Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 19. September 1963 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger bezog von der Beklagten für die Folgen eines Arbeitsunfalls vom 7. Januar 1946 eine Rente in Höhe von 70 v.H. der Vollrente. Diese Rente setzte die Beklagte durch Bescheid vom 23. Dezember 1952 mit Wirkung vom 1. Februar 1953 an auf 50 v.H. der Vollrente herab. Gegen den Bescheid legte der Kläger Berufung (alten Rechts) beim Oberversicherungsamt Hannover ein. Dieses Rechtsmittel ging nach Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht (SG) Hannover über. Während des Klageverfahrens setzte die Beklagte durch einen weiteren Bescheid vom 25. November 1955 die Rente mit Wirkung vom 1. Januar 1956 an auf 40 v.H. herab. Der Kläger beantragte in diesem Verfahren, ihm vom 1. Februar 1953 an eine Rente in Höhe von 60 v.H. der Vollrente zu gewähren. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG am 5. November 1957 schlossen die Beteiligten folgenden Vergleich:

„Die Beklagte verpflichtet sich,

  1. dem Kläger über den 31. Dezember 1955 hinaus eine Rente von 50 % zu gewähren,
  2. dem Kläger an außergerichtlichen Kosten die Hälfte des Gutachtens vom 29.6.1956 und 5,– DM Vertretungsgebühr zu erstatten.”

Durch Bescheid vom 25. Februar 1959 setzte die Beklagte die Rente des Klägers mit Wirkung vom 1. April 1959 an auf 40 v.H. der Vollrente herab.

Auf die Klage hiergegen hat das SG Hannover durch Urteil vom 9. Januar 1961 den Bescheid vom 25. Februar 1959 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger über den 31. März 1959 hinaus eine Rente nach 50 %iger Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zu gewähren.

Das Urteil beruht auf der Auffassung, daß bei der Beurteilung der Frage, ob die für die Feststellung der Entschädigung maßgebend gewesenen Verhältnisse sich wesentlich geändert haben, die Verhältnisse bei Erlaß des Bescheides vom 25. Februar 1959 den bei Abschluß des Vergleichs vom 5. November 1957 vorliegenden Verhältnissen gegenüberzustellen seien.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen durch Urteil vom 19. September 1963 das Urteil des SG Hannover aufgehoben und die Klage abgewiesen sowie die Revision zugelassen.

Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt: Es stehe fest, daß in der Zeit von Ende 1952 bis Anfang 1959 eine wesentliche Besserung im Unfallfolgezustand eingetreten sei, so daß sich eine MdE von 40 v.H. gegenüber 50 v.H. am Ende des Jahres 1952 ergebe. Die Entscheidung des Rechtsstreits hänge deshalb allein davon ab, ob die Verhältnisse von Anfang 1959 mit denen bei Abschluß des Vergleichs vom 5. November 1957 oder mit denen von Ende 1955 oder mit denen aus dem Jahre 1952 zu vergleichen seien. Das Reichsversicherungsamt habe bereits in AN 1914, 481 ausgesprochen, daß erfolglos gebliebene Rentenänderungsanträge sowie Rentenänderungsbescheide, die durch eine gerichtliche Entscheidung aufgehoben worden seien, unberücksichtigt bleiben müßten. Eine ähnliche Auffassung habe auch das Bundessozialgericht (BSG) in BSG 7, 215 vertreten. Diese Grundsätze könnten auch für das Unfallrecht übernommen werden, nur dürfe nicht auf den ersten Rentenbewilligungsbescheid, sondern auf die letzte, bindend gewordene Feststellung abgestellt werden. Das BSG habe zwar in BSG 19, 5 für das Schutzjahr des § 609 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF entschieden, daß eine einen Herabsetzungsbescheid aufhebende oder ändernde Entscheidung eine „Neufeststellung” sei. Das BSG habe jedoch nicht zu der Frage Stellung genommen, ob dies entsprechend für § 608 RVO aF gelte. Der Senat habe keine Veranlassung gesehen, von der Auffassung abzuweichen, daß ein erfolglos gebliebenes Rentenherabsetzungsverfahren im Rahmen des nach § 608 RVO vorzunehmenden Vergleichs unberücksichtigt bleiben müsse; denn sonst würde bei mehreren aufeinander folgenden erfolglosen Herabsetzungsverfahren mit jeweils unwesentlichen, insgesamt aber wesentlichen Änderungen eine Rentenherabsetzung nicht zum Erfolg führen können. Durch den Vergleich vom 5. November 1957 sei im Gegensatz zu der Auffassung des SG nur der Zustand hergestellt worden, der vor dem Bescheid vom 25. November 1955 und nach dem Bescheid vom 23. Dezember 1952 bestanden habe. Die Beteiligten hätten sich offensichtlich unter Würdigung der Stellungnahme des Dr. O. dahin geeinigt, daß es mit der Ende 1952 ausgesprochenen Feststellung der Rente auf 50 v.H. bewenden solle. Es sei also weder eine vom Bescheid vom 23. Dezember 1952 abweichende MdE vereinbart worden, noch seien andere Unfallfolgen, als sie diesem Bescheid zugrunde lagen, vergleichsweise festgestellt worden. Wenn dies beabsichtigt gewesen wäre, dann hätte der neue Unfallfolgezustand ausdrücklich festgestellt werden müssen.

Der Kläger, dem das Urteil des LSG am 29. Oktober 1963 zugestellt worden ist, hat am 7. November 1963 Revision eingelegt und sie am 14. November 1963 begründet. Er ist der Auffassung, daß für den nach § 608 RVO aF anzustellenden Vergleich die Verhältnisse heranzuziehen seien, die beim Abschluß des Vergleichs vom 5. November 1957 vorgelegen hätten, und beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des LSG die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Hannover als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die durch Zulassung statthafte Revision ist in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden und somit zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG). Sie hatte jedoch keinen Erfolg.

Das Urteil des LSG beruht in tatsächlicher Beziehung auf der Feststellung, daß sich die Auswirkungen des Unfalls vom 7. Januar 1946 in dem Zeitraum von der Feststellung der Rente in Höhe von 50 v.H. der Vollrente durch den Bescheid vom 23. Dezember 1952 bis zur Herabsetzung der Rente auf 40 v.H. der Vollrente durch den Bescheid vom 25. Februar 1959 wesentlich gebessert haben und Anfang des Jahres 1959 nur noch eine MdE um insgesamt 40 v.H. zur Folge hatten. Diese Feststellungen (vgl. hierzu BSG 4, 147) sind von der Revision nicht angegriffen worden (§ 163 SGG). Entgegen der Auffassung der Revision rechtfertigen sie auch die Abweisung der Klage gegen den Bescheid vom 25. Februar 1959.

Die Revision ist der Auffassung, die letzte Feststellung der Rente vor der streitigen Herabsetzung auf 40 v.H. der Vollrente sei durch den in der Verhandlung vor dem SG Hannover am 5. November 1957 geschlossenen Vergleich erfolgt; infolgedessen müßten bei der Prüfung, ob im Jahre 1959 eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten gewesen sei, die nach § 608 RVO aF (jetzt § 622 RVO) eine Neufeststellung gerechtfertigt habe, die Verhältnisse z.Z. des Vergleichsabschlusses als die „maßgebend gewesenen” zum Vergleich mit den Verhältnissen Anfang des Jahres 1959 herangezogen werden.

Eine Rentenfeststellung kann zwar auch durch einen gerichtlichen Vergleich erfolgen (vgl. zB RVO Mitgl.-Komm. Bd. II. 2. Aufl., Anm. 1 zu § 608), und der erkennende Senat hat in dem vom LSG angeführten Urteil vom 1. März 1963 (BSG 19, 5) mit näherer Begründung dargelegt, daß eine den Beginn des Schutzjahres (§ 609 RVO aF) bestimmende Rentenfeststellung darin liegen kann, daß ein Rentenherabsetzungsbescheid aufgehoben und der Versicherungsträger verurteilt wird, die Rente über den vorgesehenen Herabsetzungszeitpunkt hinaus in der bisherigen Höhe weiterzugewähren. Diese Entscheidung ist jedoch auf den Zweck des Schutzjahres abgestellt und kann deshalb nicht ohne weiteres auf die für die Anwendung des § 608 RVO aF bedeutsame Frage übertragen werden, welche Verhältnisse bei einer auf ihre wesentliche Änderung gestützten Rentenherabsetzung maßgebend sind, wenn der Versicherungsträger im Rechtsstreit über eine vorangegangene Rentenherabsetzung verurteilt worden ist, die Rente in der bisherigen Höhe weiterzuzahlen, oder sich hierzu durch Vergleich verpflichtet hat. Für die Anwendung des § 608 RVO aF hängt es vielmehr in einem solchen Fall von der Auslegung des vorangegangenen Urteils oder Vergleichs ab, ob für das Urteil oder den Vergleich bedeutsame tatsächliche Verhältnisse als „maßgebend gewesen” i. S. des § 608 RVO aF heranzuziehen sind.

Es bedarf keiner näheren Ausführung, daß für die Anwendung des § 608 RVO aF ein Urteil in einem vorangegangenen Rechtsstreit über eine Rentenherabsetzung keine Bedeutung hat, wenn die Aufhebung des Herabsetzungsbescheides – anders als in dem durch das Urteil vom 1. März 1963 zu beurteilenden Fall – aus formalen Gründen (zB wegen Verletzung des Schutzjahres) und deshalb ohne Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse erfolgt ist (vgl. hierzu auch die Ausführungen in BSG 19, 5, 7). Andererseits bietet aber der vorliegende Fall keine Veranlassung, die Frage zu erörtern, welche Bedeutung es für den bei Anwendung des § 608 RVO aF anzustellenden Vergleich hat, wenn die Entscheidung über einen vorangegangenen Rentenherabsetzungsbescheid darauf beruht, daß nach den Feststellungen des Gerichts die maßgebend gewesenen Verhältnisse sich seit der letzten dieser Rentenherabsetzung vorangehenden Rentenfeststellung teils zum Besseren, teils aber (zB durch Auftreten neuer Spätschäden) zum Schlechteren verändert hatten, jedoch die durch den veränderten Zustand bedingte MdE ebenso hoch einzuschätzen war wie die MdE durch den früheren Zustand, oder wenn das Gericht zwar Veränderungen als erwiesen angesehen, sie aber nicht für „wesentlich” gehalten hatte.

Im vorliegenden Fall bestand das vergleichsweise Nachgeben der Beteiligten darin, daß die Beklagte darauf verzichtete, die durch den Bescheid vom 25. November 1955 ausgesprochene Herabsetzung der Rente auf 40 v.H. der Vollrente durchzusetzen, diesen Bescheid also „zurücknahm”, während der Kläger seinen Antrag, die Beklagte zur Zahlung einer Rente von 60 v.H. der Vollrente zu verurteilen, nicht aufrecht erhielt. Wenn auch, wie die Revision an sich zutreffend hervorhebt, für die Entschließung der Beteiligten ua das Gutachten des im Termin gehörten Sachverständigen Dr. O. von Bedeutung gewesen sein mag, so ergibt sich jedoch aus dem Vergleich, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, kein Anhalt dafür, daß eine Neufeststellung der Unfallfolgen oder der MdE beabsichtigt war und die Beteiligten durch den Vergleich etwas anderes erreichen wollten als die Wiederherstellung der bisherigen Rechtslage. Durch den Vergleich wurde nur bewirkt, daß infolge des Wegfalls des Bescheides vom 25. November 1955 der Bescheid vom 23. Dezember 1952, durch den die Rente von 70 v.H. auf 50 v.H. der Vollrente herabgesetzt worden war, weiterhin allein wirksam blieb. Schon aus diesem Grunde scheiden die Verhältnisse im Zeitpunkt des Vergleichs vom 5. November 1957 als Ausgangspunkt für den nach § 608 RVO aF anzustellenden Vergleich aus, vielmehr war der Bescheid vom 23. Dezember 1952 im Zeitpunkt der Neufeststellung der Rente durch den angefochtenen Bescheid vom 25. Februar 1959 die letzte vorangehende Rentenfeststellung i. S. des § 608 RVO aF, und die für diese Rentenfeststellung maßgebend gewesenen Verhältnisse sind vom LSG bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Anwendung des § 608 RVO aF mit Recht zum Vergleich herangezogen worden.

Das LSG hat für seine Auffassung auch zutreffend auf die Rechtsprechung zu § 1293 RVO aF hingewiesen (BSG 7, 215; 24, 142, 143; SozR Nr. 15 zu § 1293 RVO aF), die entgegen der Meinung der Revision Anwendungsfälle des Abs. 1 des § 1293 RVO aF betrifft, nach dem die Herabsetzung der Rente gleichfalls nur bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse zulässig war. Das LSG hat auch nicht verkannt, daß in der Unfallversicherung nicht die erste Feststellung der Dauerrente, sondern die jeweils letzte Feststellung der Rente i. S. des § 608 RVO aF als Ausgangspunkt für den nach § 608 RVO aF anzustellenden Vergleich herangezogen werden muß.

Da das LSG hiernach ohne Rechtsirrtum auf den Vergleich der Verhältnisse im Jahre 1952 mit den Verhältnissen im Jahre 1959 abgestellt hat, ist es auf Grund seiner Feststellungen auch rechtlich zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß die Beklagte berechtigt war, die Rente des Klägers mit Wirkung vom 1. April 1959 an auf 40 v.H. der Vollrente herabzusetzen.

Die Revision ist nicht begründet und war zurückzuweisen (§ 170 SGG).

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens ergeht auf Grund von § 193 SGG.

 

Unterschriften

Brackmann, Bundesrichter Dr. Baresel ist durch Urlaub verhindert, das Urteil zu unterschreiben Brackmann, Demiani

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 28.04.1967 durch Bohl RegHauptsekretär Schriftführer

 

Fundstellen

BSGE, 227

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