Leitsatz (amtlich)

1. Sollen Versicherte mit landkrankenkassenpflichtiger Beschäftigung (RVO § 235) aus einer Allgemeinen Ortskrankenkasse, der sie bisher angehörten, ausgeschieden und auf eine für diese Versicherten bisher örtlich nicht zuständige Landkrankenkasse (LKK) überführt werden, so muß der Zuständigkeitsbereich dieser LKK wirksam auf diesen Bezirk erstreckt werden. Die Erweiterung des Zuständigkeitsbereichs richtet sich nach den Vorschriften über die Errichtung einer LKK.

2. Die Erweiterung des Zuständigkeitsbereichs einer LKK durch das Oberversicherungsamt (RVO § 233 Abs 2) ohne vorausgegangenen Errichtungsbeschluß des Gemeindeverbandes (RVO § 231 Abs 1) ist jedenfalls dann zulässig, wenn der Gemeindeverband die Erweiterung der Kassenzuständigkeit abgelehnt hat und der gesetzliche Auftrag zur Begründung der Zuständigkeit einer LKK nur durch die Erweiterung der Zuständigkeit einer bestehenden LKK erfüllt werden kann.

3. Für die Erstreckung der Zuständigkeit einer LKK auf einen Bezirk, für den eine LKK bisher nicht zuständig war, aber kraft Gesetzes errichtet werden muß, ist die Zustimmung der beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer nach RVO § 225a nicht erforderlich.

 

Normenkette

RVO § 233 Abs. 2 Fassung: 1924-12-15, § 235 Abs. 1 Fassung: 1924-12-15, § 225a Fassung: 1930-07-26, § 231 Abs. 1 Fassung: 1924-12-15

 

Tenor

Auf die Revisionen des beklagten Oberversicherungsamts und der beigeladenen Landkrankenkasse werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. September 1959 und des Sozialgerichts Dortmund vom 14. März 1957 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Im Jahre 1944 wurden die Landkrankenkassen ( LKK'n ) für die Städte D und H sowie für die Landkreise B, M, S und U zu der LKK für den Bezirk des Oberversicherungsamts (OVA) D in S, der jetzt beigeladenen LKK für den Regierungsbezirk A in S vereinigt. Die bei der Vereinigung untergegangene LKK des Kreises S hatte die Städte S und W nicht umfaßt.

Die im Jahre 1948 neu aufgestellte Satzung der beigeladenen LKK führte als räumlichen Geltungsbereich u. a. den Landkreis S ohne die in der Satzung der früheren LKK für den Kreis S enthaltene Einschränkung "ohne die Städte S und W" auf. Das frühere OVA D hat diese Satzung genehmigt.

Im Februar 1953 beantragte der Verband der LKK'n für Westfalen und Lippe namens der beigeladenen LKK beim Versicherungsamt (VA) des Kreises S, diejenigen Mitglieder der klagenden Ortskrankenkasse (OKK) auszuscheiden und auf die beigeladene LKK zu überführen, die in den Städten S und W eine landkrankenkassenpflichtige Beschäftigung ausüben. Für den Fall der Ausscheidung verzichtete die beigeladene LKK auf eine Vermögensauseinandersetzung.

Das VA hörte die Beteiligten. Die klagende OKK hielt die beantragte Ausscheidung und Überführung ihrer Mitglieder für unzulässig, solange nicht die beteiligten Gemeindeverbände die Ausscheidung beschlossen hätten, da dieser Vorgang der Errichtung "kategorial gleich" zu achten sei (vgl. § 231 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung - RVO -); außerdem müsse, wenn auch "in abgeschwächter Form", § 225 a RVO beachtet werden, wonach die Mehrheit der abstimmenden beteiligten Arbeitgeber und der abstimmenden beteiligten volljährigen Arbeitnehmer zustimmen müsse. Die Stadtgemeinde S erklärte, sie sei an der beantragten Veränderung nicht interessiert, da die klagende OKK für ausreichende Leistungen bekannt sei. Die Stadtgemeinde W lehnte es ab, sich für den Antrag der beigeladenen LKK auszusprechen, weil der bisherige Zustand für Versicherte und Stadt zweckmäßig sei. Hingegen sprachen sich der Unterbezirk S der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft sowie der Kreisverband S des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes für den Antrag der beigeladenen LKK aus. In einer Resolution vom 12. Februar 1954 faßten "die anwesenden Bauern und Landwirte der Stadt W" und in einer anderen Versammlung des landwirtschaftlichen Ortsvereins S "die Bauern und Landwirte der Stadt S" einstimmig Beschlüsse, mit denen sie sich gleichfalls für die Überführung der landkrankenkassenpflichtigen Mitglieder auf die beigeladene LKK einsetzten.

Am 10. September 1954 entschied das beklagte OVA wie folgt:

"Die bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse des Kreises S Versicherten, die in den Städten S und W eine dem § 235 RVO entsprechende Beschäftigung ausüben, werden mit Wirkung vom 1.10.1954 aus dem Mitgliederbestand der Allgemeinen Ortskrankenkasse des Kreises S ausgeschieden und in die Landkrankenkasse für den Bezirk des früheren Oberversicherungsamtes D in S überführt".

In den Gründen führt es aus: Nachdem infolge der Auflösung der Versicherungsämter der Städte S und W zwangsläufig der Bezirk der früheren LKK des Kreises S auch die beiden Städte erfaßt habe und nachdem dies in der Satzung der neuen LKK festgestellt worden sei, gehörten die landkrankenkassenpflichtigen Beschäftigten in den Städten S und W kraft Gesetzes zur LKK. Dem Ausscheidungsbegehren, das der Erhaltung und Förderung berufsständischer Krankenkassen diene, müsse daher entsprochen werden, und zwar gemäß den berechtigten Wünschen der beteiligten Versicherten und Arbeitgeber. Durch den bisherigen Zustand seien die klaren Grenzen der Kassenzuständigkeit, die sich aus § 235 RVO ergäben, erheblich verwischt worden. Die Ausscheidung, die insbesondere dann erforderlich sei, wenn eine andere Abgrenzung des Verwaltungsbezirks den Kassenbezirk berühre, entspreche der Zweckmäßigkeit und verschaffe dem Gesetz Geltung. Der Antrag sei auch nicht verspätet gestellt worden, weil er innerhalb der letzten 20 Jahre wiederholt aus zeitbedingten Gründen nicht hätte verwirklicht werden können. Die Leistungen der LKK seien denen der AOK S gleichwertig, und der Bestand der AOK werde durch die Ausscheidung nicht gefährdet.

Mit der Klage vor dem Sozialgericht (SG) hat die klagende OKK beantragt,

den Beschluß des beklagten OVA vom 10. September 1954 aufzuheben.

Sie ist der Auffassung, der Bezirk der beigeladenen LKK erstrecke sich ebenso wie derjenige ihrer Rechtsvorgängerin nicht auf die Städte S und W. Sowohl der Name der Kasse wie die Satzungsbestimmung über den Kassenbereich seien unrichtig und nicht etwa rechtsbegründend. Die LKK hätte ihre Grenze nicht kraft eigener Autonomie verändern können. Der Bezirk einer Orts- oder Landkrankenkasse brauche sich nicht notwendig mit dem eines Versicherungsamts zu decken. Mit der Änderung des Versicherungsamtsbereiches hätte sich nicht automatisch der Kassenbezirk verändert. Der Kassenbereich, der durch den Errichtungsakt festgelegt worden sei, könne nicht allein nach dem Ermessen des OVA, sondern nur auf Grund gesetzlicher Ermächtigung, die hier fehle, verändert werden. Da nach § 231 RVO Landkrankenkassen von Gemeindeverbänden errichtet würden, müsse auch bei einer Ausscheidung und Überführung, die einer Errichtung gleichkämen, der zuständige Gemeindeverband mitwirken, weil er sonst gegen seinen Willen zur Mitträgerschaft gezwungen werden könnte. Ebenso müßten die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer zustimmen. Die Stellungnahmen der Gewerkschaft und des Landwirtschaftsverbandes genügten dafür nicht, zumal von 630 Versicherten, die in Soest und Werl überführt werden sollten, 500 Hausangestellte seien. Vorher hätten auch alle betroffenen Arbeitgeber und Versicherten über Beiträge und Leistungen der beigeladenen LKK aufgeklärt werden müssen.

Das beklagte OVA hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es hat ergänzend vorgetragen: Da die Ausscheidung für den vorliegenden Fall nicht geregelt sei, hätte sie nach pflichtgemäßem Ermessen angeordnet werden dürfen. Sie habe nämlich einen Zustand herbeigeführt, der nach dem Gesetz bestehen solle, dessen Eintritt aber allein durch die abweichende Abgrenzung des Versicherungsamtsbezirks zur Zeit der Errichtung verhindert worden sei. Da es sich lediglich um eine Grenzberichtigung und nicht um eine versteckte Erweiterung des Kassenbereiches gehandelt habe, hätten weder die Gemeindeverbände noch die Arbeitgeber, noch die Versicherten zustimmen müssen.

Die beigeladene LKK hat ebenfalls beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die Satzungsgenehmigung des beklagten OVA habe konstitutiv gewirkt. Die Errichtungsvorschriften könnten für das hier zulässige Ausscheidungsverfahren nicht gelten. Deshalb hätten die Städte Soest und Werl nicht zuzustimmen brauchen. Ebensowenig sei es erforderlich gewesen, die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu befragen; immerhin sei dies auch weitgehend geschehen. Das OVA hätte die beantragte Maßnahme durchführen müssen, weil seit der Genehmigung der geänderten Satzung der LKK ein gesetzeswidriger Zustand bestanden habe.

Mit Urteil vom 14. März 1957 hat das SG die angefochtene Entscheidung aufgehoben. Das beklagte OVA und die beigeladene LKK haben gegen dieses Urteil Berufung eingelegt.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufungen zurückgewiesen; die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 29. September 1959). Nach seiner Auffassung durfte das beklagte OVA weder die landkrankenkassenpflichtigen Beschäftigten der klagenden OKK in den Städten S und W der beigeladenen LKK als der bereits zuständigen Krankenkasse zuführen noch den Zuständigkeitsbereich dieser Kasse auf den Kreis der genannten Versicherten ausdehnen. Hierfür habe es an einer Rechtsgrundlage gefehlt. Der Kassenbezirk der LKK S - später in der beigeladenen LKK aufgegangen - sei durch die Aufhebung der städtischen Versicherungsämter in S und W und die dadurch bedingte Erweiterung der Zuständigkeitsbereiche der Kreis-Versicherungsämter auf diese Städte nicht seinerseits in dem Sinne verändert worden, daß er sich nunmehr auf die Städte S und W erstreckte. Ebensowenig hätte die vom beklagten OVA genehmigte Änderung der Satzung der beigeladenen LKK im Jahre 1948 eine Ausdehnung des Kassenbezirks auf die Städte Soest und Werl zur Folge gehabt; denn die Satzung dürfe nichts Gesetzwidriges bestimmen. Ohne die Mitwirkung der am Errichtungs- oder Vereinigungsverfahren Beteiligten hätte der Kassenbezirk aber nicht erweitert werden können. Dazu wäre der Beschluß des Gemeindeverbandes nach § 231 RVO und die Zustimmung der Mehrheit der abstimmenden beteiligten Arbeitgeber und der Mehrheit der abstimmenden beteiligten volljährigen Arbeitnehmer nach § 225 a RVO erforderlich gewesen. Hiervon läge im vorliegenden Streitfall nichts vor. Da somit eine den gesetzlichen Vorschriften entsprechende Ausdehnung des Kassenbezirks der beigeladenen LKK auf die Städte S und W nicht stattgefunden habe, fehle es an der entscheidenden Voraussetzung für die Ausscheidung und Überführung der landkrankenkassenpflichtigen Versicherten in den Städten Soest und Werl.

Gegen dieses Urteil haben das beklagte OVA und die beigeladene LKK Revision eingelegt mit dem Antrage,

das angefochtene Urteil und das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Das beklagte OVA macht geltend, das LSG habe im angefochtenen Urteil die Befugnisse des OVA zur Organisationsänderung bei Gebietskassen (Orts- und Landkrankenkassen) durch Ausscheidung verkannt. Richtig sei zwar, daß die im Jahre 1931 erfolgte Auflösung der städtischen Versicherungsämter Soest und Werl keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Organisation der bestehenden Bezirkskassen gehabt habe. Der Zuständigkeitsbereich der klagenden OKK habe sich somit zunächst weiter auf die landkrankenkassenpflichtigen Beschäftigten in den Städten Soest und Werl erstreckt. Jedoch habe das OVA in einem solchen Falle die Zweckmäßigkeit und Angemessenheit einer Ausscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, wobei auf die Herbeiführung des von der RVO vorgesehenen Regelzustandes (§§ 226, 235 RVO) Bedacht zu nehmen sei. Demnach sei die angefochtene Aufsichtsanordnung zu Recht ergangen.

Die beigeladene LKK rügt in verfahrensrechtlicher Hinsicht, das LSG habe seiner Aufklärungspflicht insofern nicht genügt, als es nicht die Frage behandelt habe, ob nicht bereits in einer älteren Satzung der beigeladenen LKK - als der von 1948 - der Kassenbezirk auf die Städte S und Werl erstreckt worden sei. Tatsächlich sei - mit Genehmigung des OVA D - bereits in der vom 1. Januar 1945 an gültigen Satzung der durch Vereinigung mehrerer LKK'n entstandenen, jetzt beigeladenen LKK'n bestimmt worden, daß der Kreis Soest - ohne Einschränkung - zum Kassenbezirk gehöre (§ 1 Abs. 1 der Satzung). Diese Erweiterung des Zuständigkeitsbereiches der beigeladenen LKK sei durch die dem OVA erteilten weitgehenden Ermächtigungen der "Bestimmungen über die Vereinigung von Landkrankenkassen" (Erlaß des RAM v. 6. Oktober 1944, AN S. 284 f.) gedeckt. - Materiell-rechtlich rügt die beigeladene LKK die Nichtanwendung des § 298 Abs. 1 Nr. 1 RVO. Wenn auch in der RVO Vorschriften darüber fehlten, wann eine Ausscheidung notwendig oder zweckmäßig sei, so habe sich doch ein Gewohnheitsrecht entwickelt dahingehend, daß die Oberversicherungsämter nach freiem Ermessen über die Ausscheidung zu befinden hätten. Die in der Entscheidung BSG 7, 169 vom Bundessozialgericht entwickelten Grundsätze über den Anschluß von Innungen an eine Innungskrankenkasse seien im vorliegenden Fall unanwendbar; denn für LKK'n als Gebietskassen seien, was die Errichtung anbetreffe, grundsätzlich andere Vorschriften als für Bereichskassen (Betriebskrankenkassen und Innungskrankenkassen) anzuwenden.

Die klagende OKK hat beantragt,

die Revisionen zurückzuweisen.

Selbst wenn es zutreffen sollte, daß die Satzung der beigeladenen LKK bereits seit Januar 1945 bei der Festlegung des Kassenbezirks den Kreis S ohne einschränkenden Zusatz aufgeführt habe, folge daraus allein noch keine veränderte Rechtslage. Der Vorsitzende des OVA D habe nur vereinigen können, was er vorgefunden habe, d. h. im Kreise Soest die dortige LKK in ihrer damaligen Ausdehnung (ohne die Städte Soest und Werl). In dem Vereinigungsbeschluß vom 28. November 1944 sei nichts über eine gleichzeitige Erweiterung des Kassenbezirks der vereinigten LKK gesagt worden. Aus der Genehmigung der Satzung dieser LKK durch das OVA könne ebensowenig auf eine Rechtshandlung von solcher Tragweite geschlossen werden, wie sie eine Ausdehnung des Kassenbezirks darstelle. Die beigeladene LKK habe selbst diesen Schluß nicht gezogen, da sie sonst gegen die klagende OKK ein Verfahren nach § 258 Abs. 1 RVO angestrengt hätte. - Das beklagte OVA sei nicht berechtigt gewesen, die umstrittene Ausscheidung vorzunehmen. Zwar obliege dem OVA die Anordnung von Ausscheidungen, insbesondere auch bei Änderungen des Versicherungsamtsbezirks. Indessen sei in einem solchen Falle keineswegs immer eine Ausscheidung erforderlich. Nur wenn infolge der Änderung ein Zustand eintrete, der der Ordnung der RVO widerspreche - hierbei sei insbesondere an § 226 Abs. 2 RVO zu denken -, habe das OVA den regelwidrigen Zustand im Wege der Ausscheidung zu beseitigen. Dabei seien im vorliegenden Fall die Garantien zu berücksichtigen, die die RVO für den Fall der Errichtung einer LKK vorschreibe, insbesondere die Zustimmungen nach § 225 a RVO.

II

Die Revisionen sind begründet. Die angefochtene Aufsichtsanordnung des beklagten OVA ist rechtmäßig.

Mit seiner Entscheidung vom 10. September 1954 hatte das beklagte OVA verfügt, daß die bei der klagenden OKK Versicherten, die in den Städten Soest und Werl eine dem § 235 RVO entsprechende Beschäftigung ausüben, mit Wirkung vom 1. Oktober 1954 aus dem Mitgliederbestand dieser OKK ausgeschieden und auf die beigeladene LKK überführt werden. Der in dieser Aufsichtsanordnung verwandte Begriff der "Ausscheidung" wird in der RVO (§§ 264 ff.) mehrfach gebraucht und ersichtlich als eine Anordnung verstanden, die - wie die in diesem Zusammenhang mitgenannten Maßnahmen der "Vereinigung, Auflösung und Schließung" (vgl. die Überschrift des Unterabschnitts VII des Dritten Abschnitts des Zweiten Buchs der RVO und § 280 Satz 1 RVO) - in das Organisationsgefüge bestehender Krankenkassen eingreift. Sie kann den verschiedensten Zwecken dienen, wie schon die Aufzählung in § 298 Abs. 1 RVO zeigt. Doch ist dieser Katalog, der nur die Fälle erfaßt, in denen eine Auseinandersetzung zwischen den beteiligten Kassen stattzufinden hat, keineswegs erschöpfend; es gibt daneben noch weitere Fäll der Ausscheidung (RVA in EuM Bd. 15 S. 65, 66). Die RVO enthält keine Vorschriften darüber, unter welchen Voraussetzungen eine Ausscheidung Platz greifen kann oder soll; auch der formale, weitgespannte Begriff der Ausscheidung als solcher läßt nicht erkennen, unter welchen Voraussetzungen "Ausscheidungen" jeweils zulässig sind. Vielmehr bestimmen sich diese Voraussetzungen nach der Art der Organisationsänderung, die der Ausscheidungsmaßnahme zugrunde liegt. So hat der erkennende Senat bereits für den Fall des Ausscheidens einer neuen Kasse derselben Art aus einer bestehenden allgemeinen OKK entschieden, daß dieser Fall des Ausscheidens - Verselbständigung eines bisher unselbständigen Kassenteils zu einer neuen Kasse - sich nach Errichtungsgrundsätzen beurteilt, d. h. insbesondere der Zustimmung der Mehrheit der abstimmenden beteiligten Arbeitgeber und der Mehrheit der abstimmenden beteiligten volljährigen Arbeitnehmer nach § 225 a RVO bedarf (BSG 15, 264).

In diesem Sinne hat das LSG zutreffend die umstrittene Ausscheidungsanordnung des beklagten OVA als Maßnahme gewürdigt, durch die für Versicherte, die eine nach § 235 RVO landkrankenkassenpflichtige Beschäftigung ausüben und bisher nach § 237 Abs. 2 RVO der OKK angehörten, erstmals die Zuständigkeit einer LKK begründet werden sollte. Dem hier im Vordergrund stehenden Zweck - Überführung von Versicherten mit landkrankenkassenpflichtiger Beschäftigung auf "ihre" Kasse - hätte, wie das LSG richtig ausgeführt hat, grundsätzlich sowohl durch Errichtung neuer LKK'n in den fraglichen Bezirken (den Städten S und W) als auch durch Erweiterung des Kassenbezirks der beigeladenen LKK genügt werden können. Der erste Weg entfiel jedoch im vorliegenden Fall im Hinblick auf § 228 RVO, wonach neben der allgemeinen OKK keine LKK mit weniger als tausend Pflichtmitgliedern errichtet wird. So war der gegebene Weg für die Überführung der landkrankenkassenpflichtigen Versicherten in den Städten S und W auf eine LKK die Ausdehnung des Kassenbezirks der beigeladenen LKK auf die genannten Städte, die bisher als Enklaven des Kassenbezirks ausgespart gewesen waren. Der Sache nach aber ist diese Form der Ausscheidung der Errichtung einer neuen LKK gleichzusetzen.

Zu Unrecht hat sich das beklagte OVA der Prüfung, welchen Voraussetzungen die ihrem Wesen nach im vorliegenden Fall als Errichtungsvorgang zu deutende Ausscheidungsmaßnahme zu genügen hat, deshalb für enthoben erachtet, weil sich mit der Auflösung der Versicherungsämter in den Städten S und W im Jahre 1931 zwangsläufig der Bezirk der früheren LKK des Kreises S ausgedehnt habe. Hiernach hätte die angefochtene Aufsichtsanordnung des beklagten OVA nur einen schon ohnehin kraft Gesetzes bestehenden Zustand verdeutlicht. Veränderungen der Bezirke der Versicherungsämter lösen indessen keineswegs entsprechende Folgen bei den in diesen Bezirken bestehenden Kassen aus, sondern sind allenfalls - bei regelwidrigen Zuständen (vgl. § 226 Abs. 2 RVO) - Anlaß zu Ausscheidungsmaßnahmen des OVA (BayLVA in EuM Bd. 32 S. 393, 394). Im vorliegenden Fall führte die Auflösung der städtischen Versicherungsämter in Soest und Werl den vom Gesetz als Regel gedachten Zustand - hinsichtlich der Beschränkung des Kassenbezirks auf den Bezirk eines VA (§ 226 Abs. 2 RVO) - erst herbei; denn der Bezirk der klagenden OKK, der sich bisher über die Bezirke mehrerer Versicherungsämter erstreckt hatte, deckte sich nunmehr mit dem Bezirk des VA für den Kreis S, das nunmehr für den ganzen Kreis S zuständig geworden war. Wenn von der beigeladenen LKK und dem beklagten OVA dessen ungeachtet die Auflösung der städtischen Versicherungsämter S und W als der Grund für die angefochtene Ausscheidungsmaßnahme bezeichnet wird, so kann das nur so verstanden werden, daß damit die Bahn für die Überführung der landkrankenkassenpflichtigen Versicherten in Soest und Werl auf eine LKK frei wurde: Hatte bisher, solange die städtischen Versicherungsämter S und W bestanden, ein Antrag auf Errichtung entsprechend kleiner LKK'n keine Aussicht auf Erfolg gehabt, weil diese Kassen nicht mindestens 1000 Pflichtmitglieder gehabt hätten (vgl. § 228 RVO), so war dieses Hindernis mit der Einbeziehung der Städte S und W in den Bezirk des VA für den Kreis S weggefallen, da nunmehr die große LKK für den Kreis S und späterhin - nach der Vereinigung dieser Kasse mit anderen zur beigeladenen LKK - die noch größere beigeladene LKK zur Aufnahme der landkrankenkassenpflichtigen Versicherten in S und W bereitstanden.

Allerdings genügte es für die wirksame Erweiterung des Kassenbezirks nicht, daß die beigeladene LKK ihre Satzung entsprechend änderte (im Jahre 1948) oder, wie die beigeladene LKK in der Revisionsinstanz vorträgt, bereits in der 1944 für die vereinigte LKK erstmals aufgestellten Satzung den Kassenbezirk so festgelegt hatte. Der Vorsitzende des OVA konnte zwar nach dem Erlaß des Reichsarbeitsministers (RAM) vom 6. Oktober 1944 (AN 1944 S. 284) - abweichend von § 265 Abs. 4 RVO - LKK'n oder Teile von ihnen nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten vereinigen. Irrig ist aber die Auffassung der beigeladenen LKK, daß er dabei auch Korrekturen des Bezirks in dem Sinne vornehmen durfte, daß ein bisher zur OKK gehöriger Bezirk zu der vereinigten LKK geschlagen werden konnte. Für einen solchen Eingriff bot der genannte Erlaß keine Handhabe, zumal solche Umsetzungen von Mitgliedern von einer Kassenart auf die andere erfahrungsgemäß häufig Komplikationen auslösen und der in der letzten Phase des Krieges ergangene Erlaß nur eine Verwaltungsvereinfachung (s. auch den Folge-Erlaß vom gleichen Tage - AN 1944 S. 285) und nicht eine Bereinigung des Verhältnisses von OKK'n zu LKK'n anstrebte. Konnte somit der Erlaß vom 6. Oktober 1944 nicht die Erweiterung des Kassenbezirks der beigeladenen LKK rechtfertigen, so ist die Bestimmung der Satzung vom Jahre 1944, aus der sich die Erstreckung des Kassenbezirks auf die Städte S und W indirekt ergibt, nicht anders als die entsprechende vom Jahre 1948 zu beurteilen. Beide Satzungsbestimmungen sind unverbindlich, weil sie gegen zwingendes Recht verstoßen; denn die Satzungsautonomie von OKK'n und LKK'n erstreckt sich nicht auf Fragen ihres örtlichen Geltungsbereichs. Da die Erweiterung des Kassenbezirks einer LKK auf einen bisher noch nicht von einer LKK erfaßten Bezirk, wie bereits dargelegt, nach den Grundsätzen über die Errichtung von LKK'n zu beurteilen sind, bedurfte es für die Erweiterung des Kassenbezirks in erster Linie eines - hier nicht vorliegenden - Beschlusses des zuständigen Gemeindeverbandes (§ 231 Abs. 1 RVO). Dieser Mangel wurde nicht dadurch geheilt, daß das OVA die Satzungen genehmigt hat (vgl. RVA in Grunds. Entsch. Nr. 1918 - AN 1914, 768, Grunds. Entsch. Nr. 2024 - AN 1915, 517, 520 -, Grunds. Entsch. Nr. 2139 - AN 1916, 339; vgl. auch Peters, Handb. der Kr. V. 16. Aufl. § 324 Anm. 1 a). Zwar hätte das OVA die Erweiterung des Kassenbezirks der beigeordneten LKK - im Sinne einer Errichtung - anordnen (§ 232 RVO), notfalls selbst durchführen können (§ 233 Abs. 2 RVO). Das Errichtungsverfahren ist ein selbständiger Vorgang, der vom Satzungsverfahren - Errichtung der Satzung (§ 320 RVO) und ihre Genehmigung (§ 324 Abs. 1 RVO), im weiteren Sinne auch die bei Genehmigung der Satzung zu treffende Bestimmung, wann die Kasse ins Leben tritt (§ 324 Abs. 1 Satz 2 RVO) - deutlich unterschieden ist (vgl. Begründung zum Entwurf einer RVO, Dtsch. Reichstag, 12. Legislatur-Periode 1909/10 - Drucks. "Zu Nr. 340" S. 167 f.; vgl. auch RVA in Grunds. Entsch. Nr. 2643 in AN 1921, 317, 318). Deshalb kann die Genehmigung der Satzung nach § 324 Abs. 1 Satz 1 RVO nicht zugleich auch als Anordnung der Erweiterung des Kassenbezirks im Sinne des § 232 oder § 233 Abs. 2 RVO angesehen werden.

Diese Anordnung ist erst mit dem angefochtenen Verwaltungsakt ergangen. Sie betrifft zwar in erster Linie die Überführung der landkrankenkassenpflichtigen Versicherten in S und W, läßt aber darüber hinaus mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, daß die rechtliche Voraussetzung des Ausscheidungsvorgangs, nämlich die Erweiterung des Kassenbezirks der beigeladenen LKK, vom OVA gebilligt wird. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die RVO davon ausgeht, daß OKK'n und LKK'n als Gebietskassen das Grundgefüge der Kassenorganisation bilden. Für eine dieser Vorstellung entsprechende Gestaltung tragen in erster Linie die Gemeindeverbände (§ 231 RVO), letztlich aber die Oberversicherungsämter - bzw. nach neuem Recht die an ihre Stelle getretenen Landesbehörden (vgl. § 6 des Bundesversicherungsamtsgesetzes vom 9. Mai 1956, BGBl I S. 415) - die Verantwortung (§§ 232, 233 Abs. 2 RVO). Hiernach müssen neben den allgemeinen OKK'n ... LKK'n bestehen, wenn nicht einer der Fälle der §§ 227 bis 229 RVO vorliegt (vgl. Begründung zum Entwurf einer RVO aaO S. 167). Ein Landesgesetz, das in den hier in Betracht kommenden Gebieten die Errichtung von LKK'n neben den allgemeinen OKK'n verbietet liegt nicht vor (vgl. § 227 RVO). Die Voraussetzung des § 228 RVO, daß die zu errichtende LKK - hier die aufnahmebereite LKK, deren Kassenbezirk zu erweitern war - mindestens tausend Pflichtmitglieder umfassen muß, ist erfüllt. Das Bedürfnis nach Eingliederung der landkrankenkassenpflichtigen Versicherten in Soest und Werl in eine LKK ist vom OVA bejaht und damit einer gegenteiligen Entscheidung nach § 229 RVO der Boden entzogen worden. Somit mußte die Zuständigkeit einer LKK in den Städten Soest und Werl herbeigeführt werden, was sachgemäß nach dem Aufgehen der LKK für den Kreis Soest in die beigeladene LKK nur durch Erweiterung des Kassenbezirks dieser Kasse geschehen konnte. Da die zuständigen Gemeinden seit Jahren nicht gehandelt hatten und noch bei der Anhörung durch das VA ihre ablehnende Haltung zu erkennen gegeben hatten, war das beklagte OVA zur "Errichtung" an Stelle des zuständigen Gemeindeverbandes in sinngemäßer Anwendung des § 233 Abs. 2 RVO berechtigt. Im vorliegenden Fall bestehen keine Bedenken dagegen, daß das OVA nicht zunächst eine Anordnung nach § 232 RVO getroffen hat. Für eine planende, Entscheidung der beteiligten Gemeindeverbände im Sinne des § 231 Abs. 2 RVO - ob innerhalb des Bezirks eines Versicherungsamts eine oder mehrere LKK'n zu errichten sind - war im konkreten Fall ebensowenig Raum wie für die Errichtung einer Satzung (§ 320 RVO). Im Streitfall war nur einer bereits bestehenden Satzung Geltung zu verschaffen. Deshalb ist es unter den besonderen Umständen dieses Falles unschädlich, daß das beklagte OVA von einer Anordnung nach § 232 RVO abgesehen hat und sogleich zu einer Errichtungsanordnung nach § 233 Abs. 2 RVO geschritten ist.

Für die Erweiterung des Kassenbezirks der beigeladenen LKK bedurfte es im vorliegenden Fall auch nicht der Zustimmung der Mehrheit der abstimmenden beteiligten Arbeitgeber und der Mehrheit der abstimmenden beteiligten volljährigen Arbeitnehmer nach § 225 a RVO. Ist die Ausdehnung des Kassenbezirks einer bestehenden Kasse auch der Errichtung einer neuen Kasse gleichzustellen, so haben doch die besonderen, für die erstmalige Errichtung von Gebietskassen geltenden Vorschriften den Vorrang. Handelt es sich nur um Veränderungen innerhalb des Organisationsgefüges derselben Kassenart, soll somit nur eine Gebietskasse des selben Typus an Stelle einer bereits bestehenden durch "Ausscheidung" errichtet werden, so wird hiervon die Verantwortung des OVA nur mittelbar berührt. Die Beurteilung einr solchen überwiegend nach Zweckmäßigkeitsgrundsätzen zu beurteilenden Organisationsveränderung ist in erster Linie Sache der beteiligten Arbeitgeber und Versicherten; es gilt daher in einem solchen Falle § 225 a RVO (BSG 15, 264). Hingegen ist das OVA dafür verantwortlich, daß eine LKK dort errichtet wird, wo sie noch nicht errichtet ist, aber zu bestehen hat (vgl. Begründung zur RVO aaO S. 168). Diese Verantwortung dafür, daß ein gesetzmäßiger Zustand herbeigeführt wird, könnte ihr nicht durch eine - die Errichtung bzw. Ausdehnung verneinende - Abstimmung nach § 225 a RVO genommen werden, da der gesetzwidrige Zustand, das Fehlen einer LKK in den Städten S und W, nicht durch Abstimmung legalisiert werden würde. Wie auch § 229 RVO zeigt, wonach bei der Entscheidung über die ausnahmsweise Nichterrichtung einer LKK mangels Bedürfnisses die beteiligten Arbeitgeber und Versicherungspflichtigen nur anzuhören sind, liegt somit die Entscheidung über die erstmalige Errichtung von LKK'n in den vorgeschriebenen Fällen allein beim OVA.

Demnach ist die angefochtene Aufsichtsanordnung rechtmäßig ergangen. Die Urteile des LSG und des SG sind aufzuheben; die Klage ist abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 126

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