Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewährung von Übergangsgeld durch den Rentenversicherungsträger nach Abschluß einer medizinischen Maßnahme zur Rehabilitation
Leitsatz (amtlich)
Bezieht der arbeitsunfähige Versicherte (Betreute) im Anschluß an eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme vor Durchführung der berufsfördernden Rehabilitationsmaßnahme zunächst noch Krankengeld bis zur "Aussteuerung", so steht dies dem Anspruch auf Übergangsgeld für die Zeit seit der "Aussteuerung" bis zum Beginn der berufsfördernden Maßnahmen nicht entgegen.
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Begriff "arbeitsunfähig" iS des RVO § 1241e Abs 1 Alt 1 ist der der gesetzlichen KV.
2. Der Rentenversicherungsträger hat nach Abschluß einer medizinischen Maßnahme zur Rehabilitation und nach Ablauf eines sich daran anschließenden Anspruchs auf Krankengeld auch dann für die Zeit bis zum Einsetzen berufsfördernder Maßnahmen Übergangsgeld nach RVO § 1241e (AVG § 18e) zu gewähren, wenn der Versicherte für diese Zeit Alhi (AFG § 134 ff) bezogen hat. Die Alhi bewirkt nicht wie das Übergangsgeld die Gleichstellung des Kranken mit dem Beschäftigten, sondern stellt bei gegenwärtiger Bedürftigkeit nur eine in die Nähe der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG gerückte notdürftige Existenzsicherung dar.
Normenkette
RVO § 1241e Abs. 1 Alt. 1 Fassung: 1974-08-07; AVG § 18e Abs. 1 Alt. 1 Fassung: 1974-08-07; AFG § 134; RVO § 182 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 03.05.1977; Aktenzeichen L 5 J 205/76) |
SG Lübeck (Entscheidung vom 08.07.1976; Aktenzeichen S 3 J 5/76) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 3. Mai 1977 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Im Rechtsstreit geht es um die Frage, ob der Träger der Rentenversicherung dem Versicherten (Betreuten) Übergangsgeld nach § 1241 e Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) für Zeiten zwischen medizinischen und berufsfördernden Maßnahmen auch dann gewähren muß, wenn dieser nach dem während der medizinischen Maßnahme gewährten Übergangsgeld zunächst Krankengeld bezogen hatte.
Der im Jahr 1940 geborene Kläger, gelernter Elektro- und Fernmeldemechaniker, wurde Ende Mai 1974 wegen Arbeitsmangels entlassen. Da er an Wirbelsäulenbeschwerden litt, beantragte er im Oktober 1974 bei der Beklagten Berufsförderung. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 6. August 1975 die Umschulung zum Informationselektriker; diese begann am 17. Februar 1976.
Auf einen im Mai 1975 gestellten Antrag des Klägers hin führte die Beklagte in der Zeit vom 3. September bis 1. Oktober 1975 für diesen ein Heilverfahren in Bad W. durch.
In der Zeit seit der Entlassung aus seiner Arbeitsstelle bis zum Beginn der Umschulung war der Kläger bis August 1974 arbeitsunfähig krank und anschließend bis Mai 1975 arbeitslos. Dann war er wieder arbeitsunfähig krank. Vom 3. September bis 1. Oktober 1975 erhielt er von der Beklagten Übergangsgeld. Anschließend bezog er bis zur "Aussteuerung" (§ 183 Abs 2 RVO) am 16. November 1975 Krankengeld. Vom 17. November 1975 bis zum 16. Februar 1976 wurde ihm Arbeitslosenhilfe gewährt.
Der Kläger beantragte bei der Beklagten, ihm für die Zeit vom 17. November 1975 bis zum 16. Februar 1976 Übergangsgeld zu zahlen. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. November 1975 ab.
Auf die Klage hin hat das Sozialgericht Lübeck mit Urteil vom 8. Juli 1976 den Bescheid aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung von Übergangsgeld verurteilt. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 3. Mai 1977 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Die Voraussetzungen des § 1241 e Abs 1 RVO seien erfüllt. Der Kläger sei von der Beendigung des Heilverfahrens ab weiterhin arbeitsunfähig gewesen. Daß er für einige Zeit Krankengeld bezogen habe, schade nicht.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision trägt die Beklagte vor: Das angefochtene Urteil habe § 1241 e Abs 1 RVO verletzt. Übergangsgeld sei nicht "weiter"-zugewähren, wenn der Betreute zunächst Krankengeld bezogen habe. Auch scheide ein Anspruch auf Übergangsgeld schon deshalb aus, weil der Kläger in der hier streitigen Zeit Arbeitslosenhilfe bezogen habe. Sie beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 3. Mai 1977 und des Sozialgerichts Lübeck vom 8. Juli 1976 aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.
Der im Revisionsverfahren nicht vertretene Kläger hatte vor dem LSG beantragt, die Berufung der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist, wie mit den Vorinstanzen festzustellen ist, rechtswidrig. Der Kläger hat Anspruch auf Übergangsgeld für die Zeit vom 17. November 1975 bis zum 16. Februar 1976.
Als Grundlage für den Anspruch des Klägers kommt die Vorschrift des § 1241 e Abs 1 RVO in der am 1. Oktober 1974 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) in Frage.
Sie lautet:
Sind nach Abschluß medizinischer Maßnahmen zur Rehabilitation berufsfördernde Maßnahmen erforderlich und können diese aus Gründen, die der Betreute nicht zu vertreten hat, nicht unmittelbar anschließend durchgeführt werden, so ist das Übergangsgeld für diese Zeit weiterzugewähren, wenn der Betreute arbeitsunfähig ist und ihm ein Anspruch auf Krankengeld nicht zusteht oder wenn ihm eine zumutbare Beschäftigung nicht vermittelt werden kann.
Die Voraussetzungen der ersten Alternative dieser Vorschrift liegen bei dem Kläger vor.
Als die medizinischen Maßnahmen mit dem Ende des Heilverfahrens abgeschlossen waren, waren berufsfördernde Maßnahmen noch erforderlich. Darauf, ob diese Maßnahmen schon vor oder erst nach dem Abschluß der medizinischen Maßnahmen erforderlich geworden und von der Beklagten angeordnet waren, kommt es nicht an. § 1241 e Abs 1 RVO stellt auf die Reihenfolge der Durchführung der Maßnahmen ab. Hier kann zudem davon ausgegangen werden, daß die Beklagte nach einer Art von Gesamtplan vorgegangen ist, denn die Bescheide über die Bewilligung der berufsfördernden und der medizinischen Maßnahmen sind beide vor der Durchführung der ersten Maßnahme - dem Heilverfahren - erlassen worden und bilden Teile eines umfassenden Rehabilitationskonzepts. Die berufsfördernden Maßnahmen konnten aus Gründen, die der Kläger nicht zu vertreten hatte, nicht unmittelbar anschließend an die medizinischen Maßnahmen durchgeführt werden. Nach den Feststellungen des LSG war der Kläger in der strittigen Zeit arbeitsunfähig in seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Elektromechaniker - dem Beruf, der eine Umschulung erforderlich machte. Zwar bezog der Kläger während dieser Zeit Arbeitslosenhilfe (Alhi); dies setzt voraus, daß er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand, also eine zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben konnte (§ 134 Abs 1 Nr 1, § 103 Abs 1 Nr 1 AFG). Jedoch bezieht sich diese Einsatzfähigkeit auf andere - leichtere - Tätigkeiten als diejenigen, die der Kläger zuletzt in seinem Beruf verrichtet hatte. Wenn die Beklagte meint, der Begriff der Arbeitsunfähigkeit sei in § 1241 e Abs 1 RVO ein anderer als der der gesetzlichen Krankenversicherung, so kann dem für § 1241 e RVO nicht gefolgt werden.
Es trifft zwar zu, daß die Rechtsprechung versucht, den Begriff der Arbeitsunfähigkeit iS des § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO anders als im Krankenversicherungsrecht zu bestimmen (BSGE 29, 77; 32, 232, 233; 35, 234), wobei der erkennende Senat diesem Bestreben bisher mit Zurückhaltung begegnet ist (SozR 2200 § 1259 Nr 1; Urteil vom 28. Februar 1978 - 4 RJ 65/76 -). Aber diese Rechtsprechung bezieht sich auf die Arbeitsunfähigkeit als Ausfallzeittatbestand und wird damit begründet, daß die Verweisungsmöglichkeit des Versicherten der Verweisbarkeit in der Rentenversicherung angepaßt werden müsse (BSGE 29, 77, 79), daß es bei § 1259 Abs 1 Satz 1 RVO nicht auf die Rechtsfolgen der Arbeitsunfähigkeit für Leistungen aus der Krankenversicherung (Krankengeld) ankomme, sondern auf den von den §§ 182, 183 RVO unterschiedlichen Zweck der Anrechnung einer Ausfallzeit bei der Rentenberechnung (BSGE 32, 232, 233), und daß es Sinn und Zweck der Ausfallzeit geböten, einen langfristig Erkrankten, der seine bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben könne, sich aber weigere, für die Zukunft eine seinem Gesundheitszustand entsprechende Tätigkeit aufzunehmen, nicht mehr als arbeitsunfähig anzusehen (BSGE 35, 234, 235). Dies gilt jedoch nicht für den Arbeitsunfähigkeitsbegriff in § 1241 e Abs 1 RVO. Bei diesem handelt es sich wie bei dem Arbeitsunfähigkeitsbegriff des § 182 Abs 1 Nr 2 RVO um ein Tatbestandsmerkmal als Voraussetzung einerseits für Übergangsgeld und andererseits für Krankengeld.
Der Arbeitsunfähigkeitsbegriff in § 1241 e Abs 1 RVO ist, wie sein Gebrauch in Verbindung mit einem Anspruch auf Krankengeld zeigt, unmittelbar dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung entnommen und als Voraussetzung für Übergangsgeld bestimmt, wenn kein Anspruch auf Krankengeld besteht.
Dem Kläger stand nach Ablauf der Frist des § 183 Abs 2 RVO am 16. November 1975 kein Anspruch auf Krankengeld mehr zu. Zwar hat der Kläger für den streitigen Zeitraum eine andere Sozialleistung, nämlich Alhi, erhalten, aber die Alhi kann dem Krankengeld nicht gleichgestellt werden. Eine derartig erweiternde Auslegung des § 1241 e Abs 1 RVO ist dem Gericht verwehrt. Dazu kommt, daß zwischen den beiden Leistungen hinsichtlich ihres Zweckes ein wesentlicher Unterschied besteht: Das Krankengeld entspricht etwa dem entgangenen regelmäßigen Nettoarbeitsentgelt (§ 182 Abs 4 RVO), bewirkt also wie das Übergangsgeld (§ 1241 Abs 1 RVO) praktisch die Gleichstellung des Kranken (Betreuten) mit dem Beschäftigten, während die Alhi bei gegenwärtiger Bedürftigkeit nur eine in die Nähe der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) gerückte notdürftige Existenzsicherung darstellt (§ 136 Abs 1, § 138 AFG).
Daß der Kläger nach dem Ende der Heilbehandlung noch eine Zeitlang Krankenhilfe bezogen hat, steht der in § 1241 e Abs 1 RVO angeordneten "Weitergewährung" des Übergangsgeldes nicht entgegen. Aus dem Wort "weiterzugewähren" ist nicht abzuleiten, daß der Rentenversicherungsträger nur zur Zahlung des sich zeitlich unmittelbar an das Maßnahmeübergangsgeld des § 1240 Satz 1 RVO anschließende Übergangsgeld verpflichtet sei, wie die Beklagte meint. Die von ihr vorgenommene sprachliche Ableitung ist nicht zwingend. Zwar bezeichnet das Wort "weitergewähren" die Zahlung einer schon früher erbrachten Leistung. Dabei muß sicher außer der Gleichheit von Leistungsgrund und Leistungshöhe (unter Berücksichtigung der Berechnungsvorschriften für das jeweilige Übergangsgeld) auch ein gewisser zeitlicher Zusammenhang bestehen. Wesentlich erscheint indes der sachliche, in der Notwendigkeit der Ergänzung der medizinischen Maßnahmen durch berufsfördernde Maßnahmen liegende innere Zusammenhang dieser Maßnahmen im Hinblick auf das erstrebte Ziel, die erfolgreiche und dauerhafte berufliche Eingliederung in das Erwerbsleben. Mit diesem Zweck läßt sich die Rechtsansicht der Beklagten zum Begriff der Weitergewährung nicht vereinbaren. Die Beklagte läßt außer Betracht, daß bei der Auslegung der Rehabilitationsvorschriften auch die soziale Schutzbedürftigkeit des begünstigten Personenkreises zu berücksichtigen ist. § 1241 e Abs 1 RVO hat nach der Überzeugung des Senats den Sinn, daß derjenige Versicherte, der sich während einer Pause zwischen der medizinischen und berufsfördernden Rehabilitationsmaßnahme zur Verfügung des Rentenversicherungsträgers halten muß und nicht als Arbeitsunfähiger durch Krankengeld oder als Arbeitsfähiger durch Arbeitsentgelt in seiner wirtschaftlichen Existenz gesichert ist, von Rentenversicherungsträger unterhalten werden muß, da dieser durch die Anordnung der Rehabilitationsmaßnahme den Betreuten an anderen Dispositionen hindert. Hinsichtlich der Schutzbedürftigkeit besteht kein Unterschied zwischen einem Versicherten, der zwischen den zwei in § 1241 e Abs 1 RVO genannten Rehabilitationsmaßnahmen zu keiner Zeit Krankengeld bezieht, und einem anderen Versicherten, der in der gleichen Lage zwar für einen gewissen Zeitraum Krankengeld, anschließend aber weder Krankengeld noch Arbeitsentgelt bekommt.
Die Beklagte meint, die Fälle der Übergangsgeldzahlungen für eine Zeit außerhalb einer Maßnahme seien als Ausnahmefälle anzusehen; die Vorschriften seien daher eng zu interpretieren. Das mag zutreffen. Die Vorinstanzen und der erkennende Senat haben aber § 1241 e Abs 1 RVO nicht erweiternd, sondern nach Wort, Sinn und Gesetzeszweck ausgelegt. Daran ändert auch der Rückgriff auf § 17 RehaAnglG nichts, denn der dort verwendete Begriff "weiterzahlen" ist gegenüber dem Begriff "weitergewähren" sachlich nicht verschieden. Es bleibt der Planung des Rentenversicherungsträgers überlassen, die "unnütze" Zeit zwischen einer medizinischen und einer berufsfördernden Maßnahme unter Berücksichtigung von Mitwirkungspflichten des Betreuten möglichst zu verkürzen.
Zu Abs 3 des § 1241 e RVO, wo ebenfalls der Begriff "weitergewähren" verwendet ist, hat der 11. Senat in einem Urteil vom 27. April 1978 (11 RA 20/77) entschieden, daß eine Unterbrechung der Arbeitslosigkeit innerhalb der Sechswochenfrist den Anspruch auf Übergangsgeld für spätere noch in diese Frist fallende Zeiten nicht ausschließt.
Da die Voraussetzungen der ersten Alternative des § 1241 e Abs 1 RVO hier gegeben sind, kommt es auf die zweite Alternative dieser Vorschrift und ihr Verhältnis zur ersten Alternative nicht mehr an.
Die Revision der Beklagten war somit als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen