Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 29. Januar 1988 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Streitig ist die Herstellung von Versicherungsunterlagen (Vormerkung) für in Polen zurückgelegte Versicherungszeiten.
Die 1922 in L. … geborene Klägerin ist israelische Staatsbürgerin. Sie ist die Tochter des 1894 in N. … /Ostpreußen geborenen jüdischen Altphilologen (Lehrers für Latein und Griechisch) A. … S. … und der 1899 in Krakau geborenen C. … C. …, die angeblich mütterlicherseits deutschstämmig war. Nach Angaben der Klägerin war die Umgangssprache im Elternhaus Deutsch; beide Eltern waren auch des Polnischen mächtig. Die Klägerin besuchte von 1929 bis 1933 in G. … die Volksschule und anschließend bis 1939 das Gymnasium. Im September 1939 wurde ihr Vater nach dem Einmarsch der deutschen Truppen festgenommen und erschossen. Die Klägerin, die nach ihrem Vortrag aus Furcht vor Verfolgung mit ihrer Mutter und ihrer Schwester den Namen „S. …” annahm und sich bis 1944 bei Krakau dem befürchteten Verfolgungszugriff erfolgreich entzog, bestand 1945 als externe Schülerin in G. … das Abitur. Sie war von 1945 bis Ende Februar 1954 als Krankenschwester (Hilfs-Operationsschwester, Operationsschwester und Oberschwester) in W. …, B. … und ab November 1950 in W. … beschäftigt. Dort heiratete sie im März 1951. Mit ihrem Ehemann, einem Arzt, wanderte sie im Februar 1957 nach Israel aus, wo sie ihr Kind gebar. Die Klägerin hat keinen Entschädigungsantrag nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) gestellt. Eine von der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) veranlaßte Sprachprüfung durch das israelische Finanzministerium vom 19. März 1984 hatte zum Ergebnis, daß die Klägerin Deutsch fließend mit reichem Wortschatz spreche, es mühelos und ausdrucksvoll lese, mit einigen Fehlern schreibe und als Muttersprache gebrauche. Ihr zur Prüfung miterschienener Ehemann spreche sein vermutlich von der Klägerin angelerntes fließendes Deutsch mit slawischer Färbung; er lese es fließend mit Verständnis.
Die BfA lehnte den Antrag der Klägerin, die in Polen zurückgelegten Versicherungszeiten vorzumerken, durch den streitigen Bescheid vom 25. März 1985, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 1986, ab, weil nicht glaubhaft gemacht sei, daß sie Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen sei und bis zur Auswanderung aus Polen dem deutschen Sprach- und Kulturkeis (dSK) angehört habe.
Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Berlin vom 4. Februar 1987; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Berlin vom 29. Januar 1988). Das Berufungsgericht ist folgender Auffassung: Das Fremdrentengesetz (FRG) sei auf die Klägerin nicht anwendbar, weil sie nicht zu dem durch dieses Gesetz begünstigten Personenkreis zähle. Die in Polen zurückgelegten Versicherungszeiten könnten nur anerkannt werden, wenn sie gemäß § 20 des Gesetzes über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) einem Vertriebenen gleichgestellt wäre. Das sei zu verneinen. Eine Gleichstellung mit Vertriebenen komme nach § 19 Abs 2 Buchst a Halbsatz 2 WGSVG nur in Betracht, wenn glaubhaft gemacht sei, daß der Verfolgte im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes Deutsch in seinem persönlichen Bereich überwiegend verwendet, also überwiegend Deutsch gesprochen habe. Es sei jedoch nicht glaubhaft gemacht, daß die Klägerin im Zeitpunkt der Auswanderung 1957 im persönlichen Bereich mehr die deutsche als die polnische Sprache verwendet habe. Besonders bedeutsam erscheine, daß die Umgangssprachen im Elternhaus Deutsch und Polnisch gewesen seien. Es ergäben sich erhebliche Zweifel daran, daß die Klägerin bis 1939 überwiegend Deutsch gesprochen habe. Ferner behaupte die Klägerin selbst nicht mehr, von 1945 bis 1957 im persönlichen Bereich überwiegend die deutsche Sprache benutzt zu haben. Sie habe sich nämlich den Inhalt eines Schreibens des Prof. A. … vom 1. September 1987 zu eigen gemacht, worin stehe, es erscheine im Falle der Klägerin ausgeschlossen, diese Tatsache glaubhaft zu machen. Auf die Frage, welche Bedeutung der Verfolgungsdruck für die Anforderungen an die Zugehörigkeit zum dSK habe, komme es nicht an.
Mit der – vom Senat zugelassenen – Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 19 Abs 2 Buchst a, 20 WGSVG sowie des Art 3 Abs 1 und Abs 3 des Grundgesetzes (GG). Das LSG habe diese Vorschriften zu eng ausgelegt, weil es die Auswirkungen der Verfolgung auf die Möglichkeit, im persönlichen Lebensbereich weiterhin überwiegend Deutsch sprechen zu können, nicht hinreichend berücksichtigt habe. Insbesondere spreche für die durchgängige Zugehörigkeit der Klägerin zum dSK, daß sich ihr Ehemann an den dSK assimiliert habe. Schließlich trage das Urteil des LSG der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht Rechnung. Obwohl die Beklagte die Verfolgteneigenschaft der Klägerin nicht mehr bestreite und nach den Feststellungen des LSG ihr Zugehörigkeit zum dSK zu bejahen sei, bedürfe es im Blick auf die Glaubhaftmachung der anzuerkennenden FRG-Zeiten noch weiterer tatsächlicher Feststellungen durch das Berufungsgericht.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 29. Januar 1988 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Sie hält nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens es nach wie vor nicht für möglich, Zeiten nach § 20 WGSVG anzuerkennen. Auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des BSG zum sog Übergangszeitraum müsse beachtet werden, daß die Länge dieses Zeitraums von den Umständen des Einzelfalles und dabei insbesondere von der jeweiligen „Verwurzelung” des Verfolgten im dSK abhänge. Die biographischen Daten der Klägerin, die „Angehörige der christlichen Religionsgemeinschaft” sei, so daß bereits Bedenken gegen ihre Verfolgteneigenschaft bestünden, sprächen überwiegend gegen ihre Zugehörigkeit zum dSK, und zwar bereits vor Beginn der Verfolgungsmaßnahmen. Jedoch sei der Klägerin darin zuzustimmen, daß die bisherige Sachaufklärung unzureichend erscheine.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist iS der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht begründet, weil es an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen für eine abschließende Sachentscheidung fehlt.
Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin auf Herstellung von Versicherungsunterlagen über in Polen zurückgelegte Beitrags- oder Beschäftigungszeiten (iS von §§ 15, 16 FRG), dh auf Vormerkung dieser Zeiten (= Erteilung eines Bescheides über die Anerkennung und Bewertung dieser Zeiten), ist § 11 Abs 2 der Versicherungsunterlagen-Verordnung (VuVO – idF vom 3. März 1960, BGBl I S 137, zuletzt geändert durch Art 3 des Rentenanpassungsgesetzes 1990 ≪RAG 1990≫ vom 28. Mai 1990, BGBl I S 986, aufgehoben mit Wirkung vom 1. Januar 1992 durch Art 41 Nr 1 des Renten-Überleitungsgesetzes ≪RÜG≫ vom 25. Juli 1991, BGBl I S 1606).
Gemäß § 11 Abs 2 VuVO sind auf Antrag des Versicherten (Beschäftigten) auch außerhalb des Leistungsfeststellungsverfahrens nach Maßgabe des FRG Versicherungsunterlagen für Zeiten herzustellen, die nach dem FRG anrechenbar sind. Obwohl die Klägerin bislang noch keinen die Versicherteneigenschaft begründenden Beitrag entrichtet hat, ist sie iS von § 11 Abs 2 VuVO verfahrensrechtlich antragsbefugt, weil nach ihrem Vorbringen die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, daß für sie Zeiten nach dem FRG anrechenbar sind, welche die Versicherteneigenschaft vermitteln. Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts lassen jedoch keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob für die Klägerin FRG-Zeiten anzurechnen sind.
Zwar kann dem angefochtenen Urteil, das sich ergänzend auf das Urteil des SG und die Verwaltungsvorgänge bezogen hat, mit noch hinreichender Klarheit entnommen werden, daß die tatsächlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, von denen nach § 1 FRG grundsätzlich die Zugehörigkeit zu dem Personenkreis abhängt, der durch dieses Gesetz begünstigt werden soll. Dem Senat ist es jedoch nicht möglich zu erkennen, ob die Klägerin nach dem mit Wirkung vom 1. Juli 1990 durch Art 15 des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S 2261) eingefügten § 17a Buchst a FRG (idF des Art 14 Nr 17 RÜG) mit Blick auf den Leistungszeitraum ab 1. Juli 1990 oder nach §§ 20, 19 Abs 2 Buchst a Halbsatz 2 WGSVG vom persönlichen Anwendungsbereich des FRG erfaßt wird.
Nach § 17a Buchst a FRG finden die für die gesetzliche Rentenversicherung maßgeblichen Vorschriften dieses Gesetzes auch auf Personen Anwendung, die bis zu dem Zeitpunkt, in dem der nationalsozialistische Einflußbereich sich auf ihr jeweiliges Heimatgebiet erstreckt hat, 1. dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört hatten, 2. das 16. Lebensjahr bereits vollendet hatten oder im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem dSK angehört haben und 3. sich wegen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum nicht zum deutschen Volkstum bekannt hatten und die Vertreibungsgebiete nach § 1 Abs 2 Nr 3 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) verlassen haben. Die Klägerin hatte zwar im September 1939 bereits das 16. Lebensjahr vollendet. Das Urteil des Berufungsgerichts, das § 17a FRG noch nicht anzuwenden hatte, enthält jedoch keine tatsächlichen Feststellungen, sondern nur Andeutungen von Zweifeln darüber, ob die Klägerin im September 1939 dem dSK angehört hat. Hierzu wird das Berufungsgericht – auch aus den weiter unten angeführten Gründen – tatsächliche Feststellungen nachzuholen haben.
Hingegen wird das LSG – entgegen den von der BfA im Revisionsverfahren geäußerten Bedenken – keine weiteren Feststellungen zu der nach § 17a Buchst a Nr 3 FRG erheblichen Frage treffen müssen, ob die Klägerin „sich wegen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum nicht zum deutschen Volkstum bekannt hatte”. Da diese Vorschrift die Gleichstellung der deutschen Juden mit den deutschstämmigen Aussiedlern bezweckt (so BT-Drucks 11/5530 S 29) reicht – entgegen dem mißverständlichen Wortlaut – aus, daß der Anspruchsteller im maßgeblichen Zeitpunkt der Ausdehnung des nationalsozialistischen Einflußbereichs „dem Judentum zugehörig”, also Jude im Sinne der NS-Ideologie war. Zur Feststellung dieser Tatsache genügt gemäß § 4 FRG die Glaubhaftmachung. Dem Urteil des LSG ist zwar nicht ausdrücklich, aber durch die Bezugnahme auf das Urteil des SG und die Verwaltungsvorgänge sowie auf den Schriftsatz der Beklagten vom 8. Oktober 1987 noch hinreichend deutlich zu entnehmen, daß die Klägerin – ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit – als Tochter eines bei rassischer Verfolgung ermordeten Juden selbst rassisch Verfolgte (iS von § 1 Abs 3 Nr 1 BEG) und damit iS der hier maßgeblichen entschädigungsrechtlichen Betrachtungsweise „dem Judentum zugehörig” war. Keiner weiteren Klärung durch die Tatsacheninstanz bedarf schließlich, daß die Klägerin ein Vertreibungsgebiet iS von § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG verließ, als sie im Februar 1957 von Polen nach Israel auswanderte.
Für einen vor dem 1. Juli 1990 liegenden Leistungszeitraum können in Polen zurückgelegte Versicherungszeiten für die Klägerin nur dann nach den §§ 15, 16 FRG anrechenbar sein und nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichstehen, wenn sie „vertriebene Verfolgte” ist, die lediglich deswegen nicht als Vertriebene anerkannt werden kann, weil sie sich nicht ausdrücklich zum deutschen Volkstum bekannt hat (§ 20 Satz 1 WGSVG = ab 1. Januar 1990 Abs 1 Satz 1 – vgl Art 21 Nr 4a iVm Art 85 Abs 5 RRG 1992). Zwar hat das LSG – wie ausgeführt – die den Senat bindende (§ 163 SGG) tatsächliche Feststellung getroffen, daß die Klägerin „Verfolgte” ist. Hingegen kann auf der Grundlage des angefochtenen Urteils nicht entschieden werden, ob sie auch das Vertreibungsschicksal erlitten hat.
Gemäß § 1 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 BVFG ist Vertriebener auch, wer „als deutscher Volkszugehöriger” nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen Polen verlassen hat. Deutscher Volkszugehöriger iS dieses Gesetzes ist, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird (§ 6 BVFG). Hierzu nimmt § 20 Satz 2 (seit 1. Januar 1990: Abs 1 Satz 2) WGSVG zugunsten insbesondere der rassisch Verfolgten iS einer – auch beweiserleichternden -Gleichstellung auf § 19 Abs 2 Buchst a Halbsatz 2 WGSVG Bezug: Soweit es für die Vertriebeneneigenschaft auf die deutsche Volkszugehörigkeit ankommt, „genügt es” hiernach, wenn der Verfolgte im Zeitraum des Verlassens des Vertreibungsgebietes „dem dSK angehört hat.”
Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts regelt die letztgenannte Vorschrift nicht, daß Verfolgte nur dann als Vertriebene iS von § 20 WGSVG anzuerkennen sind, wenn sie im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes im persönlichen Lebensbereich überwiegend Deutsch gesprochen haben. Vielmehr entbindet die Vorschrift die rechtsanwendenden Instanzen davon, weitere Ermittlungen über die „deutsche Volkszugehörigkeit” eines Verfolgten anzustellen, der die in § 19 Abs 2 Buchst a Halbsatz 2 WGSVG genannte Voraussetzung erfüllt. Deswegen hat das BSG in ständiger Rechtsprechung (stellvertretend BSG SozR 5070 § 20 Nr 2; BSGE 50, 279, 281 = SozR 5070 § 20 Nr 3; SozR aaO Nrn 4, 5, 13; BSG SozR 3-5070 § 20 Nr 1; Urteil des Senats vom 28. Juni 1990 – 4 RA 40/88; Urteil des Senats vom 26. September 1991 – 4 RA 89/90 – zur Veröffentlichung vorgesehen) eine vor dem Verlassen des Vertreibungsgebietes erfolgte verfolgungsbedingte endgültige Abwendung vom dSK als für die Entschädigung unschädlich erachtet, ferner bei der Bewertung der Verwendung der deutschen Sprache im persönlichen Lebensbereich verfolgungs- und vertreibungsbedingte Umstände (zB Vereinsamung) berücksichtigt und insbesondere bei Mehrsprachigkeit des Verfolgten und festgestelltem überwiegenden Gebrauch einer anderen Sprache eine Übergangszeit angenommen, in der die Zugehörigkeit zum dSK erhalten bleibt. Diese Übergangszeit, die beginnt, sobald die deutsche Sprache nicht einmal mehr im persönlichen Lebensbereich „überwiegend”, dh in größerem Umfang als alle anderen Sprachen, benutzt wird, endet erst nach einem Zeitraum, welcher der Zeit der überwiegenden Verwendung des Deutschen, dh der aktualisierten Zugehörigkeit zum dSK, entspricht, spätestens aber nach Ablauf von 20 Jahren (Urteil des Senats vom 26. September 1991 – 4 RA 89/90 – zur Veröffentlichung vorgesehen).
Es kann dahingestellt bleiben, ob das Berufungsgericht für den Senat bindend (§ 163 SGG) festgestellt hat, daß die Klägerin von 1950 bis zur Ausreise im Jahre 1957 nicht überwiegend Deutsch gesprochen hat (S 7 im LSG-Urteil). Zweifel hieran bestehen schon deswegen, weil – wie die Klägerin zutreffend rügt – das LSG die sog Denkgesetze, die eine Schranke des Rechts der Tatsacheninstanz auf freie Beweiswürdigung sind, nicht folgerichtig angewandt hat. Denn aus dem von der Klägerin „zum Gegenstand ihres Vortrages” gemachten Schreiben des Prof. A. … vom 1. September 1987 ergibt sich ua lediglich, daß dieser eine Glaubhaftmachung des überwiegenden deutschen Sprachgebrauchs von 1950 bis 1957 für ausgeschlossen gehalten hat, nicht aber, daß die Klägerin an ihrer Behauptung, gerade dies getan zu haben, nicht mehr festgehalten hat. Hierauf und auf die Frage, ob die Bezugnahme des LSG auf die Beweiswürdigung im Urteil des SG (S 11 bis 16 im SG-Urteil) – wie von der Klägerin gerügt – weitere Überschreitungen des Rechts der freien Beweiswürdigung enthält, ist nicht weiter einzugehen, weil die Klägerin auch dann „vertriebene Verfolgte” wäre, wenn sie vor ihrer Heirat im März 1951 oder auch nur bis zum Ende der Verfolgungszeit (Ende 1944) – wie sie behauptet – dem dSK angehört und erst danach im persönlichen Lebensbereich überwiegend Polnisch gesprochen hätte.
Weitere Voraussetzung wäre hierfür aber – was das LSG von seinem Rechtsstandpunkt zu Recht nicht geprüft hat –, daß der sog Nötigungszusammenhang gegeben ist, dh daß die Klägerin im Jahr 1957 Polen „als deutsche Volkszugehörige”, nicht aber wesentlich aus einem anderen Grund verlassen hat. Hierzu bestimmt § 20 Abs 2 WGSVG (in der ab 1. Februar 1971 gültigen Fassung durch Art 21 Nr 4c RRG 1992), daß vermutet wird, daß die Zugehörigkeit zum dSK eine wesentliche Ursache für das Verlassen des Vertreibungsgebietes gewesen ist. Dies gilt – nur dann – nicht, wenn das Vertreibungsgebiet nachweislich im wesentlichen aus anderen Gründen verlassen worden ist, weil der Zugehörigkeit zum dSK im Verhältnis zu anderen Gründen nicht annähernd das gleiche Gewicht zukommt. Eine verfolgungsbedingte Abwendung von dSK oder eine Wohnsitznahme in einem nichtdeutschsprachigen Land widerlegt allein die Vermutung nicht. Bei Anwendung dieser Vorschrift wird die Tatsacheninstanz zu beachten haben, daß allein der Wunsch nach Distanzierung von dem damals in Polen herrschenden System oder nur eine Zugehörigkeit zu einer „zionistischen” Organisation den Nötigungszusammenhang gleichfalls nicht von vornherein ausschließen. Letztlich wird das LSG ggf zu klären haben, welche Beitrags- oder Beschäftigungszeiten mit welchen Werten vorgemerkt werden können.
Die bisherige Sachbehandlung durch die Vorinstanzen gibt Anlaß zu dem Hinweis, daß die gerichtliche Überzeugung aus dem „Gesamtergebnis” des Verfahrens zu gewinnen ist (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Dies umfaßt insbesondere, daß alle vorgelegten Beweismittel bei der Beweiswürdigung berücksichtigt und die Grenzen des Rechts auf freie Beweiswürdigung eingehalten werden.
Nach alledem war die Entscheidung des LSG aufzuheben und der Rechtsstreit an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Das Berufungsgericht wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen