Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz – Beschäftigungsverhältnis – arbeitnehmerähnliche Tätigkeit – familiäre Beziehung – fremdbestimmte Tätigkeit – tägliche Kinderbetreuung durch die Großmutter
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage des Unfallversicherungsschutzes bei täglicher Betreuung eines Enkelkindes während der Berufstätigkeit der Mutter (Abgrenzung von BSG vom 22. Juni 1976 – 8 RU 146/75 = 2200 § 548 Nr 20).
Stand: 28. August 2000
Normenkette
RVO § 539 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 548 Abs. 1 S. 1; SGB IV § 7 Abs. 1
Beteiligte
Unfallkasse Rheinland-Pfalz |
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 09.02.1999; Aktenzeichen L 3 U 121/9) |
SG Speyer (Entscheidung vom 12.02.1997; Aktenzeichen S 6 U 318/95) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 9. Februar 1999 und das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 12. Februar 1997 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob es sich bei dem Unfall der Klägerin vom 18. Februar 1993 um einen Arbeitsunfall handelte.
Die im Jahre 1935 geborene Klägerin lebt in einer Eigentumswohnung eines Dreifamilienhauses, dessen zweite Eigentumswohnung von ihrer berufstätigen Tochter und deren Familie bewohnt wird. Als deren im Februar 1989 geborene Tochter Jasmin im August 1992 in den Kindergarten aufgenommen wurde, übernahm die inzwischen nicht mehr erwerbstätige und eine Versichertenrente beziehende Klägerin die Betreuung ihrer Enkelin während der berufsbedingten Abwesenheit der Eltern. Bis zur Einschulung des Kindes im Jahre 1995 holte sie dieses regelmäßig montags bis freitags zwischen 11.00 Uhr und 12.00 Uhr vom Kindergarten ab, aß mit ihm gemeinsam zu Mittag und behielt es in ihrer Obhut, bis die Eltern zwischen 16.00 Uhr und 17.00 Uhr von der Arbeit zurückkehrten. Für diese Betreuung einschließlich der Verpflegung der Enkelin, auf die etwa 100 DM entfielen, erhielt die Klägerin von ihrer Tochter einen monatlichen Betrag von 250 DM bar ausgezahlt. Sozialversicherungsbeiträge oder pauschale Lohnsteuer wurden dafür nicht abgeführt.
Beim Abholen ihrer Enkelin vom Kindergarten am 18. Februar 1993 stürzte die Klägerin infolge einer Vertiefung im Gehweg und zog sich dabei Verletzungen, insbesondere einen Trümmerbruch im rechten Handgelenk zu. Für die Zeit, in der sie wegen des erlittenen Unfalls für die Betreuungstätigkeit ausfiel, organisierte ihre Tochter eine Betreuung durch andere Familienmitglieder. Danach nahm die Klägerin das Kind unter den gleichen Bedingungen bis zu seiner Einschulung im Jahre 1995 wieder in Obhut. Auch nach der Einschulung beaufsichtigte die Klägerin ihre Enkelin am Nachmittag weiter, allerdings ohne Bezahlung.
Nachdem die Klägerin ihren Unfall der Beklagten im Januar 1994 angezeigt hatte, lehnte diese mit Bescheid vom 25. August 1994 und Widerspruchsbescheid vom 3. Juli 1995 Entschädigungsansprüche der Klägerin ab. Der Unfall vom 18. Februar 1993 sei kein Arbeitsunfall gewesen, weil hinsichtlich der Kindesbetreuung weder ein Beschäftigungsverhältnis nach § 539 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO), noch eine versicherte Tätigkeit nach § 539 Abs 2 RVO bestanden habe. Vielmehr habe es sich dabei um eine familiäre Hilfeleistung gehandelt.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage auf Entschädigung stattgegeben (Urteil vom 12. Februar 1997). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 9. Februar 1999). Ob die Betreuung der Enkelin im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden sei, könne offenbleiben. Jedenfalls habe Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO bestanden. Die Betreuungstätigkeit sei angesichts der Dauer und des Umfangs eine ernsthafte Tätigkeit gewesen, die dem in Betracht kommenden Unternehmen, dem Haushalt der Tochter, erheblich gedient habe. Sie habe deren wirklichen Willen entsprochen und hätte ihrer Art nach auch von einer dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzuordnenden Person verrichtet werden können. Die Klägerin habe mit der Betreuung ihrer Enkelin auch nicht eine eigene Aufgabe wahrgenommen. Vielmehr sei sie im Interesse ihrer Tochter tätig gewesen, um dieser eine Berufsausübung zu ermöglichen und deren Haushalt zu entlasten. Daraus ergebe sich zugleich, daß die Beklagte der zuständige Versicherungsträger für die Entschädigung des Arbeitsunfalls sei. Die auf Jahre hinaus angelegte Betreuungstätigkeit der Klägerin könne nicht als unversicherte familiäre Gefälligkeitsleistung angesehen werden. Auch habe keine Versicherungsfreiheit nach § 541 Abs 1 Nr 5 Buchst a RVO bestanden, weil die Betreuung nicht unentgeltlich gewesen sei. Denn auch nach Abzug von 100 DM für die Verpflegung des Kindes seien monatlich 150 DM für die reine Betreuungstätigkeit verblieben. Diese stellten trotz der Geringfügigkeit des Betrages wegen der Regelmäßigkeit der Zahlungen und der gleichbleibenden Höhe eine echte Gegenleistung und keine bloß symbolisch gewährte Anerkennung dar. Ferner sei dabei zu berücksichtigen, daß die Klägerin bei der Beaufsichtigung ihrer Enkelin auch ihren eigenen Aufgaben im Haushalt habe nachgehen können. Schließlich habe das Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 5. Juli 1994 (SozR 3-2200 § 548 Nr 20) bei einem ähnlich gelagerten Sachverhalt eine Unentgeltlichkeit iS des § 541 Abs 1 Nr 5 Buchst a RVO bei einer monatlichen Zahlung von 400 DM verneint, bei der ebenfalls Sozialversicherungsbeiträge und pauschale Lohnsteuer nicht abgeführt worden seien und die betreffende Großmutter noch weitere Betreuungsaufgaben als die Klägerin im vorliegenden Fall übernommen gehabt habe.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 539 Abs 2 RVO sowie des § 548 RVO iVm § 541 Abs 1 Nr 5 RVO. Bei der Betreuungstätigkeit der Klägerin habe es sich um eine unentgeltliche Tätigkeit iS des § 541 Abs 1 Nr 5 RVO gehandelt; denn bei einem Stundenlohn von 1,50 DM, der sich bei einem Monatsentgelt von 150 DM (250 DM abzüglich 100 DM Verpflegungskosten), einer täglichen Betreuungszeit von 5 Stunden, einer wöchentlichen von 25 Stunden und somit einer monatlichen von 100 Stunden ergebe, könne nicht mehr von einer Gegenleistung für eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit und deshalb nicht von einem Entgelt iS des § 541 Abs 1 RVO ausgegangen werden, der im übrigen auch für Tätigkeiten iS des § 539 Abs 2 RVO gelte. Daß es hier am Entgelt iS der Sozialversicherung fehle, folge auch daraus, daß die Tochter der Klägerin für die Zahlungen an diese keine Beiträge zur Sozialversicherung entrichtet und diese Zahlungen auch nicht als Aufwendung für die Betreuung des Kindes steuerlich abgesetzt habe. Soweit hierzu keine Feststellungen getroffen worden sein sollten, werde die Verletzung der Aufklärungspflicht gemäß den §§ 103, 106 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gerügt.
Des weiteren sei die Betreuungstätigkeit der Klägerin keine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit iS des § 539 Abs 2 RVO gewesen, weil sie sich nicht in ein fremdes Unternehmen eingegliedert habe. Ihre persönliche Befragung habe nämlich ergeben, daß die Freizeitgestaltung, dh die Betreuung der Enkelin nachmittags, allein ihr überlassen geblieben sei und daß ihre Tochter ihr nicht vorgeschrieben habe, was sie mit dem Kind tun solle. Diese Erklärung sei gemäß § 163 SGG Teil des vom LSG festgestellten Sachverhalts geworden, da dieses in seinem Urteil auf die Verwaltungsakte Bezug genommen habe. Wenn sich aber die Klägerin auch nach der eigenen Handlungstendenz nicht in das Unternehmen der Tochter, nämlich deren Haushalt, eingegliedert habe, dann sei sie dort weder beschäftigt noch arbeitnehmerähnlich tätig gewesen. Die Ausführungen des LSG, die Betreuung habe dem wirklichen Willen der Tochter entsprochen und hätte ihrer Art nach auch von einer dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Person verrichtet werden können, reiche nicht aus, die nach der Rechtsprechung des BSG erforderliche Handlungstendenz zu begründen. Auch insoweit unterscheide sich der vorliegende Fall von dem des Urteils vom 5. Juli 1994 (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 20).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 9. Februar 1999 und das Urteil des SG Speyer vom 12. Februar 1997 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat entgegen der Auffassung der Vorinstanzen keinen Anspruch, wegen des Unfallereignisses vom 18. Februar 1993 aus der gesetzlichen Unfallversicherung entschädigt zu werden.
Der geltend gemachte Anspruch der Klägerin richtet sich noch nach den Vorschriften der RVO, da sich der Unfall vor Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 ereignet hat (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes ≪UVEG≫, § 212 SGB VII).
Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten und danach versicherten Tätigkeiten erleidet. Die Klägerin gehörte im Zeitpunkt des Unfalls nicht zu dem hiernach geschützten Personenkreis, insbesondere war sie nicht aufgrund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) bei ihrer Tochter beschäftigt oder wie eine Beschäftigte bei ihr tätig (§ 539 Abs 2 RVO iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO).
Beschäftigung ist nach der Legaldefinition des § 7 Abs 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV), der für sämtliche Bereiche der Sozialversicherung gilt, die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Danach ist Arbeitnehmer, wer von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist (vgl BSG SozR 2100 § 7 Nr 7 mwN). Dabei bedingt ein Beschäftigungsverhältnis nicht notwendig einen abgeschlossenen Arbeitsvertrag, maßgebend sind vielmehr die tatsächlichen Verhältnisse. Wesentlich für das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses ist die persönliche Abhängigkeit von einem Arbeitgeber, dessen Direktionsrecht der Beschäftigte unterliegt, sei es durch vertraglich vereinbarte Weisungsgebundenheit oder durch Eingliederung des Arbeitenden in den Betrieb des Arbeitgebers (vgl BSGE 59, 284, 286 = SozR 2200 § 539 Nr 114 mwN; BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 6). Zu den typusbildenden Merkmalen einer abhängigen Beschäftigung, die nicht sämtlich gleichzeitig vorliegen müssen, gehört zunächst das Anordnungsrecht des Unternehmers bezüglich Zeit und Art der Arbeitsausführung sowie der Umstand, daß es sich um ein auf Dauer oder zumindest längere Zeit angelegtes Verhältnis handelt (BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 40).
Ein echtes Beschäftigungsverhältnis in dem genannten Sinne liegt demgegenüber – auch im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl BSG Urteil vom 8. Dezember 1994 – 2 RU 29/93 – HVBG-Info 1995, 867) – bei einer lediglich familienhaften Mithilfe nicht vor. Nach der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BSG (BSGE 3, 30, 40; BSGE 12, 153, 156 = SozR Nr 18 zu § 165 RVO; BSGE 17, 1, 3 ff = SozR Nr 31 zu § 165 RVO; BSG SozR 2200 § 165 Nr 90; BSG SozR 3-2500 § 5 Nr 17) hängt die Abgrenzung zwischen einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis und familienhafter Mithilfe von den gesamten Umständen des Einzelfalles ab. Ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis setzt neben der Eingliederung des Beschäftigten in den Betrieb und dem gegebenenfalls abgeschwächten Weisungsrecht des Arbeitgebers voraus, daß der Beschäftigte ein Entgelt erhält, das einen angemessenen Gegenwert für die geleistete Arbeit darstellt, mithin über einen freien Unterhalt, ein Taschengeld oder eine Anerkennung für Gefälligkeiten hinausgeht. Weitere Abgrenzungskriterien sind nach dieser Rechtsprechung, ob ein schriftlicher Arbeitsvertrag abgeschlossen worden ist, ob das gezahlte Entgelt der Lohnsteuerpflicht unterliegt, als Betriebsausgabe verbucht und dem Angehörigen zur freien Verfügung ausgezahlt wird, und schließlich, ob der Angehörige eine fremde Arbeitskraft ersetzt. Sind die genannten Voraussetzungen erfüllt, ist es für die Bejahung eines Beschäftigungsverhältnisses unter Verwandten nicht erforderlich, daß der Beschäftigte wirtschaftlich auf das Entgelt angewiesen ist. Solches ist zwar in der genannten Rechtsprechung zum Beschäftigungsverhältnis zwischen Verwandten als Indiz für die erforderliche Abhängigkeit des Beschäftigten anerkannt worden (BSG SozR 2200 § 165 Nr 90). Daraus kann aber nicht gefolgert werden, daß dann, wenn es nicht gegeben ist, allein aus diesem Grund eine abhängige Beschäftigung ausscheidet (BSG SozR 3-2500 § 5 Nr 17).
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist den Feststellungen des LSG, die nicht mit zulässigen und begründeten Rügen angegriffen und daher für das Revisionsgericht bindend sind (§ 163 SGG), zu entnehmen, daß zwischen der Klägerin und ihrer Tochter kein echtes Beschäftigungsverhältnis bestand, daß es sich bei der Betreuungstätigkeit vielmehr um eine familienhafte Mitarbeit handelte.
Hierfür spricht insbesondere, daß die Klägerin keinen angemessenen Gegenwert für die Betreuung erhalten hat. Denn nach Abzug von 100 DM für Verpflegungsaufwand verblieben ihr noch 150 DM im Monat als Gegenleistung, was bei mindestens 4 Stunden Betreuung täglich (12.00 Uhr bis 16.00 Uhr) zu knapp 1,90 DM Stundenlohn, bei einem angenommenen Durchschnitt von 5 Stunden täglich sogar nur zu einem Stundenlohn von 1,50 DM führen würde. Eine solche Bezahlung steht aber nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der erbrachten Betreuungsleistung; sie beträgt nur einen Bruchteil dessen, was eine angestellte berufliche Tagespflegekraft für eine entsprechende Tätigkeit verlangen kann (vgl etwa die tariflichen Vergütungen für Kinderpflegerinnen oder Erzieherinnen nach der Vergütungsordnung zum Bundes-Angestelltentarifvertrag, Teil II, Abschnitt G) und unterschreitet auch erheblich den Aufwendungsersatz, den eine Tagespflegeperson (Tagesmutter) iS des § 23 des Achten Buches Sozialgesetzbuch erhält, und geht demnach über eine Anerkennung für Gefälligkeiten nicht hinaus. Für die familienhafte Mitarbeit spricht ferner, daß Anhaltspunkte für den Abschluß eines schriftlichen Arbeitsvertrages nicht vorliegen und daß weder Lohnsteuer, noch Beiträge zur Unfallversicherung abgeführt worden sind. Auch kann den Feststellungen des LSG nicht entnommen werden, daß die Klägerin eine fremde Arbeitskraft ersetzt hat. Vielmehr ergibt sich aus dem angefochtenen Urteil, daß die Enkelin der Klägerin vor deren Betreuung durch sie und während ihrer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit von einer anderen Familienangehörigen betreut worden ist. Schließlich ist der vom LSG festgestellte Umstand, daß die Klägerin nach der Einschulung der Enkelin für die Betreuung keine Zahlungen mehr enthielt, ein weiteres Indiz für ihre familienhafte Mithilfe in der Zeit davor.
Muß somit wegen der familienhaften Mitarbeit der Klägerin eine echte Beschäftigung iS des § 7 Abs 1 SGB IV und damit das Bestehen einer Versicherung nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO verneint werden, kann allein aus demselben Grunde bei ihr ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO nicht ausgeschlossen werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt dieser Versicherungsschutz voraus, daß – selbst wenn es sich nur um eine vorübergehende Tätigkeit handelt – eine ernstliche, einem fremden Unternehmen dienende, dem Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit vorliegt, die ungeachtet des Beweggrundes des Tätigwerdens ihrer Art nach sonst von einer Person verrichtet werden könnte, welche in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht (BSGE 5, 168, 174; 14, 1, 4; 15, 292, 294 = SozR Nr 25 zu § 537 RVO aF; BSGE 16, 73, 76 = SozR Nr 26 zu § 537 RVO aF; BSGE 17, 211, 216 = SozR Nr 30 zu § 537 RVO aF; BSGE 34, 240, 242 = SozR Nr 32 zu § 539 RVO; BSG SozR Nrn 16, 23, 29 zu § 537 RVO aF; SozR Nr 27 zu § 539 RVO; SozR 2200 § 539 Nrn 55, 66, 93, 119; BSG Urteile vom 29. November 1972 – 8/2 RU 200/71 – USK 72178, 30. November 1972 – 2 RU 195/71 – USK 72202, 27. Juni 1974 – 2 RU 23/73 – USK 74127 und 25. August 1982 – 2 RU 25/81 – USK 82194; BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 16 Brackmann/Wiester, Handbuch der Sozialversicherung, SGB VII, 12. Aufl, § 2 RdNr 804; Lauterbach/Schwerdtfeger, UV-SGB VII, 4. Aufl, § 2 RdNr 640, KassKomm-Ricke, § 2 SGB VII RdNrn 104 ff). Bei einer Tätigkeit gemäß § 539 Abs 2 RVO braucht eine persönliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit vom unterstützten Unternehmen nicht vorzuliegen (vgl Brackmann/Wiester, aaO, § 2 RdNr 841 mwN); weiterhin sind die Beweggründe des Handelns für den Versicherungsschutz unerheblich. Grundsätzlich entfällt der Versicherungsschutz auch nicht bei Freundschafts- und Gefälligkeitsdiensten (BSGE 5, 168, 172; BSG SozR 2200 § 539 Nr 55 S 160; Brackmann/Wiester, aaO, § 2 RdNr 827). Auch schließt Verwandtschaft bei Freundschafts- oder Gefälligkeitsdiensten einen Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO nicht von vornherein aus (BSG SozR 2200 § 539 Nrn 55 und 134; BSG SozR 3-2200 § 657 Nr 1; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 20 mwN). Ein Versicherungsschutz nach dieser Vorschrift ist aber nicht gegeben, wenn die unter Verwandten vorgenommene Gefälligkeitshandlung im wesentlichen durch die familiären Beziehungen zwischen den Verwandten geprägt ist (BSG SozR 2200 § 539 Nr 134; BSG Urteil vom 21. August 1991 – 2 RU 2/91 – HV-Info 1991, 2234; Brackmann/Wiester, aaO, § 2 RdNr 855 ff). Das ist dann der Fall, wenn es sich lediglich um Gefälligkeitshandlungen handelt, die ihr gesamtes Gepräge von der familiären Bindung zwischen Angehörigen erhalten. Je enger die verwandtschaftliche Beziehung ist, um so eher scheint die Annahme gerechtfertigt, daß es sich um Gefälligkeitsdienste handelt, die ihr Gepräge allein durch die familiären Beziehungen erhalten und deshalb nicht mehr als arbeitnehmerähnlich angesehen werden können (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 20 mwN). Dabei sind neben der Stärke der verwandtschaftlichen Beziehungen die gesamten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere Art, Umfang und Zeitdauer der vorgesehenen Tätigkeit.
Hiervon ausgehend hat der Senat einen Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO verneint, soweit es sich um die Betreuung von Kindern durch Verwandte handelte (BSG SozR 2200 § 539 Nr 43 – kurzzeitige Beaufsichtigung während einer Besichtigung; BSG Urteil vom 8. Dezember 1983 – 2 RU 81/82 – USK 83194 – unentgeltlichen Betreuung eines Patenkindes während einer vierwöchigen Urlaubsreise der Eltern). Dagegen hat er in seinem Urteil vom 5. Juli 1994 (SozR 3-2200 § 548 Nr 20) die mehrjährige Betreuung eines Kindes durch seine Großmutter zur Entlastung der zunächst sich in Berufsausbildung befindlichen und dann berufstätigen Tochter nicht mehr als unversicherte, rein familiäre Hilfe angesehen. Da auch im vorliegenden Fall sich die Betreuungstätigkeit der Klägerin über mehrere Jahre erstreckte, kann nach den Maßstäben des genannten Urteils auch hier der Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO nicht allein am engen Verwandtschaftsverhältnis zwischen den Betroffenen scheitern.
Die Klägerin ist jedoch gleichwohl nicht nach § 539 Abs 2 RVO iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO versichert, weil sie ihre familienhafte Mithilfe nicht wie eine abhängig Beschäftigte ausgeübt hat. Ein Versicherungsschutz nach dieser Vorschrift setzt nämlich voraus, daß die Verrichtung nach ihrer Art und nach den Umständen, unter denen sie geleistet worden ist, einer Tätigkeit aufgrund eines (abhängigen) Beschäftigungsverhältnisses der in § 539 Abs 1 Nr 1 RVO bezeichneten Art ähnelt (BSG SozR 2200 § 539 Nr 119 mwN). Ob das der Fall ist, kann nicht losgelöst von den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen beurteilt werden, unter denen sich die Tätigkeit vollzieht. Die isolierte Betrachtung der einzelnen Verrichtung reicht allein nicht aus, um die Tätigkeit als arbeitnehmerähnlich zu kennzeichnen (BSGE 31, 275, 277). Andernfalls wäre nahezu jede auch nur vorübergehende und noch so geringfügige Tätigkeit versichert und damit fast jeder Unfall bei jedweder Tätigkeit ein versicherter Arbeitsunfall (BSG SozR 2200 § 539 Nr 49). Das würde aber dem sich aus der Entstehungsgeschichte des § 539 Abs 2 RVO ergebenden Sinn und Zweck dieser Vorschrift widersprechen (BSG Urteil vom 15. Dezember 1977 – 8 RU 42/77 – USK 77246; BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 15).
Nach diesen Maßstäben spricht aber das Gesamtbild der Tätigkeit der Klägerin dafür, daß sie nicht wie eine Beschäftigte tätig war. Nach den bindenden Feststellungen (§ 163 SGG) des LSG wohnten die Klägerin und ihre Tochter zwar in demselben Hause. Dieses war aber in drei Eigentumswohnungen aufgeteilt, von denen eine die Klägerin gegebenenfalls mit ihrem Ehemann, die zweite deren Tochter und Mutter des Kindes Jasmin mit ihrem Ehemann bewohnte. Aus den Feststellungen ergibt sich weiterhin, daß die Klägerin und die Tochter – gegebenenfalls gemeinschaftlich mit ihrem Ehemann – jeweils einen eigenen Haushalt führten (vgl § 1356 Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ≪BGB≫), wobei sich aus der von der Tochter geführten Haushaltung auch die Zuständigkeit der Beklagten ergibt (vgl § 657 Abs 1 Nr 3 RVO). Ferner ist den Feststellungen des LSG im angefochtenen Urteil zu entnehmen, daß sich die Klägerin während der Zeit der Betreuung der Führung ihres eigenen Haushalts gewidmet hat. Anhaltspunkte dafür, daß sie hinsichtlich Verpflegung, Essens- und Ruhezeiten, Freizeitgestaltung sowie Erziehung Anweisungen der Eltern des Kindes zu beachten gehabt hatte, enthält das Urteil des LSG ebenfalls nicht. Vielmehr sprechen die Feststellungen des LSG eher dafür, daß dies überwiegend ihrer freien Gestaltung überlassen war. Es gibt auch keinen hier etwa zu beachtenden Erfahrungssatz, daß sich Großmütter, die ihre Enkel betreuen, in der Regel nach den Vorgaben der Eltern des betreuten Kindes richten. Hinzu kommt, daß die Betreuung – abgesehen vom Abholen des Kindes aus dem Kindergarten – im Haushalt der Klägerin ausgeführt wurde. Aber selbst hinsichtlich dieses Abholens war sie nicht verpflichtet, einen genauen Zeitpunkt einzuhalten, sondern konnte diesen Zeitpunkt in der Zeit zwischen 11.00 Uhr und 12.00 Uhr wählen.
Überwiegen demnach bei der Klägerin die Umstände, die gegen eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit sprechen, kann hier offenbleiben, welcher Art von Rechtsverhältnis die hier vorliegenden Beziehungen zwischen der Klägerin und ihrer Tochter eher zuzuordnen sind oder ob es sich gar um ein außerhalb der Rechtssphäre liegendes Gefälligkeitsverhältnis handelt.
Entgegen der Auffassung der Klägerin steht der Beurteilung der von ihr ausgeübten Betreuung als nicht arbeitnehmerähnliche Tätigkeit das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 4. Juni 1998 (III R 94/96 – BFH/NV 1999, 163) nicht entgegen. In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall hatte ein alleinstehender Vater der Großmutter seines Kindes 7.200 DM bzw 6.600 DM an jährlichen Taxikosten erstattet, welche diese für Fahrten zur Wohnung des Vaters und zurück ausgegeben hatte, um ihr Enkelkind tagsüber zu betreuen. Der BFH hat in der Betreuungstätigkeit der Großmutter eine unentgeltliche Geschäftsbesorgung nach § 662 BGB sowie in der Zahlung an sie einen Aufwendungsersatz nach § 670 BGB gesehen und diese als Kinderbetreuungskosten iS des § 33c des Einkommensteuergesetzes anerkannt. Abgesehen davon, daß in jenem vom BFH entschiedenen Fall unfallversicherungsrechtlich Versicherungsfreiheit nach § 541 Abs 1 Nr 5 Buchst a RVO bestanden haben dürfte, kann aus dem Bestehen eines Auftragsverhältnisses nicht darauf geschlossen werden, daß ein Beauftragter das übertragene Geschäft wie ein Beschäftigter iS des § 539 Abs 2 RVO iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO ausübt.
Die Bewertung der Betreuungstätigkeit der Klägerin als nicht arbeitnehmerähnlich steht auch nicht im Widerspruch zum genannten Urteil des Senats vom 5. Juli 1994 (SozR 3-2200 § 548 Nr 20). Nach dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt, wie er vom LSG festgestellt worden war (vgl Breith 1994, 202), hatte die damals noch minderjährige Tochter der dortigen Klägerin ein nichteheliches Kind zur Welt gebracht. Um im Anschluß an die Schulausbildung eine geregelte Berufsausbildung zu ermöglichen, hatte sie mit ihrer Tochter vereinbart, daß sie in wesentlichem Umfang die Betreuung ihres Enkelkindes ausübe. Sie verzichtete deshalb auch auf eine Erwerbstätigkeit in ihrem erlernten Beruf als Arzthelferin. Für die Betreuung des Enkelkindes erhielt die Großmutter ohne die gesondert vergüteten Verpflegungskosten 400 DM monatlich. Ihre Tochter nahm nach den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen (§ 163 SGG) des LSG auch die ihr zustehende Entscheidungsbefugnis über die Erziehung des Kindes in wesentlicher Beziehung wahr. Demgemäß hatte sie bestimmt, welche Freizeitaktivitäten (zB Singstunde, sportliche Betätigung) ihr Kind unternehmen sollte und welche Freunde es besuchen durfte. Bei dieser Ausgestaltung der Betreuung, die sich erheblich vom vorliegenden Sachverhalt unterscheidet, überwogen die vom LSG festgestellten Kriterien, die für eine fremdbestimmte und daher beschäftigungsähnliche Tätigkeit der Großmutter sprachen. Im vorliegenden Rechtsstreit überwiegen demgegenüber die Kriterien, die gegen eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit der Klägerin sprechen, insbesondere deshalb, weil für eine Fremdbestimmung der Betreuung keine Anhaltspunkte vorhanden sind.
Nach alledem waren auf die Revision der Beklagten das Urteil des LSG und das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 514944 |
NZS 2001, 429 |
SozR 3-2200 § 548, Nr. 37 |
AuS 2000, 69 |
SozSi 2001, 323 |
SozSi 2001, 324 |