Leitsatz (redaktionell)
1. Nach RVO § 1251 Abs 1 Nr 1 ist eine durch den Kriegsdienst oder die Kriegsgefangenschaft verursachte Krankheit nur dann als Ersatzzeit zu werten, wenn sie zur Arbeitsunfähigkeit führt und sie sich außerdem an den Kriegsdienst oder die Gefangenschaft zeitlich anschließt.
2. Die durch den Kriegsdienst oder die Kriegsgefangenschaft verursachte Krankheit, die zur Arbeitsunfähigkeit führt, braucht sich nicht unbedingt nahtlos an die obigen Dienste anzuschließen, wenn dem Versicherten etwa während einer vorübergehenden Phase der Arbeitsfähigkeit die Wiedereingliederung in das Erwerbsleben nicht gelungen ist. Wird jedoch zwischendurch eine versicherungspflichtige Beschäftigung von nahezu drei Jahren ausgeübt, kann die darauf folgende Arbeitsunfähigkeit nicht mehr als sich zeitlich an die Kriegsgefangenschaft anschließend angesehen werden.
Normenkette
RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09, § 1259 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1974-08-07
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 25.03.1976; Aktenzeichen L 4 J 1/76) |
SG Detmold (Entscheidung vom 22.10.1975; Aktenzeichen S 11 J 244/74) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. März 1976 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Zeit vom 21. September 1951 bis zum 31. März 1961 für den Kläger nach § 1251 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) als Ersatzzeit zu werten ist.
Der Kläger leistete im Anschluß an seine Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter Kriegsdienst. Er wurde am 5. August 1948 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Nachdem er zunächst arbeitsunfähig krank war, arbeitete er vom 12. November 1948 bis zum 14. Mai 1949 als Lagerarbeiter, vom 9. Juli 1949 bis zum 19. November 1949 als Hilfsarbeiter und vom 30. November 1949 bis zum 20. September 1951 als Lagergehilfe. Danach war er bis zum 30. März 1961 wegen einer als Versorgungsleiden nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) anerkannten Lungentuberkulose arbeitsunfähig krank. Er bezog in der Zeit vom 1. Januar 1956 bis zum 31. Mai 1963 das Ruhegeld bzw. die Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit aus der Angestelltenversicherung. Er ist noch als Beamter im mittleren Justizdienst tätig.
Der Kläger beantragte am 12. Februar 1973 die Anerkennung von Versicherungs- und Ausfallzeiten bzw. die Feststellung rechtserheblicher Versicherungsdaten. Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 28. Januar 1974 u.a. fest, die Zeit vom 3. Dezember 1942 bis zum 1. November 1948 sei als Ersatzzeit und die Zeit vom 21. September 1951 bis zum 31. Mai 1963 als Ausfallzeit zu werten.
Widerspruch, Klage und Berufung, mit denen der Kläger die Anerkennung der Zeit vom 21. September 1951 bis zum 31. März 1961 als Ersatzzeit anstrebte, hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Ansicht vertreten, die durch die Kriegsgefangenschaft verursachte Krankheit (Lungentuberkulose) könne nach § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO nur dann als Ersatzzeit gewertet werden, wenn die durch sie bedingte Arbeitsunfähigkeit sich an die Kriegsgefangenschaft anschließe. Das sei jedoch nicht der Fall, weil die streitige Zeit auf eine Zeit der versicherungspflichtigen Beschäftigung von nicht unerheblicher Dauer folge.
Der Kläger hat dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten. Er ist der Ansicht, daß eine durch den Kriegsdienst verursachte Krankheit zeitlich nicht nahtlos auf den Kriegsdienst zu folgen brauche. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) komme es für den zeitlichen Anschluß der Arbeitsunfähigkeit an die Kriegsgefangenschaft auf die Umstände des Einzelfalles an. Es müsse festgestellt werden, ob dem Versicherten durch die Zwischenbeschäftigungen bereits eine wirkliche Wiedereingliederung gelungen sei. Das habe das Berufungsgericht nicht beachtet, sondern allein dem zeitlichen Abstand von zwei Jahren genügen lassen, um den Anschluß an die Kriegsgefangenschaft zu verneinen.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Detmold zu ändern und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 28. Januar 1974 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. August 1974 zu verurteilen, die Zeit vom 21. September 1951 bis zum 31. März 1961 als Ersatzzeit vorzumerken;
hilfsweise,
die Sache an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision des Klägers sei unbegründet.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das Begehren des Klägers, die Zeit vom 21. September 1951 bis zum 31. März 1961 als Ersatzzeit statt als Ausfallzeit vorzumerken, ist unbegründet.
Nach der Rechtsprechung des BSG kann der Versicherte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage mit dem Ziel der Verurteilung des Rentenversicherungsträgers zur Vormerkung einer Ersatzzeit erheben, wenn der Versicherungsträger die Eintragung (Vormerkung) als eine Ersatzzeit abgelehnt hat (vgl. BSG in SozR 2200 Nr. 24 zu § 1251).
Die Vorinstanzen haben die danach zulässige Klage aber mit Recht für unbegründet gehalten. Die Voraussetzungen des § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift werden als Ersatzzeiten u.a. auch Zeiten der Kriegsgefangenschaft und eine anschließende Krankheit angerechnet. Ersatzzeiten sollen als Zeiten ohne Beitragsleistung ihrem Wesen nach Beiträge ersetzen, weil die mit diesen Zeiten verbundenen Umstände, die nicht in der Person des Versicherten begründet sind, in der Regel eine Beitragsleistung ausgeschlossen haben. Eine Krankheit im Sinne der Ersatzzeitenregelung des § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO ist daher nur eine solche Krankheit, die es dem Versicherten unmöglich macht, versicherungspflichtig tätig zu sein und Beiträge zu entrichten, d.h. eine Krankheit, die Arbeitsunfähigkeit bedingt (vgl. BSG in SozR Nr. 16 zu § 1251 RVO). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall zwar erfüllt, denn der Kläger war in der streitigen Zeit arbeitsunfähig krank. Diese Arbeitsunfähigkeit hat sich jedoch nicht an die Kriegsgefangenschaft angeschlossen. Tritt der Verlust von Beitragszeiten nicht "anschließend" an die Kriegsgefangenschaft, sondern erst später ein, so liegt kein Ersatzzeittatbestand im Sinne des § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO vor. Das gilt auch dann, wenn die spätere, zum Beitragsausfall führende Arbeitsunfähigkeit die Folge einer Krankheit ist, die schon anschließend an die Kriegsgefangenschaft bestanden hat und durch sie verursacht worden ist. Der Ersatzzeitentatbestand ist abgestellt auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Kriegsdienst bzw. der Kriegsgefangenschaft und dem unverschuldeten Verlust von Beitragszeiten durch Krankheit und nicht auf eine ursächliche Verknüpfung eines solchen Verlustes mit dem Zustand, der anschließend an die Kriegsgefangenschaft bestanden hat (vgl. BSG in SozR Nr. 16 zu § 1251 RVO). Zwar mag der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Kriegsdienst bzw. der Kriegsgefangenschaft und dem durch Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit bedingten Verlust von Beitragszeiten das gesetzgeberische Motiv für die Regelung in § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO gewesen sein. Der Gesetzgeber hat es aber aus Gründen der Vereinfachung nicht auf den ursächlichen, sondern auf den zeitlichen Zusammenhang abgestellt. Er hat dabei bewußt in Kauf genommen, daß in Ausnahmefällen auch solche Zeiten erfaßt werden, bei denen trotz des bestehenden zeitlichen Zusammenhangs der ursächliche Zusammenhang nicht gegeben ist. Umgekehrt hat er auch in Kauf genommen, daß ausnahmsweise solche Zeiten der Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit nicht erfaßt werden, in denen trotz des fehlenden zeitlichen Zusammenhangs der ursächliche Zusammenhang nachweisbar ist. Der Kläger weist zwar zutreffend darauf hin, daß nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 2200 Nr. 21 zu § 1251 RVO) der nach § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO erforderliche zeitliche Zusammenhang nicht nahtlos zu sein braucht. Es gibt auch keine feste Grenze, bis zu der ein zeitlicher Zusammenhang angenommen werden kann. Vielmehr kommt es auf die Besonderheiten des Einzelfalles an. Im Falle der Arbeitslosigkeit ist nach der zuletzt zitierten Entscheidung vor allem maßgebend, ob dem Versicherten durch die Beschäftigung zwischen Kriegsdienst bzw. Kriegsgefangenschaft und Arbeitslosigkeit bereits eine wirkliche Wiedereingliederung in das Arbeitsleben gelungen war. Das mag entsprechend auch für den Fall der Arbeitsunfähigkeit gelten. Den zeitlichen Zusammenhang zwischen Kriegsdienst bzw. Kriegsgefangenschaft und Arbeitsunfähigkeit wird man dann nicht verneinen können, wenn der Versicherte zwischenzeitlich einen untauglichen Arbeitsversuch unternimmt. Es mag dahingestellt bleiben, ob darüber hinaus der zeitliche Zusammenhang auch noch dann bejaht werden kann, wenn es sich bei der zwischenzeitlichen Beschäftigung zwar nicht um einen untauglichen Arbeitsversuch, wohl aber um eine kurzfristige und vorübergehende Unterbrechung der Arbeitsunfähigkeit handelt, die nicht als gelungene Wiedereingliederung in das Berufsleben gewertet werden kann. Ist der Versicherte jedoch - wie im vorliegenden Fall - bis zum Wiedereintritt der Arbeitsunfähigkeit nicht nur vorübergehend, sondern mehr als zwei Jahre lang versicherungspflichtig beschäftigt gewesen, so hat sich die Arbeitsunfähigkeit nicht an die Kriegsgefangenschaft, sondern an eine versicherungspflichtige Beschäftigung von nicht unerheblicher Dauer angeschlossen. Es kann daher nicht die Rede davon sein, daß die Krankheit die vollständige Wiedereingliederung in das Berufsleben verhindert hat. Dabei ist es ohne Bedeutung, warum der Kläger trotz bestehender Arbeitsunfähigkeit nicht in seinem erlernten Beruf als kaufmännischer Angestellter gearbeitet hat. Während der bestehenden Arbeitsfähigkeit wäre er jedenfalls gesundheitlich dazu in der Lage gewesen. Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers in der streitigen Zeit hat nicht die vor dem Kriegsdienst zurückgelegte Beitragszeit, sondern die bis zum 20. September 1951 ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen. Das ist aber nicht der Fall einer Ersatzzeit nach § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO, sondern der typische Fall einer Ausfallzeit nach § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO, die von der Beklagten für die streitige Zeit auch anerkannt worden ist.
Der Senat hat die danach unbegründete Revision des Klägers zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen