Entscheidungsstichwort (Thema)

Landwirtschaftliche Altershilfe. Unternehmereigenschaft

 

Orientierungssatz

Im Rahmen des GAL ist für die Beantwortung der Frage, ob die Klägerin landwirtschaftliche Unternehmerin ist, auf die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen. Es kommt insbesondere darauf an, wer im konkreten Fall das landwirtschaftliche Unternehmen betrieben und das Unternehmer-Risiko (Gewinn und Verlust) getragen hat (vgl BSG 1960-04-08 3 RLw 1/59 = BSGE 12, 80).

 

Normenkette

GAL § 1 Abs. 2-3

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 10.08.1967)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 10. August 1967 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Die 1902 geborene Klägerin beantragte im Januar 1965 die Gewährung von vorzeitigem Altersgeld, weil sie seit 1960 erwerbsunfähig sei. Als Alleinerbin ihres im Mai 1939 gestorbenen Vaters trat sie nach dessen Tod in den Pachtvertrag vom 27. September 1907 - ergänzt am 20. Oktober 1938 - ein und wurde Pächterin eines jetzt 20 ha großen Hofes in I. Seit 1932 ist sie mit dem Landwirt F H verheiratet. Dieser ist seit 1950 als Unternehmer in den Betriebsverzeichnissen der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft aufgeführt; er bezahlte auch jeweils die Pacht. Auf seinen Namen wurde bei der Spar- und Darlehenskasse ein Konto in laufender Rechnung geführt. Nach Mitteilung des zuständigen Finanzamts wurde er steuerlich als landwirtschaftlicher Unternehmer angesehen und mit der Klägerin zusammen veranlagt. Von Oktober 1957 bis Juni 1964 entrichtete er Beiträge an die Beklagte. Seit 1. Juli 1964 ist der im Jahre 1933 geborene Sohn der Eheleute H G H., Pächter des Hofes.

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag durch Bescheid vom 28. Juni 1965 ab. Zwar sei die Klägerin Pächterin eines landwirtschaftlichen Betriebes gewesen; doch könne sie nicht als Unternehmerin im Sinne des Gesetzes angesehen werden, weil dem die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse entgegenstünden. Danach sei nicht sie, sondern ihr Ehemann landwirtschaftlicher Unternehmer gewesen. Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab. Das Landessozialgericht (LSG) hob das erstinstanzliche Urteil auf und verurteilte die Beklagte, der Klägerin vorzeitiges Altersgeld vom 1. Januar 1965 (Antragsmonat) an zu zahlen. Die Revision ließ es zu (Urteil vom 10. August 1967).

Nach der Ansicht des LSG sind sämtliche Voraussetzungen zur Gewährung des vorzeitiges Altersgeldes erfüllt. Die Klägerin sei als landwirtschaftliche Unternehmerin im Sinne von § 1 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) 1963 und 1965 anzusehen. Eine Unterverpachtung an ihren Ehemann sei nicht feststellbar. Soweit er im Rahmen der Bewirtschaftung des Betriebes tätig geworden sei, sei das in Ausübung seines Verwaltungs- und Nutznießungsrechts oder in Vertretung der Klägerin geschehen. Da nach der Verkehrsauffassung in solchem Falle die Hofpächterin, nicht aber deren Ehemann Dritten gegenüber als Vertragspartner anzusehen sei, sei er nicht landwirtschaftlicher Unternehmer im Sinne des Gesetzes. Die Erwerbsunfähigkeit der Klägerin ergibt sich nach der Auffassung des LSG aus der bei den Steuerakten befindlichen Bescheinigung des staatlichen Gesundheitsamts V vom 13. Juli 1962, wonach die Klägerin an einer schweren Arthrose beider Kniegelenke sowie des rechten Schultergelenks mit erheblichen Bewegungseinschränkungen in diesen Gelenken leide; der Amtsarzt habe die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf 60 v. H. seit 1961 geschätzt. Dieser Beurteilung könne gefolgt werden, weil derartige degenerative Veränderungen erfahrungsgemäß zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes führten.

Die Beklagte legte frist- und formgerecht Revision ein mit dem Antrag,

das angefochtene Urteil aufzuheben und ... die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.

Sie meint, das LSG gehe zu Unrecht von der Unternehmereigenschaft der Klägerin aus. Nach den allein maßgebenden tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen sei ihr Mann als Unternehmer des landwirtschaftlichen Betriebes anzusehen; allein von ihm seien auch Beiträge zur LAK entrichtet worden. Gleichzeitig wird gerügt, das LSG habe hinsichtlich der Erwerbsunfähigkeit der Klägerin den Sachverhalt nur unzureichend aufgeklärt. Die Annahme des Gerichts, daß sich die Krankheitssymptome der Klägerin "erfahrungsgemäß" verschlechtert haben müßten, gehe von einem nicht bestehenden medizinischen Erfahrungssatz aus. Es hätte deshalb eine erneute medizinische Untersuchung erfolgen müssen.

Die Klägerin ließ sich vor dem Bundessozialgericht (BSG) nicht vertreten.

II

Die Revision ist zulässig; sie hat auch insofern Erfolg, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden muß.

Der Anspruch der Klägerin auf vorzeitiges Altersgeld ist für die Zeit von Januar bis April 1965 nach § 2 Abs. 1 a GAL 1963 und für die anschließende Zeit nach dem gleichlautenden § 2 Abs. 2 Gal 1965 zu beurteilen; er ist davon abhängig, ob die Klägerin als landwirtschaftliche Unternehmerin im Sinne von § 1 Absätze 2 und 3 GAL 1963/1965 anzusehen ist. Das ist eine Rechtsfrage.

Die Nachprüfung von Rechtsfragen durch das Revisionsgericht (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) setzt voraus, daß das angefochtene Urteil eindeutige Feststellungen tatsächlicher Art enthält (§ 163 SGG). Ist der zu beurteilende Sachverhalt unklar oder unvollständig festgestellt, so muß, selbst wenn insoweit keine Rüge erhoben ist, bei einer zugelassenen Revision das Urteil aufgehoben werden (BSG SozR Nr. 6 zu § 163 SGG). Das Revisionsgericht kann die fehlenden tatsächlichen Feststellungen, auf die es für die Entscheidung über das Klagebegehren ankommt, nicht selbst treffen; es kann sie auch nicht aus dem Inhalt der Akten oder der Beiakten entnehmen (BSG SozR Nr. 9 zu § 163 SGG). Im vorliegenden Falle reichen die Feststellungen des LSG hinsichtlich der Unternehmereigenschaft der Klägerin und damit ihres Anspruchs auf vorzeitiges Altersgeld für die Nachprüfung der Rechtsauffassung des LSG durch den Senat nicht aus.

Das LSG ist zwar zutreffend davon ausgegangen, daß auch die Pächterin eines Hofes landwirtschaftliche Unternehmerin sein kann. Im Rahmen des GAL kommt es jedoch entgegen der Meinung des LSG nicht darauf an, wer im Falle der Ausübung des gesetzlichen Verwaltungs- und Nutznießungsrechts durch den Ehemann nach der Verkehrsauffassung Dritten gegenüber zivilrechtlich als Vertragspartner anzusehen ist; vielmehr ist für die Beantwortung der Frage, ob die Klägerin landwirtschaftliche Unternehmerin ist, auf die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen. Es kommt insbesondere darauf an, wer im konkreten Fall das landwirtschaftliche Unternehmen betrieben und das Unternehmer-Risiko (Gewinn und Verlust) getragen hat (BSG 12, 80, 84 und 91, 95 sowie 18, 219 ff). Wenn - wie hier - ein landwirtschaftliches Unternehmen von beiden Ehegatten betrieben wird, so spricht im allgemeinen eine Vermutung dafür, daß sie das Risiko des Unternehmens gemeinsam tragen und daß sie beide Mitunternehmer sind. Beitragspflichtig ist dann nach § 14 Abs. 6 GAL 1965 (= § 9 Abs. 6 GAL 1961/63) nur derjenige, der das Unternehmen überwiegend leitet. Das bedeutet zugleich auch, daß die Voraussetzungen für den Bezug des Altersgeldes oder des vorzeitigen Altersgeldes für Verheiratete in der Person des beitragspflichtigen Unternehmers erfüllt sein müssen. Die Klägerin hat also nur dann einen Anspruch auf vorzeitiges Altersgeld, wenn sie landwirtschaftliche Unternehmerin gewesen ist und wenn - neben der Erfüllung der anderen im Gesetz genannten Voraussetzungen - auch die Beiträge für sie entrichtet worden sind (§ 2 Abs. 2 Buchst. b. GAL 1965). Mangels gegenteiliger Feststellungen muß angenommen werden, daß hier die Beiträge für denjenigen gezahlt worden sind, der wirklich beitragspflichtig war. Ob das allerdings, wie das LSG angenommen hat, tatsächlich die Klägerin gewesen ist, ist den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Zur Beurteilung dieser Frage kommt es - neben dem Maß des persönlichen Einsatzes - vor allem darauf an, wer in den wesentlichen betriebswirtschaftlichen Angelegenheiten das Risiko getragen und den Betrieb überwiegend geleitet hat. Ein überwiegender Einfluß eines Ehegatten auf die Wirtschaftsführung des Unternehmens kann sich auch aus einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarung der Ehegatten oder zumindest aus den gesamten Umständen ergeben (vgl. BSG 18, 219 ff und BGH in NJW 1960, 428). Hierzu hat das LSG keinerlei Feststellungen getroffen; es hat auch nicht dargelegt, worauf sich das von ihm angenommene Verwaltungs- und Nutznießungsrecht des Ehemannes der Klägerin gründet, und wie es sich auf die Bewirtschaftung des Betriebes ausgewirkt hat. Der Klärung dieser tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse hat es aber umso mehr bedurft, als das LSG eine Reihe von äußeren Merkmalen festgestellt hat (Beitragsleistung an IAK, Pachtzahlung, Steuerschuldner, Eintragung im Betriebsverzeichnis der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft, Kontoführung bei der Spar- und Darlehenskasse), die mehr dafür sprechen, daß der Ehemann der Klägerin das Unternehmen überwiegend geleitet hat. Ob dann, wenn eine überwiegende Leitung des Betriebs durch einen der beiden Ehegatten nicht feststellbar ist oder wenn beide das Unternehmen zu gleichen Teilen geleitet haben, beide Ehegatten beitragspflichtig und - bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen - auch leistungsberechtigt wären, allerdings jeder nur in Höhe des Altersgeldes für Unverheiratete (§ 4 Abs. 3 GAL 1965; Noell-Rüller "Die Altershilfe für Landwirte", GAL 1965, S. 122), kann hier offen bleiben.

Dem Senat ist es unter den vorliegenden Umständen nicht möglich, die Rechtsauffassung des LSG hinsichtlich des Altersgeldanspruches der Klägerin nachzuprüfen. Das angefochtene Urteil muß daher aufgehoben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Bei der neuen Entscheidung wird das LSG möglicherweise auch hinsichtlich der Erwerbsunfähigkeit der Klägerin noch weitere Feststellungen zu treffen haben. Der Senat braucht jedoch nicht zu entscheiden, ob die Verfahrensrügen, die insoweit von der Beklagten geltend gemacht sind, durchgreifen, da es sich um eine zugelassene Revision handelt und das angefochtene Urteil schon aus anderen Gründen aufzuheben ist. Das LSG wird auch die Beiladung des Ehemannes der Klägerin gemäß § 75 Abs. 1 SGG zu erwägen haben, weil möglicherweise seine berechtigten Interessen durch die Entscheidung berührt werden.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651279

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