Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflichtbeiträge nach dem GAL keine Beiträge für eine versicherungspflichtige Beschäftigung iS von § 1246 Abs 2a RVO
Leitsatz (amtlich)
Die nach dem GAL entrichteten Pflichtbeiträge sind keine Beiträge für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit iS der §§ 1246 Abs 2a, 1247 Abs 2a RVO (Anschluß an BSG vom 22.2.1990 - 4 RA 62/89 = SozR 3 - 2200 § 1246 Nr 3).
Normenkette
RVO § 1246 Abs 2a S 1 Nr 1, § 1247 Abs 2a; ArVNG Art 2 § 6 Abs 2 S 1 Nr 2; GAL §§ 12, 14; GG Art 3 Abs 1; GG Art 14 Abs 1; SGB 1 § 23; SGB 4 § 1; SGB 4 § 2 Abs 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren hat.
Der 1923 geborene Kläger leistete als landwirtschaftlicher Arbeiter von 1937 bis 1954, unterbrochen durch den Kriegsdienst, Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. 1954 übernahm er ein eigenes landwirtschaftliches Anwesen von 5,2 ha und entrichtete bis 1957 freiwillige Beiträge. Von Oktober 1957 bis Februar 1985 führte er durchgehend Pflichtbeiträge nach dem Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) idF der Bekanntmachung vom 14. September 1965 (BGBl I S 1448) an die Beigeladene ab. Den Hof verpachtete er ab März 1985.
Die Beigeladene gewährte ihm ab 1. März 1985 vorzeitiges Altersgeld nach § 2 Abs 2 GAL. Den Eintritt des Versicherungsfalles der Erwerbsunfähigkeit hatte ein Sachverständiger in einer Stellungnahme vom 15. März 1985 befürwortet.
Am 6. März 1985 stellte der Kläger Antrag auf Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit. Mit Bescheid vom 15. April 1985 stellte die Beklagte fest, daß der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit am 6. März 1985 eingetreten sei, eine Rente jedoch nicht gewährt werden könne, da die besonderen Zugangsvoraussetzungen der §§ 1247 Abs 1, Abs 2a, 1246 Abs 2a der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht erfüllt seien.
Die dagegen erhobene Klage wies das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 4. Juni 1987 ab. Mit Bescheid vom 14. März 1988 gewährte die Beklagte dem Kläger nach Vollendung des 65. Lebensjahres Altersruhegeld ab 1. Mai 1988.
Auf die vom Kläger gegen das Urteil des SG eingelegte Berufung hob das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. April 1985 auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger für die Zeit vom 1. März 1985 bis 30. April 1988 Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit dem Grunde nach zu gewähren. Zur Begründung seiner Entscheidung vertrat das LSG die Auffassung, daß der in den §§ 1247 Abs 1, 1246 Abs 2 und Abs 2a Satz 1 RVO verwendete Begriff einer "versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit" nicht iS einer rentenversicherungspflichtigen, sondern einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit zu interpretieren sei. Damit seien die vom Kläger nach dem GAL bis zum Februar 1985 entrichteten Pflichtbeiträge in den Fünf-Jahres-Zeitraum des § 1246 Abs 2a RVO mit einzurechnen, so daß dem Kläger ab März 1985 eine Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit zustehe.
Die Beklagte hat gegen dieses Urteil die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 1247 Abs 2a RVO iVm § 1246 Abs 2a RVO.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Oktober 1988 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 4. Juni 1987 als unbegründet zurückzuweisen.
Der Kläger stellt den Antrag,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die kraft Zulassung durch das LSG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und damit zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Das LSG hat von einem unzutreffenden Rechtsstandpunkt aus das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 1. März 1985 bis 30. April 1988 verurteilt. Dem Kläger steht ein derartiger Rentenanspruch nicht zu.
Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erhält gemäß § 1247 Abs 1 RVO der Versicherte, der erwerbsunfähig ist und zuletzt vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat, wenn die Wartezeit erfüllt ist. Wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist, hat der Kläger die normierten Anspruchsvoraussetzungen erfüllt bis auf das Erfordernis, daß er "zuletzt vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit" ausgeübt hat. Der über § 1247 Abs 2a RVO anwendbare § 1246 Abs 2a RVO schreibt hierfür vor, daß zuletzt vor Eintritt der Berufsunfähigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist, wenn von den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt der Berufsunfähigkeit mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind. Eine solche dreijährige Belegung mit Beiträgen ist zugunsten des Klägers in dem dafür entscheidenden Zeitraum ab Anfang des Jahres 1980 - Aufschubzeiten gemäß §§ 1247 Abs 2a, 1246 Abs 2a Satz 2 RVO sind nicht gegeben - nicht zu bejahen.
Entgegen der Rechtsauffassung des LSG können die vom Kläger an die Beigeladene abgeführten Pflichtbeiträge nach dem GAL nicht als Beiträge für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit iS der §§ 1246 Abs 1 und 2a, 1247 Abs 1 und 2a RVO angesehen werden. In diesem Sinn hat bereits der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 22. Februar 1990 - 4 RA 62/89 - bezüglich der mit den genannten Vorschriften inhaltsgleichen Regelung des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) entschieden. Der erkennende Senat schließt sich dieser Entscheidung an.
Aus dem Wortlaut des Gesetzes ist eine Antwort auf die Frage, ob gemäß §§ 12 bis 15 GAL an eine landwirtschaftliche Alterskasse entrichtete Beiträge in der gesetzlichen Rentenversicherung der Arbeiter wie an einen Träger der Rentenversicherung entrichtete Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu behandeln sind, nicht zu entnehmen. Die Formulierung in § 1246 Abs 2a RVO "Beiträge für eine versicherungspflichtige Beschäftigung" ist - für sich genommen - insoweit offen und könnte beide Arten von Beitragsleistungen umfassen. Eine Klärung ergibt sich auch nicht aus der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift. Wie das LSG in der Begründung seiner Entscheidung bereits zutreffend dargestellt hat, läßt sich aus den Gesetzesmaterialien zum Haushaltsbegleitgesetz 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I S 1532), das § 1246 Abs 2a RVO als neue Regelung in das Gesetz einfügte, nicht entnehmen, daß der Gesetzgeber bewußt eine Formulierung "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung" weggelassen und die sich aus der neuen Regelung für bereits beitragspflichtige Landwirte ergebende Problematik überhaupt gesehen hat.
Die inhaltliche Beschränkung des Begriffes der versicherungspflichtigen Beschäftigung iS von §§ 1246 Abs 2a, 1247 Abs 2a RVO folgt indes aus einer gesetzes- und rechtssystematischen Interpretation der Vorschriften. Als Einzelbestandteil der im Vierten Buch der RVO getroffenen Gesamtregelung finden sie ihre sachliche Grundlage und ihren inhaltlichen Bezugspunkt in der Rechtsmaterie, die in den §§ 1227 ff RVO normiert ist. Ihr Rechtsgehalt ist entsprechend dieser Einbindung als Einzelausgestaltung des Rentenversicherungsrechts zu verstehen. "Versicherungspflichtige Beschäftigung" ist infolgedessen lediglich diejenige Beschäftigung, die eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, dh der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten und der knappschaftlichen Rentenversicherung auslöst. "Beiträge für eine versicherungspflichtige Beschäftigung" sind in weiterer Folgerung hieraus allein Beiträge, die zugunsten eines in der gesetzlichen Rentenversicherung Pflichtversicherten an einen Träger der Rentenversicherung zum Zweck der Erfüllung der Beitragszahlungspflicht aus der Pflichtversicherung abgeführt werden. Für welches Stadium des Sozialversicherungsverhältnisses die Beiträge erheblich sind - insbesondere ob nur für den Erwerb oder auch den Erhalt einer Rentenanwartschaft -, macht grundsätzlich keinen Unterschied. Der insoweit abweichenden Auffassung des LSG kann nicht gefolgt werden.
Die Trennung zwischen Beiträgen zur landwirtschaftlichen Altersversorgung und Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung im Hinblick auf § 1246 Abs 2a RVO rechtfertigt sich auch aus Gesichtspunkten der übergreifenden sozialrechtlichen Rechtssystematik. Wie schon der 4. Senat in seinem Urteil vom 22. Februar 1990 aaO ausgeführt hat, ist die Altershilfe für Landwirte ein auf Sondergesetz beruhendes, gegenüber der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten sowie der knappschaftlichen Rentenversicherung selbständiges und berufsstandsbezogenes Alterssicherungssystem für Landwirte, ihre Ehegatten und mitarbeitenden Familienangehörigen. Es dient sozial- und agrarpolitischen Zielen und ist auf die Bedürfnisse der landwirtschaftlichen Bevölkerung zugeschnitten. Es weist nach versichertem Personenkreis, Organisation, Verfahren, Beitragsbemessung und Leistungen derart wesentliche Abweichungen von der gesetzlichen Rentenversicherung auf, daß es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, daß gleichzeitig und nebeneinander Beitragspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung und Beitragspflicht in der landwirtschaftlichen Altershilfe bestehen können (§ 14 GAL; BVerfGE 78, 232, 245 ff = SozR 5850 § 14 Nr 11).
Aus § 23 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) und aus den §§ 1 Abs 1, 2 Abs 2 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften - (SGB IV) ist daher nicht zu folgern, daß die Altershilfe für Landwirte ein Bestandteil der gesetzlichen Rentenversicherung ist. Mit der Nebeneinanderstellung in den genannten Vorschriften wird vielmehr deutlich gemacht, daß zwischen den dort genannten Einzelbereichen der sozialen Sicherung rechtssystematisch zu unterscheiden ist und die für die einzelnen Bereiche getroffenen spezifischen Regelungen nicht außer acht gelassen werden dürfen (für die Einweisungsvorschrift des § 23 SGB I siehe insofern insbesondere § 37 SGB I). In Übereinstimmung hiermit ist durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung - Rentenreformgesetz 1992 (RRG 1992) - vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S 2261) die Altershilfe für Landwirte nicht in das Sechste Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) "Gesetzliche Rentenversicherung" übernommen worden.
Für das Recht der Beitragspflicht und Beitragsleistung im speziellen ist daher auch die Auswirkung allgemeiner Vorschriften wie des § 20 SGB IV nur differenziert nach den einzelnen Bereichen zu bestimmen, dh Beiträge für den einen Bereich sind mit Beiträgen eines anderen Bereiches nicht prinzipiell vergleichbar. Sie sind auch nicht austauschbar in dem Sinn, daß sie sich ggf zu einer einheitlichen Beitragssumme addierten mit der Folge, daß sie sich in einem bestimmten Bereich als derartige Häufung leistungsbegründend oder leistungserhaltend auswirken könnten. Allein aus einer solchen Eigenständigkeit ist es auch erklärbar und vor allem praktisch handhabbar, daß in der Altershilfe für Landwirte die Beiträge für alle beitragspflichtigen landwirtschaftlichen Unternehmer gleich sind (§ 12 Abs 2 GAL), das Altersgeld kongruent dazu ebenfalls einheitlich für alle Berechtigten auf einen bestimmten Geldbetrag festgelegt ist (§ 4 GAL), demgegenüber in der Rentenversicherung die Beitragshöhe einkommensorientiert ist (§ 1385 Abs 1 RVO), für die Rentenbemessung in folgerichtiger Fortsetzung ein einkommensabhängiger Faktor von Bedeutung ist (§ 1255 Abs 1 RVO).
Der erkennende Senat schließt sich dem 4. Senat auch in der im Urteil vom 22. Februar 1990 aaO näher begründeten Rechtsauffassung an, daß keine verfassungsrechtlichen Gründe bestehen, Pflichtbeiträge nach dem GAL im Wege verfassungskonformer Auslegung als "Beiträge" iS des mit § 23 Abs 2a Satz 1 AVG übereinstimmenden § 1246 Abs 2a Satz 1 RVO zu behandeln. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Vereinbarkeit dieser Vorschriften mit Art 3 Abs 1 und Art 14 Abs 1 Grundgesetz anerkannt, soweit nach Art 2 § 7b Abs 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes -AnVNG- (= Art 2 § 6 Abs 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes -ArVNG-) Versicherte, die vor dem 1. Januar 1984 eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt haben, ihre Rentenanwartschaften nur durch Weiterzahlung von Beiträgen aufrechterhalten können. Ein "Totalentzug des Versicherungsschutzes bei Landwirten", von dem das LSG in der Begründung seines Urteils spricht, kann schon im Hinblick darauf, daß der Kläger seit 1. Mai 1988 auch Altersruhegeld gemäß § 1248 RVO aus der Rentenversicherung der Arbeiter bezieht (Bescheid der Beklagten vom 14. März 1988), nicht angenommen werden.
Nach alledem ist die Revision der Beklagten begründet. Gemäß § 170 Abs 2 Satz 1 SGG war das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Landshut vom 4. Juni 1987 zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen