Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschäftsreise. Unfallversicherungsschutz beim Weg zur Toilette in Gaststätte
Orientierungssatz
Während einer Geschäftsreise steht der Versicherte beim Aufsuchen der Toilette nach Beendigung der Mittagsmahlzeit in einer Gaststätte unter Unfallversicherungsschutz.
Normenkette
RVO § 548 Abs 1 S 1 Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 25.10.1978; Aktenzeichen I UBf 28/78) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 06.04.1978; Aktenzeichen 25 U 341/75) |
Tatbestand
Die Klägerin macht gegen die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) gemäß § 1504 der Reichsversicherungsordnung (RVO) Kosten in Höhe von 8.264,-- DM geltend, die sie wegen der Folgen eines am 25. Mai 1973 erlittenen Unfalls des bei ihr krankenversicherten Beigeladenen aufgewendet hat. Sie ist der Auffassung, es lägen die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls vor, den die Beklagte als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung des Unternehmens, für das der Beigeladene zur Unfallzeit tätig war, zu entschädigen habe.
Am Unfalltag befand sich der Beigeladene außerhalb seiner Wohnung und seines Beschäftigungsortes auf einer mehrtägigen Vertretertour für eine Eisen- und Sanitärgroßhandlung, bei der er als Angestellter beschäftigt war. Nach geschäftlichen Verhandlungen mit Kunden begab er sich zum Mittagessen in eine Gaststätte. Mit weiteren Kundenbesuchen wollte er nach dem Essen seine Tätigkeit fortsetzen. Er verließ den Speisesaal, um vorher noch die Toilette in der Gaststätte aufzusuchen und zog sich dabei, als er auf einer Treppe ausrutschte, Knöchelbrüche am rechten Unterschenkel zu.
Die Beklagte lehnte den Ersatzanspruch der Klägerin ab, da der Beigeladene nicht einen Arbeitsunfall erlitten habe. Im Unfallzeitpunkt sei er weder auf dem Weg zur Fortsetzung seiner dienstlichen Tätigkeit gewesen, noch hätten besondere Gefahrenmomente der Gaststätte den Unfall wesentlich verursacht.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 6. April 1978). Der Weg zur Toilette habe nicht in Richtung auf den Ausgang der Gaststätte gelegen, so daß der Beigeladene im Unfallzeitpunkt die durch Einnahme des Mittagessens unterbrochene versicherte Tätigkeit noch nicht wieder aufgenommen gehabt habe. Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin 8.264,-- DM zu ersetzen (Urteil vom 25. Oktober 1978). Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Der Weg des Beigeladenen vom Speisesaal in den Schankraum habe bereits der Wiederaufnahme der durch das Mittagessen unterbrochenen geschäftlichen Tätigkeit gedient. Der Beigeladene habe nicht vorgehabt, noch einmal in den Speisesaal zurückzukehren. Die private Zweckbestimmung des Weges - Aufsuchen der Toilette - habe gegenüber der ursächlichen Verknüpfung des Weges mit der geschäftlichen Verrichtung als rechtlich unwesentlich unberücksichtigt zu bleiben. Der Beigeladene habe sich sinnvoll und zweckmäßig verhalten, als er sein Bedürfnis vor der Weiterfahrt verrichten wollte. Da der Versicherte nach ständiger Rechtsprechung auf der Betriebsstätte beim Aufsuchen der Toilette unter Versicherungsschutz stehe, sei eine andere rechtliche Beurteilung nicht gerechtfertigt, wenn der Versicherte auf einer Geschäftsreise in einer für ihn fremden Umgebung eines Gasthauses auf dem Weg zur Toilette einen Unfall erleide.
Die Beklagte hat Revision eingelegt und trägt zur Begründung vor: Der Beigeladene habe im Unfallzeitpunkt entgegen der Auffassung des LSG nicht unter Versicherungsschutz gestanden. Zur Einnahme eines Mittagessens, folglich zu rein privaten Zwecken, habe der Beigeladene seine versicherte Tätigkeit unterbrochen. Die Unterbrechung habe mit dem Durchschreiten der Außenhaustür der Gaststätte begonnen und wäre erst mit dem Verlassen der Gaststätte durch diese Tür zum Zweck der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit beendet worden.
Die Beklagte beantragt,
unter Änderung des angefochtenen Urteils die
Berufung der Klägerin gegen das Urteil des
Sozialgerichts Hamburg vom 6. April 1978
zurückzuweisen,
hilfsweise
Zurückverweisung an das Landessozialgericht.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.
Der Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
. Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Das LSG hat zu Recht entschieden, daß die Beklagte gemäß § 1504 Abs 1 RVO verpflichtet ist, der Klägerin die - der Höhe nach feststehenden - Kosten zu ersetzen, die diese wegen der Folgen des Unfalls des Beigeladenen vom 25. Mai 1973 aufgewendet hat. Der Unfall war ein Arbeitsunfall (§ 548 iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO).
Der Beigeladene befand sich nach den das Revisionsgericht bindenden im Urteil des LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen (§ 163 SGG) am Unfalltag im Rahmen seines Dienstverhältnisses als Angestellter im Außendienst auf einer Geschäftsreise und suchte nach voraufgegangenen Kundenbesuchen zum Mittagessen eine Gaststätte auf; nachdem er seine Mittagsmahlzeit beendet und den Speisesaal bereits zur Fortsetzung seiner geschäftlichen Tätigkeit verlassen hatte, ohne nochmals in den Speisesaal zurückkehren zu wollen, verunglückte er auf der zu den Toiletten des Gasthauses führenden Treppe. Bei diesem Sachverhalt hat das LSG im Ergebnis zutreffend angenommen, daß der Beigeladene einen Arbeitsunfall erlitten hat.
Das Verrichten der Notdurft gehört zwar zu den zahlreichen anderen Verrichtungen, ohne die eine ordnungsgemäße Arbeitstätigkeit nicht möglich ist, die aber trotzdem grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen sind (vgl zB BSG SozR Nr 45 zu § 543 RVO aF, vollständig abgedruckt in BG 1964, 252; BSG Urteile vom 31. Mai 1967 - 2 RU 218/64 -, vom 11. November 1971 - 2 RU 133/68 - und vom 30. November 1972 - 2 RU 169/71 -). Für das Aufsuchen der Toilette auf der Betriebsstätte hat die Rechtsprechung demgegenüber von jeher Versicherungsschutz angenommen, weil der Versicherte durch die Anwesenheit auf der Betriebsstätte gezwungen ist, seine Notdurft an einem anderen Ort zu verrichten, als er dies von seinem häuslichen Bereich aus getan haben würde (vgl ua BSGE 16, 73, 76; BSG BG 1964, 252; BSG Urteile vom 31. Mai 1967 - 2 RU 218/64 -, vom 11. November 1971 - 2 RU 133/68 - und vom 12. Oktober 1973 - 2 RU 190/72 -; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-9. Aufl, S 481 i mwN). Die Erwägungen, die dazu geführt haben, den Versicherungsschutz auf Wegen zum Verrichten einer Notdurft auf der Betriebsstätte, auf Betriebswegen oder auf Wegen nach und von der Arbeitsstätte zu bejahen, treffen auch im vorliegenden Fall zu. Der Beigeladene war, weil er auf einer Geschäftsreise unterwegs war, beim Auftreten eines Bedürfnisses zur Verrichtung der Notdurft gezwungen, einen anderen Ort als im Rahmen seines häuslichen Bereichs aufzusuchen. Für den Versicherungsschutz hierbei ist es nicht entscheidend, ob der Beigeladene erst die Außentür des Restaurants durchschritten hätte und ggf zu seinem PKW gegangen, aber noch einmal in das Restaurant zurückgegangen wäre, oder ob er die Toilette - ohne zusätzlichen Weg - noch vor dem Verlassen des Restaurants aufgesucht hat. Der Kausalzusammenhang zwischen dem Zurücklegen des Weges zur Toilette und der versicherten Tätigkeit ist daher entgegen der Auffassung der Revision nicht deshalb zu verneinen, weil sich der Beigeladene - nach Beendigung seiner Mittagsmahlzeit - noch in der Gaststätte befand. Die Nahrungsaufnahme selbst ist zwar im allgemeinen eine zumindest überwiegend dem privaten unversicherten Bereich zuzurechnende Tätigkeit (s ua Brackmann aaO, S 481 b ff; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung 3. Aufl, Anm 47 zu § 548 - jeweils mit weiteren Nachweisen). Der Weg vom Ort der Tätigkeit zu der Stelle, an der während der Arbeitszeit das Essen eingenommen wird, ist jedoch wesentlich durch die versicherte Tätigkeit bedingt; für die Beendigung bzw das Wiederaufleben des Versicherungsschutzes wird insoweit das Durchschreiten der Außentür des Hauses, in dem die zum Essen aufgesuchte Wohnung oder zB die Gaststätte liegt, als maßgebend angesehen (s Brackmann aaO S 486 h I und II). Bei Unfällen, die ein Versicherter in einem Hotel oder einem Gasthaus während einer Dienstreise erleidet, läßt sich dagegen die Abgrenzung zwischen der privaten und der betrieblichen Sphäre von vornherein nicht unter dem Gesichtspunkt vornehmen, wo sich der Reisende im Zeitpunkt der unfallbringenden Tätigkeit gerade befand (s zum Hotelaufenthalt BSGE 8, 48, 51; BSG SozR Nr 17 und 57 zu § 542 RVO aF; Brackmann aaO S 481 u mwN), zumal da der Reisende auch während des Aufenthalts im Hotel oder in der Gaststätte dienstlich tätig werden kann (zB Anfertigen von Berichten über geschäftliche Handlungen, Ordnen von Arbeitsunterlagen, Ferngespräche).
Der Umstand, daß der Beigeladene während seines Aufenthalts am Ort der Dienstreise nicht Übernachtungsgast in dem Gasthaus war, sondern lediglich den Speisesaal aufgesucht hatte, schließt die Anwendung der Grundsätze, die zum Versicherungsschutz auf Dienstreisen bei Unfällen, die sich im Hotel oder in einem Gasthaus ereignen, nicht aus (BSG BG 1964, 373). Da somit auch im vorliegenden Fall die Außenhaustür des Gasthauses nicht als Abgrenzungsmerkmal anzusehen ist, läßt sich mit der von der Revision vorgetragenen Begründung der Versicherungsschutz nicht verneinen. Der Zweck des unfallbringenden Weges und die Notwendigkeit, diesen Weg wegen des betriebsbedingten Aufenthalts am auswärtigen Ort zurückzulegen, stellen die erforderliche wesentliche Beziehung zur versicherten Tätigkeit her.
Die Revision ist danach zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen