Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Streitig Ist, ob dem im Jahre 1939 geborenen Kläger die ihm mit Bescheiden vom 12. Februar und vom 1. August 1973 für die Zeit vom 14. April 1972 bis zum 31. März 1974 gewährte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit auch nach dem 31. März 1974 zu gewähren ist.
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und hat nach seinen Angaben von 1945 bis 1959 in seiner Heimat den Tischlerberuf erlernt. In Deutschland war er vom Jahre 1962 bis zum Jahre 1967 als Pressearbeiter, Montagearbeiter, Schleifer und Arbeiter, vom 1. Juli 1967 bis zum 11. Oktober 1968 als Metallgießer und vom 17. Oktober 1968 bis zum 2. April 1971 als Kokillengießer tätig. Wegen chronisch-rezidivierenden, eitrigen Bronchialentzündungen mußte er die Arbeit als Gießer aufgeben. Die gegen den Bescheid vom 1. August 1973 vor dem Sozialgericht (SG) Berlin erhobene Klage wurde mit Urteil vom 16. April 1975 abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin mit Urteil vom 14. Januar 1976 zurückgewiesen.
Nach den Feststellungen des LSG besteht beim Kläger ab April 1974 zwar keine floride Bronchitis mehr, aber noch eine chronische Bronchitis, durch die die Leistungsfähigkeit herabgesetzt werde. Als Kokillengießer könne er nicht mehr arbeiten, aber körperlich leichte Arbeiten unter Vermeidung von bronchialreizenden Einflüssen könnten vollschichtig verrichtet werden. Bei der zuletzt versicherungspflichtig ausgeübten Tätigkeit als Kokillengießer handele es sich weder um einen anerkannten Lehrberuf noch um einen Anlernberuf mit einer vorgeschriebenen Anlernzeit von mindestens einem Jahr. Daher seien dem Kläger in sozialer Hinsicht grundsätzlich alle ungelernten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes zuzumuten. Auf die derzeitige Arbeitsmarktlage komme es nicht an. Die Erwerbsfähigkeit richte sich nur nach dem Vorhandensein entsprechender Arbeitsplätze, nicht aber danach, ob diese Plätze besetzt oder unbesetzt seien. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Auffassung des Klägers zutreffe, bei der Arbeitsvermittlung würde deutschen Arbeitslosen Vorrang vor ausländischen Arbeitnehmern eingeräumt und er werde als türkischer Staatsangehöriger keine Arbeitserlaubnis für körperlich leichte Arbeiten erhalten. Wenn das zuträfe, wäre die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch Umstände herabgesetzt, die nicht in den Risikobereich der Rentenversicherung fielen. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen, weil es sich bei der Frage, ob bei einem in der Bundesrepublik Deutschland rentenversicherungspflichtig tätig gewesenen Ausländer der Versicherungsfall der Berufs- bzw. der Erwerbsfähigkeit wegen der Schwierigkeiten bei der Arbeitsvermittlung leichter als bei einem Inländer eintreten könne, um eine solche von grundsätzlicher Bedeutung für viele ausländische Arbeitnehmer in der Bundesrepublik handele.
Mit der Revision rügt der Kläger eine unrichtige Anwendung der §§ 1246 und 1247 Reichsversicherungsordnung (RVO). Es sei richtig, daß er nach den eingeholten Gutachten nur noch für leichte Tätigkeiten im Sitzen bei günstigen Arbeitsbedingungen und striktem Vermeiden von Staubentwicklung, Hitze, Kälte, Zugluft und bronchialreizenden Stoffen für die volle übliche Arbeitszeit einsetzbar sei. Diese akademische Betrachtungsweise werde aber ihm als Gastarbeiter aus der Türkei nicht gerecht, weil bei ihm zu den ganz erheblichen gesundheitlichen Mängeln, die ihm nur noch einen stellenmäßig sehr eingeengten Arbeitsmarkt eröffneten, die Gastarbeitereigenschaft als weiterer außerordentlich erschwerender Umstand hinzukomme. Besonders viele unqualifizierte Arbeitskräfte seien zur Zeit arbeitslos, deshalb sei es gerade für diese besonders schwer, Arbeitsplätze zu finden, zumal die Bundesanstalt für Arbeit gegenüber Gastarbeitern eine restriktive Politik betreibe, um die Zahl der Gastarbeiter im Inland möglichst bald weitgehend abzubauen. Deshalb sei es blanker Zynismus, vom "Vorhandensein entsprechender Arbeitsplätze" als dem alleinigen Kriterium für die Erwerbsfähigkeit des Versicherten zu sprechen, wobei es gleichgültig sei, ob diese Plätze besetzt oder unbesetzt sind". Er sei als erwerbsunfähig anzusehen, weil er - jedenfalls als benachteiligter Gastarbeiter - keinen Zugang zu dem von ihm benötigten staub-, hitze-, kälte- und zugluftfreien, also idealen Arbeitsplatz mit leichter Tätigkeit im Sitzen bei günstigen Arbeitsbedingungen finde. Das sei aber kein Problem der Arbeitslosenversicherung. Nach der bisherigen Rechtsprechung hätte er Aussicht auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente gehabt, wenn er mit seinen Gebrechen nur als für Teilzeitarbeit fähig erachtet worden wäre. Insoweit sei dem Problem des fast bis zur Nullgrenze eingeengten Arbeitsmarktes, also der Erwerbsmöglichkeiten für stark gesundheitlich Behinderte Rechnung getragen worden. Es erscheine notwendig, hier einen Schritt weiterzugehen und Erwerbsunfähigkeit auch dann anzunehmen, wenn zwar eine leichte körperliche Tätigkeit unter zahlreichen positiven Umweltvoraussetzungen bei voller Arbeitszeit theoretisch möglich, der Arbeitsmarkt aber dem Versicherten als Ausländer praktisch verschlossen sei.
Der Kläger beantragt,das Urteil des SG Berlin vom 16. April 1975 und das Urteil des LSG Berlin vom 14. Januar 1976 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 1. August 1973 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger über den 31. März 1974 hinaus Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren, hilfsweise,die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Berlin zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Nach ihrer Ansicht kann ein Ausländer versicherungsrechtlich nicht günstiger als ein Inländer gestellt werden. Soweit der Große Senat des Bundessozialgerichts (BSG) zu der Frage eines praktisch verschlossenen Arbeitsmarktes Stellung genommen habe, bezögen sich diese Beschlüsse nur auf den Teilzeitarbeitsmarkt.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Mit Recht ist das LSG zu dem Ergebnis gekommen, daß dem Kläger ab 1. April 1974 keine Rente mehr zu gewähren ist, weil er weder erwerbsunfähig nach § 1247 RVO noch berufsunfähig nach § 1246 RVO ist. Denn er kann noch zumutbare Tätigkeiten i.S. des § 1246 Abs. 2 RVO vollschichtig verrichten. Der Kläger wendet hiergegen lediglich ein, daß ihm als Ausländer der deutsche Arbeitsmarkt unter den gegenwärtigen ungünstigen Verhältnissen praktisch verschlossen sei, so daß auf seinen Fall die Grundsätze des Großen Senats des BSG für Teilzeitarbeitskräfte angewendet werden müßten. Dem kann der Senat nicht beipflichten.
Berufsunfähigkeit i.S. des § 1246 Abs. 2 RVO bzw. Erwerbsunfähigkeit i.S. des § 1247 Abs. 2 RVO liegt vor, wenn der Versicherte infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche der körperlichen oder geistigen Kräfte nicht mehr in der Lage ist, bestimmte "Tätigkeiten" zu verrichten, wobei davon auszugehen Ist, daß es grundsätzlich für jede Tätigkeit in hinreichender Zahl Arbeitsplätze - seien sie offen oder besetzt - jedenfalls dann gibt, wenn sie von Tarifverträgen erfaßt sind. Denn man kann davon ausgehen, daß die Tarifparteien nur solche Tätigkeiten in die Tarifverträge aufnehmen, bei denen dies der Fall ist. Ohne wesentliche Bedeutung ist es, ob der Versicherte für diese Tätigkeiten einen offenen Arbeitsplatz findet, oder ob dies nicht der Fall ist; denn das Risiko, einen offenen Arbeitsplatz zu finden, trägt die Arbeitslosenversicherung und nicht die Rentenversicherung.
Für Teilzeitarbeitskräfte liegen die Verhältnisse deshalb anders, weil die Tarifparteien bei Abschluß von Tarifverträgen nur Vollzeittätigkeiten und nicht Teilzeittätigkeiten in ihrem Blickfeld haben. Bei Teilzeitarbeitskräften kann also nicht unterstellt werden, daß es für die von Tarifverträgen erfaßten Tätigkeiten in hinreichender Zahl Arbeitsplätze, seien sie offen oder besetzt, gibt. Dies bedarf vielmehr der Prüfung. Diese Frage hat das BSG bereits hinreichend geklärt und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß einerseits die Zahl der Teilzeitarbeitskräfte seit 1957 stark angestiegen ist, und andererseits, daß die Zahl der Teilzeitarbeitsplätze, seien sie offen oder besetzt - bei Frauen z. T. allerdings je nach der Konjunkturlage schwankend - in einem starken Mißverhältnis zur Zahl der Teilzeitarbeitskräfte steht. Der Gesetzgeber der Rentenreformgesetze des Jahres 1957 konnte diesem Problem noch nicht Rechnung tragen, weil es sich in seiner ganzen Schärfe erst später stellte. Der Große Senat des BSG hat daher, um diesen Besonderheiten des Teilzeitarbeitsmarktes Rechnung zu tragen, entschieden, daß es für Versicherte, die aufgrund ihres Gesundheitszustandes nur noch Teilzeitarbeiten verrichten können (BSGE 30, 167 ff. und 30, 192 ff. und Beschluß vom 10. Dezember 1976 - GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75, GS 3/76 -), für die Beurteilung der Frage der Berufsunfähigkeit und der Erwerbsunfähigkeit erheblich ist, daß für die in Betracht kommenden Erwerbstätigkeiten Arbeitsplätze vorhanden sind, die sie mit ihren Kräften und Fähigkeiten noch ausfüllen können, weil davon abhängt, ob der Arbeitsmarkt als verschlossen angesehen werden muß.
Für Vollzeittätigkeiten, die von Tarifverträgen erfaßt sind, könnten Ausnahmen allenfalls dann in Betracht kommen, wenn der Versicherte nach seinem Gesundheitszustand zwar an sich noch Vollzeittätigkeiten verrichten kann, aber nicht in der Lage ist, diese unter den in Betrieben in der Regel üblichen Arbeitsbedingungen zu verrichten, oder wenn ein Versicherter zwar aus gesundheitlichen Gründen noch Vollzeittätigkeiten unter solchen Bedingungen verrichten kann, er aber aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, Arbeitsplätze dieser Art von seiner Wohnung aus aufzusuchen. Diese Voraussetzungen liegen jedoch beim Kläger nicht vor. Da er in Deutschland nur ungelernte Arbeiten ausgeführt hat und noch in der Lage ist, vollschichtig körperlich leichte Arbeiten unter Vermeidung von bronchialreizenden Einflüssen unter den, hiervon abgesehen, in Betrieben in der Regel üblichen Arbeitsbedingungen zu verrichten, und er solche Arbeitsplätze von seiner Wohnung auch aufsuchen kann, kann er zumutbar auf solche Tätigkeiten verwiesen werden.
Ob für Tätigkeiten, die nicht von Tarifverträgen erfaßt werden, darüber hinaus auch andere Ausnahmen gemacht werden können, bedarf hier keiner Untersuchung, weil die Tätigkeiten, die der Kläger noch verrichten kann, von Tarifverträgen erfaßt sind.
Die Revision des Klägers war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen