Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 15. April 1994 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein im Kasernenbereich erlittener Unfall des Klägers als Wehrdienstbeschädigung (WDB) anzuerkennen und deshalb Entschädigung zu gewähren ist.
Der am 26. Dezember 1966 geborene Kläger leistete von Oktober 1987 bis Dezember 1988 Wehrdienst. Am Nachmittag des 7. Juli 1988 hatte er den Auftrag, zusammen mit dem Soldaten T. … (T) die Reviere des 2. Zuges der Panzerpionierkompanie 330 in deren Unterkunftgebäude in D. … zu reinigen. Während der Soldat T noch überprüfen wollte, ob das Außenrevier in Ordnung sei, begab sich der Kläger gegen 17.00 Uhr auf dessen Stube, um dort auf seinen Kameraden zu warten. Dort holte er aus einem Leerspind eine Bundeswehrtasse als Aschenbecher, in der sich schon einige Zigarettenstummel und Asche befanden, und rauchte eine Zigarette. Als er diese in der Tasse ausdrücken wollte, kam es zu einer Explosion, bei der sich der Kläger erhebliche Verletzungen an der linken Hand mit Verlust der Endglieder der Finger I bis III zuzog.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Hildesheim sowie des Truppendienstgerichtes Nord in O. … ergaben, daß der Kläger mit anderen Soldaten am Unfalltag bereits gegen 14.00 Uhr im UvD-Zimmer mit explosivem Material experimentiert hatte. Bei der Durchsuchung der Kleidung, Mannschaftsstube und Privatwohnung des Klägers wurden ua ein handgeschriebener Zettel mit einer chemischen Formel zur Selbstfertigung von Sprengstoff, erwerbscheinpflichtige Munition iS des § 29 Waffengesetz (WaffG) sowie chemische Grundsubstanzen zur Herstellung von Sprengstoff sichergestellt. Die Vernehmung von Soldaten und die kriminaltechnische Untersuchung der Tassenfragmente lieferten keine verwertbaren Hinweise dafür, daß das explosive Material in der Tasse vom Kläger hergestellt oder wissentlich zu irgendeinem Zeitpunkt in die Tasse verbracht wurde.
Mit rechtskräftigem Beschluß des Truppendienstgerichtes Nord vom 3. November 1988 wurde der Kläger wegen Besitzes und Anzündens von selbstgefertigtem Sprengstoff im UvD-Zimmer zu einem Disziplinararrest von vier Tagen verurteilt. Das Amtsgericht G. … …, vor dem ein Hauptverfahren wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion ua eröffnet worden war, stellte das Verfahren nach Anhörung des Klägers und Vernehmung der Zeugen N. und W. gegen eine Zahlung von 500,00 DM an das Technische Hilfswerk Gifhorn gemäß § 153a Strafprozeßordnung ein.
Den Antrag des Klägers auf Anerkennung seines Unfalles als WDB lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 15. März 1989 ab, weil sich der Kläger die Verletzungen bei der Explosion mit selbstgefertigtem Sprengstoff zugezogen habe. Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamtes Niedersachsen vom 19. Mai 1989 und Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Braunschweig vom 26. Februar 1991).
Mit Urteil vom 15. April 1994 wies das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen auch die Berufung des Klägers zurück. Die gesundheitliche Schädigung an der linken Hand sei weder durch eine Dienstverrichtung (§ 81 Abs 1 1. Alt Soldatenversorgungsgesetz ≪SVG≫) noch durch „wehrdiensteigentümliche Umstände” (§ 81 Abs 1 3. Alt SVG) herbeigeführt worden, weil einerseits das Rauchen einer Zigarette während der Dienstzeit eine eigenwirtschaftliche Handlung sei, andererseits der Kläger nicht erst infolge des Wehrdienstes mit Sprengstoff in Berührung gekommen sei und Spielen mit Explosionsstoffen auch im Zivilleben vorkomme. Die Voraussetzungen des § 81 Abs 1 2. Alt SVG seien ebenfalls nicht gegeben, weil die unbeabsichtigte Explosion, die zur Verletzung des Klägers geführt habe, wesentlich „durch eine von ihm selbst geschaffene Gefahrenlage gekennzeichnet” sei. Es sei zwar zugunsten des Klägers davon auszugehen, daß er sich in der Stube des Soldaten T eine Zigarette angezündet und nicht mit Sprengstoff laboriert habe. Der Gegenbeweis dafür, daß er nicht oder nicht nur geraucht, sondern zu diesem Zeitpunkt mit Sprengstoff experimentiert habe, sei nicht erbracht. Der Kläger habe aber selbstgebastelten Sprengstoff in Besitz gehabt und diesen am Unfalltag gegen 14.00 Uhr anderen Kameraden gezeigt. Er habe deshalb in hohem Maße vernunftwidrig gehandelt und die Explosionsgefahr, mit der er habe rechnen müssen, in gröblich leichtfertiger Weise nicht abgewendet.
Mit der – vom Senat zugelassenen – Revision gegen dieses Urteil macht der Kläger geltend, dem Ereignis vom 7. Juli 1988 habe kein selbstgeschaffener Gefahrenbereich zugrunde gelegen, sondern ein völlig alltägliches und ungefährliches Verhalten, nämlich Rauchen und Abaschen einer Zigarette. Um hier von einer selbstgeschaffenen Gefahr ausgehen zu können, wäre erforderlich gewesen, daß ihm, dem Kläger, das Vorhandensein von Sprengstoff in der Tasse bekannt gewesen sei oder er aufgrund besonderer Umstände hiermit hätte rechnen müssen. Hierzu seien jedoch keine Feststellungen getroffen worden. Ferner liege ein Verstoß gegen § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vor, weil das LSG nicht – wie beantragt – die Zeugen T und W. … dazu gehört habe, ob Sprengstoff von dritter Seite in die Stube verbracht worden sei und auch weitere Soldaten in der Kaserne mit Sprengstoff hantiert hätten.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 15. April 1994 sowie das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 26. Februar 1991 und den Bescheid des Beklagten vom 15. März 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 1989 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Unfall des Klägers vom 7. Juli 1988 als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen und Beschädigtenrente zu gewähren.
Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist iS der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Nach § 80 Satz 1 SVG erhält ein Soldat, der eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat, nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Wehrdienstbeschädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Wehrdienstbeschädigung ist nach § 81 Abs 1 SVG eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung (1. Fallgestaltung), durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall (2. Fallgestaltung) oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse (3. Fallgestaltung) herbeigeführt worden ist.
Der Senat ist mit dem LSG der Meinung, daß aufgrund der getroffenen Feststellungen die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Schädigung weder durch eine Wehrdienstverrichtung (§ 81 Abs 1 SVG 1. Fallgestaltung) noch durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse (§ 81 Abs 1 SVG 3. Fallgestaltung) vorliegen. Es kommt lediglich ein Unfall iS des § 81 Abs 1 SVG 2. Fallgestaltung in Betracht. Indessen reichen die vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen, an die der Senat gebunden ist (§ 163 SGG), nicht aus, den Versorgungsschutz wegen eines während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfalls zu bejahen oder zu verneinen.
Das LSG selbst hat die Frage, ob die Voraussetzungen der 2. Fallgestaltung des § 81 Abs 1 SVG erfüllt sind, nicht abschließend entschieden, sondern nur deren Vorliegen zugunsten des Klägers unterstellt, weil seiner Auffassung zufolge der Versorgungsschutz, selbst bei grundsätzlicher Bejahung, durch den Ausnahmetatbestand der sogenannten „selbstgeschaffenen Gefahr” ausgeschlossen war.
Ein Fall der sogenannten „selbstgeschaffenen Gefahr” liegt jedoch nur vor, wenn der Geschädigte nach seinen Fähigkeiten höchstwahrscheinlich mit der Gefahr rechnen mußte (vgl BSG SozR 3200 § 81 Nrn 7, 8 und 14; Sailer in Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl 1992, RdNr 27 zu § 81 SVG) und sich derartig sorglos und vernunftwidrig verhält, daß für den Eintritt des Unfalls nicht mehr die geschützte Tätigkeit, sondern die selbstgeschaffene Gefahr als die rechtlich wesentliche Ursache anzusehen ist (vgl für die gesetzliche Unfallversicherung Lauterbach/Watermann, 3. Aufl, Stand 1. Januar 1996, Anm 52 zu § 548 Reichsversicherungsordnung). Demnach ist unerläßliche Voraussetzung für den Tatbestand der selbstgeschaffenen Gefahr, daß der Geschädigte die Gefahr erkannt hat und gleichwohl tätig geworden ist (Fehl bei Wilke, aaO, RdNr 85 zu § 1 BVG). Das LSG hat lediglich festgestellt, daß der Kläger Sprengstoff im Besitz hatte und daß er drei Stunden vor dem Unfall eigenmächtige Vorführungen mit Sprengstoff veranstaltet hat, den er sich angeeignet hatte. Es hat nicht nachvollziehbar dargelegt, inwiefern sich der Kläger aufgrund dieser Umstände zum Unfallzeitpunkt einer konkreten Gefahrenlage bewußt war oder sein mußte, die dann zu dem Unfall geführt hat. Eine latente, nicht erkennbare Gefahrenlage reicht für die Rechtsfigur der selbstgeschaffenen Gefahr nicht aus. Das LSG hätte daher Umstände ermitteln müssen, aus denen die Art der dem Kläger drohenden Gefahr und das Wissen des Klägers um diese Gefahr zum Unfallzeitpunkt hervorging. Zu diesem Zweck hätte sich insbesondere die Vernehmung der vom Kläger benannten Zeugen T und W. … angeboten. Sollte sich nicht ermitteln lassen, daß der Kläger, aufgrund welcher Umstände auch immer, zu dem Zeitpunkt, als der Sprengstoff explodierte, wußte oder es zumindest für höchstwahrscheinlich halten mußte, daß sich in der von ihm als Aschenbecher benutzten Tasse Sprengstoff befand, so liegt kein Fall der selbstgeschaffenen Gefahr vor. Denn für diesen Ausnahmetatbestand trifft die objektive Beweislast, dh der Nachteil der Unaufklärbarkeit, nicht den Verletzten, sondern den Leistungsträger.
Sollte unter Beachtung dieser Grundsätze eine selbst geschaffene Gefahr als wesentliche Unfallursache ausscheiden, so gewinnt die vom LSG nicht endgültig entschiedene Frage Bedeutung, ob der Kläger zum Unfallzeitpunkt nach § 81 Abs 1 2. Alt SVG unter Versorgungsschutz stand, weil der Hergang sich als „Unfall während der Ausübung des Wehrdienstes” darstellt. Zur Entscheidung dieser Frage reichen die vom LSG getroffenen Feststellungen ebenfalls nicht aus.
Für einen „Unfall während der Ausübung des Wehrdienstes” in diesem Sinne ist kein sachnotwendiger Zusammenhang mit dem Dienstbetrieb erforderlich; es genügt vielmehr ein zeitlicher Bezug zur Ausübung des Dienstes (vgl BSG SozR 3200 § 81 Nrn 7, 11 und 14). Allerdings ist nicht jeder Unfall, der in die Zeit des Wehrdienstes fällt, auch „während der Ausübung” des Wehrdienstes eingetreten, insbesondere dann nicht, wenn sich der Unfall in der dienstfreien Zeit, zB während eines Urlaubs, ereignet hat. Während der Freizeit ist nämlich der Soldat regelmäßig vom Dienst entbunden, übt also keinen Wehrdienst aus. Unfälle in dieser Zeit stehen daher grundsätzlich nicht in Beziehung zum Wehrdienst. Aber auch Handlungen eines Soldaten nach Beendigung des Dienstes – also in seiner Freizeit – können unter bestimmten Umständen noch dem „Wehrdienst” zugerechnet werden, wenn sie in einem engen inneren Zusammenhang mit dem Dienst stehen; ob und inwieweit dies der Fall ist, ist nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles zu entscheiden (vgl BSGE 33, 141, 143). Das LSG wird zur Ermittlung solcher Umstände den Kläger selbst nochmals anzuhören und den Zeugen T zu vernehmen haben. Insbesondere könnte dabei von Belang sein, ob der Kläger während der Wartezeit auf der Stube des T damit rechnen mußte, von T noch zu weiteren Arbeiten im Außenrevier hinzugezogen zu werden. In diesem Zusammenhang ist noch festzustellen, ob T nach Abschluß der gemeinsamen Reinigungstätigkeiten das Außenrevier inspiziert hat und ob und weswegen ggf der Kläger geglaubt hat, T werde ihn möglicherweise noch zu ggf anfallenden Arbeiten im Außenrevier hinzuziehen. War dies der Fall, so stand er zum Unfallzeitpunkt noch unter Versorgungsschutz, weil dann der ihm und T gemeinsam erteilte Auftrag während der Zigarettenpause auch für ihn noch nicht erledigt war, sich also auch der Kläger noch „in Ausübung des Wehrdienstes” befand.
Sollte sich jedoch herausstellen, daß der Kläger nicht dienstbezogen auf T wartete, sondern sich nur deswegen in der Stube des T aufhielt, um mit diesem gemeinsam zu privaten Zwecken die Kaserne zu verlassen, dann führte er zum Unfallzeitpunkt keine Verrichtungen mehr aus, die noch mit dem Dienst im inneren Zusammenhang standen (vgl BSG, aaO, S 143), übte also keinen Wehrdienst mehr aus. Die Nichtfeststellbarkeit der genannten Umstände geht zu Lasten des Klägers (sogenannte objektive Beweislast – vgl Rohr/Sträßer Anm 10 zu § 1 BVG; Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl, RdNr 10 zu § 103 mwN). Denn es gehört zu den den geltend gemachten Anspruch begründenden Tatbestandsmerkmalen, daß der Soldat einen Unfall während der Ausübung des Wehrdienstes erlitten hat (vgl § 81 Abs 1 SVG).
Sollte das LSG zu der Feststellung gelangen, daß der Kläger zum Unfallzeitpunkt unter Versorgungsschutz stand, so wären außerdem Feststellungen hinsichtlich Art und Ausmaß der Schädigungsfolgen notwendig.
Zur Nachholung dieser tatsächlichen Feststellungen, die der Senat nicht selbst treffen kann (§ 163 SGG), ist der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, das im Rahmen seiner Kostenentscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.
Fundstellen