Leitsatz (amtlich)
Die Regelung des § 242b Abs 1 iVm § 44 Abs 2 AFG verstößt nicht gegen Art 14 GG.
Normenkette
AFG § 44 Abs 2 S 1 Nr 2 Fassung: 1983-12-22, § 242b Abs 1 Fassung: 1983-12-22; GG Art 14 Abs 1
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 22.01.1985; Aktenzeichen L 7 Ar 277/84) |
SG Stade (Entscheidung vom 14.06.1984; Aktenzeichen S 6 Ar 120/84) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob das dem Kläger ab Oktober 1982 gezahlte Unterhaltsgeld (Uhg) mit Wirkung vom 1. Januar 1984 nach § 242b Arbeitsförderungsgesetz (AFG) herabgesetzt werden durfte.
Der im Jahr 1945 geborene ledige Kläger, Jurist und Sprachlehrer, wurde vom 4. Oktober 1982 an zum Tischler umgeschult; die Maßnahme sollte bis Ende September 1984 dauern. Das Arbeitsamt Stade bewilligte ihm für die Zeit vom 4. Oktober 1982 an Uhg nach § 44 Abs 2 AFG in Höhe von 68 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts sowie Zuschußleistungen nach § 45 AFG. Mit Bescheid vom 3. Januar 1984 setzte es das Uhg mit Wirkung vom 1. Januar 1984 auf 63 vH des maßgebenden Arbeitsentgelts herab. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos.
Das Sozialgericht Stade hat mit Urteil vom 14. Juni 1984 die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers als unbegründet zurückgewiesen und die Revision zugelassen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Die Herabsetzung sei aufgrund des Haushaltsbegleitgesetzes (HBegleitG) 1984 rechtmäßig. Der Kläger könne sich nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen, auch liege in der Kürzung des Uhg keine unzumutbare oder unverhältnismäßige Belastung.
Mit der Revision trägt der Kläger vor, § 242b Abs 1 AFG verstoße gegen Art 14 Grundgesetz (GG). Er beantragt, die Urteile der Vorinstanzen sowie den Bescheid des Arbeitsamtes Stade vom 3. Januar 1984 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Uhg weiter nach einem Satz von 68 statt 63 vH zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 1984 ist, wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, rechtmäßig.
Der Anspruch des Klägers auf Uhg, der dem Grunde nach feststeht und von den Beteiligten nicht bezweifelt wird, ergab sich der Höhe nach aus § 44 Abs 2 Satz 1 Nr 2 AFG in der am 1. Januar 1982 in Kraft getretenen Fassung des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes. Danach betrug das Uhg für einen ledigen und kinderlosen Teilnehmer 68 vH des - näher beschriebenen - Arbeitsentgelts. Die Vorschrift ist durch das am 1. Januar 1984 in Kraft getretene HBegleitG 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I 1532) geändert worden; sie sieht jetzt ein Uhg von 63 vH vor. Der durch das HBegleitG 1984 eingefügte § 242b Abs 1 AFG bestimmt, daß § 44 Abs 2 AFG in der vom 1. Januar 1984 an geltenden Fassung von diesem Zeitpunkt an auch für Ansprüche gilt, die vor diesem Zeitpunkt entstanden sind, daß insoweit über bereits zuerkannte Ansprüche neu zu entscheiden ist (Satz 1), und daß Änderungsbescheide mit Wirkung vom 1. Januar 1984 an wirksam werden (Satz 2).
Der angefochtene Bescheid hält sich im Rahmen dieser Vorschriften. Das LSG hat zutreffend ausgeführt, daß § 242b AFG als Sonderregelung der allgemeinen Regelung sowohl der §§ 48 ff Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - SGB X - (vgl dazu § 1 Abs 1 Satz 1 SGB X) als auch des § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vorgeht. Daß nach einfachem Recht der Bescheid nicht zu beanstanden ist, wird von den Beteiligten auch nicht in Zweifel gezogen. Die Revision beschränkt sich darauf, den Verstoß des § 242b AFG gegen Art 14 GG geltend zu machen. Ein solcher Verstoß liegt jedoch nicht vor.
Art 14 GG gewährleistet das Eigentum und läßt eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit und nur unter bestimmten, in Abs 3 Sätze 2 bis 4 genannten Bedingungen zu.
Der Anspruch des Teilnehmers an einer beruflichen Fortbildungsmaßnahme auf Uhg mag als ein vermögenswertes subjektiv-öffentliches Recht anzusehen sein, das Merkmale des Eigentumsbegriffs im Sinn von Art 14 GG aufweist, weil es aus Beitragsmitteln des Versicherten finanziert wird (so der 7. Senat in BSGE 48, 33, 39 = SozR 4100 § 44 Nr 19 S 59 mwN). Dann wird dieser Anspruch nach den Grundsätzen des Vertrauensschutzes (BVerfGE 64, 87, 104; 58, 81, 120) und der Verhältnismäßigkeit (BVerfGE 64, 87, 101; 58, 81, 117) geschützt, wobei es wesentlich auf das Gewicht einerseits des Eingriffs und andererseits des legitimierenden Grundes ankommt.
Der Vertrauensschutz steht der Vorschrift des § 242b AFG nicht entgegen. Wie der Anspruch auf Übergangsgeld nach § 59 Abs 1 AFG immer erst mit der Teilnahme für die jeweiligen Zeiten entsteht (Urteil vom 20. Juni 1985 - 11b/7 RAr 89/84 - SozR 4150 Art 1 § 2 Nr 2), entsteht auch der Anspruch auf Uhg werktäglich durch die Teilnahme (Gagel, AFG, § 44 Anm 2). Der Kläger besaß deshalb bei Erlaß des HBegleitG 1984 vom 22. Dezember 1983 für die Zeit vom 1. Januar 1984 an erst eine Anwartschaft auf Uhg-Leistungen. Bei solchen Anwartschaften hat der Gesetzgeber weitgehende Freiheit, den Inhalt und die Schranken nach Art 14 Abs 1 Satz 2 GG zu bestimmen; wenn es dem Gemeinwohl dient und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, darf er auch Leistungen für zukünftige Zeiträume kürzen (Urteil des Senats vom 20. Juni 1985 mwN).
Die Kürzung des Uhg war auch verhältnismäßig. Wenn die Kürzung des Übergangsgeldes um 25 vH die Rechtsposition des Behinderten nicht "im ganzen entwertet" (BSG SozR 2200 § 1241 Nr 24), kann eine Herabsetzung des Uhg von 68 vH auf 63 vH des maßgebenden Arbeitseinkommens nicht als unverhältnismäßig angesehen werden.
Die Kürzung des Uhg diente dem Gemeinwohl. Nach der Begründung der Bundesregierung zum HBegleitG 1984 war ua die Kürzung des Uhg wegen der schwierigen Finanzlage der Bundesanstalt für Arbeit und des Bundes unabwendbar; sie sollte die Funktions- und Leistungsfähigkeit der Arbeitsförderung sichern, weshalb es notwendig war, auch die Leistungsansprüche zu kürzen, die bereits vor dem 1. Januar 1984 entstanden waren (BR-Drucks 302/83, S 87).
Ob die Vorschrift des § 242b Abs 1 iVm § 44 Abs 2 AFG trotz des Umstandes, daß sie keine Ansprüche, sondern nur Anwartschaften betrifft, eine sogenannte unechte Rückwirkung (soweit diese überhaupt neben Art 14 GG in Frage kommt) darstellt, kann dahinstehen. Denn eine solche Rückwirkung ist zulässig, wenn nicht die Abwägung zwischen dem Interesse des Gesetzgebers an einer Änderung und dem Interesse des Betroffenen an einem Schutz seines Vertrauens in den Fortbestand der bisherigen Rechtslage ein Überwiegen der Interessen des Betroffenen ergibt. Hier überwiegt, wie sich aus den Ausführungen zu Art 14 GG ergibt, das Interesse des Gesetzgebers, der mit einem verhältnismäßig geringen Eingriff zur Sanierung des Systems der Arbeitsförderung beitragen wollte.
Die Revision des Klägers war als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen