Leitsatz (amtlich)

Wer sein Kind von der Wohnung aus zu einer Schulveranstaltung fährt, steht auf dem Hin- und Rückweg auch dann nicht unter Unfallversicherungsschutz nach RVO § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1, wenn er noch andere Schüler mitnimmt.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30, Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Die Revisionen des Klägers und der Beigeladenen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. Oktober 1973 werden zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Kläger brachte am 13. Dezember 1969 mit dem Pkw seine damals 9 jährige Tochter, die ein Gymnasium in G besuchte, zusammen mit fünf weiteren Mitschülerinnen von seinem Wohnort in B nach G. Die Kinder sollten gegen 13,00 Uhr mit einem von der Schule gemieteten Sonderbus von der Schule aus nach H zur Aufführung eines Weihnachtsmärchens fahren. Auf der Rückfahrt von G erlitt der Kläger bei einem Verkehrsunfall schwere Verletzungen.

Durch Bescheid vom 17. März 1971 lehnte der Beklagte Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, da die Beförderung von Kindern zur Schule zum Pflichtenkreis der Eltern gehöre und der Kläger somit keine Aufgabe der Schule wahrgenommen habe.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage durch Urteil vom 27. November 1972 abgewiesen: Der Kläger sei nicht gemäß § 539 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) versichert gewesen. Es sei ausschließlich Pflicht der Eltern, für Beförderungsmöglichkeiten ihrer Kinder zur Schule und zu Schulveranstaltungen zu sorgen. Der Kläger sei am Unfalltag nicht im Auftrage der Schulverwaltung tätig geworden.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers durch Urteil vom 22. Oktober 1973 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Zutreffend habe das SG einen Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 RVO verneint. Der Senat schließe sich dabei der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) an. Eine danach erforderliche arbeitnehmerähnliche Tätigkeit liege dort nicht vor, wo jemand im Rahmen seines eigenen Unternehmens oder - dieser bisher noch nicht entschiedene Fall ergebe sich in Fortbildung der vom BSG entwickelten Rechtsgrundsätze - aufgrund gesetzlicher Verpflichtung zum Handeln tätig werde. Beim Kläger habe die eigene Verpflichtung, dafür Vorsorge zu treffen, daß sein Kind an der angeordneten Schulveranstaltung teilnehmen konnte, mögliche nützliche Nebenzwecke im Interesse der Schule verdrängt. Diese gesetzliche Verpflichtung des Klägers entfalle auch nicht dadurch, daß das Land Niedersachsen Kostenzuschüsse zur täglichen Beförderung zwischen Wohnort und Schulort gewähre sowie die Anschaffung von Schulbussen fördere. Wer sein Kind auf eine außerhalb seines Wohnorts gelegene Schule schicke und selbst zur Schule befördere, werde in seinem eigenen Verantwortungsbereich tätig.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger und die Beigeladene haben dieses Rechtsmittel eingelegt.

Sie führen aus: Entgegen der von den Vorinstanzen vertretenen Auffassung sei der Kläger wie ein Arbeitnehmer für die Schule tätig geworden. Er habe eine Tätigkeit für die Schule erbracht, die sie sonst selbst ausgeführt hätte und die ihrem tatsächlichen und feststellbaren Willen entsprochen habe. Zwar habe grundsätzlich nicht die Schule für die Beförderung der Schüler zum Unterricht zu sorgen. Dennoch habe die Schule nicht nur gelegentlich die Beförderung der Schüler selbst vorgenommen oder zumindest veranlaßt. Am Unfalltag habe die Schule Sonderbusse eingesetzt, um Schulkinder aus W, R und W, nicht jedoch aus B abzuholen. Über B seien die Sonderbusse nur deshalb nicht gefahren, weil der Schule bekannt gewesen sei, daß von dort die Kinder vom Kläger gebracht würden. Rechtlich sei es unerheblich, ob die Schule eine Pflicht zur Beförderung der Kinder gehabt habe, entscheidend sei nur, daß die Schule den Transport der Kinder übernommen hätte. Zudem habe für den Kläger allenfalls eine gesetzliche Verpflichtung bestanden, sein eigenes Kind zur Schule zu bringen. Er sei zumindest, soweit er fremde Kinder befördert habe, wie ein Arbeitnehmer für die Eltern dieser Kinder tätig geworden.

Der Kläger und die Beigeladene beantragen,

das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben, unter Änderung des Urteils des Sozialgerichts vom 27. November 1972 den Bescheid des Beklagten vom 17. März 1971 aufzuheben und den Beklagten dem Grunde nach zu verurteilen, dem Kläger für die Folgen des Unfalls am 13. Dezember 1969 Verletztengeld und Verletztenrente zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II.

Die zulässige Revision ist nicht begründet.

Das LSG hat mit Recht einen - hier allein in Betracht kommenden - Versicherungsschutz des Klägers gemäß § 539 Abs. 2 RVO auf der Fahrt von und nach G verneint. Nach dieser Vorschrift sind Personen versichert, die wie ein nach § 539 Abs. 1 RVO Versicherter tätig werden. Der Kläger ist jedoch nicht wie ein Beschäftigter, sondern im Rahmen seiner Haushaltung tätig geworden.

Zwar kann auch ein Unternehmer wie ein Arbeitnehmer tätig sein. Das ist jedoch, wie der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, ausgeschlossen, wenn der Unternehmer im Rahmen seines eigenen Unternehmens tätig wird, d. h. für sein eigenes Unternehmen Tätigkeiten verrichtet, die zum Aufgabenkreis seines Unternehmens gehören (BSG 5, 168, 174; 27, 233, 235; BSG SozR Nr. 18 und Nr. 30 zu § 539 RVO; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-8. Aufl., S. 476 h; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 539 Anm. 100). Zum Aufgabenkreis einer Haushaltung als Unternehmen i. S. der gesetzlichen Unfallversicherung zählen sowohl die hauswirtschaftlichen Tätigkeiten, z. B. Kochen, Aufräumen der Wohnung, als auch alle sonstigen häuslichen Tätigkeiten, die zu der Haushaltung in innerer Beziehung stehen, wie z. B. die Pflege und Betreuung der Kinder (s. die Amtliche Begründung zu Art. 1 Nr. 56 des 5. Änderungsgesetzes vom 17.2.1939 - RGBl I 267 - in AN 1939, 92, 101; RVA EuM 48, 8, 9 und 168, 169; 50, 8, 11; Brackmann aaO S. 476 y; Vollmar, Sozialversicherung 1960, 196, 197). Im inneren Zusammenhang mit der Haushaltung des Klägers stand somit auch die Fahrt nach G, um seine Tochter an die Abfahrtstelle des Busses zu bringen, mit dem die Schüler nach H fuhren. Es kann dabei dahinstehen, ob die Tochter des Klägers zur Teilnahme an dem gemeinsamen Theaterbesuch verpflichtet war. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, hatte nicht die Schule sondern auch nach den Darlegungen des LSG zu dem irrevisiblen Recht des Gesetzes über das öffentliche Schulwesen in Niedersachsen vom 14. September 1954 i. d. F. vom 27. Juni 1966 (GVBl S. 127) der Kläger dafür Vorsorge zu treffen, daß sein Kind an der Schulveranstaltung teilnehmen konnte. Der Kläger verrichtete somit bei der Fahrt nach G eine Tätigkeit als Haushaltsvorstand, die zum Aufgabenkreis seines Unternehmens der Haushaltung gehörte.

Ein Versicherungsschutz des Klägers nach § 539 Abs. 1 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 RVO bestand auf der Fahrt nach und von Gehrden entgegen der Auffassung der Revision auch nicht deshalb, weil der Kläger noch andere Schüler mitgenommen und seine Fahrt deshalb zugleich den Interessen anderer Haushaltungen gedient hat. Verrichtet ein Unternehmer Tätigkeiten für sein eigenes Unternehmen, die zum Aufgabenkreis seines Unternehmens gehören, so wird er auch dann ausschließlich als Unternehmer seines eigenen Unternehmens tätig, wenn seine Tätigkeit zugleich den Zwecken eines anderen Unternehmens dient (vgl. u. a. BSG 5, 168, 174; Brackmann aaO S. 476 h). Es kann deshalb zugunsten des Klägers dahinstehen, ob die gesamte Fahrt wesentlich auch den Familien gedient hat, deren Kinder der Kläger mit nach G nahm, oder ob dies lediglich auf den Ab- bzw. Umwegen der Fall gewesen ist, die der Kläger ggf. einschlagen mußte, um die anderen Kinder mitzunehmen, für den übrigen Teil der Fahrstrecke - auf welcher der Kläger verunglückte - aber das Interesse des Klägers an der Fahrt seiner Tochter nach G allein wesentlich war. Es bedarf auch keiner Entscheidung und der sonst hierfür noch erforderlichen tatsächlichen Feststellungen, ob die Eltern der in B wohnenden Kinder sich untereinander verpflichtet hatten, die Kinder umschichtig zur Schule zu fahren und sich z. B. zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder einem nicht eingetragenen Verein zusammengeschlossen hatten. Auch wenn ein Unternehmer aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung handelt, wird er im Rahmen seines Unternehmens und nicht wie ein nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO Versicherter tätig. Ebenso wäre ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 RVO ausgeschlossen, wenn der Kläger seine Tätigkeit nur aufgrund einer gesellschaftsrechtlichen oder mitgliedschaftlichen Verpflichtung ausgeübt hat (s. BSG 14, 1, 3; 17, 211, 216; BSG SozR Nr. 33 zu § 539 RVO; Brackmann aaO S. 476 f II; Lauterbach aaO § 539 Anm. 102).

Ein Versicherungsschutz des Klägers nach § 539 Abs. 2 i. V. m. § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO ist, soweit ein - von der Revision in den Vordergrund gestelltes - Handeln im Interesse des Schulträgers in Betracht kommt, zudem deshalb ausgeschlossen, weil die Fahrt des Klägers nicht dem mutmaßlichen Willen des Schulträgers entsprochen hat, sie für die Schule durchzuführen. Es kann zugunsten des Klägers dahingestellt bleiben, ob - wie die Revision meint - aus der allgemeinen Mithilfe der Lehrer beim Suchen von Fahrgelegenheiten für Schüler zur Teilnahme an dem allgemeinen Unterricht bereits geschlossen werden kann, es habe dem mutmaßlichen Willen des Schulträgers entsprochen, daß die Fahrer auch dann für die Schule tätig werden, oder ob diese Mithilfe der Lehrer sich nicht darauf beschränkt, den Eltern behilflich zu sein, wie sie - entsprechend ihrer gesetzlichen Verpflichtung - ihre Kinder am besten zur Schule bringen könnten. In dem Rundschreiben der Schule an die Eltern über die geplante Theaterveranstaltung in H ist u. a. ausgeführt: "Für Fahrschüler, die wegen ungünstiger Busverbindung nicht pünktlich am Treffpunkt sein könnten, besteht die Möglichkeit, nach dem Unterricht in der Schule zu bleiben". Diesem Schreiben der Schule an die Eltern ist jedenfalls für die hier maßgebende Fahrt des Klägers mit seiner Tochter nach G zu entnehmen, daß es nicht dem mutmaßlichen Willen des Schulträgers entsprach, für ihn tätig zu werden, wenn jemand Schüler, die an der Veranstaltung teilnehmen wollten aber vorher nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause fahren konnten, mit dem Pkw wieder zur Schule brachte. Denn für diese Fahrschüler wurde besonders auf die Möglichkeit hingewiesen, sich nach dem Unterricht in der Schule aufzuhalten.

Die Revisionen des Klägers und der Beigeladenen waren deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1646917

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