Entscheidungsstichwort (Thema)
Wertvergleich. einmalige Leistungen
Leitsatz (amtlich)
Bei dem zur Ermittlung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit iS von RKG § 45 Abs 1 Nr 2 erforderlichen Vergleich der Arbeitseinkommen ist weder die Zuwendung gemäß Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte nach BG-AT noch die Jahresvergütung im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau zu berücksichtigen.
Orientierungssatz
Gegenstand des Wertvergleichs ist nicht die effektive Höhe des jeweiligen Erwerbseinkommens, sondern der objektive wirtschaftliche Wert der zu vergleichenden Tätigkeiten, der sich in der Regel aus der tariflichen Vergütung ergibt, auf die der Arbeitnehmer auf jeden Fall Anspruch erheben kann. Unter Bedingungen zu gewährende einmalige Leistungen, mit denen der Arbeitnehmer zu Beginn des Jahres vor ihrer Fälligkeit noch nicht fest rechnen kann, dürfen in den Wertvergleich nicht einbezogen werden.
Normenkette
RKG § 45 Abs 1 Nr 2 Fassung: 1957-05-21
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 23.06.1977; Aktenzeichen L 2 Kn 94/75) |
SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 22.09.1975; Aktenzeichen S 18 Kn 51/75) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. Juni 1977 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger die Bergmannsrente wegen Vollendung des 50. Lebensjahres und Erfüllung besonderer Wartezeit gemäß § 45 Abs 1 Nr 2 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) zusteht.
Der im Jahre 1920 geborene Kläger war ab 1937 knappschaftlich versichert, zuletzt von 1954 bis 1963 während seiner Beschäftigung als Hauer. Seit dem 1. Juni 1963 ist er als Angestellter bei der Bergbau-Berufsgenossenschaft (Bergbau-BG) tätig, zunächst in der Registratur, dann-ab Mai 1974-als Pförtner. Er ist seit Juli 1974 eingestuft in die Vergütungsgruppe IXa des Berufsgenossenschafts-Angestelltentarifvertrages (BG-AT).
Den Antrag des Klägers vom 17. September 1974, ihm Bergmannsrente gemäß § 45 Abs 1 Nr 2 RKG zu gewähren, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 6. Januar 1975 ab. Im Vergleich zu der "bisher verrichteten knappschaftlichen Arbeit" als Hauer im Gedinge verrichte er noch eine wirtschaftlich gleichwertige Arbeit. Die dafür maßgebende Grenze liege in seinem Fall bei einem monatlichen Arbeitsentgelt von 1.405,36 DM (= 90 vH des Hauerlohnes). Diesen Wert überschreite er mit seinem Pförtnergehalt von 1.412,77 DM, das sich aus Grundvergütung (1.000,92 DM), Ortszuschlag (371,85 DM) und Zulage gem Tarifvertrag (40,- DM) zusammensetze. Zudem sei das 13. Gehalt, das der Kläger beziehe, abzüglich eines Steuerfreibetrages von 100,- DM auf die einzelnen Monate des Jahres umzulegen, wodurch sich sein Einkommen monatlich um 109,40 DM auf 1.522,17 DM erhöhe.
Widerspruch und Klage brachten dem Kläger keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts - SG - vom 12. September 1975). Auf seine Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte verurteilt, dem Kläger Bergmannsrente nach § 45 Abs 1 Nr 2 RKG für die Zeit ab 1. Oktober 1974 zu gewähren. Bei der Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit im Sinne dieser Vorschrift ist das LSG von einem Grenzwert von 92,5 vH des Hauerlohnes ausgegangen. Der objektive Wert der jetzigen Tätigkeit des Klägers unterschreite diesen Grenzwert, weil das 13. Monatsgehalt hier außer acht gelassen werden müsse. Es entspreche in seiner Funktion der im Bergbau gezahlten sogenannten Jahresvergütung. Beide Leistungen der Arbeitgeber knüpften nicht unmittelbar an die verrichtete Arbeit an, sondern verbesserten den sozialen Status des Arbeitnehmers für einen längeren Zeitraum, ohne allerdings aus rein sozialen Gründen gewährt zu werden. Zwar richte sich das 13. Monatsgehalt in seiner Höhe nach den laufenden Bezügen, während die Jahresvergütung des Bergmannes unabhängig von der Lohneinstufung einen festen Betrag ausmache. Die gemeinsamen Wesensmerkmale beider Leistungen führten aber dazu, sie bei der Prüfung des objektiven wirtschaftlichen Wertes der Vergleichstätigkeiten gleich zu behandeln. Selbst wenn man das 13. Gehalt und die Jahresvergütung in diese Berechnung einbeziehe, übersteige das Einkommen des Klägers den Grenzwert von 92,5 vH des Hauerlohnes nicht (Urteil vom 23. Juni 1977).
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie ist der Ansicht, das 13. Monatsgehalt, das im öffentlichen Dienst gezahlt werde, stelle einen echten Lohnbestandteil dar und sei bei dem Wertvergleich im Rahmen der Bergmannsrente zu berücksichtigen. Anders verhalte es sich mit der im rheinischwestfälischen Steinkohlenbergbau gezahlten Jahresvergütung, die aus Erholungsbeihilfe und Weihnachtsgeld bestehe. Hier handele es sich um eine Gratifikation und damit um eine Sozialzulage.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. Juni 1977 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Gelsenkirchen vom 12. September 1975 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Dem Kläger steht - wie vom LSG entschieden - seit dem 1. Oktober 1974 die Bergmannsrente nach § 45 Abs 1 Nr 2 SGG zu.
Nach dieser Vorschrift erhält ein Versicherter auf Antrag Bergmannsrente, wenn er das 50. Lebensjahr vollendet hat, im Vergleich zu der von ihm bisher verrichteten knappschaftlichen Arbeit keine wirtschaftlich gleichwertigen Arbeiten mehr ausübt und die Wartezeit nach § 49 Abs 2 RKG erfüllt hat. Streitig ist zwischen den Beteiligten nur, ob die vom Kläger ausgeübte Pförtnertätigkeit im Vergleich zu der zuletzt von ihm verrichteten knappschaftlichen Arbeit - seinem knappschaftlichen Hauptberuf als Hauer der Lohngruppe 10 - in diesem Sinne wirtschaftlich gleichwertig ist. Wie der Senat bereits durch Urteil vom 29. Juni 1977 (SozR 2600 § 45 Nr 18) entschieden hat, ist dies dann anzunehmen, wenn die Lohndifferenz nicht mehr als etwa 7,5 vH beträgt. Die bisherige Rechtsprechung, wonach diese Differenz 10 vH betragen durfte (vgl SozR Nr 38 zu § 45 RKG), hat der Senat aufgegeben.
Der Kläger verrichtet als Pförtner bei der Bergbau-BG keine gegenüber seinem knappschaftlichen Hauptberuf als Hauer der Lohngruppe 10 iS des § 45 Abs 1 Nr 2 RKG gleichwertige Arbeit. Das LSG hat unangegriffen festgestellt, daß sein Einkommen ohne 13. Monatsgehalt den Grenzwert von 92,5 vH des Hauerlohnes ohne Jahresvergütung unterschreitet. Beide Leistungen, das sogenannte 13. Gehalt und die Jahresvergütung, sind bei dem hier vorzunehmenden Wertvergleich unberücksichtigt zu lassen. Grundlage des "13. Monatsgehalts" (im folgenden kurz "Zuwendung" genannt) ist der "Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte", deren Arbeitsverhältnisse durch BG-AT geregelt sind. Dieser Tarifvertrag datiert vom 30. Juni 1976 und galt erstmals für die Gewährung der Zuwendung im Jahre 1976 (§ 5 des Tarifvertrages). Das LSG geht davon aus, daß der Kläger solche Zuwendungen auch in den Jahren 1974 und 1975 erhalten hat, ohne insoweit nähere Feststellungen getroffen zu haben und ohne Angabe der Rechtsgrundlage. Die Zahlung der Zuwendung in den Jahren vor 1976 kann hier jedoch unterstellt werden, weil sich dadurch am Ergebnis des Rechtsstreits nichts ändert. Die Höhe der Zuwendung beträgt - von besonders geregelten Ausnahmefällen abgesehen - 100 vH der Urlaubsvergütung, die dem Angestellten zugestanden hätte, wenn er während des ganzen Monats September Urlaub gehabt hätte (§ 2 Abs 1 Satz 1 des Tarifvertrages vom 30.6.1976). Seit 1974 erhalten entsprechend dem "Tarifvertrag über die Gewährung einer Jahresvergütung im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau" vom 3. Mai 1974 und den Folgeverträgen Arbeiter, Tarifangestellte und Auszubildende in diesem Bergbaugebiet eine Jahresvergütung. Diese teilt sich auf in Erholungsbeihilfe und Weihnachtsgeld. Als Bezugsgröße für die Jahresvergütung gilt das Tarifanfangsgehalt der Gehaltsgruppe 13 eines technischen Angestellten im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau (§ 1 des Tarifvertrages vom 3. Mai 1974). Vorläufer der Vereinbarung zwischen den Tarifparteien über die Jahresvergütung waren die Tarifverträge über die Gewährung eines Urlaubsgeldes vom 28. Juni 1968 und eines Weihnachtsgeldes vom 16. Oktober 1970.
Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung (vgl SozR 2600 § 45 Nr 2 und 18 mwN) entschieden, daß bei der Anwendung des § 45 Abs 1 Nr 2 RKG, ebenso wie bei der Anwendung des § 45 Abs 2 RKG, Gegenstand des Wertvergleichs nicht die effektive Höhe des jeweiligen Erwerbseinkommens, sondern der objektive wirtschaftliche Wert der zu vergleichenden Tätigkeiten ist, der sich in der Regel aus der tariflich vorgeschriebenen Vergütung ergibt, auf die der Arbeitnehmer auf jeden Fall Anspruch erheben kann. Zulagen und Prämien können bei der Prüfung, ob eine Tätigkeit einer anderen wirtschaftlich gleichwertig ist, grundsätzlich nur dann mitberücksichtigt werden, wenn sie den wirtschaftliche Wert der Tätigkeit erhöhen, tariflich abgesichert oder so allgemein üblich sind, daß sie praktisch schon notwendig zum Arbeitseinkommen der Arbeitnehmer des betreffenden Tarifbezirks gehören. An dem Erfordernis der Werterhöhung der ausgeübten Tätigkeit fehlt es aber sowohl bei der Zuwendung, als auch bei der Jahresvergütung.
Die Zuwendung wird zwar im Tarifvertrag nicht mit dem Weihnachtsfest in Verbindung gebracht, der Zahlungstermin am 1. Dezember und die Regelung in § 3, wonach aus sonstigen Gründen gezahlte Weihnachtszuwendungen anzurechnen sind, stellen jedoch einen gewissen Zusammenhang mit Weihnachten her. Als Bestandteil der Jahresvergütung des Bergmannes ist das Weihnachtsgeld ausdrücklich genannt. Da Weihnachtszuwendungen heute im gesamten Bereich des Erwerbslebens abhängig Beschäftigter als der Regelfall angesehen werden müssen, kann der Zuwendung, auf die der Kläger tarifvertraglich Anspruch hat und neben der er ein Weihnachtsgeld nicht erhält, keine den objektiven Wert seiner Pförtnertätigkeit wesentlich erhöhende Wirkung zuerkannt werden. Gleiches gilt für die Jahresvergütung hinsichtlich des objektiven Wertes einer Bergmannstätigkeit. Nicht jede Leistung, die der Arbeitgeber losgelöst von Besonderheiten des Einzelfalles und nicht aus sozialen Erwägungen generell unter gleichen Bedingungen zu leisten hat, muß bei dem Wertvergleich des § 45 Abs 1 Nr 2 RKG Berücksichtigung finden. So hat der Senat die Bergmannsprämie (vgl SozR 2600 § 45 Nr 7 mwN) und den Zuschlag für Arbeiter in durchgehenden (kontinuierlichen) Betrieben des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus (vgl SozR Nr 29 zu § 45 RKG) nicht in die Gleichwertigkeitsprüfung nach § 45 Abs 2 RKG einbezogen.
Der objektive wirtschaftliche Wert der zu vergleichenden Tätigkeiten ergibt sich vielmehr aus der tariflich vereinbarten Vergütung, auf die der Arbeitnehmer auf jeden Fall Anspruch erheben kann (vgl BSG SozR Nr 29 und 32 zu § 45 RKG, 2600 § 45 Nr 2 und 18). "Auf jeden Fall" steht indes den Angestellten der Berufsgenossenschaften - wie dem Kläger - die Zuwendung nicht zu. Sie ist ebenso wie die Jahresvergütung an längere Betriebszugehörigkeit geknüpft (vgl § 1 Abs 1 Nr 1-3 Tarifvertrag vom 30. Juni 1976; § 3 Abs 2 und 3 der Tarifverträge über die Gewährung der Jahresvergütung). Unter bestimmten Voraussetzungen (Kündigung, Vertragsbruch) sind auch Zuwendung und Jahresvergütung zumindest zum Teil zurückzuzahlen (§§ 1 Abs 1 Nr 3 und Abs 4, 3 Abs 6 der genannten Tarifverträge). Im Falle einer solchen Rückzahlungspflicht würde sich nachträglich, wenn man die Zuwendung in den Wertvergleich einbezieht, der objektive Wert der zu vergleichenden Tätigkeit verringern. Auf der anderen Seite kann wegen der besonderen Anspruchsvoraussetzungen der Arbeitnehmer etwa zu Beginn eines Jahres vor Fälligkeit der Zuwendung oder der Jahresvergütung noch nicht fest damit rechnen, daß er eine derartige Leistung auch tatsächlich erhalten wird. Zu Beginn des Jahres reicht einerseits die Anwartschaft auf eine im Dezember fällige Zuwendung zur Erhöhung des objektiven Wertes der verrichteten Tätigkeit ebensowenig aus, wie dies andererseits durch eine Aufteilung der im Vorjahr gezahlten Zuwendung auf Monate des laufenden Jahres erreicht werden kann. Der objektive wirtschaftliche Wert der Arbeitsleistung bemißt sich vielmehr nach dem, was der Versicherte regelmäßig und in bestimmten Zeitabschnitten wiederkehrend beanspruchen kann; das ist normalerweise das Monatsgehalt oder der Wochenlohn.
Die Beklagte gelangt nur deshalb zur Ablehnung des geltend gemachten Rentenanspruchs, weil sie wohl die Zuwendung in die Prüfung der Gleichwertigkeit einbezieht, nicht dagegen die Jahresvergütung. Beide Leistungen enthalten jedoch - wie dargelegt - gemeinsame Wesensmerkmale, die für ihre Gewährung entscheidend sind, so daß auch ihre Gleichbehandlung in Form der jeweiligen Nichtberücksichtigung bei der Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit im Sinne des § 45 Abs 1 Nr 2 RKG gerechtfertigt ist. Gegen die von der Beklagten befürwortete unterschiedliche Bewertung und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Bergmannsrente stimmt im übrigen auch die Höhe beider Leistungen bedenklich. So betrug zB das Monatsgehalt des Klägers 1974 1.412,77 DM und das Anfangsgehalt des technischen Angestellten der Gruppe 13 als Bezugsgröße der Jahresvergütung belief sich auf 1.526,- DM. Für 1977 lauten die entsprechenden Werte 1.675,16 DM Gehalt und 1.871,- DM zuzüglich 12,5 vH, insgesamt also 2.104,88 DM Jahresvergütung. Die Beklagte läßt also im Falle des Klägers die höhere Leistung unberücksichtigt. Auf diese Weise ergibt sich eine Verzerrung beim Wertvergleich an Hand des objektiven Wertes der gegenüberzustellenden Tätigkeiten, die nicht § 45 Abs 1 Nr 2 RKG mit dem darin zum Ausdruck gekommenen Plan des Gesetzgebers und der aufgezeigten Rechtsprechung des Senats entspricht. Sowohl die Zuwendung als auch die Jahresvergütung haben nach ihrer Entstehungsgeschichte ihren Ursprung im wesentlichen im Weihnachtsgeld. Der Unterschied besteht heute vornehmlich darin, daß die Zuwendung angebunden ist an das individuelle Gehalt des Angestellten der Berufsgenossenschaft, während die Jahresvergütung eine pauschale Bezugsgröße kennt, die unabhängig von der Einstufung des Beziehers in Lohn- oder Gehaltsgruppen im Bergbau ist. Damit werden Schwierigkeiten vermieden, die sich bei einer stärkeren Differenzierung und Anbindung der Jahresvergütung an den individuellen Lohn des Arbeitnehmers ergeben könnten. Für den objektiven Wert der zu vergleichenden Tätigkeiten ist dieser Unterschied aber nicht bestimmend. Vielmehr ist dem LSG darin zuzustimmen, daß die aufgezeigten gemeinsamen Wesensmerkmale von Zuwendung und Jahresvergütung hier eine Gleichbehandlung erfordern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Fundstellen