Leitsatz (amtlich)
Das Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres (RVO § 1248 Abs 1) eines am ersten Tage eines Monats geborenen Versicherten ist nach RVO § 1290 Abs 1 S 1 vom Beginn des Kalendermonats an zu gewähren, in den der Tag der 65. Wiederkehr seines Geburtstages fällt. (So auch BSG 1960-10-19 4 RJ 87/59 = SozR Nr 6 zu § 1248 RVO; Ebenso BSG 1963-02-21 1 RA 206/62).
Normenkette
RVO § 1248 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, § 1290 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1957-02-23; BGB § 187 Abs. 2 S. 2
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. Juni 1961 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Beklagte bewilligte dem am ... 1896 geborenen Kläger auf dessen Antrag vom 3. November 1960 mit Bescheid vom 15. März 1961 Altersruhegeld mit Wirkung vom 1. Januar 1961 an.
Das Sozialgericht (SG) hat die hiergegen erhobene Klage, mit der der Kläger die Gewährung des Altersruhegeldes schon vom 1. Dezember 1960 an erstrebt, abgewiesen. Es hat dazu ausgeführt, es folge der im Urteil des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Oktober 1960 - 4 RJ 87/59 - vertretenen Ansicht, wonach bei der Berechnung des Lebensalters auch in der Sozialversicherung die Auslegungsvorschrift des § 187 Abs. 2 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) anzuwenden ist. Hieraus hat es gefolgert, daß das Altersruhegeld des § 1248 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) eines am 1. Tage des Monats geborenen Versicherten, der die Wartezeit erfüllt hat, nach § 1290 Abs. 1 Satz 1 RVO vom Beginn des Kalendermonats an zu gewähren ist, in den sein Geburtstag fällt. Die Beklagte habe sonach den Beginn des Altersruhegeldes des Klägers richtig auf den 1. Januar 1961 festgesetzt.
Das SG hat gemäß § 150 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Berufung zugelassen.
Gegen das Urteil hat der Kläger mit Einwilligung der Beklagten Sprungrevision eingelegt. Er beantragt,
das angefochtene Urteil und den Bescheid der Beklagten vom 15. März 1961 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Altersruhegeld ab 1. Dezember 1960 zu gewähren.
Er rügt die Verletzung der §§ 1290 Abs. 1 Satz 1 und 1248 Abs. 1 RVO. Bei dessen Auslegung sei § 187 Abs. 2 BGB anzuwenden. Aus dieser Vorschrift ergebe sich, daß, wer am 1. Januar geboren sei, sein 65. Lebensjahr nicht erst mit dem 1. Januar, an dem er 65 Jahre alt werde, vollende, sondern bereits mit Ablauf des 31. Dezember (vgl. Dersch/Neumann, Bundesurlaubsgesetz, S. 113 Randziff. 11 und 12 zu § 3). Auch dann, wenn es sich bei der Gewährung von Waisenrenten aus der Arbeiterrenten-Versicherung um die Vollendung des 18. Lebensjahres handle, gehe die Rechtsauffassung der Versicherungsträger dahin, daß eine z.B. am 1. Januar 1945 geborene Waise das 18. Lebensjahr schon mit Ablauf des 31. Dezember 1962 vollende, nicht erst am 1. Januar 1963. Dementsprechend müsse davon ausgegangen werden, daß der am 1. Januar 1896 geborene Kläger nicht erst am 1. Januar 1961 das 65. Lebensjahr vollendet habe, sondern schon vorher, so daß ihm das Altersruhegeld gemäß § 1290 Abs. 1 RVO schon vom 1. Dezember 1960 an zustehe. Der 4. Senat des BSG habe bei seiner Entscheidung vom 19. Oktober 1960 gegen die Denkgesetze verstoßen. Der 4. Senat sei der Ansicht, daß bei dem gegebenen Wortlaut des § 1290 RVO ein Unterschied zu machen sei zwischen dem Ablauf und dem Beginn einer Frist; bei dem Ablauf einer Frist ergäben sich keine Schwierigkeiten, weil hier das Ende der Frist (Minderjährigkeit, Waisenrente) eindeutig bestimmt sei; dagegen müßten bei dem Beginn einer Frist anderweitige Regeln Anwendung finden. Schon dieser Schluß - meint der Kläger - sei denkgesetzlich nicht aufrechtzuerhalten. Das komme in Enneccerus/Nipperdey, Allg. Teil des Bürgerlichen Rechts, 14. Aufl. § 90 Anm. 4 eindeutig zum Ausdruck. Der 4. Senat meine, daß von der Vollendung eines Lebensalters erst gesprochen werden könne, wenn der neue Lebenszeitraum eingetreten sei. Das sei aber unzutreffend. Das 65. Lebensjahr (solange der Versicherte also 64 Jahre alt ist) werde in der letzten logischen Sekunde vor dem Geburtstag vollendet. In der ersten logischen Sekunde des Geburtstages selbst sei er nämlich schon im 66. Lebensjahr (d.h. 65 Jahre alt). Es sei aber denkgesetzlich ausgeschlossen, auch nur in einer logischen Sekunde zugleich von einem 65. und einem 66. Lebensjahr zu sprechen. Ein "doppeltes" Lebensjahr, wie es der 4. Senat anzunehmen scheine, sei denkgesetzlich unmöglich. Entweder sei man 64 Jahre alt (also im 65.) oder 65 Jahre alt (d.h. im 66. Lebensjahr).
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie schließt sich der Begründung in dem angeführten Urteil des 4. Senats des BSG an. Ein Verstoß gegen die Denkgesetze, wie er vom Kläger gerügt werde, liege nicht vor.
Die nach § 161 Abs. 1 Satz 1 SGG statthafte Revision hat der Kläger form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 164, 166 Abs. 2 SGG). Sie ist damit zulässig. Begründet ist sie aber nicht.
Streitig ist der Beginn des dem Kläger auf Grund des § 1248 Abs. 1 RVO gewährten Altersruhegeldes.
Über den Beginn einer solchen Rente schreibt § 1290 Abs. 1 Satz 1 RVO vor, daß die Rente vom Beginn des Monats an zu gewähren ist, "in" dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind.
Voraussetzung für das gemäß § 1248 Abs. 1 RVO zu gewährende Altersruhegeld ist außer der - im vorliegenden Falle gegebenen und im übrigen auch unstreitigen - Erfüllung der Wartezeit die Vollendung des 65. Lebensjahres.
Es fragt sich mithin, "in" welchem Monat der Kläger, der am Ersten des Monats Januar 1896 geboren ist, sein 65. Lebensjahr vollendet hat, ob im Januar 1961 oder, wie er meint, schon im Dezember 1960. Dabei ist, wie der Kläger zutreffend ausgeführt hat, die auch auf dem Gebiete der Sozialversicherung anzuwendende Vorschrift des § 187 Abs. 2 Satz 2 BGB heranzuziehen (BSG in SozR RVO § 1248 Aa 5 Nr. 6). Aus dieser Vorschrift, die dahin geht, daß bei der Berechnung des Lebensalters der Tag der Geburt mitgerechnet wird, ergibt sich, daß die Vollendung des 65. Lebensjahres, die nach natürlicher Betrachtung zu irgendeinem bestimmten Zeitpunkt innerhalb des Geburtstages geschehen ist, im Rechtssinne bereits mit dem Beginn des Geburtstages erfolgt (Staudingers Komm. z. BGB, 11. Aufl. Anm. 4 zu § 187; Palandt, BGB, 22. Aufl. Anm. 3 zu § 187). Darin liegt bereits, daß sie nicht schon an dem Tage, der dem Geburtstag vorausgeht, erfolgt ist. Denn wenn die Vollendung des 65. Lebensjahres von dem Zeitpunkt innerhalb des Geburtstages, in dem die Geburt tatsächlich stattgefunden hat, nach rückwärts auf den Beginn des Geburtstages verschoben wird, so wird sie nicht in den Vortag hineinverschoben.
Zu Unrecht beruft sich der Kläger demgegenüber auf die Ausführung in dem Lehrbuch von Enneccerus/Nipperdey an der von ihm angegeben Stelle, die dahin geht, daß Volljährigkeit mit dem Ende des dem Geburtstage vorhergehenden Tages eintrete, und auf die bereits wiedergegebene Ausführung in dem Kommentar von Dersch/Neumann zum Bundesurlaubsgesetz. Der Unterschied zwischen der Fassung, ein Lebensjahr vollende sich mit dem Beginn des Geburtstages (genauer: mit dem Beginn des Tages der Wiederkehr des Geburtstages), und der, ein Lebensjahr vollende sich mit dem Ende - oder dem Ablauf - des dem Geburtstag vorhergehenden Tages, ist nur scheinbar, da das Ende eines Zeitraumes von dem Beginn des darauf folgenden nicht geschieden werden kann. Bei beiden handelt es sich um denselben Zeitpunkt, auch wenn er das eine Mal mit 0,00 Uhr, das andere Mal mit 24,00 Uhr bezeichnet zu werden pflegt (BSG aaO). In demselben Lehrbuch von Enneccerus/Nipperdey, auf das der Kläger sich berufen hat, heißt es denn auch auf S. 958, wer am 5. Juni 1928 um 10 Uhr geboren sei, werde "um Mitternacht zwischen dem 4. und 5. Juni 1949 21 Jahre alt", nicht also schon am 4. Juni. Der Kläger verkennt bei seinen Ausführungen, daß auch die letzte Sekunde vor dem Geburtstag eine Zeitspanne ist und daß es deshalb nicht zutrifft - wie er meint -, daß das 65. Lebensjahr "in" der letzten Sekunde vor dem Geburtstag vollendet wird; richtig ist vielmehr, daß es erst mit dem Ende dieser letzten Sekunde vollendet ist, mit welchem zugleich die erste Sekunde des Geburtstages beginnt. Eine Sekunde, in der jemand sich zugleich im 65. und im 66. Lebensjahr befindet, ist daher - insofern ist dem Kläger beizupflichten - nicht denkbar. Die angeführte Entscheidung des 4. Senats vom 19. Oktober 1960 (SozR aaO) enthält jedoch eine solche Annahme auch gar nicht.
Der Kläger hat nach alledem nicht - wie es nach § 1290 Abs. 1 Satz 1 RVO Voraussetzung für die Gewährung des Altersruhegeldes vom 1. Dezember 1960 an wäre - schon am 31. Dezember 1960 und damit "in" diesem Monat das 65. Lebensjahr vollendet. Eine solche Annahme wäre auch mit der Verkehrsauffassung unvereinbar, die nirgends davon ausgeht, ein Lebensjahr vollende sich schon am Tage vor dem Geburtstag.
Schon aus diesen Gründen mußte der Senat der Entscheidung des 4. Senats vom 19. Oktober 1960, der sich inzwischen auch der 1. Senat in einem Urteil vom 21. Februar 1963 - 1 RA 206/62 - angeschlossen hat, beitreten.
Die von dem Kläger berührte Frage, ob die Waisenrente einer am Monatsersten geborenen Waise gemäß § 1292 RVO schon mit dem Ablauf des Vormonats wegfällt, ist im vorliegenden Falle nicht zu entscheiden. Daher ist kein Anlaß, darauf einzugehen, ob die dahingehende Rechtsübung und Rechtsprechung (vgl. VerbKomm., 6. Aufl. Anm. 4 zu § 1292 RVO) zu billigen ist.
Die Beklagte und das SG haben hiernach zu Recht den von dem Kläger geltend gemachten Anspruch abgelehnt. Die Revision konnte mithin keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen