Leitsatz (redaktionell)
Eine versicherungsrechtlich erhebliche Lösung von einem früheren Beruf ist anzunehmen, wenn der Versicherte ausschließlich aus betrieblichen Gründen seinen Beruf wechseln muß und er sich sofort oder zumindest im Laufe der Zeit damit abfindet. Die auf Veranlassung des Arbeitgebers erfolgte Herausnahme aus dem bisherigen, nach dem Gesundheitszustand des Versicherten noch möglichen Beruf (hier Hauer) mit der Anordnung, künftig eine andere Tätigkeit (hier Schießmeister) zu verrichten, hat daher rechtlich den Verlust des bisherigen Berufs (hier Hauer) als Hauptberuf zur Folge.
Für die Bestimmung des Hauptberufs kommt es nur auf die tatsächlich verrichtete Tätigkeit und deren tarifliche Einstufung an. Die Gewährung einer Prämie neben dem Tariflohn des Schießmeisters ist insoweit unerheblich und bedingt nicht, den Versicherten als Hauer zu behandeln.
Normenkette
RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RKG § 46 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. März 1964 und des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 13. Januar 1961 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander Kosten des Verfahrens nicht zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist, ob dem Kläger Anspruch auf Gewährung von Knappschaftsrente a.R. zusteht.
Der am ... 1905 geborene Kläger war vom 3. Mai 1920 bis zum 9. Oktober 1921 als Bergeklauber, vom 10. Oktober 1921 bis zum 7. April 1927 als Schlepper im Schichtlohn, vom 8. April 1927 bis zum 7. April 1929 als Gedingeschlepper und vom 8. April 1929 bis zum 12. Februar 1930 als Lehrhauer beschäftigt. Vom 16. Februar 1930 bis zum 21.Februar 1937 war er arbeitslos. Vom 22. Februar 1937 bis zum 31. Oktober 1938 war der Kläger wieder als Lehrhauer, vom 1. November 1938 bis zum 20. März 1945 und vom 8. Oktober 1945 bis zum 31. Mai 1946 als Hauer tätig. Aus betrieblichen Gründen wurde er vom 1. Juni 1946 bis zum 3. Februar 1951 als Schießmeister ohne Sonderausbildung beschäftigt, war allerdings zwischendurch im Januar und Februar 1948 Ortsältester, vom 1. März 1948 bis zum 26. April 1948 Hauer und vom 1. Mai 1948 bis zum 24. Juli 1948 wieder Ortsältester. Am 4. Februar 1951 mußte er aus gesundheitlichen Gründen die Tätigkeit als Schießmeister aufgeben und war bis zum 31. August 1956 als Grubenlokomotivführer und ab 1. September 1956 als Anschläger tätig.
Der Kläger beantragte am 2. November 1956 die Gewährung von Knappschaftsrente alten Rechts (a.R.). Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 4. Mai 1959 mit der Begründung ab, der Kläger sei, ausgehend von der Tätigkeit eines Schießmeisters ohne Sonderausbildung, weder berufsunfähig nach § 35 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) aF noch vermindert bergmännisch berufsfähig nach § 45 RKG nF. Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den gegen diesen Bescheid gerichteten Widerspruch des Klägers zurück.
Ab 1. Mai 1957 bezieht der Kläger Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte durch Urteil vom 13. Januar 1961 unter Aufhebung dieser Bescheide verurteilt, dem Kläger ab 1. Dezember 1956 die Knappschaftsrente a.R. nach § 35 RKG aF zu gewähren.
Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 19. März 1964 die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen und hat die Revision zugelassen. Es ist der Auffassung, daß das SG die Beklagte zu Recht zur Gewährung der Knappschaftsrente a.R. für die Zeit ab 1. Dezember 1956 verurteilt hat. Mit dem SG ist das LSG der Ansicht, daß der Kläger seit diesem Zeitpunkt berufsunfähig nach § 35 RKG aF ist. "Bisher verrichtete knappschaftliche Tätigkeit" des Klägers sei die Hauertätigkeit. Der Kläger habe sich nicht freiwillig von dieser Tätigkeit gelöst. Er sei zwar in der Zeit vom 10. Juli 1946 bis zum Dezember 1950 überwiegend als Schießmeister ohne Sonderausbildung beschäftigt gewesen. Der Berufswechsel vom Hauer zum Schießmeister sei jedoch nicht auf eigenen Wunsch erfolgt, vielmehr hätten betriebliche Notwendigkeiten, nämlich der Mangel an Schießmeistern, zum Berufswechsel geführt. Der Wille des Klägers, Hauer zu bleiben und zu dieser Tätigkeit zurückzukehren, gehe schon daraus hervor, daß er zwischenzeitlich auch noch als Hauer und Ortsältester gearbeitet habe. Seit 1951 sei der Kläger gesundheitlich nicht mehr in der Lage, als Hauer und Schießmeister zu arbeiten.
Gehe man von der Hauertätigkeit aus, so sei der Kläger seit Antragstellung berufsunfähig im Sinne des § 35 RKG aF. Denn er sei allenfalls noch in der Lage gewesen, Arbeiten der Lohngruppe II unter Tage und geringer entlohnte Untertagetätigkeiten zu verrichten. Diese Tätigkeiten seien der früheren Hauertätigkeit aber nicht im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig. Die im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertigen Tätigkeiten der Lohngruppen Ia und I über Tage mit Zuschlag habe der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verrichten können.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt. Sie rügt die unrichtige Anwendung des § 35 RKG aF. Das Berufungsgericht habe zu Unrecht angenommen, daß als "bisher verrichtete knappschaftliche Tätigkeit" im Sinne des § 35 RKG aF die Hauertätigkeit anzusehen sei. Die Ansicht, der Übergang von der Hauertätigkeit zur Schießmeistertätigkeit sei aus zwingenden Gründen erfolgt, so daß eine Lösung von dem Hauerberuf nicht vorliege, sei unzutreffend. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei der Wechsel vom Hauer zum Schießmeister aus betrieblichen Gründen erfolgt. Damit habe sich der Kläger aber von der Hauertätigkeit gelöst. Jede Aufgabe einer Tätigkeit mit dem Willen, die alte Tätigkeit nicht mehr auszuüben, bedeute grundsätzlich eine Lösung von der alten Tätigkeit. Hierbei komme es nicht allein auf den Willen des Versicherten im Zeitpunkt des Arbeitsplatzwechsels, sondern auch auf seinen späteren Willen an. Selbst wenn der Arbeitsplatzwechsel ausschließlich betrieblich bedingt sei, sei eine Lösung in dem vorstehenden Sinne anzunehmen, wenn sich der Versicherte später mit der neuen Tätigkeit abgefunden hat, da dann zumindest in diesem späteren Zeitpunkt eine Lösung von der ursprünglichen Tätigkeit eingetreten sei. Der Kläger habe sich tatsächlich mit seiner neuen Tätigkeit als Schießmeister abgefunden. Obwohl gesundheitliche Gründe bis 1951 einer Wiederaufnahme der Hauertätigkeit nicht entgegengestanden hätten, habe der Kläger nie versucht, wieder in die alte Arbeit zu kommen. Daß dies jedoch durchaus möglich gewesen wäre, beweise die Arbeitsauskunft der Gewerkschaft Auguste Victoria vom 17. Dezember 1963, wonach der Kläger von Januar bis Juli 1948 wieder Hauer gewesen sei. Es sei nicht erkennbar, daß der Kläger sich um Arbeitsgelegenheiten als Hauer bemüht habe. Der erneute Übergang zur Schießmeistertätigkeit im Juli 1948 zeige vielmehr, daß diese Beschäftigung nicht gegen seinen ausdrücklichen Willen erfolgt sei. Wenn auch der Wechsel vom Hauer zum Schießmeister im Juli 1946 eine betriebliche Notwendigkeit gewesen sein möge, so sei doch spätestens im Juli 1948 eine Lösung von der Hauertätigkeit eingetreten, da der Kläger sich zumindest von diesem Zeitpunkt an mit seiner neuen Tätigkeit als Schießmeister abgefunden habe. Der erst im Jahre 1951 festgestellte Abfall der körperlichen Leistungsfähigkeit, der schließlich zur Aufgabe der Schießmeistertätigkeit geführt habe, sei auf den früheren Berufswechsel vom Hauer zum Schießmeister ohne Einfluß. Ausgehend von der Tätigkeit als Schießmeister ohne Sonderausbildung, seien die dem Kläger während der streitigen Zeit noch zumutbar gewesenen Arbeiten der Lohngruppen II und III unter Tage, z.B. als Anschläger an Blindschächten mit regelmäßiger Seilfahrt, 2. Schachtanschläger, Ausbauhelfer u.ä., sowohl im wesentlichen gleichartig als auch wirtschaftlich gleichwertig. Dem Kläger stehe daher die Knappschaftsrente a.R. nicht zu.
Sie beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 19. März 1964 und das Urteil des SG Gelsenkirchen vom 13. Januar 1961 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Er habe der Beklagten im November 1963 sein Arbeitsbuch überreicht. Aus diesem gehe hervor, daß ihm alle früheren Arbeitszeiten, insbesondere auch diejenigen seiner Schießmeistertätigkeit, als Hauertätigkeit bescheinigt worden seien; von einer Beschäftigung als Schießmeister stehe in dem Arbeitsbuch nichts. Auch in der Zeit von 1941 bis zum Kriegsende sei er als Schießmeister eingesetzt, aber auch während dieses Zeitraums immer als Hauer geführt worden. Er habe seit November 1950 die Hauertätigkeit nicht mehr verrichten können. Bis Februar 1951 habe er krankgefeiert und sei danach als Grubenlokführer beschäftigt worden, da ihm der Arzt eine andere Arbeit untersagt habe. Er sei nicht freiwillig von der Hauertätigkeit zur Schießmeistertätigkeit übergegangen. Er habe sich nicht darum bemüht, von seinem erlernten Hauerberuf zur Schießmeistertätigkeit zu kommen. Die Zeche habe ihn vielmehr aus kriegs- und nachkriegsbedingten Gründen und in ihrem eigenen Interesse veranlaßt, Schießmeister zu werden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen hat der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer - zum 1. Januar 1957 umzustellenden - Knappschaftsrente nach § 3 der Verordnung über die Neuregelung der Rentenversicherung im Bergbau vom 4. Oktober 1942 (RGBl I 569) für die Zeit ab 1. Dezember 1956. Denn er war vor dem 1. Januar 1957 nicht berufsunfähig nach § 35 RKG aF (vgl. dazu SozR Nr. 25 zu § 35 RKG aF).
Dem Berufungsgericht kann nicht gefolgt werden, wenn es den Hauerberuf als Hauptberuf des Klägers ansieht. Denn von diesem Beruf hat sich der Kläger gelöst, ohne aus gesundheitlichen Gründen hierzu gezwungen gewesen zu sein. Es ist zwar richtig, daß der Kläger die Hauertätigkeit nicht freiwillig aufgegeben hat. Er ist vielmehr von seinem damaligen Arbeitgeber veranlaßt worden, die Tätigkeit eines Schießmeisters zu übernehmen, weil zu jener Zeit Mangel an Schießmeistern herrschte. Für das Versicherungsverhältnis ist es aber grundsätzlich unerheblich, aus welchem Grunde eine Lösung von dem bisherigen Beruf erfolgt; es genügt die Tatsache der Lösung. Nach Aufgabe einer Tätigkeit ist nicht mehr die Fähigkeit, diese Tätigkeit und die dieser im wesentlichen gleichartigen und wirtschaftlich gleichwertigen Tätigkeiten zu verrichten, Gegenstand der Versicherung, sondern nur noch die Fähigkeit, die neue Tätigkeit und die dieser im wesentlichen gleichartigen und wirtschaftlich gleichwertigen Tätigkeiten zu verrichten. Nur wenn der Versicherte aus gesundheitlichen Gründen gezwungen ist, eine Tätigkeit aufzugeben, bleibt die aufgegebene Tätigkeit Hauptberuf des Versicherten, weil dann Umstände zu der Lösung geführt haben, für welche die Versicherung gerade einzutreten hat (BSG 2, 183; SozR Nr. 1 zu § 35 RKG aF). Eine versicherungsrechtlich erhebliche Lösung von einem früheren Beruf ist daher auch dann anzunehmen, wenn der Versicherte ausschließlich aus betrieblichen Gründen seinen Beruf wechseln muß und er sich sofort oder zumindest im Laufe der Zeit damit abfindet (SozR Nr. 16 zu § 35 RKG aF). Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Kläger ist zwar auf Veranlassung seines Arbeitgebers aus dem Hauerberuf herausgenommen worden, er hat sich aber - jedenfalls im Laufe der Zeit - mit diesem Berufswechsel abgefunden. Es kann dahinstehen, ob der Kläger im Jahre 1946 mit diesem Berufswechsel einverstanden war oder nicht. Ebenso kann dahinstehen, ob, wie das Berufungsgericht meint, aus dem Umstand, daß der Kläger im Jahre 1948 noch mehrmals für jeweils kürzere Zeit als Hauer bzw. als Ortsältester gearbeitet hat, geschlossen werden kann, daß er wieder in seinem alten Beruf zurückkehren wollte. Denn jedenfalls ist er von 1948 bis zum Jahre 1951 Schießmeister geblieben, so daß angenommen werden muß, daß er sich zumindest nach 1948 von dem Hauerberuf gelöst hat. Sollte er sich auch im Jahre 1948 noch nicht mit dem Berufswechsel abgefunden haben, so muß doch angesichts der inzwischen abgelaufenen Zeit angenommen werden, daß dies jedenfalls noch vor dem Zeitpunkt, in welchem er Ende 1950/Anfang 1951 aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage war, die Tätigkeit des Hauers auszuüben, der Fall war. Das aber genügt um anzunehmen, daß der Hauerberuf nicht der Hauptberuf des Klägers ist. Der Umstand, daß der Kläger für seine Tätigkeit als Schießmeister neben dem Tariflohn der Lohngruppe I unter Tage des Tarifvertrags für den rheinischwestfälischen Steinkohlenbergbau noch eine Prämie erhalten hat, spielt entgegen der Ansicht des Klägers für die Frage, welches sein Hauptberuf ist, keine Rolle. Denn insofern kommt es nur auf die tarifliche Einstufung an. Ebensowenig ist der Vermerk in dem Arbeitsbuch des Klägers von Bedeutung, daß er auch in der Zeit von 1946 bis 1951 Hauer gewesen sei. Es kann dahinstehen, wie es zu dieser Eintragung gekommen ist. Denn jedenfalls entspricht sie nicht den Tatsachen, da der Kläger, wie er selbst nicht bestreitet, während dieser Zeit von der Zeche als Schießmeister ohne Sonderausbildung geführt worden ist, als solcher tätig gewesen ist und tariflich in Lohngruppe I unter Tage des Tarifvertrags für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau eingestuft worden ist. Das allein ist aber ausschlaggebend. Da die Eintragung in das Arbeitsbuch durch den Arbeitgeber erfolgt ist, kann aus dieser Eintragung auch nicht, wie der Kläger meint, auf seinen Willen, den Hauerberuf wieder zu ergreifen, geschlossen werden. Als Hauptberuf des Klägers ist daher nicht der Beruf des Hauers, sondern der des Schießmeisters ohne Sonderausbildung anzusehen.
Ausgehend von dieser Tätigkeit, die nach Lohngruppe I unter Tage der für diese Zeit gültigen Lohnordnung für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau entlohnt wurde, kann der Kläger jedenfalls noch auf einige Tätigkeiten der Lohngruppe II unter Tage, die er nach den nicht angegriffenen, auf ärztlichen Gutachten beruhenden Feststellungen des Berufungsgerichts noch verrichten kann, verwiesen werden. Denn jedenfalls einige der Tätigkeiten der Lohngruppe II unter Tage sind der Tätigkeit des Schießmeisters ohne Sonderausbildung im wesentlichen gleichartig und wirtschaftlich gleichwertig im Sinne des § 35 RKG aF. Der Kläger war daher vor dem 1. Januar 1957 nicht berufsunfähig.
Hieraus folgt ferner, daß der Kläger auch während der Zeit vom 1. Januar bis zum 30. April 1957, während welcher noch der alte Berufsunfähigkeitsbegriff des § 35 RKG aF maßgebend war (SozR Nr. 11 zu § 45 RKG), nicht berufsunfähig gewesen ist.
Da die Revision der Beklagten begründet ist, werden das angefochtene Urteil und das Urteil des SG Gelsenkirchen vom 13. Januar 1961 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen