Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Begriffen der Hilflosigkeit und Pflegebedürftigkeit im Sinne des BVG § 35.
2. Bei einer als Schädigungsfolge anerkannten offenen Lungentuberkulose rechtfertigt die völlige Erwerbsunfähigkeit allein die Gewährung der Pflegezulage nicht; ebensowenig können wirtschaftliche Gesichtspunkte, der Familienstand oder etwaige Einschränkungen des Lebensbereichs wegen der Ansteckungsgefahr für andere Menschen den Anspruch auf Pflegezulage begründen.
Leitsatz (redaktionell)
1. Hilflosigkeit liegt vor, wenn der Beschädigte eine fremde Hilfskraft ganz oder doch in erheblichem Umfange in Anspruch nehmen muß, weil er zu regelmäßig wiederkehrenden zahlreichen Verrichtungen des täglichen Lebens aus eigener Kraft nicht mehr imstande ist; es genügt, daß die Hilfskraft ständig bereit sein muß. Der Begriff der "zahlreichen Verrichtungen ist nicht eng auszulegen; es genügt, wenn es sich um eine Reihe von Verrichtungen handelt, die häufig und regelmäßig; wiederkehren und wenn die Wartung und Pflege des Beschädigten eine fremde Person in so erheblichem Maße in Anspruch genommen werden muß, daß deren Hilfe oder Hilfsbereitschaft einen wirtschaftlich meßbaren Wert hat, der durch die Rente nicht als mit abgegolten angesehen werden kann. Ob ein Zustand der Hilflosigkeit besteht, ist keine rein medizinische, sondern eine Tatfrage; sie muß in jedem einzelnen Falle unabhängig von der medizinischen Auffassung geprüft werden.
2. Die Bewilligung der Pflegezulage kann weder von der Arbeitsfähigkeit noch von dem Grad der MdE abhängig gemacht werden.
Normenkette
BVG § 35 Fassung: 1957-07-01
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 23. März 1955 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger bezieht nach dem Umanerkennungsbescheid des Versorgungsamts (VersorgA.) Gelsenkirchen vom 30. April 1951 wegen "Lungentuberkulose, Erfrierungsfolgen am linken Fuß, Narben am linken Oberschenkel" vom 1. Oktober 1950 an die Rente eines Erwerbsunfähigen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Bereits am 20. März 1951 hatte er unter Überreichung eines ärztlichen Zeugnisses seines behandelnden Arztes beantragt, ihm neben seinen Versorgungsbezügen eine Pflegezulage zu bewilligen. Dieser Antrag wurde nach Durchführung einer versorgungsärztlichen Untersuchung mit Bescheid vom 29. August 1951 abgelehnt, weil die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pflegezulage nicht gegeben seien. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das Sozialgericht (SG.) Münster hat die Klage gegen den Bescheid vom 29. August 1951 mit Urteil vom 5. März 1954 abgewiesen. Der Kläger sei nicht bettlägerig. Die täglichen Verrichtungen des Lebens könne er allein und ohne fremde Hilfe ausführen; er sei infolge seiner Schädigung nicht so hilflos, daß er nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen könne. Deshalb bestehe kein Anspruch auf eine Pflegezulage.
Im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht (LSG.) Nordrhein-Westfalen in Essen hat der Kläger beantragt, das Urteil des SG. Münster aufzuheben, Pflegebedürftigkeit bei ihm anzuerkennen und eine Pflegezulage vom 1. März 1951 an zu gewähren. Er hat eine Bescheinigung des Facharztes für innere Krankheiten Dr. med. K. in Gelsenkirchen vom 6. November 1953 vorgelegt, nach der sich das bestehende Lungenleiden verschlimmert habe; infolge dieser Verschlimmerung sei er nicht mehr in der Lage, sich selbst zu versorgen. Der Kläger hat im übrigen geltend gemacht, daß seine Ehe im Jahre 1952 geschieden worden und er somit auf sich allein gestellt sei. Er könne daher nicht ohne fremde Hilfe und Wartung bestehen. Nach Einholung eines Befundberichtes und einer gutachtlichen Stellungnahme des St. M. -Hospitals in Wattenscheid, in dem sich der Kläger wegen seiner Lungentuberkulose vom 13. April bis 28. Juni 1954 in stationärer Behandlung befunden hatte, hat das LSG. die Berufung mit Urteil vom 23. März 1955 zurückgewiesen. Es hat dazu ausgeführt: Die Schwere des beim Kläger als Schädigungsfolge anerkannten Lungenleidens mit seinem tbc-positiven Sputumbefund und die damit verbundene völlige Erwerbsunfähigkeit stehe außer Frage. Eine die Gewährung von Pflegezulage rechtfertigende Hilflosigkeit im Sinne des § 35 BVG liege jedoch nicht vor. Der Kläger sei in der Lage, die gewöhnlichen Verrichtungen des täglichen Lebens (Ankleiden. Waschen, Rasieren usw.) allein und ohne fremde Hilfe zu erledigen. Er sei nicht bettlägerig, könne sich ohne Begleitperson außerhalb seiner Wohnung bewegen und die notwendigen Einkäufe zum Lebensunterhalt selbst machen; er sei durch sein Lungenleiden auch nicht gehindert, abgesehen von schwereren körperlichen Arbeiten seinen Haushalt in bescheidenem Rahmen selbst zu versorgen. An all dem sei er durch ärztlich angeordnete Liegekuren in seiner Wohnung nicht gehindert. Zwar habe der Kläger nach Scheidung seiner Ehe eine fremde Frau in seinen Haushalt aufgenommen, die ihm gegen Bezahlung die Wohnung in Ordnung halte und das Essen zubereite; dazu sei er aber nicht durch sein Leiden gezwungen worden. Mit seinem Vorbringen, er sei hilflos im Sinne des § 35 BVG, weil er nach Scheidung seiner Ehe die ständige Hilfe seiner Ehefrau entbehren müsse, könne er nicht gehört werden. Ebensowenig sei die Gewährung der Pflegezulage durch die Tatsache gerechtfertigt, daß er nicht ungehindert wie ein gesunder Mensch seine täglichen Mahlzeiten in einer Gaststätte einnehmen könne.
Das LSG. hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses am 1. April 1955 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 16. April 1955, eingegangen am 19. April 1955, unter Bezeichnung des angefochtenen Urteils und Stellung eines Revisionsantrags Revision eingelegt. Ein weiterer, am 20. April 1955 eingegangener Schriftsatz vom 19. April 1955 enthält die Begründung der Revision.
Der Kläger rügt eine Verletzung des § 35 BVG. Er sei völlig erwerbsunfähig und müsse sich bei seinem schweren Leiden streng an die ärztlichen Anordnungen halten, durch die von ihm u.a. Liegekuren von durchschnittlich sechs bis acht Stunden täglich gefordert würden. Diesen Erfordernissen könne man in den Fällen gerecht werden, in denen der tbc-kranke Patient in einer ehelichen Haushaltsgemeinschaft lebe, in der er sich auf die Pflege seines Ehegatten und auch auf eine zweckentsprechende Haushaltsführung durch diesen verlassen könne. Das alles entfalle bei ihm, so daß er gerade durch die Art seines Leidens gezwungen sei, sich eine Hilfskraft für diejenigen Arbeiten zu halten, für die bei anderen die Ehefrau zur Verfügung stehe. Er sei zur Bestreitung seines Lebensunterhalts allein auf seine Versorgungsbezüge angewiesen; deren Höhe gestatte ihm aber nur die lebensnotwendigsten Bedürfnisse für sich selbst, so daß er mit anderen unverheirateten Männern die die Führung ihres Haushalts dritten Personen gegen angemessene Vergütung überlassen könnten, nicht vergleichbar sei. Im übrigen könne er dem Staat nicht - wie durch das angefochtene Urteil geschehen - das Recht einer Einflußnahme darauf zubilligen, ob ein Anspruchsberechtigter bereit sei, in ehelicher Gemeinschaft zu leben oder nicht. Er glaube auch, daß die Voraussetzungen zur Gewährung einer Pflegezulage nicht ausschließlich mit Wirkung auf den Beschädigten selbst zu prüfen seien; nach seiner Auffassung müsse bei dieser Prüfung auch die weitere Stellung des Beschädigten in seiner Lebensführung berücksichtigt werden. Endlich sei die Frage, ob Hilflosigkeit im Sinne des § 35 BVG vorliege, eine Tatfrage und deshalb in jedem Einzelfalle unabhängig von der medizinischen Auffassung zu prüfen. Den vorliegenden medizinischen Beurteilungen könne deshalb keine entscheidende Bedeutung zukommen.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des LSG. Nordrhein-Westfalen in Essen vom 23. März 1955 sowie des Urteils des SG. Münster vom 5. März 1954 nach dem Klageantrag zu erkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Hinweis des Klägers auf seine völlige Erwerbsunfähigkeit gehe fehl; die Hilflosigkeit im Sinne des § 35 BVG sei nicht nach dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) zu beurteilen, sondern davon unabhängig als selbständige Tatsache zu prüfen. Wortlaut und Sinn des § 35 BVG, nach dem in der Pflegezulage nur eine Entschädigung für die rein persönliche Pflege und Wartung des Beschädigten erblickt werden könne, ständen der Auffassung des Klägers entgegen, daß sie auch für erhöhte Aufwendungen in einen frauenlosen Haushalt zu gewähren sei.
Auf die Schriftsätze des Klägers und des Beklagten vom 16. April 1955, 19. April 1955 und 29. Juni 1955 wird Bezug genommen.
Die Revision ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden und durch Zulassung (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - ) statthaft. Sie ist jedoch nicht begründet.
Das LSG. hat zutreffend einen Berufungsausschließungsgrund, insbesondere im Sinne des § 148 Nr. 3 SGG, nicht angenommen und die Berufung gegen das Urteil des SG. als zulässig angesehen. Bei dem angefochtenen Bescheid vom 29. August 1951 handelt es sich hinsichtlich der Pflegezulage um eine - im ablehnenden Sinne ergangene - Erstfeststellung, da frühere Bescheide der Verwaltungsbehörde sich auf andere Versorgungsleistungen (Rente) bezogen hatten. Von einer Neufeststellung im Sinne des § 148 Nr. 3 SGG mit der Wirkung des Berufungsausschlusses kann aber nur die Rede sein, wenn eine Vergleichsgrundlage für eine "Änderung der Verhältnisse" vorhanden ist, wenn also eine frühere Feststellung gleichartiger Bezüge vorausgegangen ist. Es handelt sich somit nicht um die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse (§ 148 Nr. 3 SGG), wenn ein Anspruch auf Gewährung der Pflegezulage streitig ist und dem - wie vorliegend - mit der Klage angefochtenen Bescheid ein anderer Bescheid, durch den über die Gewährung einer Pflegezulage - bejahend oder verneinend - erkennbar entschieden worden ist, nicht vorausgegangen ist (vgl. BSG. 3 S. 271 [274]; SozR. SGG § 148 Bl. Da 5 Nr. 13 und Bl. Da 6 Nr. 17).
Das Berufungsgericht hat auch § 35 BVG nicht verletzt. Nach dieser Vorschrift besteht ein Anspruch des Beschädigten auf die Gewährung einer Pflegezulage, so lange er infolge der Schädigung so hilflos ist, daß er nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen kann. Wann und unter welchen Umständen Hilflosigkeit im Sinne des § 35 BVG vorliegt, hat der Gesetzgeber nicht näher ausgeführt und nur für zwei Gruppen von Schwerstbeschädigten, nämlich für Blinde und erwerbsunfähige Hirnverletzte, bestimmt, daß Hilflosigkeit bei ihnen angenommen werden muß. Darüber hinaus sind in den Verwaltungsvorschriften zu § 35 BVG (Nr. 6, 8 und 9) einige Gruppen von Schwerbeschädigten genannt - hochgradig in ihrer Sehkraft Beeinträchtigte, Doppelamputierte und Geisteskranke in Heilanstaltspflege -, bei denen mit Rücksicht auf ihre schwere Gesundheitsstörung und im Hinblick auf die deshalb regelmäßig bestehende Einschränkung ihrer Bewegungsmöglichkeiten im täglichen Leben Hilflosigkeit und Pflegebedürftigkeit grundsätzlich zu bejahen sind. Der Begriff der Hilflosigkeit dahingehend, daß diese dann anzunehmen ist, wenn der Beschädigte nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen kann, bedarf deshalb der Auslegung.
§ 35 BVG stimmt abgesehen davon, daß an die Stelle der "Dienstbeschädigung" die "Schädigung" getreten ist, wörtlich mit der Vorschrift des § 31 des Reichsversorgungsgesetzes (RVG) überein; sie entspricht auch dem früheren § 560 (jetzt § 558 c) der Reichsversicherungsordnung (RVO). Dazu hat schon das Reichsversicherungsamt (RVA.) - für die inhaltlich gleiche Vorschrift des § 9 Abs. 3 des Gewerbe-Unfallversicherungsgesetzes - in seiner Rekursentscheidung vom 19. September 1901 (Amtliche Nachrichten des RVA. 1902 S. 181 Nr. 1899) entschieden, daß als hilflos derjenige, aber auch nur dieser, angesehen werden muß, für dessen Pflege dauernd eine fremde Hilfskraft ganz oder doch in erheblichem Umfange in Anspruch genommen werden muß, weil er zu den meisten Verrichtungen der gewöhnlichen Lebenshaltung aus eigener Kraft nicht mehr im Stande ist. Dieser Rechtsprechung hat sich das Reichsversorgungsgericht (RVGer.) in seiner Grundsätzlichen Entscheidung vom 8. März 1922 (RVGer. 2 S. 188) zur Auslegung des § 31 RVG angeschlossen und angenommen, daß hilflos im Sinne dieser Vorschrift nur der ist, für dessen Pflege dauernd eine fremde Hilfskraft ganz oder in erheblichem Umfange in Anspruch genommen werden muß. Das RVGer. hat diese Rechtsprechung weiter entwickelt und Hilflosigkeit auch für den Fall angenommen, daß der Beschädigte in regelmäßiger Wiederkehr bei zahlreichen Verrichtungen des täglichen Lebens fremder Hilfe bedarf (RVGer. 6 S. 43). Es hat auch als ausreichend angesehen, wenn der Gesundheitszustand des Beschädigten, ohne eine fortwährende tatsächliche Hilfeleistung einer fremden Hilfskraft erforderlich zu machen, die ständige Bereitschaft einer Pflegeperson für ihn notwendig macht (RVGer. 2 S. 207). Dabei sei der Begriff der "zahlreichen Verrichtungen" (vgl. RVGer. 6 S. 43) nicht eng auszulegen. es genüge, wenn es sich um eine Reihe von Verrichtungen handele, die häufig und regelmäßig wiederkehren, und wenn für Wartung und Pflege des Beschädigten eine fremde Person in so erheblichem Maße in Anspruch genommen werden müsse, daß deren Hilfe oder Hilfsbereitschaft einen wirtschaftlich meßbaren Wert habe, der durch die Rente nicht als mit abgegolten angesehen werden könne (RVGer. 7 S. 218).
Für den Senat bestand kein Anlaß, den § 35 BVG anders auszulegen, als es das RVGer. zu dem gleichen § 31 RVG getan hat. Danach ist hilflos im Sinne des § 35 BVG derjenige Beschädigte, der für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden - nicht nur für einzelne - Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens ganz oder in erheblichem Umfange fremder Hilfe dauernd bedarf; dabei ist nicht erforderlich, daß die Hilfe tatsächlich fortwährend geleistet wird, es genügt schon, daß die Hilfskraft ständig in Bereitschaft sein muß. Es kommt aber entgegen der Auffassung der Revision und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des RVGer. (RVGer. a.a.O., insbesondere 12 S. 218 [219]) bei der Entscheidung über die Frage, ob Hilflosigkeit vorliegt, nicht auf wirtschaftliche Gesichtspunkte, sondern allein auf den Leidenszustand des Beschädigten und die durch diesen Leidenszustand bedingte persönliche Pflege an, die Stellung des Beschädigten in seiner Lebensführung - im weiteren Sinne - muß unberücksichtigt bleiben.
Ob ein Zustand der Hilflosigkeit in dem vorstehend erörterten Sinne besteht, ist - darin war der Revision zuzustimmen - keine rein medizinische, sondern eine Tatfrage; sie muß in jedem einzelnen Falle unabhängig von der medizinischen Auffassung geprüft werden (vgl. Thannheiser-Wende-Zech, Handbuch des Bundesversorgungsrechts I § 35 S. 171; Van-Nuis-Vorberg, Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, IV § 35 S. 116; RVGer. 2 S. 207 [208]; Reinbach in RVGer. 12 Anh. S. 315 [322]).
Nach den das Bundessozialgericht bindenden Feststellungen des LSG. (§ 163 SGG) und den eigenen Darlegungen des Klägers bestand vorliegend für den Senat keine Möglichkeit, dem Klagebegehren zu entsprechen und den Kläger als hilflos im Sinne des § 35 BVG anzusehen. Der Kläger leidet - neben den Erfrierungsfolgen am linken Fuß und den Narben am linken Oberschenkel - an einer offenen Lungentuberkulose mit dauerndem tbc-positiven Befund und ist deshalb völlig erwerbsunfähig. Diese Erwerbsunfähigkeit aber reicht nicht, wie der Kläger meint, schon aus, um nun auch ohne weiteres Hilflosigkeit annehmen zu können. Denn die Bewilligung der Pflegezulage kann weder von der Arbeitsfähigkeit noch von dem Grad der MdE. abhängig gemacht werden. Ebensowenig wie einem noch beschränkt Arbeitsfähigen oder einem beschränkt Erwerbsfähigen bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 35 BVG die Pflegezulage wegen der beschränkten Arbeits- oder Erwerbsfähigkeit abgesprochen werden kann, ebensowenig ist die Tatsache der völligen Erwerbsunfähigkeit schon für sich allein ein Grund, um einen Anspruch auf die Pflegezulage zu bejahen. Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit haben nichts unmittelbar mit der im § 35 BVG geforderten Hilflosigkeit zu tun. Das hat auch das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt (vgl. Thannheiser-Wende-Zech, a.a.O. S. 171; RVGer. 4 S. 74).
Auch mit seinem weiteren Vorbringen im Hinblick auf seine Erwerbsunfähigkeit und die Tatsache, daß er geschieden sei und deshalb eine fremde Frau mit der Führung seines Haushalts habe beauftragen müssen, konnte der Kläger keinen Erfolg haben.
Denn für die Gewährung der Pflegezulage kann es bei der klaren Vorschrift des § 35 BVG, die es allein auf den persönlichen Leidenszustand des Beschädigten und seine Hilflosigkeit abstellt, nicht entscheidend sein, ob der Beschädigte verheiratet ist oder nicht oder ob er sich bei seiner Lebens- und Haushaltsführung in einem frauenlosen Haushalt befindet. Wollte man den Ausführungen des Klägers folgen, so müßte bei einem Antrag auf Gewährung von Pflegezulage unabhängig von der Frage der Hilflosigkeit im Sinne des § 35 BVG regelmäßig auch geprüft werden, ob es sich um einen alleinstehenden Beschädigten, um einen verheirateten oder um einen solchen handelt, der im Kreise seiner Familie lebt. Gegebenenfalls müßte sogar, wenn ein lediger Pflegezulageempfänger eine Ehe eingegangen ist, geprüft werden, ob ihm wegen seiner Verheiratung die bis dahin gewährte Pflegezulage wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse (§ 62 Abs. 1 BVG) entzogen werden soll. Das aber würde dem Willen des Gesetzgebers sicher nicht entsprechen (vgl. RVGer. 9 S. 267; 12 S. 218). Wirtschaftliche Gesichtspunkte allein - wie vorliegend die vom Kläger als nicht ausreichend empfundene Höhe der Rente - oder der Familienstand müssen daher ausscheiden.
Endlich war auch der Hinweis des Prozeßbevollmächtigten des Klägers auf die Vorschrift des § 35 Abs. 2 BVG nicht geeignet, den Anspruch auf die Pflegezulage zu begründen. Denn der Fortfall einer Pflegezulage nach dieser Vorschrift in den Fällen, in denen dem Beschädigten Kur und Verpflegung in einer Heilanstalt oder in einer Kuranstalt oder in einer Heilstätte gewährt wird, hat zur Voraussetzung, daß Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 BVG - wegen der bestehenden Pflegebedürftigkeit - gezahlt wird.
Nach alledem kann es im vorliegenden Falle nur noch auf den körperlichen Zustand des Klägers und darauf ankommen, ob bei ihm die oben näher dargelegten Voraussetzungen zur Gewährung einer Pflegezulage gegeben sind. Das ist nicht der Fall. Der Kläger ist wegen seiner Lungentuberkulose weder dauernd bettlägerig noch in einer Lungenheilstätte isoliert. Nach den Feststellungen des LSG. kann auch sein allgemeines Befinden - trotz dauerndem tbc-positiven Befund - nicht als schlecht angesehen werden. Er ist in der Lage, kleine Spaziergänge sowie die täglichen kleineren Besorgungen und die damit verbundenen Wege selbst und ohne Begleitperson zu machen; er erledigt ohne fremde Hilfe die gewöhnlichen Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens; er kleidet sich allein an, wäscht und rasiert sich und ist ohne fremde Hilfskraft auch in der Lage, leichtere häusliche Arbeiten zu verrichten und sich gegebenenfalls selbst etwas Essen zuzubereiten. Daran wird er auch durch die ärztlich verordneten täglichen Liegekuren in seiner Wohnung nicht gehindert. Eine Hilflosigkeit des Klägers dahingehend, daß er nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen kann, liegt deshalb nicht vor. Daran ändert nichts, daß er nach Scheidung seiner Ehe eine Frau gegen Bezahlung in seinem Haushalt beschäftigt, die die täglich anfallenden Haushaltsarbeiten verrichtet und das Essen zubereitet. Denn hierbei handelt es sich nicht um einen Akt der Pflege im Sinne des § 35 BVG.
Der Senat hat endlich noch geprüft, ob die Tatsache, daß der Kläger an einer ansteckenden, offenen Lungentuberkulose leidet, seine Pflegebedürftigkeit begründen kann. Müller (Die Kriegsopferversorgung 1955 Nr. 9 S. 141) meint dazu, selbst wenn der Kranke ohne weiteres noch in der Lage sei, die notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens selbst auszuführen, müsse Hilfsbedürftigkeit dann anerkannt werden, wenn es sich um eine ansteckende Krankheit wie die offene Lungentuberkulose handele, denn diese gefährde weitgehend andere Menschen, wenn der Kranke sich frei bewege, und zwinge ihn infolge seiner Verantwortung gegenüber seinen Mitmenschen, sich soweit wie möglich zu isolieren. Diese notwendige Einschränkung des Lebensbereichs komme einer Hilflosigkeit gleich. Der Senat vermochte dem nicht zu folgen. Denn abgesehen davon, daß eine gegebenenfalls notwendige Einschränkung des Lebensbereichs dem gesetzlichen Erfordernis des § 35 BVG - der Beschädigte muß so hilflos sein, daß er nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen kann - nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden kann, wirkt sich auch die mit der offenen Lungentuberkulose verbundene Ansteckungsgefahr nicht auf den Leidenszustand des Beschädigten selbst, sondern auf seine Mitmenschen aus. Etwaige Aufwendungen zur Vermeidung der Ansteckungsgefahr - im Interesse der Allgemeinheit und nicht etwa des Beschädigten - können aber nicht zu Lasten der Kriegsopferversorgung über § 35 BVG gehen. Der Leidenszustand des Beschädigten wird durch die bei der offenen Lungentuberkulose bestehende Ansteckungsgefahr nicht berührt (vgl. auch Bayer. LSG. vom 27. 10. 1955 in BVBl. 1956 S. 137, [138]).
Danach ist die Revision des Klägers gegen das angefochtene Urteil unbegründet; sie war wie geschehen zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen