Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Urteil vom 08.10.1987) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 8. Oktober 1987 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 1246 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zusteht.
Der 1942 geborene Kläger übte seinen erlernten Beruf des Forstwirts (Waldfacharbeiters) zunächst acht Jahre (einschließlich Bundeswehrzeit) versicherungspflichtig aus, war danach für rund zwei Jahre als Punktschweißer tätig und Ende 1966/Anfang 1967 für knapp vier Monate arbeitslos. Von März 1967 bis September 1976 war er bei der US-Armee als Materialverwaltungsangestellter beschäftigt. Nach anschließender einjähriger Arbeitslosigkeit nahm er ab 1. Oktober 1977 bei der Stadt B. … wieder eine Arbeit als Forstwirt auf. Aus gesundheitlichen Gründen mußte er mit Wirkung zum 1. Juni 1978 diese Tätigkeit aufgeben; er arbeitete danach bis 1984 als Totengräber bei der Stadt B. ….
Seinen im November 1984 gestellten Antrag auf Gewährung einer Versichertenrente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 3. Dezember 1984 ab. Die dagegen erhobene Klage wies das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 24. September 1986 ab.
Auf die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung des Klägers änderte das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG und den Bescheid der Beklagten ab und verurteilte die Beklagte, dem Kläger Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit ab Antragstellung zu gewähren: Der Kläger habe durch seine über vier Monate dauernde Tätigkeit als Waldfacharbeiter wieder den Facharbeiterschutz erlangt. Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger zur Zeit des Wiedereintritts in seinen ursprünglichen Beruf durch Gesundheitsstörungen nicht mehr in der Lage gewesen sei, dieser Tätigkeit in vollem Umfang nachzugehen, seien nicht gegeben. Für den Kläger könnten jedoch ausgehend von der einschlägigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu diesem Gebiet keine zumutbaren Verweisungstätigkeiten benannt werden. Für berufsfremde Facharbeitertätigkeiten oder Anlerntätigkeiten mangele es dem Kläger an den beruflichen Vorkenntnissen. Zumutbare Anlerntätigkeiten seien nicht ersichtlich. Die vom SG genannte Tätigkeit eines Verwiegers komme nicht in Betracht, da es sich hierbei um einen typischen Schonarbeitsplatz handele, der regelmäßig leistungsgeminderten Angehörigen des Betriebes selbst vorbehalten bleibe und damit Betriebsfremden nicht zur Verfügung stehe. Sonstige Verweisungstätigkeiten seien nicht ersichtlich.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie beantragt, sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 8. Oktober 1987 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 24. September 1986 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Rechtsstreites ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die kraft Zulassung durch das LSG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und damit zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat dem Kläger zu Recht Rente wegen Berufsunfähigkeit ab Antragstellung zuerkannt und dementsprechend das klageabweisende Urteil des SG und den abschlägigen Bescheid der Beklagten aufgehoben.
Rente wegen Berufsunfähigkeit erhält auf Antrag gemäß § 1246 Abs 1 RVO in der im Jahr 1978 geltenden Fassung der Versicherte, der berufsunfähig ist, wenn die Wartezeit erfüllt ist. Letztere Voraussetzung ist beim Kläger gegeben. Er hatte, als er im Jahr 1978 aus der Beschäftigung als Waldfacharbeiter in die Tätigkeit als Totengräber bei der Stadt B. … überwechselte, eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten und damit die Wartezeit gemäß § 1246 Abs 3 RVO zurückgelegt. Damit stand nach der Rechtsprechung des BSG unter dem Gesichtspunkt der Erfüllung der Wartezeit kein Hindernis entgegen, die vom Kläger damals aufgegebene Facharbeitertätigkeit als seinen „bisherigen Beruf” iS des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO zugrunde zu legen (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 65 und 155).
Das LSG hat die am 1. Oktober 1977 begonnene Beschäftigung des Klägers als Waldfacharbeiter bei der Stadt B. … auch zutreffend als den für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit maßgebenden „bisherigen Beruf” des Klägers angesehen und ihm dementsprechend im Rahmen des vom BSG in ständiger Rechtsprechung entwickelten Vierstufenschemas den Status eines Facharbeiters zuerkannt (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 20. Januar 1976 in SozR 2200 § 1246 Nr 11). Die Tatsache, daß der Kläger die Beschäftigung als Waldfacharbeiter bereits nach wenigen Monaten aus gesundheitlichen Gründen wieder aufgeben mußte, steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Das BSG hat in zahlreichen Urteilen ausgesprochen, daß „bisherige Berufstätigkeit” und damit „bisheriger Beruf” iS von § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO die letzte versicherungspflichtige Tätigkeit ist, wenn sie nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübt wurde und zugleich die höchstentlohnte war, und daß dies selbst dann gilt, wenn die Tätigkeit nur kurzfristig ausgeübt wurde und wegen gesundheitlicher Gründe oder sogar wegen des Übertritts in eine versicherungsfreie Beschäftigung endete (vgl BSG in SozR 2200 § 1246 Nrn 53, 62, 66, 67, 111, 116). Daß der Kläger mit der Übernahme der Tätigkeit im Oktober 1977 eine aus seiner damaligen Sicht auf Dauer angelegte Arbeit begann und nicht bloß vorübergehend tätig sein wollte, und daß diese Tätigkeit für ihn auch die höchstentlohnte war, unterliegt keinem Zweifel. Ebenso ist bei der mehrmonatigen Ausübung der Tätigkeit zu bejahen, daß das in der Rechtsprechung des BSG angeführte Merkmal der „kurzfristigen Ausübung” erfüllt ist.
Die Beklagte hat zwar Einwände insofern erhoben, als sie bezweifelt, daß der Kläger die Beschäftigung auch „vollwertig” ausgeübt habe. Ihre gegen die inhaltlich entsprechende Feststellung des LSG erhobene Verfahrensrüge ist jedoch nicht begründet, das Revisionsgericht daher gemäß § 163 SGG an die Feststellung des LSG gebunden. Das LSG mußte sich aus seiner Sicht nicht gemäß § 103 SGG gedrängt fühlen, weiteren Beweis zu der Frage zu erheben, ob der Kläger möglicherweise bereits bei Antritt seiner Arbeit im Oktober 1977 berufsunfähig war. Aus dem dem LSG vorliegenden Gutachten des Amtsarztes H. … /S. vom April 1978 ergab sich lediglich, daß der Kläger bei der ab Oktober 1977 aufgenommenen Tätigkeit als Waldfacharbeiter häufig Schmerzen im Kreuz verspürt hatte, jedoch erst im Februar 1978 krankgeschrieben wurde und erst danach bei Akkordarbeiten wieder Schmerzen verspürte. Darüber hinausgehende Hinweise im besonderen darauf, daß diese Schmerzen für den Kläger unzumutbar gewesen seien oder andere Beschwerden ihn an der Arbeit hinderten, lagen dem Gericht außer dem insofern nicht weiter substantiierten Vortrag der Beklagten nicht vor. Vor allem aus dem kurzgehaltenen Attest des praktischen Arztes N. … F. … vom 15. Februar 1978 ergibt sich hierfür nichts. Es ist demgemäß nicht zu erkennen, inwiefern das LSG seine Pflicht zur Ermittlung des Sachverhaltes von Amts wegen verletzt hat.
Auf der Grundlage der zutreffenden Einstufung des Klägers als Facharbeiter hat das LSG zu Recht geprüft, ob der Kläger auf eine andere Facharbeitertätigkeit, eine Tätigkeit als angelernter Arbeiter oder eine diesen Tätigkeiten tariflich gleichgestellte Tätigkeit verwiesen werden kann. Seine hierauf bezogene tatsächliche Feststellung, daß für den Kläger keine derartigen zumutbaren Verweisungstätigkeiten iS des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO gegeben sind, ist entgegen der Auffassung der Beklagten prozeßrechtlich nicht zu beanstanden und daher für das Revisionsgericht nach § 163 SGG ebenfalls bindend. Das Gericht hat sich für die Prüfung, ob – entsprechend der Entscheidung des SG – die Tätigkeit eines Verwiegers in Betracht kommt, auf die Erklärungen von drei fachlich beteiligten Firmen gestützt und hieraus geschlossen, daß es sich bei dieser Tätigkeit um einen sogenannten Schonarbeitsplatz iS der Rechtsprechung des BSG (vgl SozR 2200 § 1246 Nrn 110, 137, 139) handelt, der für betriebsfremde Arbeitnehmer nicht zur Verfügung steht und auf den somit der Kläger nicht verweisbar ist. Für die weitere Prüfung, ob sonstige Verweisungstätigkeiten ersichtlich sind, konnte sich das LSG mit der verneinenden Auskunft des Landesarbeitsamtes Rheinland-Pfalz/Saarland begnügen. Es gibt keinen beweisrechtlichen Grundsatz dahin, daß ein Gericht bei einer Mehrzahl zur Verfügung stehender Beweismittel sich stets mehrerer dieser Beweismittel bedienen muß, um die Beweisaufnahme prozeßordnungsgerecht durchzuführen. Das Gericht ist nicht gehindert, sich seine Überzeugung iS von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG aufgrund eines einzigen Beweismittels zu bilden. Die von der Beklagten vorgetragene Auffassung, daß sich das LSG durchaus auch auf die Stellungnahme eines anderen Landesarbeitsamtes hätte stützen können, steht dem nicht entgegen, sondern bringt im Grunde genommen sogar eine Bestätigung dafür: Denn mit der gleichen Berechtigung, wie sich das LSG nach Auffassung der Beklagten auf die Auskunft eines Landesarbeitsamtes in einem anderen Bundesland hätte stützen können, muß das LSG für das Saarland sich auch auf eine Auskunft des für seinen Gerichtssprengel zuständigen Landesarbeitsamtes stützen dürfen.
Die von der Beklagten schließlich noch vorgebrachte Rüge gegen die Beweiswürdigung des LSG ist gleichfalls unbegründet. Das LSG hat sich hierbei an die vom BSG in ständiger Rechtsprechung entwickelte Methode zur Gruppierung von Verweisungstätigkeiten gehalten. Es ist nicht erkennbar, wie das LSG bei der konkreten Einordnung des Klägers in das Vierstufenschema gegen das Prozeßrecht verstoßen hat.
Da nach allem die Revision unbegründet ist, mußte sie gemäß § 170 Abs 1 Satz 1 SGG zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen