Orientierungssatz
Zur Frage, ob sich der Besucher einer Landwirtschaftlichen Fachschule in Schul- oder Berufsausbildung iS des RVO § 1267 befindet.
Normenkette
RVO § 1267 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 12. Februar 1964 mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Es ist streitig, ob dem Kläger für die Zeit des Besuchs der Landwirtschaftsschule in L von Oktober 1962 bis März 1963 die "verlängerte" Waisenrente wegen Berufsausbildung zusteht (§ 1267 Abs. 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -).
Der im September 1941 geborene Kläger erbte im Jahre 1949 einen Hof, den seine Mutter bis zur Vollendung seines 21. Lebensjahres verwaltete. Im April 1961 legte er die landwirtschaftliche Gehilfenprüfung ab. Im Winter 1961/62 besuchte er die Unterklasse der Landwirtschaftsschule in L. Er erhielt während dieser Zeit Waisenrente aus der Rentenversicherung seines gefallenen Vaters. Von Oktober 1962 bis März 1963 besuchte er die Oberklasse der Landwirtschaftsschule. Er ist als selbständiger Landwirt tätig.
Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Wiedergewährung der Waisenrente für die Zeit des Besuchs der Oberklasse der Landwirtschaftsschule ab: Es handele sich nicht um Berufsausbildung, sondern um Weiterbildung im Interesse künftiger eigenwirtschaftlicher Tätigkeit (Bescheid vom 12. Dezember 1962).
Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat die Beklagte zur Gewährung von Waisenrente für die Zeit vom 1. Oktober 1962 bis 31. März 1963 verurteilt und die Berufung zugelassen (Urteil vom 12. Februar 1964): Die Ausbildung müsse dazu dienen, einen Beruf gegen Entgelt ausüben zu können, und Zeit und Arbeitskraft der Waise überwiegend in Anspruch nehmen. Diese Voraussetzungen seien erfüllt. Es sei ohne Bedeutung, daß die Schulausbildung den Beruf des Klägers als selbständiger Landwirt fördern sollte und daß er schon eine landwirtschaftliche Lehre abgeschlossen habe und als Landwirt tätig sei. Die Ausbildung diene bereits dann dazu, einen Beruf gegen Entgelt ausüben zu können, wenn sie das Ergreifen eines Berufs oder das Weiterkommen in ihm später ermögliche oder erleichtere (Hinweis auf AN 1926, 486). Dies treffe für den Besuch der Landwirtschaftsschule zu.
Die Beklagte hat mit der Sprungrevision beantragt, das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen. Sie rügt Verletzung des § 1267 RVO und führt aus, die Ausbildung in berufsbildenden oder berufsfördernden Schulen, wie hier in der Landwirtschaftsschule, könne allenfalls als Berufsausbildung anzusehen sein. Die vom SG genannte Entscheidung des früheren Reichsversicherungsamts in AN 1926, 486 betreffe einen anderen Fall, nämlich den Besuch einer Handelsschule, während noch nicht feststand, welchen Beruf der Betreffende ergreifen wollte. Im vorliegenden Fall habe aber der Kläger bereits eine landwirtschaftliche Lehre durchgemacht. Die Berufsausbildung sei also hier an sich abgeschlossen. Der Kläger habe die Schule nur zu dem Zweck besucht, um seine Berufskenntnisse zu vervollkommnen und sich in seinem Beruf weiterzubilden, obwohl eine solche Weiterbildung zur Ausübung des Berufs in keiner Weise erforderlich sei. Es müsse unterschieden werden zwischen der Ausbildung, die bezwecke, die Voraussetzungen für die Ausübung eines bestimmten Berufs zu schaffen, und der Berufsfortbildung und Weiterbildung, die für die Ausübung des erlernten Berufs nicht erforderlich sei, wohl aber dem Weiterkommen diene. Die Fort- und Weiterbildung begründe keinen Anspruch auf Waisenrente.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er meint, der Besuch der Unter- und der Oberklasse der Landwirtschaftsschule könne rechtlich nur einheitlich beurteilt werden. Da für die Unterklasse Waisenrente gewährt worden sei, dürfe sie für die Oberklasse nicht verweigert werden. Auch die Versorgungsverwaltung habe die Waisenrente nach § 45 Abs. 4 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) für die hier in Frage kommende Zeit wieder bewilligt.
II
Die Revision ist zulässig und begründet. Die Feststellungen des SG reichen für die Entscheidung, ob hier die Merkmale der Berufsausbildung im Sinne des § 1267 RVO vorliegen, nicht aus.
Die Auffassung des Klägers, er müsse die Waisenrente für die Zeit des Besuchs der Oberklasse der Landwirtschaftsschule schon deshalb erhalten, weil sie ihm für die Zeit des Besuchs der Unterklasse gewährt wurde, ist nicht begründet. Der Kläger hatte im November 1961 die Wiedergewährung der Waisenrente ausdrücklich nur für die Zeit des Besuchs der Landwirtschaftsschule vom 31. Oktober 1961 bis Ende März 1962 beantragt. Darauf gewährte die Beklagte mit dem Bescheid vom 24. November 1961 die Waisenrente "für die Dauer der Schulausbildung" vom 1. November 1961 an. Diese zeitliche Begrenzung ist im Zusammenhang mit dem Antrag dahin auszulegen, daß nur die Zeit bis Ende März 1962 erfaßt wird. Am 28. Februar 1962 teilte die Beklagte der Mutter des Klägers mit, daß die Waisenrente mit Ablauf des Monats März 1962 "wegen Beendigung der Schulausbildung eingestellt" werde. Der Kläger hat sich gegen die zeitliche Begrenzung in dem Bewilligungsbescheid nicht gewandt und sich zu der Wegfallmitteilung nicht geäußert. Die Bindungswirkung des Bescheides vom 24. November 1961 nach § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) "in der Sache" erstreckt sich nur auf die Gewährung von Rente für die Zeit bis März 1962. Sie umfaßt nicht die dem Bescheid zugrunde liegende Rechtsauffassung, daß der Besuch der Landwirtschaftsschule Schul- oder Berufsausbildung im Sinne des § 1267 RVO sei. Streitgegenstand im jetzigen Verfahren ist der Anspruch für einen anderen Zeitraum des Besuchs der der Landwirtschaftsschule. Über ihn ist unabhängig von dem damaligen Bescheid zu entscheiden.
Für die Entscheidung nach § 1267 RVO ist es auch unerheblich, daß die Versorgungsverwaltung Waisenrente nach § 45 BVG für die Zeit des Besuchs der Unterklasse der Landwirtschaftsschule bewilligt hat. Die Verwaltungsvorschriften zum BVG betrachten als Schulausbildung im Sinne des § 33 b BVG sowohl die Ausbildung an allgemeinbildenden als auch an berufsbildenden öffentlichen Schulen (Verwaltungsvorschriften zu § 45 BVG, Nr. 9 zu § 33 b BVG). Danach hatte die Versorgungsbehörde Waisenrente zu gewähren. Der Versicherungsträger wird jedoch durch die Verwaltungsvorschriften zum BVG nicht verpflichtet.
Es kann hier offen bleiben, ob und gegebenenfalls nach welchen Merkmalen bei § 1267 RVO zwischen Ausbildung und Fortbildung zu unterscheiden ist. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist ... Berufsausbildung im Sinne des § 1267 RVO die Ausbildung für einen in Zukunft gegen Entgelt auszuübenden Beruf, welche Zeit und Arbeitskraft der Waise ganz oder überwiegend in Anspruch nimmt. Die letztere Voraussetzung ist hier bei 32 Wochenunterrichtsstunden gegeben. Der Senat hat ferner entschieden, daß Berufsausbildung nicht nur die Ausbildung für die Elementarstufe eines Berufes ist, sondern auch die darauf aufbauende weitere Vorbereitung für eine höhere Stufe des Berufs, wie z. B. die Teilnahme an einem Lehrgang einer Gartenbauschule zur Vorbereitung auf die Gärtnermeister-Prüfung (SozR RVO § 1267 Nr. 27) und die Teilnahme eines Einzelhandelskaufmanns an einem einjährigen Lehrgang der Fachschule des Deutschen Eisenwaren- und Hausrathandels zur Erlangung von Führungsstellen in der Wirtschaft nach Bewährung in der Praxis (12 RJ 528/63 vom 31. Mai 1967). Als Berufsausbildung für eine höhere Stufe im jeweiligen Berufszweig kommt nicht nur der durch Verordnungen oder andere Bestimmungen geregelte Ausbildungsweg zu bestimmten "anerkannten" und namentlich bezeichneten Berufen in Frage, sondern auch eine Ausbildung, die eine von der schon erlangten Stufe des Berufs hinreichend klar abzugrenzende Qualifizierung für höhere Tätigkeiten in diesem Berufszweig verleiht. Die gewählte Ausbildung muß ein geeignetes Mittel zur Erreichung einer derartigen höheren Stufe des Berufs sein.
Der Kläger hat die Lehre als landwirtschaftlicher Gehilfe abgeschlossen und damit den Beruf "Landwirt" erreicht. Als nächsthöhere Stufe innerhalb der Berufe der Landwirtschaft, die durch einen geregelten Ausbildungsgang erreicht werden kann, kommt der "Landwirtschaftsmeister" oder der "Staatlich geprüfte Landwirt" in Frage. Abgesehen von länderrechtlichen Besonderheiten verlangt die Ausbildung zum Landwirtschaftsmeister außer einer Gehilfenzeit von bestimmter Dauer den Besuch der Landwirtschaftlichen Fachschule während zweier Wintersemester. Die Ausbildung zum Staatlich geprüften Landwirt verlangt üblicherweise bei Mittelschulabschluß nach der Lehre noch zwei Jahre Tätigkeit als Landwirtschaftsgehilfe und ein Jahr Höhere Landbauschule.
Eine höhere Stufe in den Berufen der Landwirtschaft kann aber auch außerhalb dieser geregelten Ausbildungswege erreicht werden, wenn die Winterlehrgänge an der Landwirtschaftsschule Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln, die über die in der Lehre erlangten Kenntnisse wesentlich hinausgehen, und wenn die durch die Lehrgänge vermittelte Bildung geeignet ist, den Lernenden zu einer Berufstätigkeit in solchen höheren Stellen - als Beschäftigter oder Selbständiger - zu befähigen, die er ohne die Bildung in den Lehrgängen der Landwirtschaftsschule nicht ausfüllen könnte. Das SG hat nicht festgestellt, ob der Kläger sich ein höheres Berufsziel als die Ausbildung durch Lehre zum Landwirt gesetzt hat und bejahendenfalls welches. Da diese Feststellungen aber für die Entscheidung, ob der Kläger sich beim Besuch der Landwirtschaftsschule in Berufsausbildung befand, unentbehrlich ist, muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu weiteren Feststellungen und erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückverwiesen werden.
Das SG wird u. a. ermitteln müssen, ob der Kläger eine höhere Stufe in den landwirtschaftlichen Berufen anstrebte als den durch die Lehre erlangten Beruf des Landwirts und gegebenenfalls welches höhere Berufsziel er sich gesetzt hat. Ferner wird festzustellen sein, ob der Besuch der Landwirtschaftsschule ein geeignetes Mittel ist, das erstrebte höhere Berufsziel zu erreichen. Dafür werden die Aufnahmebedingungen für die Oberklasse der Landwirtschaftsschule (abgeschlossene Landwirtschaftslehre?, bestimmte praktische Tätigkeit? oder welche sonstigen Bedingungen?), der Lehrplan der Oberklasse und der Prüfungsstoff für die Abschlußprüfung an der Oberklasse der Landwirtschaftsschule im Vergleich zu dem Prüfungsstoff bei der landwirtschaftlichen Gehilfenprüfung einen wichtigen Anhalt geben. Zweckmäßigerweise wird das SG hierzu auch einen Sachverständigen, etwa von der Landwirtschaftskammer, hören.
Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen