt oder sogar notwendig sein, nämlich dann, wenn nicht erkennbar ist, was als hinreichend gesicherte Erkenntnis der ärztlichen Wissenschaft gelten kann. Sonst aber wird das Gericht zwischen den ihm vorgetragenen medizinischen Auffassungen wählen müssen. An dieser Notwendigkeit würde auch die Einholung eines weiteren Gutachtens nicht ändern. Entscheidend für einen Verfahrensverstoß nach § 128 SGG ist, ob das Gericht sich von der Richtigkeit des Gutachtens, dem es sich anschließt, überzeugt halten darf. Es überschreitet nicht die Grenzen des Rechts, nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden, wenn es - im Falle eines Auseinandergehens medizinischer Meinungen über die Entstehungsursache einer Krankheit - unter abwägender und sachentsprechender Würdigung des Einzelfalles einer nicht nur vereinzelt vertretenen medizinischen Auffassung folgt, mögen auch anerkannte Wissenschaftler eine andere medizinische Lehrmeinung vertreten (BSG in SozR SGG § 128 Da 11 Nr. 33). In einem solchen Fall setzt das Gericht auch nicht seine Auffassung an die Stelle der Auffassung der medizinischen Sachverständigen, sondern es würdigt so, wie es jedes Beweismittel zu würdigen hat, auch die Gutachten als Beweismittel. Erkennt es einem Gutachten den höheren Beweiswert vor anderen zu, so erfüllt es die ihm allein zustehende Aufgabe der Entscheidung, der es sich auch dann nicht entziehen kann, wenn die Gutachter zu verschiedenen Feststellungen in der Diagnose gelangen, d. h. von einem medizinisch unterschiedlich beurteilten Sachverhalt ausgehen.
Dieser Fall ist hier gegeben. Das LSG hat sich durch Prof. Dr. S davon überzeugen lassen, daß die Ätiologie der primärchronischen Polyarthritis noch weitgehend ungeklärt sei. Insoweit war auch Dr. W der gleichen Auffassung. Dieser Gutachter glaubte jedoch, aus der Streptokokkeninfektion, dem von ihm angenommenen Beginn der Schmerzen in den Schultergelenken und der Herzmuskelschädigung auf einen sekundär-chronischen Gelenkrheumatismus schließen zu können. Er verwies hierzu auf medizinische Veröffentlichungen, in denen die Auffassung vertreten ist, am Anfang des Rheumatismus - auch der primär-chronischen Polyarthritis - stehe eine Infektion mit Streptokokken. Diese Auffassung war mit der Meinung der Gegengutachter nicht in Einklang zu bringen. Insbesondere hatte Prof. Dr. S ausgeführt, nach überwiegender Ansicht liege die Ursache des chronischen Gelenkrheumatismus nicht, wie bei der akuten Polyarthritis, in einer akuten Streptokokkeninfektion. Der primär-chronische Gelenkrheumatismus sei auch nicht etwa eine Fortsetzung des akuten Gelenkrheumatismus; er sei zwar mit diesem in mancher Hinsicht verwandt, stelle aber nach Ursache und Reaktionsweise eine durchaus verschiedene Krankheit dar. Wenn das LSG Prof. Dr. S in diesen Darlegungen folgte, so übernahm es nicht die Rolle eines Schiedsrichters in einem nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Wissenschaft gänzlich offenen Streit, sondern schloß sich einer keineswegs nur vereinzelt vertretenen Auffassung an, weil für sie überwiegende Gründe sprachen (vgl. z. B. Dennig, Lehrbuch der Inneren Medizin, 4. Aufl. 1957, 2. Band, S. 336/37, 322/23). Als unklar haben die Ätiologie der primär-chronischen Polyarthritis auch Prof. Dr. T und Prof. Dr. S bezeichnet; sie haben das Krankheitsbild für entscheidend gehalten und auf Grund dessen ihre Diagnose gestellt. Schon Prof. Dr. T hatte als Gegensymptome einer primär-chronischen Polyarthritis den typisch schleichenden, fast unbemerkbaren Beginn der Erkrankung in einem Lebensalter von Mitte bis Ende der dreißiger Jahre, das Befallensein zuerst der kleinen Fingergelenke, den chronischen, durch Therapie nicht zu beeinflussenden Verlauf der Erkrankung mit Neigung zur konstanten progressiven Verschlechterung, die Art der Verformung der Gelenke, die Eiweißveränderungen im Blut und die Nichtfeststellbarkeit eines rheumatischen Herzfehlers gefunden.
Prof. Dr. S hatte sich dieser Beurteilung angeschlossen; als für das Krankheitsbild "beweisend" hatte er neben Beginn und Verlauf die typischen Röntgenbefunde, die starken Serumeiweißverschiebungen, die geringe Wirksamkeit der Behandlung und die Blutbildveränderung bezeichnet. Ebenso wie Prof. Dr. T hatte auch er das Knietrauma und die Gesichtsrose als auslösende oder verschlimmernde Ursache der Gelenkbeschwerden ausgeschieden. Das LSG hat auch die Gründe angegeben, weshalb es sich der Auffassung dieser Ärztegruppe anschloß; gleichzeitig hat es sich mit der gegenteiligen Auffassung des Dr. W sachgemäß auseinander gesetzt, indem es feststellte, der Behauptung des B., die Beschwerden hätten zuerst in den Schultergelenken begonnen, komme gegenüber seinen früheren Angaben eine mindere Beweiskraft zu. Gegen diese Feststellung sind von der Revision keine der Form des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG genügenden Rügen erhoben worden; sie ist daher für den erkennenden Senat bindend (§ 163 SGG). Soweit Dr. W aus dem später von B. behaupteten Beginn der Beschwerden in den Schultergelenken auf eine sekundär-chronische Erkrankung schloß, traf der seiner Beurteilung unterstellte Sachverhalt nicht zu. Das LSG durfte sich ferner auch davon überzeugen lassen, daß der von Dr. W für wesentlich gehaltene Herzmuskelschaden als Merkmal eines sekundärchronischen Geschehens ausscheide, denn Prof. Dr. S hatte dargelegt, eine Endocardbeteiligung fehle, irgendeine Spezifität dieser Herzveränderung im Sinne rheumatischer Veränderungen sei nicht anzunehmen und die Untersuchung 1953 habe noch ein völlig normales Elektrokardiogramm ergeben. Da auch der Streptokokkeninfektion für die Entstehung oder Verschlimmerung des Leidens nicht die Bedeutung zukam, die ihr Dr. W beilegte, war dessen Beurteilung im wesentlichen der Boden entzogen. Das LSG hat darum § 128 SGG nicht verletzt.
Das Berufungsgericht brauchte sich auch nicht gedrängt zu fühlen, ein weiteres Gutachten einzuholen. Die Revision hat nicht im einzelnen dargelegt, welche medizinischen Tatsachen einer weiteren Klärung hätten zugeführt werden müssen. Falls die Kläger eine solche Rüge hätten erheben wollen, wäre sie nicht ausreichend spezifiziert (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG). Soweit die Revision schon aus der Schwierigkeit der medizinischen Beurteilung das Erfordernis weiterer Aufklärung herleitet, kann ihr nicht gefolgt werden. Die Einholung eines weiteren Gutachtens wäre nur dann erforderlich gewesen, wenn das LSG den Gutachtern, denen es gefolgt ist, eine ausreichende Sachkenntnis für die Beurteilung der hier in Betracht kommenden medizinischen Fragen nicht zutrauen konnte. Das war jedoch nicht der Fall; bei beiden Professoren handelt es sich um hervorragende Sachkenner; Prof. Dr S hat ausweislich seines Gutachtens noch 1959 auf dem Internistenkongreß in Wiesbaden ein zusammenfassendes Referat über die primär-chronische Polyarthritis gehalten und sich aus diesem Anlaß eingehend mit der einschlägigen internationalen Literatur befaßt. Das LSG hat darum auch nicht gegen seine Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhalts verstoßen (§ 103 SGG).
Beruhen die für die materiell-rechtliche Beurteilung maßgebenden Feststellungen des LSG hiernach nicht auf Verfahrensverstößen, so hat das LSG mit Recht verneint, daß die rheumatische Erkrankung mit Wahrscheinlichkeit durch versorgungsrechtlich relevante Verhältnisse entstanden oder verschlimmert worden ist. Die Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG)!
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen